Gesundheit in der Arbeitswelt 4.0 Abschlussbericht Innovationsprojekt der AOK Niedersachsen

Das Projekt „Gesundheit in der Arbeitswelt 4.0“ hat das Ziel, die Wirkung der Arbeitswelt 4.0 auf die Gesundheit der Beschäftigten zu verstehen und die Gesundheit positiv zu beeinflussen.

Um die Zusammenhänge zwischen Digitalisierung, Arbeit und Gesundheit genauer zu betrachten, hat die AOK Niedersachsen im Jahr 2017 den offiziellen Startschuss für das Projekt „Gesundheit in der Arbeitswelt 4.0“ gegeben. Wir freuen uns, sowohl Entscheidungs- trägern als auch Praktikern mit dem vorliegenden Bericht praxisnahe Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit 21 niedersächsischen Unternehmen zu liefern. Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen und deren Beschäftigte in der Arbeitswelt 4.0? Und welche Chancen ergeben sich durch die Digitalisierung? Die Ergebnisse des Projekts geben Antworten auf diese Fragestellungen und zeigen, wie die Digitalisierung die gesundheitlichen Ressourcen und Belastungen in der Arbeitswelt verändert. Anschauliche Praxisbeispiele und Gestaltungsempfehlungen bieten Orientierung für einen erfolgreichen Weg, gesundheitliche Risiken der Digitalisierung zu minimieren und Chancen zu nutzen. Sie beschreiben die Möglichkeiten und das Potenzial, die Gesundheit von Beschäftigten in der Arbeitswelt 4.0 zu schützen und zu fördern und damit im digitalen Wandel wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein zukunftsfähiges Betriebliches Gesundheits- management (BGM) ist dabei ein wichtiger Baustein. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen. Hubertus Heil, Bundesministerium für Arbeit und Soziales Dr. Volker Müller, Unternehmerverbände Niedersachsen e. V. Dr. Mehrdad Payandeh, DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt 7

UNTERNEHMEN21 158 WORKSHOPS IN UNTERNEHMEN 11 BRANCHEN 9

Zukunftsfähiges BGM – von altbewährt bis zukünftig relevant Betriebliches Gesundheitsmanagement: Das ist in Zukunft wichtig Instrumente und Maßnahmen des BGM: Das funktioniert in der Arbeitswelt 4.0 BGM-Verantwortliche im Unternehmen: So lässt sich ihre Arbeit optimal unterstützen Erfahrungen mit der Arbeitswelt 4.0: Stimmen aus der Praxis der Projektunternehmen Literaturverzeichnis Impressum 80 88 100 108 114 116 Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung alle Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form genannt ist. 11

Neue psychische Belastungen entstehen Bekannte psychische Belastungsfaktoren sind in der digitalen Arbeitswelt weiterhin bedeutsam. Durch die hohe Veränderungs- dichte der Arbeitswelt 4.0 erhalten sie eine neue Dynamik. Darüber hinaus stellen digitale Technologien und Medien neue Belastungen für Beschäftigte dar. Um (digitalen) Stress im Arbeitskontext zu reduzieren, ist es notwendig, verlässliche Systeme bereitzustellen, Weiter- bildungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, Handlungsspielraum zu ermöglichen und individuelle Stressbewältigungskompe- tenzen von Beschäftigten zu fördern. Bewegungsförderliches Arbeiten bleibt wichtig Durch neuartige Hilfsmittel verschwinden körperlich be- lastende Tätigkeiten nicht. Im Zuge der fort- schreitenden technischen Entwicklungen können sich bekannte physisch belastende oder monotone Tätigkeiten auch verschärfen oder neu entstehen. Zudem bleiben soziale Berufe, wie die Pflege, trotz zahlreicher Entwicklungen in der Robotik primär in „menschlicher Hand“. Ergonomische Arbeits- bedingungen und bewegungsförderliches Arbeiten bleiben auch in Zeiten der Digi- talisierung bedeutsame Handlungsfelder betrieblicher Prävention. BGM ist weiterhin relevant Grundlegende Qualitätskriterien, Handlungs- felder und Präventionsprinzipien des BGM sind in der Arbeitswelt 4.0 nach wie vor relevant, teilweise erhalten sie eine neue Dynamik. Betriebliche Rahmenbedingungen für die Nutzung digitaler Neuerungen gesund zu gestalten, Beschäftigte kontinuierlich an Veränderungsprozessen zu beteiligen, lebenslange und arbeitsplatznahe Lern- möglichkeiten zu schaffen und Gestaltungs- kompetenzen von Führungskräften und Beschäftigten zu stärken – das gehört zu einem zukunftsfähigen BGM. Zudem gilt es, das BGM agil zu gestalten, darin fokussiert vorzugehen und es digital zu unterstützen. Corona ist Herausforderung und Chance zugleich Die Entwicklungen rund um das Corona-Virus haben einige Digitalisierungsprozesse in Unternehmen beschleunigt: Neue digitale Kommunikations- und Informationsstrukturen wurden geschaffen, die Möglichkeiten für orts- und zeitflexibles Arbeiten erweitert. Zugleich hat die Pandemie betriebliche Entwicklungsfelder der Digita- lisierung aufgedeckt. Unternehmen sehen in der Pandemie auch die Chance, eingespielte Prozesse und Arbeitsweisen neu zu bewerten und Widerstände hinsichtlich digitaler Neuerungen abzubauen. 13

„Die Digitalisierung bietet zahlreiche Chancen für Beschäftigte und Unternehmen. Moderne Politik muss einen zukunfts fähigen Rahmen schaffen, der Unternehmen ein starkes Netz werk zum Wissens- und Erfahrungs- austausch ermöglicht.“ Dr. Volker Müller, Unternehmerverbände Niedersachsen e. V. Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Art und Tiefe der Datengewinnung geht über den Standard bisheriger Publikationen zur Arbeitswelt 4.0 und ihrer Wirkung auf die Gesundheit hinaus (mehr dazu im Kapitel „Datenbasis und Methodik“ ab Seite 18). In Digitalisierungsdebatten werden bisher meist Daten berücksichtigt und diskutiert, die auf punktuellen Erhebungen beruhen. Ziel des Projekts ist, aufbauend auf den Erkenntnissen ein zukunftsfähiges Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) zu konzipieren. Dieses soll einerseits die Herausforderungen berücksichtigen, die die moderne Arbeitswelt mit sich bringt. Andererseits soll es dazu bei- tragen, Chancen der Arbeitswelt 4.0 nutzbar zu machen. Mit dem Projekt schafft die AOK Niedersachsen die Grundlage, auch in Zukunft eine kompetente und zeitgemäße Partnerin in betrieblichen Gesundheitsfragen zu sein und die Wettbewerbsfähigkeit nieder sächsischer Unternehmen im digitalen Wandel zu stärken. 15

Die abschließenden Kapitel (Seiten 80 bis 107) sind dem BGM gewidmet: Sie zeigen, wie BGM die zuvor geschilderten Aspekte berücksichtigen kann und was darüber hinaus für eine zeitgemäße betriebliche Präventionsarbeit zu beachten ist. Dabei steht im Mittelpunkt, was im BGM zukünftig relevant ist – unabhängig davon, ob es sich bereits in der Vergan- genheit bewährt hat oder einen gänzlich neuen Ansatz darstellt. Einordnung der Ergebnisse Die Ergebnisse umfassen die in der Praxis beobachteten und geschilderten Herausforde- rungen und Chancen sowie die von Beschäftigten geschilderte subjektive Wirkung auf das Wohlbefinden. Diese Erkenntnisse bestätigen bereits bestehende Ergebnisse zur Arbeits- welt 4.0 und ergänzen sie durch tiefe und wertvolle Einblicke in die Praxis. VERSTEHEN Auswirkungen auf die Gesundheit BEWERTEN Relevanz der Ergebnisse für das BGM FORMULIEREN Empfehlungen für eine gesun- de Gestaltung von Arbeit GESTALTEN Zukunftsfähiges BGM-Konzept 2019 2020 2021 17

Datenbasis 21 niedersächsische Unternehmen verschiedener Branchen und Größen Branchen Handel, Versicherungs- und Gesund- heitswesen, Transport und Logistik, Finanzdienstleistungssektor, Elektro-, Automobil-, Metall-, Kunststoff-, Nahrungsmittel- und Möbelindustrie Methoden Workshops, Befragungen, Interviews, Beobachtungen, Netzwerktreffen Vertiefung Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Begleitforschung durch das SOFI Teilnehmerkreis Beschäftigte, Führungskräfte, Betriebs- beziehungsweise Personalräte, BGM-Verantwortliche, Bereichs- und Abteilungs- leiter, Geschäftsführer, Fachkräfte für Arbeitsschutz, Vertreter des Personalwesens, Digitalisierungsbeauftragte, Change Manager, Akteure der Krisenstäbe „Corona“ 19 19

