Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 27.02.2020 - C-298/18
EuGH 27.02.2020 - C-298/18 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 27. Februar 2020 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2001/23/EG – Art. 1 Abs. 1 – Unternehmensübergang – Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer – Betrieb von Buslinien – Übernahme der Belegschaft – Keine Übernahme der Betriebsmittel – Begründung“
Leitsatz
In der Rechtssache C-298/18
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Arbeitsgericht Cottbus – Kammern Senftenberg (Deutschland), mit Entscheidung vom 17. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2018, in dem Verfahren
Reiner Grafe,
Jürgen Pohle
gegen
Südbrandenburger Nahverkehrs GmbH,
OSL Bus GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Südbrandenburger Nahverkehrs GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A.-K. Pfeifer, M. Sandmaier und O. Grimm,
der OSL Bus GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Braun und D. Ledwon,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. Juli 2019
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 1977, L 61, S. 26).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Reiner Grafe und Herrn Jürgen Pohle einerseits und der Südbrandenburger Nahverkehrs GmbH (im Folgenden: SBN) und der OSL Bus GmbH (im Folgenden: OSL) andererseits über die Rechtmäßigkeit ihrer Kündigung durch SBN.
Rechtlicher Rahmen
Mit der am 11. April 2001 in Kraft getretenen Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 2001, L 82, S. 16) wird, wie im ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie klargestellt wird, die Richtlinie 77/187 kodifiziert.
Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 lautet: „Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.“
Im achten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es: „Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz war es erforderlich, den juristischen Begriff des Übergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu klären. Durch diese Klärung wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie [77/187] gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof nicht geändert.“
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 sieht vor:
Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.
…“
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
‚Veräußerer‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber aus dem Unternehmen, dem Betrieb oder dem Unternehmens- bzw. Betriebsteil ausscheidet.
‚Erwerber‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder den Unternehmens- bzw. Betriebsteil eintritt.
…
‚Arbeitnehmer‘ ist jede Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund des einzelstaatlichen Arbeitsrechts geschützt ist.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
SBN betrieb im Auftrag des Landkreises Oberspreewald-Lausitz (Deutschland) seit dem 1. August 2008 den öffentlichen Busnahverkehrsdienst des Landkreises, als dieser im September 2016 die betreffenden Verkehrsdienste neu ausschrieb.
SBN zog es vor, kein Angebot abzugeben, da sie ihrer Ansicht nach kein wirtschaftlich tragbares Angebot unterbreiten konnte. Sie stellte den Geschäftsbetrieb ein und sprach ihren Arbeitnehmern gegenüber Kündigungen aus. Am 19. Januar 2017 schloss sie einen Interessenausgleich und Sozialplan mit ihrem Betriebsrat. Der Sozialplan sah vor, dass Arbeitnehmer Abfindungen erhalten, wenn sie kein Übernahmeangebot von dem neuen Auftragnehmer erhalten oder wenn sie bei Neueinstellung durch diesen finanzielle Verluste erleiden.
Den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag für die öffentlichen Busverkehrsdienste ab dem 1. August 2017 erhielt die Kraftverkehrsgesellschaft Dreiländereck mbH (im Folgenden: KVG). Zur Erbringung dieser Dienste gründete sie ein Tochterunternehmen, OSL, das ihr zu 100 % gehört. Letztere stellte einen überwiegenden Teil der Busfahrer und einen Teil der Führungskräfte von SBN ein.
KVG teilte SBN im April 2017 mit, dass sie deren Busse, Betriebsstätten und sonstige Betriebsanlagen weder kaufen noch mieten noch von ihr Werkstattdienstleistungen in Anspruch nehmen werde.
Herr Grafe war bei SBN bzw. deren Rechtsvorgängerin seit Juli 1978 als Busfahrer und Vorarbeiter in Vollzeit beschäftigt. SBN kündigte ihm mit Schreiben vom 27. Januar 2017 zum 31. August 2017. Seit dem 1. September 2017 ist er bei OSL als Busfahrer beschäftigt. Diese erkannte seine früheren Beschäftigungszeiten nicht an und stufte ihn daher in die Eingangsstufe des anwendbaren Tarifvertrags ein.
