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EuGH 18.09.2019 - C-700/17
EuGH 18.09.2019 - C-700/17 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer) - 18. September 2019 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c – Befreiungen – Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen – Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden – Kein Vertrauensverhältnis zwischen dem Behandelnden und dem Patienten“
Leitsatz
In der Rechtssache C-700/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2017, in dem Verfahren
Finanzamt Kyritz
gegen
Wolf-Henning Peters
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter L. Bay Larsen (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte, dann durch R. Kanitz als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Finanzamt Kyritz (Deutschland, im Folgenden: Finanzamt) und Herrn Wolf-Henning Peters wegen der Ablehnung der Befreiung der von Letzterem als Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik erbrachten Heilbehandlungsleistungen von der Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2006/112
Im 7. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 wird ausgeführt:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.“
In Art. 132 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden;
…“
Art. 133 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der Befreiungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einzelfall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:
Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.
Leitung und Verwaltung dieser Einrichtungen müssen im Wesentlichen ehrenamtlich durch Personen erfolgen, die weder selbst noch über zwischengeschaltete Personen ein unmittelbares oder mittelbares Interesse am wirtschaftlichen Ergebnis der betreffenden Tätigkeiten haben.
Die Preise, die diese Einrichtungen verlangen, müssen von den zuständigen Behörden genehmigt sein oder die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Umsätzen, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen die verlangten Preise unter den Preisen liegen, die der Mehrwertsteuer unterliegende gewerbliche Unternehmen für entsprechende Umsätze fordern.
Die Befreiungen dürfen nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen.
…“
Deutsches Recht
§ 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386), geändert durch das Gesetz vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794), sieht vor:
„Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
…
-
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. …
…
Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen einschließlich der Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge, Rehabilitation, Geburtshilfe und Hospizleistungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden. Die in Satz 1 bezeichneten Leistungen sind auch steuerfrei, wenn sie von
…
Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung, die an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen oder für die Regelungen nach § 115 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gelten,
…
erbracht werden und es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Zulassung, der Vertrag oder die Regelung nach dem Sozialgesetzbuch jeweils bezieht …“
-
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Herr Peters ist Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik.
In den Steuerjahren 2009 bis 2012 erbrachte er Heilbehandlungsleistungen für die LADR Medizinisches Versorgungszentrum Wittstock GmbH, ein Laborunternehmen, das Laborleistungen an niedergelassene Ärzte, Rehakliniken, Gesundheitsämter und Krankenhäuser erbrachte.
Er erhielt von dieser Gesellschaft eine monatliche Vergütung von 6000 Euro für diese Leistungen, die insbesondere Befunderhebungen mit dem Ziel konkreter laborärztlicher Diagnosen sowie ärztliche Hilfestellungen bei transfusionsmedizinischen Maßnahmen für konkrete Behandlungsverhältnisse umfassten.
Herr Peters gab für die betreffenden Steuerjahre keine Umsatzsteuererklärungen ab, da er davon ausging, dass die genannten Leistungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG steuerfrei seien.
Das Finanzamt behandelte diese Leistungen dagegen als steuerpflichtig, was es damit begründete, dass die in § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG vorgesehene Steuerbefreiung ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und der behandelten Person voraussetze. Diese Voraussetzung sei bei Leistungen von klinischen Chemikern und Laborärzten nicht gegeben. Es erließ daher für die betreffenden Steuerjahre Schätzungsbescheide über Umsatzsteuer auf Basis der von Herrn Peters erhaltenen Nettohonorare.
Mit Entscheidung vom 2. Dezember 2013 wies das Finanzamt die Einsprüche von Herrn Peters gegen diese Bescheide zurück.
Herr Peters erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Deutschland), das der Klage stattgab und die streitigen Steuerbescheide abänderte, wobei es davon ausging, dass die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG kein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und der behandelten Person voraussetze.
Das Finanzamt legte Revision beim vorlegenden Gericht ein.
Dieses ist der Ansicht, dass das Merkmal des Vertrauensverhältnisses für den Ort der Leistung, der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Abgrenzung zwischen den Befreiungstatbeständen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112 maßgeblich sei, keine entscheidende Bedeutung habe. Außerdem sei das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient keine zwingende Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer Tätigkeit im Rahmen einer Heilbehandlung im Sinne der deutschen Rechtsvorschrift zur Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie, da ein solches Vertrauensverhältnis lediglich einen typischen Anwendungsfall dieser Befreiung bilde.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Beurteilt sich die Steuerfreiheit von Heilbehandlungen eines Facharztes für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik im Bereich der Humanmedizin unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c oder nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112?
Setzt die Anwendbarkeit von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 – falls diese Bestimmung anwendbar ist – ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und der behandelten Person voraus?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass Heilbehandlungsleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die von einem Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer fallen können.
Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) und der im Wesentlichen gleichlautende Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112 in gleicher Weise auszulegen sind, so dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur erstgenannten Bestimmung als Grundlage für die Auslegung der zweitgenannten dienen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2010, Future Health Technologies, C-86/09, EU:C:2010:334, Rn. 27).