Unternehmen stehen unter einem konstanten Innova- tions- und Reaktionsdruck, um in der Arbeitswelt 4.0 wettbewerbsfähig zu bleiben: Sie müssen Prozesse optimieren sowie Systeme und Technologien auf dem aktuellsten Stand halten. Das läuft jedoch nicht immer reibungslos. Woran liegt das? 21

„Die Arbeitswelt verändert sich so schnell wie noch nie. Umso wichtiger ist es, Beschäftigten zu ermöglichen, den digi- talen Wandel mitzugestalten und ihre Interessen und Bedürfnisse einzubringen.“ Dr. Mehrdad Payandeh, DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt Kommunikation und Abstimmung nicht ausreichend sind. Diese negativen Entwicklungen entstehen dadurch, dass Beschäftigte in der Organisation und Planung nicht aus- reichend oder zu spät beteiligt werden und ihre fachliche Expertise nicht frühzeitig einbringen können. Belastungen werden ungleich verteilt In der Praxis kann die Digitalisierung von Arbeitsprozes- sen, die Umstrukturierung von Organisationseinheiten oder die wachsende Anzahl neuer Themen dazu führen, dass sich Tätigkeiten von Beschäftigten verändern und monotone und komplexe Aufgaben ungleich auf Beschäf- tigte verteilt werden. Es entstehen verschiedene Belas- tungskonstellationen und Qualifikationsanforderungen. Wenn ursprünglich komplexe Aufgaben zergliedert wer- den, führt dies zu Monotonie und geringen Handlungs- spielräumen – Beschäftigte werden dequalifiziert. Ande- rerseits können neue Tätigkeiten oder Themen auch mehr Verantwortung, mehr überwachende und planende Auf- gaben, mehr Kooperation von Mensch und Maschine oder 23

Entlastung durch mechanische Helfer In der Logistik sind Beschäftigte starken körperlichen Belastungen ausgesetzt. Hohe Lastgewichte erschwe- ren das Ver- und Umpacken sowie das Ein- und Entladen von Waren. Mit Exoskeletten möchte eines der Projektunternehmen die hohen Be- lastungen für die Beschäftigten reduzieren: Mecha nische Schulterseg- mente übertragen das Lastgewicht auf das Becken und sorgen somit für eine muskuläre Entlastung der Schulter- und Rückenpartie. Durch ei- ne gleichbleibende Bewegungs unter stützung passt sich das Exoske- lett seinem Träger an. Ungünstige Bewegungsmuster, wie das Heben hoher Lastgewichte aus dem Rücken, werden vermieden. Beschäftigte, die das Exoskelett nutzen, bestätigen, dass sie weniger Muskelkraft aufwenden müssen, eine bessere Körperhaltung haben und ihre Auf- gaben präziser aus führen können. Die Chancen Beschäftigte sind positiv eingestellt In der betrieblichen Realität wird deutlich: Die Mehrheit der Beschäftigten steht der Digitalisierung positiv ge- genüber und betrachtet diese als Chance und natürliche Entwicklung. Sie befürchten nicht, durch die fortschrei- tende Digitalisierung und den technischen Wandel ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Vielmehr rechnen sie mit mode- raten Wirkungen der Digitalisierung auf ihre Arbeitssitu- ation. Moderne Technologien stellen über Jahre hinweg einen normalen Bestandteil der Arbeit dar und gelten als unverzichtbar, um Arbeitsanforderungen zu bewältigen. Das SOFI bestätigt in den Zwischenergebnissen der Be- gleitforschung, dass Beschäftigte durch die Digitalisie- rung tendenziell eher positive Veränderungen erwarten: beispielsweise reduzierte körperliche Belastungen, bessere Bewältigung der Arbeit, steigende Qualität der Arbeits- ergebnisse, effektiveres und effizienteres Arbeiten. Nega- tive Erwartungen sind dagegen vorhanden, was die eigenen Entscheidungsspielräume angeht und die Mög- lichkeiten, eigene Vorstellungen in die Arbeitsgestaltung einzubringen oder sich die Arbeit selbst ein teilen zu können. Auch der zunehmende Zeitdruck wird kritisch gesehen. Entwicklungen dieser Art hängen jedoch weni- ger von der Digitalisierung und konkreten Technolo gien ab, sondern vielmehr betriebsindividuell von arbeits- politischen Leitbildern und Geschäftsstrategien.5 25

Sicherer Start in neue Aufgaben In der Produktion eines Projektunternehmens schafft die Einführung kollaborierender Roboter Entwicklungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für die Beschäftigten. Auf Basis der neuen Technologien und veränderten Arbeitsprozesse werden neue Qualifizierungs- und Tätigkeitsprofile entwickelt. Dabei arbeiten Personalentwicklung, Unternehmensstrategie und Produktions- leitung zusammen. Die Profile werden den Beschäftigten vorgestellt und diese dazu aufgerufen, sich eigeninitiativ zu bewerben. Die vor- gestellten Qualifizierungsprofile reichen von „einfache Handhabung“ bis „Programmierung neuer Arbeitsprozesse und Anlernen neuer Mit- arbeitender“. Nach Abschluss eines internen Bewerbungsprozesses werden die Beschäftigten in der angestrebten Tätigkeit geschult. Höher qualifizierte Beschäftigte schulen ihre Kollegen auf Augenhöhe und passgenau für die betriebsindividuelle Tätigkeit. Damit ermöglicht das Unternehmen den Beschäftigten einen beteiligungs- orientierten und sicheren Start in die neuen Aufgaben. Gestaltungsempfehlungen Arbeitsaufwand ganzheitlich betrachten Die Herausforderungen, die sich in der Arbeitswelt 4.0 zeigen, sind nicht neu. Steigende Leistungsanforderungen und die Versprechungen einer leistungsfähigeren IT- Infrastruktur verleihen ihnen jedoch eine höhere Bedeu- tung. Es reicht nicht nur, die neuste Software zu instal- lieren und auf die erwarteten Effektivitätssteigerungen zu hoffen. Um digitale Neuerungen adäquat zu imple- mentieren, gilt es, Veränderungen und den damit ver- bundenen Arbeitsaufwand realistisch und ganzheitlich zu betrachten. Das SOFI betont: In der Praxis wird der Gestaltungsbedarf bei der Einführung neuer Technolo- gien oft unterschätzt. Die Folge sind fehlerhafte und störanfällige Technologien, die reale Arbeitsanforde- rungen nicht ausreichend berücksichtigen.5 Wichtig ist, nicht nur die technikzentrierte Organisations ebene, 27

„In der Arbeitswelt 4.0 ändern sich Tätigkeits- und Verantwortungsprofile. Um den Anforderungen des digitalen Wandels frühzeitig zu begegnen, ist eine vorausschauende und bedarfsorientierte Weiterbildung notwendig.” Dr. Bernd Althusmann, Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Die Zwischenergebnisse des SOFI belegen die hohe Relevanz von Mitgestaltung für die effektive Nutzung technischer Neuerungen: Wenn Beschäftigte wenig Mitgestaltungsmöglichkeiten haben, ergeben sich im Nachhinein oft Funktionsprobleme und Anpassungs- bedarf. Zudem empfinden Beschäftigte es als Miss- achtung und frustrierend, wenn sie ihr Erfahrungswissen nicht einbringen können und aufgrund technischer und organisatorischer Unzulänglichkeiten der Neuerungen anschließend Zusatzbelastungen haben.5 Wenn Beschäftigte hingegen ihr Arbeitsprozesswissen einbringen können, werden Probleme während und nach der Einführung eher erkannt und können besser gelöst werden. Zudem bewerten Beschäftigte ihre Arbeitsbe- lastung und -situation, die Qualität der Arbeitsergebnisse und die Effektivität und Effizienz des Arbeitens insge- samt positiver. Darüber hinaus ist der Grad der Mitge- staltung mit Arbeitszufriedenheit, sozialer Anerkennung, erfahrener Wertschätzung und auch gesundheitsbe- zogenen Arbeitsfolgen verbunden.5 29