In diesem Zusammenhang wehrt sich Herr Grafe gegen seine Kündigung durch SBN und macht geltend, dass OSL bei seiner Einstufung seine Betriebszugehörigkeit bei SBN zu berücksichtigen habe. Dieser Kläger des Ausgangsverfahrens und seine frühere Arbeitgeberin sind der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis des Betroffenen im Rahmen eines Unternehmensübergangs im Sinne der Richtlinie 2001/23 auf OSL übergegangen sei.
Herr Pohle war seit November 1979 ebenfalls bei SBN als Busfahrer und Vorarbeiter in Vollzeit beschäftigt. Das Unternehmen kündigte ihm mit Schreiben vom 27. Januar 2017 zum 31. August 2017. Er wurde vom neuen Auftragnehmer nicht eingestellt. In diesem Zusammenhang wehrt er sich gegen seine Kündigung und fordert hilfsweise die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 68034,56 Euro aus dem von SBN aufgestellten Sozialplan. SBN macht im Wege der Widerklage geltend, dass der Arbeitsvertrag von Herrn Pohle aufgrund des Unternehmensübergangs auf OSL übergegangen sei und sie daher nicht zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet sei.
OSL stützt sich auf das Urteil vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), um geltend zu machen, dass kein Unternehmensübergang im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 vorliegen könne, da im vorliegenden Fall materielle Betriebsmittel, insbesondere die Busse, nicht übernommen worden seien.
SBN macht geltend, die Übernahme der Busse durch den neuen Auftragnehmer sei in Anbetracht der geltenden technischen und umweltrelevanten Normen ausgeschlossen. Nach den Ausschreibungsvorgaben dürften die Busse nämlich ein maximales Alter von 15 Jahren nicht überschreiten. Sie müssten auch zumindest die Umweltschutznorm „Euro 6“ erfüllen. Zum Zeitpunkt der Vergabe dieses öffentlichen Auftrags, der für eine Dauer von zehn Jahren geschlossen worden sei, seien die Busse von SBN im Schnitt 13 Jahre alt gewesen. Außerdem erfüllten diese nur die Normen „Euro 3“ bzw. „Euro 4“. Darüber hinaus genügten sie nicht den Anforderungen an die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen. Es sei auch nicht mehr nötig, die Dienste von Betriebshöfen in Anspruch zu nehmen, da mit der Wartung bzw. Reparatur der Busse spezialisierte Werkstätten beauftragt werden könnten.
Gemäß der betreffenden Ausschreibung müssten die Busfahrer – so SBN – im Besitz einer gültigen Genehmigung sein, über Kenntnisse der geltenden gesetzlichen und fachlichen Vorschriften verfügen, in der Lage sein, den Fahrgästen Informationen zu geben, über gute Netz- und Streckenkenntnisse, über Kenntnisse der Linienführung und der Fahrpläne im bedienten Gebiet, der Regionalbuslinien, der Anschlüsse sowie der Bahnlinien und Tarifbestimmungen verfügen. Diese Busfahrer seien in der ländlichen Region ein „knappes Gut“. Aufgrund ihres Know-hows und ihrer Netzkenntnisse seien die Busfahrer von SBN seit dem 1. August 2017 einsatzfähig gewesen, so dass die Kontinuität des öffentlichen Verkehrsdienstes im Landkreis sichergestellt worden sei. SBN folgert daraus, dass die Busfahrer die wirtschaftliche Einheit prägten.
Vor diesem Hintergrund fragt sich das vorlegende Gericht, das die Darstellung des rechtlichen und sachlichen Rahmens durch SBN für zutreffend hält, ob die im Urteil vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), entwickelte Lösung im vorliegenden Ausgangsrechtsstreit Anwendung findet.
Unter diesen Umständen hat das Arbeitsgericht Cottbus – Kammern Senftenberg (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist die Übergabe des Betriebs von Buslinien von einem Busunternehmen auf ein anderes aufgrund eines Vergabeverfahrens nach der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. 1992, L 209, S. 1) ein Übergang eines Betriebs im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 77/187, auch wenn keine nennenswerten Betriebsmittel, insbesondere keine Busse, zwischen den beiden genannten Unternehmen übertragen worden sind?
Rechtfertigt die Annahme, dass die Busse bei einer befristeten Vergabe der Dienstleistungen aufgrund vernünftiger betriebswirtschaftlicher Entscheidung wegen ihres Alters und der gestiegenen technischen Anforderung (Abgaswerte, Niederflurfahrzeuge) nicht mehr von erheblicher Bedeutung für den Wert des Betriebs sind, eine Abweichung des Gerichtshofs von seiner Entscheidung vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), dahin gehend, dass unter diesen Bedingungen auch die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft zur Anwendbarkeit der Richtlinie 77/187 führen kann?
Zu den Vorlagefragen
Zunächst ist festzustellen, dass die Frage zwar die Auslegung der Richtlinie 77/187 betrifft, der für das Ausgangsverfahren maßgebende Text aber die Richtlinie 2001/23 ist, mit der, wie es in ihrem achten Erwägungsgrund heißt, die Richtlinie 77/187 kodifiziert werden soll, um den Begriff des Unternehmensübergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu klären.
Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass bei einer Übernahme einer Tätigkeit durch eine wirtschaftliche Einheit aufgrund eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags der Umstand, dass diese Einheit die Betriebsmittel, deren Eigentümerin die wirtschaftliche Einheit war, die diese Tätigkeit zuvor ausübte, nicht übernimmt, der Qualifizierung dieses Vorgangs als Unternehmensübergang entgegensteht.
Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gilt als Übergang der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Der Begriff der Einheit bezieht sich somit auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist für einen solchen Übergang entscheidend, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a., C-160/14, EU:C:2015:565, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Für die Feststellung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und können deshalb nicht isoliert beurteilt werden (Urteil vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a., C-160/14, EU:C:2015:565, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Deshalb kommt den verschiedenen Kriterien notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu (Urteil vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a., C-160/14, EU:C:2015:565, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zudem ist klarzustellen, dass die bloße Übernahme der Tätigkeit einer wirtschaftlichen Einheit durch eine andere wirtschaftliche Einheit nicht darauf schließen lässt, dass diese Einheit ihre Identität bewahrt. Die Identität einer solchen Einheit darf nämlich nicht auf deren Tätigkeit reduziert werden. Diese Identität ergibt sich aus mehreren untrennbar zusammenhängenden Faktoren wie dem Personal der Einheit, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (Urteile vom 20. Januar 2011, CLECE, C-463/09, EU:C:2011:24, Rn. 41, und vom 20. Juli 2017, Piscarreta Ricardo, C-416/16, EU:C:2017:574, Rn. 43).
Demnach setzt die Qualifizierung als Übergang eine Reihe von Feststellungen tatsächlicher Art voraus, da diese Frage vom nationalen Gericht im konkreten Fall im Licht der vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, Colino Siguënza, C-472/16, EU:C:2018:646, Rn. 45) sowie der mit der Richtlinie 2001/23 verfolgten Ziele, die insbesondere in ihrem dritten Erwägungsgrund genannt sind, zu beurteilen ist.
In diesem Zusammenhang fragt das vorlegende Gericht spezieller, ob in der vorliegenden Rechtssache die Lösung heranzuziehen ist, die im Urteil vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), entwickelt wurde, in dem es um einen Auftrag ging, der die Erbringung eines sieben regionale Linien umfassenden Busverkehrsdienstes für einen Zeitraum von drei Jahren betraf. Der neue Betreiber hatte die Dienstkleidung einiger Fahrer, die zu ihm gewechselt hatten, übernommen und bis zur Lieferung der bestellten Fahrzeuge vom früheren Betreiber lediglich zwei Busse für einige Monate gemietet.