Systemische, technische und prozessuale Anpassungen können die Arbeit erleichtern und die Arbeitssituation für Beschäftigte verbessern. Digitale Neuerungen bieten die Chance, sich fachlich weiterzubilden und quali- fikationsorientiert zu arbeiten. Das fördert Motivation, Zufriedenheit und Veränderungs- bereitschaft. Um den digitalen Wandel in Unternehmen gesund zu gestalten, gilt es, Veränderungen und den damit verbundenen Arbeitsaufwand realistisch und ganzheitlich zu betrachten. Zudem ist ein Erfolgsfaktor, den Veränderungsprozess transparent zu kommunizieren. Es ist wichtig, Beschäftigte von Beginn an zu beteiligen, ihnen Mit- gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen und Qualifizierungsmöglich keiten zu schaffen. 31

E-Mails, Chat- und Kurznachrichten häufen sich in den digitalen Posteingängen und fordern Aufmerksamkeit. Gleichzeitig ermöglicht die digitale Vernetzung einfache und schnelle Interaktionen. Wohin führt die neue Kommunikationsintensität der Arbeitswelt 4.0? 33

Klare Leitplanken Ein Projektunternehmen investiert in den Ausbau digitaler Infrastruktur und die Nutzung neuer Kommunikations- und Informationsmedien. Um Beschäftigten und Führungskräften Sicherheit im Umgang mit den neuen Kanälen zu geben, entwickelt das Unterneh- men einen Leitfaden zur Nutzung der neuen Technik: Es wird festgelegt, welche Medien zu welchem Zweck genutzt werden sollen, wie mit E-Mails während Abwesenheiten umgegangen wird, wie Aufträge und Informa tionen an die Adressaten kenntlich gemacht werden und wann eine Erreichbarkeit sichergestellt werden soll. Ziel ist es, möglichen negativen Entwicklungen – etwa dem Gefühl der Informationsflut – entgegenzuwirken. Teamgefühl geht verloren Die zunehmende Kommunikation über digitale Medien sorgt für geringeren persönlichen Austausch im Arbeits- kontext. Beschäftigte schildern, dass die persönliche In- teraktion abnimmt, während der Austausch über digitale Medien zunimmt. Und das nicht nur bei räumlich verteilten Teams, sondern auch unter Mitarbeitenden am gleichen Standort. Das Teamgefühl, die gegenseitige kollegiale Unterstützung sowie das soziale Klima leiden unter die- ser Entwicklung. Die Folge können Vertrauensverluste im Team, Unsicherheit und daraus resultierend abnehmende Motivation und gesundheitliche Konsequenzen sein. Insbesondere durch die Corona-Pandemie und die dadurch verstärkte digitale Kommunikation ist vielen Unternehmen und Mitarbeitenden deutlich geworden, welche wichtige Rolle die soziale Interaktion für das Wohlbefinden hat. Experten aus den Unternehmen betonen, dass es trotz der vielen Vorteile der digitalen Arbeit wichtig ist, auf das soziale Miteinander zu achten. Die soziale Interaktion stellt eine wichtige gesundheitliche Ressource dar: Sie beeinflusst das Belastungs-/Beanspruchungs-Geschehen in vielfältiger Weise. Der gegenseitige Austausch ist dabei eine wichtige Form der Unterstützung.33 35

„Digitalisierung ist Chance und Risiko zugleich. Wir wissen, dass sie zu einer Verdichtung von Arbeitsprozessen führen kann. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist deswegen ein wichtiges Instrument, um die Gesundheit und die Interessen der Beschäftigten zu gewährleisten. Die Prinzipien der ,guten Arbeit’ sind auch in der Arbeitswelt 4.0 von zentraler Bedeutung.“ Daniela Behrens, Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Zwischenergebnisse des SOFI gestützt: Ein erweiterter Zugriff auf Informationen und Daten und die damit ver- bundene Transparenz werden von verschiedenen Beschäf- tigtengruppen als Entlastung und Unterstützung in der Ausübung ihrer Tätigkeiten wahrgenommen.5 Zusammenarbeit verbessert sich Branchenunabhängig empfinden Beschäftigte es als positiv, wenn Daten digitalisiert sowie in Echtzeit ein- sehbar sind und stets zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung stehen. Laut SOFI benennen Beschäftigte die verbesserte Datenqualität und die geringere Fehlerquote bei der Übertragung oder Zuordnung von Daten als positive Effekte der digitalen Dokumentation und Be arbeitung.5 Durch direkte digitale Datenerfassung und -verwaltung entfallen Doppel- und Mehrarbeit, Dokumentationen können vereinfacht werden und Fehler quellen können durch den Wegfall der Übertra- gung handschriftlicher Notizen reduziert werden. All das trägt zur Zufriedenheit der Beschäftigten bei. Sind Pro- zesse und einzelne Arbeitsschritte nachvollziehbar sowie Dokumente und Notizen strukturiert abgelegt, bietet dies Transparenz und die Zusammenarbeit im Arbeits- prozess verbessert sich. 37

Digitale Kommunikations- und Informations- medien können für schnellen Austausch und eine verbesserte Zusammenarbeit sorgen. Voraussetzung ist, dass die Rahmenbedingungen für ihre gesunde Nutzung definiert sind und jeder befähigt ist, die Medien gezielt und sicher einzusetzen. Die persönliche Kommunikation ist dabei sicherzustellen, da sie eine wichtige gesundheitliche Ressource darstellt – sowohl zwischen Beschäftigten als auch zwischen Beschäftigten und Führungskraft. 39

Flexibel im Büro, mobil oder zu Hause arbeiten – bis 2020 war das nur in wenigen Unternehmen Realität. Durch die Corona-Pandemie ist diese Arbeitsweise in vielen Unternehmen sehr schnell zur Selbstver- ständlichkeit geworden. Was sind die Dos and Don’ts bei der Umsetzung? 41

„Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Arbeiten von zu Hause oder unterwegs gut funktioniert und zu einer modernen Arbeitswelt passt. Für die Zeit nach der Pandemie wünschen sich viele Beschäftigte und Unternehmen daher einen Mix aus Homeoffice und Präsenz. Dafür braucht es einen geeigneten Rechtsrahmen.“ Hubertus Heil, Bundesministerium für Arbeit und Soziales 43

So wirkt sich Homeoffice auf die allgemeine Zufriedenheit aus positiv teils/teils 41 % 49 % negativ gar nicht 5 % 5 % Diese Faktoren beeinflussen die Zufriedenheit im Homeoffice 41 % 5 % der Beschäftigten in den Projektunternehmen geben an, dass Homeoffice ihre allgemeine Zufriedenheit positiv beeinflusst. Die am häufigsten genannten Gründe dafür sind - Weg fall des Arbeitswegs - bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privat leben - ruhigere Arbeits atmosphäre, die effizienteres Arbeiten ermöglicht der Beschäftigten in den Projektunternehmen geben an, dass Homeoffice ihre allgemeine Zufriedenheit negativ beeinflusst. Die am häufigsten genannten Gründe dafür sind – Gefühl der ständigen Erreichbarkeit – Schwierigkeiten, nach der Arbeit abzuschalten – ungenügende oder instabile Technik – fehlender persönlicher Austausch Beschäftigtenbefragung in den Projektunternehmen im Herbst 2020; n=141 45

individuelle Wünsche der Beschäftigten berücksichtigen. Da Führungskräfte die Unternehmenskultur maßgebend prägen, Leitplanken setzen und eine Vorbildfunktion innehaben, sind diese in den Prozess der Ausgestaltung orts- und zeitflexibler Arbeit einzubinden. Welche Aspekte im Rahmen der Qualifizierung von Führungs- kräften zum Führen auf Distanz relevant sind, ist im Kapitel „Führung 4.0“ ab Seite 50 dargestellt. Transparente Vereinbarungen treffen Vereinbarungen sind sinnvoll, um Risiken flexibler Arbeits- formen einzudämmen und die Work-Life-Balance Be- schäftigter zu fördern. Ist orts- und zeitflexibles Arbeiten formal geregelt, wird es genutzt, um Beruf und Privat- leben besser zu vereinbaren, und seltener als Instrument, um zusätzliche Arbeitsleistung zu erbringen (mehr dazu im Abschnitt „Orts- und zeitflexible Arbeit verleitet zu Mehrarbeit“ auf Seite 42).23 Zeiterfassung ist ein schützender Faktor – die Arbeitszeit wird als zentraler Parameter wahrgenommen. Untersuchungen legen dar, dass Beschäftigte ohne Arbeitszeiterfassung häufig länger arbeiten und Mehrarbeit leisten. Zudem wird von ihnen eher erwartet, außerhalb der eigentlichen Arbeits- zeiten erreichbar zu sein.31, 34 Klare Kommunikations- und Erreichbarkeitsregelungen erweisen sich beim orts- und zeitflexiblen Arbeiten als weitere gesundheitsförderliche Faktoren: definierte Zeiträume, in denen eine telefoni- sche Erreichbarkeit gewährleistet sein soll oder E-Mails beantwortet werden – und Zeiten, in denen Beschäftigte das Recht auf Nichterreichbarkeit haben. Solche Rahmen- bedingungen sind die Basis dafür, dass flexible Arbeits - arrangements gesundheitsförderlich wirken und nicht in Entgrenzung, Mehrarbeit und ständiger Erreichbarkeit münden. Diese positive Wirkung lässt sich noch steigern, wenn die Vereinbarungen gemeinsam mit den Beschäftig- ten oder deren Vertretern erarbeitet werden. Das steigert die Akzeptanz der Regelungen und trägt dazu bei, dass diese in der Praxis umgesetzt und eingehalten werden. 47

Durch orts- und zeitflexibles Arbeiten sind Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren: Beschäftigte können ihren Lebensmittelpunkt unabhängig vom Sitz des Unternehmens wählen oder private Termine einfacher im Alltag berücksichtigen. Zudem können sie konzen- trierter arbeiten, weil es weniger Unter- brechungen gibt. Das führt zu einer höheren Arbeits zufriedenheit. Wichtig ist, flexible Arbeits arrangements im Sinne einer lebens- phasen- und be schäftigtenorientierten Perso nal politik gesundheitsfördernd zu gestalten. Transparente Vereinbarungen sind die Basis. Zudem brauchen Beschäftigte Handlungsspielraum bei der Arbeits- und Aufgabenorganisation und die Kompetenz, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit so zu ziehen, dass ihre Gesundheit nicht gefährdet ist. 49

Führungskräfte beeinflussen die Gesundheit, Arbeits- zufriedenheit und Motivation Beschäftigter – im posi- tiven wie im nega tiven Sinn. Verlangt die Arbeitswelt 4.0 Führungskräften ein ganz neues Rollenverständnis ab? 51

95 % der Steuerkreismitglieder in den Projektunternehmen sehen es als relevant an, Führungskräfte für ihre Rolle in Veränderungsprozessen zu sensibilisieren und ihre Kompetenzen zum Führen im Change zu stärken. (n = 38) Diese Anforderungen können Führungskräfte in der be- trieblichen Realität nicht immer erfüllen: Zum einen sind die Einflussmöglichkeiten der unteren Führungsebene bei technisch-organisatorischen Veränderungen oft begrenzt. Zum anderen fehlen ihnen Kenntnisse und geeignete Werkzeuge des Veränderungsmanagements. Deshalb sehen sich die unmittelbaren Führungskräfte häufig zu wenig in der Lage, Veränderungen zu beein- flussen und mitzugestalten, erklärt das SOFI.5 Besonders problematisch ist, dass für Führungskräfte selbst die Ziele der Veränderung oft nicht ausreichend transparent sind und daher Unsicherheiten bestehen, wie sie diese in ihrem Bereich steuern und ausgestalten können. Angesichts voranschreitender Digitalisierungsprozesse bedeutet Unterstützung durch die Führungskraft jedoch noch mehr als bisher, Einfluss auf die Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen zu nehmen, betont das SOFI.5 Verschärfend kommt hinzu, dass Führungskräfte oft stark fachlich eingebunden sind, da die Anzahl neuer Projekte oder Systeme steigt und Themen komplexer werden. Es bleibt immer weniger Zeit für die eigentlichen Führungsaufgaben und den direkten Kontakt mit Beschäftigten: Persönliche Gespräche, die Auseinander- setzung mit Unsicherheiten und regelmäßige Informa- tionen an das Team kommen zu kurz. Große Führungs- spannen erschweren diese Problematik. Das kann bei den Führungskräften zu Zeitdruck, Unzufriedenheit, Überforde- rung und Stress führen. Es beeinträchtigt die mitarbeiter- orientierte, gesundheitsgerechte Begleitung von Ver- änderungs prozessen, die von ihnen erwartet wird, und wirkt sich in der Folge auf die Gesundheit und das Wohl- befinden der Beschäftigten aus. Denn Führungskräfte gelten als wichtige Ressource bei betrieblichen Verän- derungen. Beschäftigte, die in Veränderungsprozessen 53

Was waren zu Beginn der Corona-Pandemie die größten Herausforderungen für Führungskräfte? 68 % 44 % 39 % Neue Regeln, Routinen und Strukturen im Team schaffen und kommunizieren Fehlender oder geringerer persönlicher Austausch mit den Beschäftigten Mit Ängsten der Beschäftigten umgehen Ausreichend Raum sicherstellen, um die aktuelle Situation (Rahmenbedingungen, Unsicherheiten etc.) zu besprechen Unsicherheit bezüglich der eigenen Rolle und Aufgabe Sonstiges 7 % 20 % 20 % Führungskräftebefragung in den Projektunternehmen im Herbst 2020; n = 29 55 55

100 % der Steuerkreismitglieder in den Projektunter- nehmen sehen in der Stärkung von Stressbe- wältigungskompetenzen von Führungskräften ein relevantes Thema für die Arbeitswelt 4.0. (n = 38) Stress bewältigen Die Tätigkeit als Führungskraft ist durch verschiedene gesundheitliche Belastungen geprägt. Gerade untere Managementebenen stehen unter erheblichem Druck: Sie befinden sich in einer mehrfachen Sandwichposition zwi- schen Erwartungen von Beschäftigten und betrieblichen Anforderungen sowie zwischen übergreifenden Unter- nehmensstrategien und konkreten Bedingungen vor Ort. Problematisch ist, dass viele Führungskräfte ihre eigenen Kompetenzen im Umgang mit Belastungen und Stress als unzureichend einschätzen. Das ist aufgrund ihrer Vor- bildfunktion in doppelter Hinsicht kritisch, da sich das Stresserleben von Führungskräften auf die Beschäftigten überträgt und damit auch deren Gesundheit beein- flusst28, 26 (mehr dazu im Kapitel „Digitaler Stress“ ab Seite 64). Deshalb benötigen Führungskräfte Handlungs- hilfen und praktische Werkzeuge, um eigene Belastungen zu bewältigen und im Führungsalltag gesund zu bleiben. 57

Die vielfältigen Herausforderungen der Arbeits welt 4.0 machen deutlich: Die aktive und gesundheitsgerechte Gestaltung von Veränderungen und von neuen betrieblichen Arbeitsbedingungen stellt zukünftig eine wichtige Führungs aufgabe dar. Damit Führungs kräfte dieser Aufgabe gewachsen sind, gilt es, betriebs individuell Erwartungen hinsichtlich der Aufgaben und Pflichten von Führung zu definieren und transparent zu machen. Darüber hinaus sind entsprechende Rahmenbedingungen und Strukturen für Führung zu schaffen sowie gezielte Qualifizierungs- maßnahmen umzusetzen. So haben Führungs- kräfte die Möglichkeit, die Veränderungen der Arbeits welt mit und für Beschäftigte gesund- heitsgerecht zu gestalten. 59

01 Ich als Unterstützer o Belastungen und Ressourcen im Arbeitsleben erkennen o Unterstützung geben 02 Ich als Zuhörer o Interesse zeigen o Zuhören im Alltag o Aktives Zuhören 03 Ich als Feed- backgeber o Wertschätzung zeigen o Lob und Kritik äußern o Feedback geben 04 Ich als Gestalter o Arbeit gesund gestalten o Entwicklungen anstoßen o Mitarbeiter beteiligen 05 Ich als Vorbild 06 Ich im Gleich- gewicht o Vorbildwirkung reflektieren o Eigene Work-Life-Balance o Eigenes Stress- und Ressourcen- management aufbauen reflektieren o Ausgleich finden o Notfallstrategie entwickeln o Gesundheitsnetzwerk aufbauen 61 61