Mit der Frage befasst, ob ein Unternehmensübergang im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 77/187 vorliegt, hat der Gerichtshof zunächst in Rn. 39 des Urteils vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), hervorgehoben, dass der Busverkehr nicht als eine Tätigkeit angesehen werden kann, für die es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, da er in erheblichem Umfang Material und Einrichtungen erfordert. Daher ist der Umstand, dass keine materiellen Güter, die für den Betrieb der betreffenden Buslinien eingesetzt worden sind, vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergegangen sind, bei der Qualifizierung als Unternehmensübergang zu berücksichtigen. Der Gerichtshof hat sodann in Rn. 42 des Urteils festgestellt, dass, da die materiellen Betriebsmittel von erheblicher Bedeutung für die Ausübung der Tätigkeit sind, die Tatsache, dass diese für den ordnungsgemäßen Betrieb der betreffenden Einheit unerlässlichen Mittel nicht vom alten auf den neuen Auftragnehmer des Auftrags für öffentlichen Busverkehr übergehen, es ausschließt, dass diese Einheit ihre Identität bewahrt hat. Schließlich ist der Gerichtshof in Rn. 43 des Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass die Richtlinie 77/187 auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist, wenn keine nennenswerten materiellen Betriebsmittel vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergehen.
Festzustellen ist jedoch, dass, nachdem der Gerichtshof in Rn. 39 des Urteils vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), nachdrücklich betont hat, dass der Umstand, dass keine materiellen Güter, die für den Betrieb der betreffenden Buslinien eingesetzt worden sind, vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergegangen sind, bei der Würdigung zu berücksichtigen ist, aus dieser Erwägung nicht gefolgert werden kann, dass die Übernahme der Busse abstrakt als der einzige Faktor anzusehen ist, der für den Übergang eines im öffentlichen Personenbusverkehr tätigen Unternehmens entscheidend ist.
Deshalb hat das vorlegende Gericht bei der Klärung der Frage, ob der Umstand, dass die Betriebsmittel, bei denen es sich um die Busse handelt, nicht übergehen, der Qualifizierung als Unternehmensübergang entgegensteht, die besonderen Umstände der Rechtssache, mit der es befasst ist, zu berücksichtigen.
Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Erfüllung der vom öffentlichen Auftraggeber für die Betriebsmittel vorgegebenen neuen technischen und umweltrelevanten Normen es dem Unternehmen, das Zuschlag erhielt, in wirtschaftlicher wie auch rechtlicher Hinsicht unmöglich machte, die Betriebsmittel des Unternehmens, das zuvor den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag für die öffentlichen Verkehrsdienste erhalten hatte, zu übernehmen. Es wäre nämlich in wirtschaftlicher Hinsicht für einen neuen Betreiber nicht vernünftig gewesen, einen vorhandenen Busbestand zu übernehmen, der sich aus Fahrzeugen zusammensetzte, die betrieblich nicht genutzt werden konnten, da sie die zugelassene Betriebsdauer erreicht hatten und die Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers nicht erfüllten.
Mit anderen Worten wurde die Entscheidung des neuen Betreibers, die Betriebsmittel des früheren Betreibers nicht zu übernehmen, durch äußere Zwänge diktiert, wohingegen, wie die Generalanwältin in Nr. 54 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, im Sachverhalt der Rechtssache, in der das Urteil vom 25. Januar 2001, Liikenne (C-172/99, EU:C:2001:59), ergangen ist, nichts darauf schließen lässt, dass dies in jener Rechtssache der Fall gewesen wäre.
Darüber hinaus wäre nach den in Rn. 16 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Feststellungen des vorlegenden Gerichts das Unternehmen, das zuvor den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag für öffentliche Verkehrsdienste erhalten hatte, in Anbetracht der vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebenen technischen und umweltrelevanten Normen selbst gezwungen gewesen, in naher Zukunft seine Betriebsmittel zu ersetzen, wenn es für diesen Auftrag ein Angebot unterbreitet und den Zuschlag erhalten hätte.
Vor diesem Hintergrund steht der Umstand, dass keine Betriebsmittel übergehen, der Qualifizierung der Übernahme der betreffenden Tätigkeit als „Unternehmensübergang“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 somit nicht notwendigerweise entgegen, da sich dieser Umstand aus rechtlichen, umweltrelevanten oder technischen Vorgaben ergibt.
Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob andere der in den Rn. 24 bis 26 des vorliegenden Urteils angeführten tatsächlichen Faktoren den Schluss zulassen, dass die betreffende Einheit ihre Identität bewahrt und damit ein Unternehmensübergang vorliegt.
Hierzu ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass, wie die Generalanwältin in Nr. 40 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, dass der neue Betreiber im Wesentlichen die gleichen Busverkehrsdienste erbringt, wie sie das vorige Unternehmen erbrachte, die nicht unterbrochen und vermutlich größtenteils auf denselben Strecken und für dieselben Fahrgäste betrieben wurden.
Als Zweites hebt das vorlegende Gericht hervor, dass der Umstand, dass es erfahrene Busfahrer gebe, in einer ländlichen Region wie dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz, entscheidend sei, um die Qualität des betreffenden öffentlichen Verkehrsdienstes zu gewährleisten. Es stellt insbesondere fest, dass diese über ausreichende Kenntnisse der Linienführung und der Fahrpläne des bedienten Gebiets sowie der übrigen Regionalbuslinien, der Bahnlinien und der bestehenden Anschlüsse verfügen müssten, um nicht nur den Fahrkartenverkauf sicherzustellen, sondern den Fahrgästen auch die für die geplante Fahrt erforderlichen Informationen zu geben.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellen kann und in diesem Fall eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren kann, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernimmt, die sein Vorgänger gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt hatte. Denn dann erwirbt der neue Unternehmensinhaber eine organisierte Gesamtheit von Faktoren, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt (Urteil vom 20. Januar 2011, CLECE, C-463/09, EU:C:2011:24, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da, wie in den Rn. 32 und 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, der Umstand, dass keine für die Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlichen Betriebsmittel übernommen werden, nicht notwendigerweise dem entgegensteht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einheit ihre Identität bewahrt, ist somit im Ausgangsverfahren die Übernahme eines wesentlichen Teils der Fahrer als tatsächlicher Faktor anzusehen, der bei der Qualifizierung des betreffenden Vorgangs als Unternehmensübergang zu berücksichtigen ist. Insoweit ergibt sich aus dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt, dass die vom neuen Betreiber übernommene Belegschaft für identische oder ähnliche Aufgaben eingesetzt wird und über spezifische Qualifikationen und Kompetenzen verfügt, die für die Fortsetzung der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit ohne Unterbrechung unerlässlich sind.
Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass bei der Übernahme einer Tätigkeit, deren Ausübung nennenswerte Betriebsmittel erfordert, durch eine wirtschaftliche Einheit aufgrund eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags der Umstand, dass diese Mittel, die Eigentum der die Tätigkeit zuvor ausübenden wirtschaftlichen Einheit sind, von der erstgenannten Einheit wegen rechtlicher, umweltrelevanter und technischer Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers nicht übernommen werden, der Qualifizierung der Übernahme der Tätigkeit als Unternehmensübergang nicht notwendigerweise entgegenstehen muss, wenn andere tatsächliche Faktoren, wie die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft und die Fortsetzung der Tätigkeit ohne Unterbrechung, die Feststellung zulassen, dass die betreffende wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass bei der Übernahme einer Tätigkeit, deren Ausübung nennenswerte Betriebsmittel erfordert, durch eine wirtschaftliche Einheit aufgrund eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags der Umstand, dass diese Mittel, die Eigentum der die Tätigkeit zuvor ausübenden wirtschaftlichen Einheit sind, von der erstgenannten Einheit wegen rechtlicher, umweltrelevanter und technischer Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers nicht übernommen werden, der Qualifizierung der Übernahme der Tätigkeit als Unternehmensübergang nicht notwendigerweise entgegenstehen muss, wenn andere Tatsachen, wie die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft und die Fortsetzung der Tätigkeit ohne Unterbrechung, die Feststellung zulassen, dass die betreffende wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Vilaras
Rodin
Šváby
Jürimäe
Piçarra
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Februar 2020.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Vierten Kammer
M. Vilaras
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Bayern
Persönlicher Ansprechpartner
E-Mail-Service
Bankdaten