E-Learnings für eine gesundheits- gerechte Führung in der Arbeitswelt 4.0 Angesichts der dargestellten Herausforderungen und des Qualifikations- bedarfs von Führungskräften in der Arbeitswelt 4.0 wurden im Projekt „Gesundheit in der Arbeitswelt 4.0” bedarfsspezifische E-Learnings ent wickelt. Ziel ist es zum einen, Fähigkeiten, Kenntnisse und die Rolle der Führungskräfte zu stärken. Zum anderen werden die Teilnehmenden zur Reflexion ihres Führungsverhaltens angeregt. Gesund führen in Veränderungsprozessen o Sensibilisierung für die Bedeutung und Wirkung von Veränderungsprozessen o Rolle und Aufgaben von Führung in Veränderungsprozessen o Erfolgsfaktoren und Handlungsstrategien o Umgang mit Widerständen und Barrieren Gesund führen auf Distanz o Sensibilisierung für die Bedeutung von Führung auf Distanz – was verändert sich? o Einfluss von Führung auf Work-Life-Balance, soziale Isolation, Selbstgefährdung o Vermittlung der drei Kernelemente gesunder virtueller Führung: Vertrauen bilden, effektive Kommunikation in virtuellen Teams und Unterstützung trotz räumlicher Distanz Psychisch belastete Beschäftigte: erkennen und handeln o Rolle und Grenzen im Umgang mit psychisch belasteten Beschäftigten o Vermittlung von Handlungsoptionen: Erkennen (Auffälligkeiten erkennen) – Handeln (ins Ge- spräch treten, Vermittlung von Gesprächstechniken) – Unterstützen (einbinden und vorbeugen) 63 63

Der psychischen Gesundheit wird in der Arbeitswelt 4.0 viel abverlangt: Klassische Belastungsfaktoren erhalten eine neue Dynamik. Digitale Technologien und Medien erweitern das Belastungsprofi l. Welche Rolle spielt der digitale Stress? 65

92 % der Steuerkreismitglieder in den Projektunternehmen sehen in der Vermittlung von Stress bewältigungs- kompetenzen ein Präventionsprinzip, das zukünftig an Bedeutung im BGM gewinnt. Das gilt insbesondere für den Umgang mit digitalen Stressauslösern wie Unterbrechungen oder Informationsflut. (n = 38) Weiterbildung anbieten Im Kapitel „Systeme, Arbeitsformen und Qualifikation“ ab Seite 20 wurde bereits erläutert, dass Kompetenzen von Beschäftigten sowie deren Qualifizierungsmöglich- keiten im Unternehmen besonders relevant für die ge- sundheitsgerechte Ausführung von Tätigkeiten sind. Per- sönliche Fähigkeiten und Weiterbildungsmöglichkeiten spielen auch bei der Bewältigung psychischer Belastun- gen eine große Rolle: Durch berufliche Qualifizierung zu neuen Technologien und Systemen lässt sich digitaler Stress reduzieren. Eine höhere Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien und Technologien wirkt sich positiv aus. Auch andere stressverursachende Faktoren wie In- formationsflut, Komplexität und Verun sicherung werden durch Qualifizierungsmaßnahmen verringert.7 Mitgestaltung ermöglichen Bei der Implementierung neuer digitaler Technologien und Medien zahlt es sich aus, wenn die Beschäftigten in einem kontinuierlichen Prozess mitgestalten können. Das fördert die Akzeptanz gegenüber neuen Technologien und ermöglicht eine effektive und passgenaue Entwick- lung und Nutzung der digitalen Neuerungen für die be- rufliche Tätigkeit. Beteiligung kann zudem die Arbeits- zufriedenheit, das Engagement und die Bindung an den Arbeitgeber positiv beeinflussen. Dies wird durch die Zwischenergebnisse aus der Begleitforschung durch das SOFI gestützt: Beschäftigte mit großen Mitgestaltungs- möglichkeiten beurteilen ihre allgemeine Arbeitssituation positiver als Beschäftigte ohne oder mit wenig Mitge- staltungsmöglichkeiten,5 das zeigen auch die Grafiken ab Seite 84. 67

Bekannte psychische Belastungsfaktoren sind für die betriebliche Präventionsarbeit weiterhin relevant. Durch die hohe Veränderungsdichte der Arbeitswelt 4.0 erhalten sie eine neue Dynamik. Darüber hinaus erweitern digitale Technologien und Medien das Belastungsprofil von Beschäftigten. Um (digitalen) Stress im Arbeitskontext zu reduzieren, ist es notwendig, verlässliche Systeme bereitzustellen, Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten, Mitgestaltungsmöglichkeiten bei der Planung einzuräumen, Handlungsspielraum in der Tätigkeitsaus führung zu ermöglichen, Führungs kräfte zum gesundheitsgerechten Führen zu qualifizieren, soziale Unterstützung anzubieten und indivi duelle Stressbewältigungs - kompetenzen der Beschäftigten zu fördern. 69

01 Einstieg – Stress erkennen und verstehen o Stressentstehung und Stress- bewältigung o Reflexion individueller Belastun- gen, Stresssymptome und eigener Stressbewältigungsstrategien 03 Instrumentelles Stressmanagement – effektives Zeit- und Selbstmanagement o Möglichkeiten der proaktiven Verringerung von Belastungen o Problemlöse- und Zeitmanage- mentmethoden 02 Mentales Stress- management – Stress entsteht im Kopf o Reflexion persönlicher stress- verschärfender Einstellungen und Denkmuster o Umstrukturierung in stress- mindernde Einstellungen und Bewertungen 04 Regeneratives Stress- management: richtig erholen – Ressourcen erkennen & stärken o Individuell passende Erholung o Kurzentspannungstechniken 71 71

So beurteilen Teilnehmende das Angebot 83 % sind durch das Angebot für die Aspekte von „digitalem Stress“ sensibilisiert.* 75 % sind dafür sensibilisiert, wie sich Unterbrechungen durch digitale Medien auswirken.* Mehr Angebote aok.de/fk/nds/psychische- gesundheit-staerken Alle digitalen Angebote der AOK Niedersachsen finden Sie online. 83 % sind für ihre aktuelle Situa- tion der arbeitsbezogenen Erreichbarkeit sensibilisiert.* *Prozentangaben kumuliert aus den Angaben „trifft völlig zu“ und „trifft überwiegend zu“; n = 12 Vorteile der Konzepte zur Stressbewältigung Sowohl interaktiver Austausch in der Gruppe Raum für persönliche Reflexion und Transfer als auch individuelle Reflexion in den Alltag zwischen den Terminen Wissensvermittlung und Reflexion zur Stressentstehung und zu Möglichkeiten, Stress auf verschiedenen Ebenen zu bewältigen Weiterführende Hintergrundmaterialien, Reflexionsfragen sowie ein Erinnerungsbrief helfen den Teilnehmenden, auch nach dem Angebot mit den Inhalten weiterzuarbeiten 73 73

Körperlich belastende und monotone Arbeitstätigkeiten können durch die Digitalisierung reduziert werden. Welche Rolle spielen eine gesundheitsförderliche Arbeitsumgebung und ergonomisches Arbeiten in der Arbeitswelt 4.0 überhaupt noch? 75

Gesundheitsförderliche Arbeitsumgebungen und ergonomisches Arbeiten bleiben auch in der Arbeitswelt 4.0 bedeutsame Handlungsfelder betrieblicher Prävention. Durch Digita lisierung verschwinden körperlich belastende Tätig keiten nicht. Teilweise verschärfen sich physisch monotone Tätigkeiten oder neue körperliche Belastungen entstehen. Diese Risiken gilt es zu minimieren und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um Be schäftigte, die körperlich beanspruchende Tätigkeiten ausüben, zu entlasten. 77

Videoreihe „Ergonomie am Arbeitsplatz: Mein Schreibtisch“ Bei der Videoreihe handelt es sich um ein Angebot der Verhaltensprävention für primär sitzende Tätigkeiten. Ziel ist es, den Beschäftigten grundlegendes Wissen zur Ergonomie am Büroarbeitsplatz zu vermitteln und sie zur Durchführung von Aus- gleichsübungen zu befähigen. Folgende Videos stehen zur Verfügung: 1. Warum Ergonomie am Arbeitsplatz so wichtig ist 2. Anordnung des Arbeitsplatzes im Raum und Umgang mit Umgebungsfaktoren 3. Ergonomische Einstellung von Stuhl und Tisch 4. Anordnung und Einstellung der Arbeitsgeräte am Schreibtisch 5. Arbeiten an einem Steh-Sitz-Arbeitsplatz: Was verändert sich? Wie verwende ich ihn? 6. Ausgleichsübungen zur Förderung der Beweglichkeit im Schulter-Nacken-Bereich 7. Ausgleichsübungen zur Dehnung 8. Ausgleichsübungen zur Entspannung der Hände und Augen 9. Ausgleichsübungen zur Stärkung der Muskulatur Videoreihe „Ergonomie in der Pflege“ In Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover wurde eine Video- reihe für Pflegende entwickelt, die Tipps für ein ergonomisches Arbeitsverhalten sowie Ausgleichsübungen vermittelt. Folgende Videos stehen zur Verfügung: 1. Ergonomische Grundsätze in Pflegeberufen 2. Arbeitshöhe und Heben 3. Hilfsmittel richtig einsetzen und Zusammenarbeit im Team 4. Muskulatur und Freizeitsport 5. Lagerung und Mobilisation des Patienten 6. Transfer aus der Rückenlage auf die Bettkante 7. Transfer von der Bettkante in den Rollstuhl 8. Alltagsbewegungen und allgemeine Kräftigung 9. Ausgleichsübungen zur Kräftigung der Rumpf- und Beinmuskulatur 79 79

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100 % der Steuerkreismitglieder in den Projektunternehmen sehen BGM in der Arbeitswelt 4.0 als zunehmend relevant an, da Herausforderungen durch BGM positiv beeinflusst werden können. (n = 38) In der Arbeitswelt werden Kenntnisse in Bezug auf digi- tale Lösungen, Prozess- und Überblickswissen und Ver- ständnis für tätigkeitsübergreifende Zusammenhänge relevanter. Zudem sind Kommunikationskompetenzen für eine fach- und teamübergreifende Zusammenarbeit so- wie Kompetenzen zum systematischen und selbstorgani- sierten Arbeiten wichtig. Bedeutsam ist darüber hinaus die Bereitschaft zu lernen sowie die Fähigkeit, das eige- ne Wissen und eigene Handlungsweisen zu reflektieren. Mitgestaltungsmöglichkeiten bieten die Grundlage für arbeitsnahe Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, fördern wechselseitige Unterstützung sowie eine über- greifende Zusammenarbeit und bieten die Gelegenheit, umfassendes Arbeits- und Prozesswissen zu erwerben. Sie haben so das Potenzial, die vorherrschende strikte Trennung von Arbeiten und Lernen aufzuweichen und Beschäftigte für die vielfältigen Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 zu befähigen. Das verhindert Überforde- rung und wirkt sich somit positiv auf die Gesundheit von Beschäftigten aus. Mitgestaltungsmöglichkeiten und arbeitsnahe Qualifizierung anzubieten, stellt damit eine bedeutsame Maßnahme eines zukunftsfähigen BGM dar.5 Führungskräfte gestalten lassen Die betriebliche Realität zeigt, dass sich Führungskräfte häufig unzureichend sicher in ihren Aufgaben und Rollen fühlen oder zu wenige Möglichkeiten haben, Veränderun- gen zu beeinflussen und mitzugestalten. Bislang war gesundheitsgerechte Führung im BGM und in der betrieb- lichen Praxis überwiegend mit verhaltensorientierten Aspekten verknüpft.5 Mit der Arbeitswelt 4.0 gewinnen Gestaltungskompetenzen und insbesondere -befugnisse hinsichtlich einer gesundheitsförderlichen Gestaltung von Arbeit an Bedeutung. Es gilt, Führungskräfte zu befähigen und ihnen den Handlungsspielraum zu geben, Arbeit gesundheits- und lernförderlich zu gestalten und Mitgestaltung und Qualifizierung in ihrem Wirkungskreis zu verzahnen. Ohne Raum für Gestaltung können keine gesundheitsförderlichen Effekte entstehen. Unternehmen sind daher zunehmend gefordert, sich auf strategischer Ebene mit der Führungsrolle auseinanderzusetzen. Das BGM kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, gesund- heitsgerechte Führung auch im Hinblick auf Gestaltungs- kompetenzen und -befugnisse zu fördern (mehr zur Rolle der Führungskräfte im Kapitel „Führung 4.0“ ab Seite 50). 83

„Neben der Mitgestaltung sind soziale Unterstützung, Kollegialität und eine gute Zusammenarbeit im Team wichtige Ressourcen. Sie wirken sich positiv auf die Einschätzung psychischer und physischer Arbeits- belastungen und auf das eigene Wohlbefinden aus.“ Dr. Martin Kuhlmann, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e. V. Die psychischen und seelischen Anforderungen der Arbeit sind so hoch, dass man auf Dauer gesehen mit Gesundheitsproblemen rechnen muss. Mitgestaltungs- möglichkeit hoch 4 % 34 % Mitgestaltungs- möglichkeit mittel Mitgestaltungs- möglichkeit niedrig 33 % 30 % 48 % 25 % 62 % 37 % 27 % Zustimmung: (eher) ja teils, teils (eher) nein Gesundheitsprobleme auf Dauer (in Prozent); Datenbasis: Beschäftigtenbefragung Herbst 2020 Niveau Mitgestaltung hoch (n = 69) mittel (n = 198) niedrig (n = 213) 85

In der heutigen Arbeitswelt ist es von großer Bedeutung, Rahmenbedingungen gesund zu gestalten, Beschäftigten Mitgestaltung zu ermöglichen, lebenslange und arbeits- nahe Lernmöglichkeiten zu schaffen und Gestaltungs kompetenzen und -befugnisse von Führungskräften und Mitarbeitenden zu fördern und zu stärken. Das sind wichtige Aufgaben eines zukunftsfähigen BGM. 87

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Veränderungsprozesse betrachten In Unternehmen finden oft Veränderungen statt, die unter anderem die Leistungsfähigkeit des Betriebs erhöhen sollen. Das kann aus Sicht der Beschäftigten belastend sein: Oftmals sind Veränderungen intransparent und bieten nur geringe Mitgestaltungsmöglichkeiten – das hat Unsicherheiten und Ängste zur Folge. Werden Be- schäftigte bei Veränderungen nicht ausreichend einge- bunden, erhalten mögliche Befürchtungen und wertvolles Prozess- und Fachwissen nicht genug Raum. Dies kann sich negativ auf Gesundheit, Motivation und Wohlbefin- den auswirken. Dadurch stellt sich auch die gewünschte Steigerung der Effektivität und Effizienz des Arbeitens (mehr dazu im Kapitel „Systeme, Arbeitsformen und Qualifikation“ ab Seite 20) häufig nicht ein. Es gilt daher, Veränderungen unter den Aspekten Wirtschaftlichkeit und Leistungssteigerung zu betrachten und gleichzeitig die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Ein zukunfts- gerechtes Vorgehen im BGM ist es, Veränderungsprozesse und die gesunde Gestaltung digitaler Transformations- prozesse als relevantes Thema transparent zu machen, um den vielfältigen Heraus forderungen der Arbeitswelt 4.0 zu begegnen. BGM-Verantwortliche der Unternehmen müssen für die Bedeutung von Gesundheit in Verände- rungsprozessen sensibilisiert und in Veränderungspro- zesse im Unternehmen einge bunden werden (Näheres dazu im Kapitel „BGM-Verantwortliche im Unternehmen“ ab Seite 100). Beschäftigtengruppen, die von Verände- rungen betroffen sind, müssen Zielgruppe des BGM sein. Zielgruppenspezifisch vorgehen Die praktische Arbeit in den Betrieben macht deutlich, dass sowohl Veränderungsprozesse als auch Arbeits- belastungen Beschäftigte unterschiedlich betreffen. Auch das SOFI betont, dass Belastungen tätigkeits- spezifisch auftreten.5 Eine ganzheitliche Struktur des BGM und eine übergreifende Sichtweise helfen dabei, beispielsweise Zielgruppen oder übergeordnete Themen zu identifizieren und auf diese gezielt einzugehen. Werden alle Bereiche eines Unternehmens gleichermaßen betrachtet, kann der Prozess des bedarfsgerechten Erreichens einer gezielten Beschäftigtengruppen lang- wierig sein. In diesem Zeitraum finden möglicherweise erneut Veränderungen statt und die Maßnahmen ent- sprechen nicht mehr dem ursprünglich analysierten Be- darf. Darüber hinaus zeigt sich in der Praxis, dass nach einer unternehmensweiten Analyse meist noch vertiefen- de Verfahren in einzelnen Tätigkeitsbereichen notwendig sind, um bedarfsorientierte Maßnahmen abzuleiten. Der Aufwand in der Analysephase erhöht sich durch dieses zweistufige Verfahren. Zudem bieten betriebsweite Ana- lysen meist weniger direkte Beteiligungsmöglichkeiten für Beschäftigte – anders als beispielsweise zielgruppen- fokussierte Workshops. Das zielgruppenspezifische Vorgehen mit Fokussierung auf kleinere Beschäftigtengruppen hat sich in der be- trieblichen Praxis bewährt. Im Projekt wurde der struk- turierte Prozess im BGM beispielsweise mit international tätigen Beschäftigten oder mit Mitarbeitenden in einem Reorganisationsprozess durchlaufen. Durch dieses Vor- gehen kann schnell agiert, zielgruppengerecht kommuni- ziert und informiert und intensiv auf die Bedürfnisse der Gruppe eingegangen werden. Bedarfsorientierte Maß- nahmen lassen sich zeitnah umsetzen. Die Beschäftigten 91

100 % der Steuerkreismitglieder in den Projekt- unternehmen erachten die Planung von Gesundheitsförderungs maß nahmen anhand bereits erhobener Daten als sinnvoll. (n = 38) die Teilnehmenden des Steuerkreises oftmals bereits Kenntnis über verschiedene Belastungen oder spezifi- sche Zielgruppen, die im Rahmen des BGM betrachtet werden könnten. Vorhandene Daten zu nutzen, ist eine grundlegende An- forderung im BGM.10 Mit der Veränderungshäufigkeit der Arbeitswelt 4.0 gewinnt das an Relevanz. Wichtig ist, Er- kenntnisse und Wissen über Belastungen oder mögliche Zielgruppen für gesundheitsförderliche Maßnahmen im Unternehmen zu teilen, sich stärker mit den vorhandenen Daten auseinanderzusetzen und gemeinsam strategi- sche Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Das er- möglicht ein agileres und schnelleres Vorgehen im BGM. Es eröffnet die Chance, schneller fokussierte(re) Analy- sen durchzuführen oder eine (erneute) Analysephase zu überspringen und direkt erste Maßnahmen abzuleiten. Zudem fördert dieser Ansatz das Voneinander-Lernen und die Vernetzung verschiedener Verantwortungsberei- che, die in die Erhebung der Daten eingebunden waren. Das spart Zeit und Ressourcen für die gesunde Gestal- tung der Arbeitswelt 4.0. Passende Erhebungs- und Analyseinstrumente wählen Um die gesundheitliche Situation sowie relevante Belas- tungen und Ressourcen zu ermitteln, stehen unterschied- liche Analyseinstrumente zur Verfügung: beispielsweise unternehmensweite Beschäftigtenbefragungen, Kurz- befragungen, Arbeitsplatzbeobachtungen, Gesundheits- zirkel oder Fokusgruppen. Alle Erhebungsinstrumente haben Vor- und Nachteile. Unternehmensweite Befragungen bieten beispielsweise die Möglichkeit, eine Vielzahl von Themen zu beleuchten und abteilungsübergreifende Er- gebnisse zu liefern. Nachteil: Die Umsetzung dauert oft sehr lange, häufig sind weitere Workshops oder Analysen sowie eine Priorisierung der Themen not wendig, um Maß- nahmen planen zu können. Das kostet Zeit und Ressourcen. Mit dem Anspruch, im BGM agil zu agieren, haben sich in der Zusammenarbeit mit den Projektunternehmen kurze, fokussierte Analysen wie Workshops oder (digitale) Kurz- befragungen als Instrumente bewährt. Diese orientieren sich entweder an einer konkreten Zielgruppe, einem 93

Digitale Gesundheitsförderungsangebote im BGM: Die aktuelle Situation in den Projektbetrieben In einer Befragung von Steuerkreismitgliedern mehrerer Unternehmen im Herbst 2020 gaben 45 Prozent an, dass in ihren Unternehmen digitale Präventionsmaßnahmen im Rahmen des BGM genutzt werden. Fast 40 Prozent gaben an, keine digitalen Angebote zur Gesundheitsförderung im Unternehmen zu nutzen. Häufig liegt es an Datenschutzregeln, einer defizitären digitalen Infrastruktur und technischen Schnitt- stellenproblemen, dass die Digitalisierung in diesem Bereich nicht genutzt wird. Wenn digitale Maßnah- men zum Einsatz kommen, stellen Steuerkreismitglieder fest, dass diese meist keine Selbstläufer sind und sich der gewünschte Erfolg nicht garantieren lässt. Ein möglicher Grund ist, dass die genutzten Maßnahmen als Insellösung zum Einsatz kommen und nicht in bestehende Strukturen eingebunden werden. Es findet weder die Verknüpfung mit verhältnisorientierten Maßnahmen statt, noch ist eine gezielte Verknüpfung mit bestehenden, themenverwandten Elementen der Gesundheitsförderung vor Ort fest- stellbar. Darüber hinaus besitzen die klassischen Präsenzangebote auch eine Reihe von Vorteilen, die die digitalen Maßnahmen nicht bieten können. Vorteile der Präsenzangebote sind insbesondere der persönliche Austausch und die bedarfs- und situationsspezifische Ausgestaltung. Aufgrund der Zunahme an orts- und zeitflexiblem Arbeiten, nicht zuletzt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, ist der Bedarf an digitaler Unterstützung von Präventionsmaßnahmen präsenter denn je. Es ist davon auszugehen, dass diese in den Betrieben zukünftig mehr Beachtung und Unter- stützung erfahren. So bewerten Steuerkreismitglieder digitale Gesundheitsförderungsangebote 8 % 11 % Es sollte Online-Präventions- angebote für Beschäftigte geben Digitale Maßnahmen sollten mit Präsenzangeboten verknüpft sein 21 % 21 % Orts- und zeitungebundene Angebote erhöhen die Teilnahme- bereitschaft Kurze und niedrigschwellige digitale Angebote erhöhen die Teilnahmebereitschaft 87 % 89 % 79 % 79 % Stimme nicht zu/Stimme eher nicht zu Stimme zu/Stimme eher zu Ergebnisse Befragung Steuerkreismitglieder zum Vorgehen und zu Formaten digitaler Gesundheitsförderungsangebote; n = 38 95

Digitale Angebote genau prüfen Der Markt für Angebote zur digitalen Gesundheitsförde- rung ist unübersichtlich. Nicht alle Angebote eignen sich gleichermaßen für die betriebliche Prävention. Sie reichen von niedrigschwelligen Angeboten der Primärprävention bis hin zu umfassenden digitalen Medizinprodukten. Häufig sind die Angebote individualpräventiv ausgerichtet – arbeits- oder betriebsspezifische Themen werden ver- nachlässigt. So beschränkte sich 2018 die Erfahrung der Projektunternehmen mit technikgestützten Interventio- nen auf beispielsweise allein stehende Fitness-Apps und Yoga-Videos mit geringem betrieblichem Bezug. Ergebnisse einer Steuerkreisbefragung im Herbst 2020 zu der Frage, welche digitalen Gesundheitsförderungs- maßnahmen in den Unternehmen angeboten werden, zeigen eine Erweiterung der Bandbreite: Unter anderem werden digitale Kommunikationsmittel, wie Videokonfe- renzsysteme, dafür genutzt, Gesundheitsberatungen auch virtuell anzubieten. Grundsätzlich ist jedoch festzu- halten, dass nicht jede digitale Anwendung einen tat- sächlichen Mehrwert hinsichtlich Effektivität und Effizi- enz nachweisen kann.29 Die Praxis zeigt, dass Unterneh- men noch ganz am Anfang stehen, für sich herauszufin- den und auszuprobieren, welche digitalen Angebote zu ihrem Qualifizierungs bedarf wie auch ihren IT-Strukturen und -Möglichkeiten passen – und wie sich diese mit be- stehenden Angeboten vernetzen lassen. Blended-Learning-Formate einsetzen Aktuelle Studien zu digitalen Lernmöglichkeiten schreiben dem Blended Learning (gemischtes Lernen) zukünftig eine zentrale Bedeutung zu.25 Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein Lernkonzept, das die Vorteile klassischer Lern- methoden, wie Präsenzveranstaltungen, mit den Vorteilen digitaler Lernmethoden, wie E-Learnings, verknüpft.30 Auf Grundlage des AOK-Online-Programms „Gesund führen“ hat die AOK Niedersachsen das „Kombi-Angebot Gesund führen“ im Blended-Learning-Format entwickelt und in vier Projektunternehmen pilotiert. Aus betrieblicher Sicht bietet das Format mit seiner digitalen Komponente einerseits die Möglichkeit, Wissen orts- und zeitungebunden zu vermitteln: Beschäftigte können nach eigenen Präferenzen handeln. Andererseits wird bei den Präsenzterminen Raum für Reflexion der Inhalte und Austausch gegeben. Während die program- mierten E-Learnings keine inhaltlichen Anpassungen zulassen, können bei den zwischengeschalteten Präsenz- terminen die Inhalte mit den betrieblichen Anforderungen verknüpft werden. Das ermöglicht ein praxis- und arbeits- nahes Lernen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass bestehende Strukturen gut berücksichtigt werden können und weitere Maßnahmen zum Zweck der Nachhaltigkeit anschluss- fähig sind. In allen vier Projektunternehmen wurden beispielsweise die internen Führungsleitlinien mit den Inhalten der sechs Lernmodule verbunden. 97

Digitale Interventionen können die betriebliche Prävention sinnvoll unterstützen. Die orts- und zeitflexible Verfügbarkeit eines digitalen Angebots allein garantiert jedoch nicht, dass dieses erfolgreich genutzt wird. Es ist wichtig, verhaltens- und verhältnisorientierte Maßnahmen zu kombinieren und in bestehende Strukturen einzubinden. Besonders geeignet dafür sind Blended-Learning-Formate: Sie bieten individuelles, zeit- und ortsflexibles Lernen und ermöglichen den zwischen - menschlichen Austausch, den Beschäftigte sich wünschen. 99

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„Die Projektergebnisse bestätigen, wie wichtig es ist, die Gesundheit und Motiva- tion von Beschäftigten zu fördern und die Menschen in den Fokus der oftmals technik- zentrierten Veränderungsprozesse zu stellen. Die Beschäftigten sind der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen.“ Dr. Jürgen Peter, AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen 103

BGM-Verantwortliche wünschen sich neben geeigneten Qualifizierungsmaßnahmen vor allem Vernetzung und fachlichen Austausch – sowohl intern als auch extern. Insbesondere aufgrund der schnellen Veränderungen der Arbeitswelt 4.0 und der damit verbundenen Herausforderungen ist der Erfahrungs austausch zwischen BGM-Verantwortlichen ein wesent- licher Erfolgsfaktor für ein zukunfts fähiges BGM. Informeller Austausch und Erfahrungs- wissen initiieren Lernprozesse, fördern die Eigenverantwortung der betrieb lichen Akteure und tragen zur Steigerung des Wirkungsgrads betrieblicher Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt 4.0 bei.10 105

Erfolgreiche Zusammenarbeit und Vernetzung – BGM-Verantwortliche als vernetzte Teamplayer o Kenntnisse über interne und externe Akteure sowie Schnittstellen und Beteiligte im BGM o Bedeutung des Steuerkreises (Aufgaben und Zusammensetzung) o Aufbau von Strukturen und Prozessen des BGM Beteiligung von Beschäftigten – Beschäftigte im BGM aktiv einbeziehen o Bedeutung von Beteiligung im BGM o Auswirkungen verschiedener Beteiligungsformen o Möglichkeiten für Beteiligung im BGM-Prozess Erfolgsfaktor Kommunikation – BGM für alle dauerhaft sichtbar und erlebbar machen o Potenzial von Kommunikation im BGM o Aufbau einer guten Gesundheitskommunikation o Zielgruppenspezifische Kommunikation im BGM 107

„Neue Technologien besitzen das Potenzial, physische Belastungen von Beschäftigen zu reduzieren.“ Adam Pietzka, Hellmann Worldwide Logistics Germany GmbH & Co. KG „Lebenslanges Lernen nimmt in der Arbeitswelt 4.0 an Bedeutung zu.“ Mirja Willems, Howmet Aerospace „Durch die Teilnahme am Projekt haben wir wichtige Erkenntnisse für die gesundheitsgerechte Gestaltung in der Arbeitswelt 4.0 gewonnen.“ Matthias Rode, Fahrzeugwerk Bernard Krone GmbH & Co. KG 109

„Beschäftigte sind auch in der Arbeitswelt 4.0 eine wichtige Ressource für Unternehmen. Passgenaue Qualifizierungsmöglichkeiten sind daher ein zentraler Erfolgsfaktor.“ Heike Fuhr, Medizinische Hochschule Hannover „Es ist wichtig, trotz der vielen Vorteile der digitalen Arbeit auf das soziale Miteinander zu achten und den persönlichen Austausch regelmäßig zu pflegen.“ Frank Bartschat, Norddeutsche Landesbank „Gesundheit war immer wichtig – in der Arbeitswelt 4.0 wird sie noch bedeutsamer.” Dr. Norbert Hemken, Kurbetriebsgesellschaft Bad Zwischenahn mbH 111

„Die Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0 sind in jedem Unternehmensbereich anders – deshalb sollten im BGM einzelne Beschäftigtengruppen betrachtet werden.” Dr. Sabrina Rudolph, Universitätsmedizin Göttingen „Die Weiterbildung und Qualifizierung der Beschäftigten sind zentrale Erfolgsfaktoren der Arbeitswelt 4.0.“ Armin Baust, VILSA-BRUNNEN Otto Rodekohr GmbH „Eine klare Erwartungshaltung und Rahmen- bedingungen zur Erreichbarkeit sind für die gesunde Gestaltung mobiler Arbeit essenziell.” Oliver Soddemann, ZF Friedrichshafen AG 113

18. Kaluza, G. (2014). Stress und Stressbewältigung. Erfahrungsheilkunde, 63, 261–266. 19. Kaluza, G. & Chevalier, A. (2017). Stressbewältigungstrainings für Erwachsene. In R. Fuchs & M. Gerber (Hrsg.) Handbuch Stressregulation und Sport (143–162). Heidelberg: Springer. 20. Koch, A. (2004). Change-Kommunikation. Erfolgskriterien für unternehmensinterne Kommunikation bei Veränderungsprozessen. Marburg: Tectum Verlag. 21. Lohmann-Haislah, A., Wendsche, J., Schulz, A., Scheibe, T. & Schöllgen, I. (2019). Von der Arbeit (nicht) Abschalten-Können: Ursachen, Wirkungen, Verbreitung und Interventionsmöglichkeiten. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & M. Meyer (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen (307–317). Berlin: Springer. 22. Lott, Y. (2017). Selbstorganisiertes Arbeiten als Ressource für Beschäftigte nutzen. Forschungsförderung Policy Brief 003. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. 23. Lott, Y. (2020). Work-Life-Balance im Homeoffice: Was kann der Betrieb tun? Report, 54: Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI). 24. Meyer M., Wenzel, J. & Schenkel, A. (2018). Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2017. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose, & M. Meyer (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2018: Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit (331–384). Berlin: Springer. 25. mmb Institut (2018). mmb-Trendmonitor. Weiterbildung und digitales Lernen heute und in drei Jahren. Erklärfilme als Umsatzbringer der Stunde. Ergebnisse der 12. Trendstudie „mmb Learning Delphi“. Essen: mmb Institut. 26. Montano, D., Reeske-Behrens, A. & Franke F. (2016). Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Führung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). 27. Roth, I. (2016). Arbeitszeit und Belastung: Eine Sonderauswertung auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2014/15 für den Dienstleistungssektor. Berlin: ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. 28. Rothe, I., Adolph, L., Beermann, B., Schütte, M., Windel, A., Grewer, A., Lenhardt, U., Michel, J., Thomson, B. & Formazin, M. (2017). Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). 29. Rudolph, S., Göring, A. & Padrok, D. (2019). Körperliche Aktivität im Kontext der betrieblichen Gesundheits- förderung – ein systematisches Review zur Effektivität software- gegenüber personalgestützter Interventionen. In Gesundheitswesen 2019; 81 (11): 866–880 Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag KG. 30. Sauter, S., Sauter, W. (2004). Blended Learning. Effiziente Integration von E-Learning und Präsenztraining. Neuwied: Luchterhand. 31. Schmidt, A., Susec, B. & Brandl, K.-H. (2019). Gute Digitale Arbeit? Gewerkschaftliche Handlungsfelder im digitalen Wandel. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose, & M. Meyer (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen (63–75). Berlin: Springer. 32. Schulz-Dadaczynski, A., Junghanns, G. & Lohmann-Haislah, A. (2019). Extensives und intensiviertes Arbeiten in der digitalisierten Arbeitswelt – Verbreitung, gesundheitliche Risiken und mögliche Gegenstrategien. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & M. Meyer (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen (267–283). Berlin: Springer. 33. Staar, H., Gurt, J. & Janneck, M. (2019). Gesunde Führung in vernetzter (Zusammen-)Arbeit – Herausforderungen und Chancen. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & M. Meyer (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung - gesundes Arbeiten ermöglichen (217–235). Berlin: Springer. 34. Waltersbacher, A., Maisuradze, M. & Schröder, H. (2019). Arbeitszeit und Arbeitsort – (wie viel) Flexibilität ist gesund? Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter Erwerbstätigen zu mobiler Arbeit und gesundheit- lichen Beschwerden. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose & M. Meyer (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen (77–104). Berlin: Springer. 115