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 befreien die Mitgliedstaaten Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze von der Steuer, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, die mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt bzw. bewirkt werden. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 sieht die steuerliche Befreiung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin vor, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellen die beiden Begriffe der ärztlichen Heilbehandlung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 und der Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie auf Leistungen ab, die der Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (Urteil vom 2. Juli 2015, De Fruytier, C-334/14, EU:C:2015:437, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Außerdem hängt das Kriterium, das zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden in diesen Bestimmungen vorgesehenen Befreiungstatbestände zu berücksichtigen ist, weniger mit der Art der Leistung als mit dem Ort ihrer Erbringung zusammen. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 bezieht sich nämlich auf Leistungen, die in Krankenhäusern erbracht werden, während Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie Leistungen betrifft, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juni 2006, L.u.P., C-106/05, EU:C:2006:380, Rn. 22, und vom 2. Juli 2015, De Fruytier, C-334/14, EU:C:2015:437, Rn. 19).
Ausweislich der Vorlageentscheidung bezieht sich die erste Vorlagefrage auf Heilbehandlungsleistungen, was voraussetzt, dass die betreffenden Leistungen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 oder den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie fallen können.
Zur Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 auf solche Leistungen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Labor oder eine abgegrenzte Einheit mit vergleichbarer Funktion eine Einrichtung „gleicher Art“ wie „Krankenanstalten“ und „Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 2015, De Fruytier, C-334/14, EU:C:2015:437, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Abgesehen davon sind bei der Beurteilung, ob Heilbehandlungsleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 von der Mehrwertsteuer befreit sind, sämtliche in dieser Bestimmung sowie in sonstigen einschlägigen Bestimmungen des Titels IX Kapitel 1 und 2 dieser Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2013, PFC Clinic, C-91/12, EU:C:2013:198, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Außerdem können die Mitgliedstaaten nach Art. 133 der Richtlinie 2006/112 die Gewährung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von der Erfüllung einer oder mehrerer der in Art. 133 aufgeführten Bedingungen abhängig machen.
In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht genauer, ob für den Fall, dass es zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass Leistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 erfüllen, die Anwendbarkeit von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie auf diese Leistungen in Betracht kommt.
Insoweit ist klarzustellen, dass Heilbehandlungsleistungen, die etwa nicht alle Anforderungen erfüllen, um in den Genuss der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung zu kommen, nicht grundsätzlich von der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie ausgeschlossen sind.
Aus dem Wortlaut des besagten Art. 132 Abs. 1 Buchst. b geht nämlich keineswegs hervor, dass diese Bestimmung die Reichweite von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 beschränken sollte, der, wie oben in Rn. 21 ausgeführt, auf Heilbehandlungsleistungen abzielt, die außerhalb der unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie fallenden Strukturen im Rahmen der Ausübung der von den Mitgliedstaaten definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden.
Der Gerichtshof hat im Übrigen in Bezug auf von praktischen Ärzten angeordnete medizinische Analysen klargestellt, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht gewahrt wäre, wenn für solche Leistungen je nachdem, an welchem Ort sie durchgeführt werden, eine andere Mehrwertsteuerregelung gelten würde, obwohl ihre Qualität angesichts der Ausbildung der betreffenden Dienstleistungserbringer gleichwertig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2006, L.u.P., C-106/05, EU:C:2006:380, Rn. 32).
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass Heilbehandlungsleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die von einem Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer fallen können, wenn sie nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erfüllen.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer von der Voraussetzung abhängt, dass die betreffende Heilbehandlungsleistung im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden erbracht wird.
Aus einer wörtlichen Auslegung dieser Bestimmung folgt insoweit, dass eine Dienstleistung von der Steuer zu befreien ist, wenn sie zwei Voraussetzungen genügt, nämlich erstens eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin darstellt und zweitens im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2002, Kügler, C-141/00, EU:C:2002:473, Rn. 27, und vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 23).
Aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 ergibt sich somit in keiner Weise, dass diese Bestimmung die Befreiung der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin daran knüpft, dass sie im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen der behandelnden und der behandelten Person erbracht werden.
Die Hinzufügung einer solchen Voraussetzung ist auch in Ansehung des mit dieser Bestimmung verfolgten Zwecks, die Kosten von Heilbehandlungen zu senken und diese für den Einzelnen leichter zugänglich zu machen, nicht gerechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Klinikum Dortmund, C-366/12, EU:C:2014:143, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), da diese Behandlungen eine ausreichende Qualität aufweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 37), ohne dass es insoweit auf das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden ankommt.
Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass im Gegensatz zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehene Befreiung auf Leistungen anwendbar ist, die außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Behandelndem, und zwar normalerweise in den Praxisräumen des Letzteren, erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Februar 1988, Kommission/Vereinigtes Königreich, 353/85, EU:C:1988:82, Rn. 33, und vom 10. September 2002, Kügler, C-141/00, EU:C:2002:473, Rn. 35).
Aus diesen Feststellungen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung nur für die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gilt, die im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen der behandelnden und der behandelten Person erbracht werden.
Die fraglichen Feststellungen zielten nämlich schlicht darauf ab, den Gegensatz zwischen dieser Bestimmung und Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie im Zusammenhang mit der Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden in diesen Bestimmungen vorgesehenen Befreiungstatbestände zu unterstreichen.
So hat der Gerichtshof in Rn. 33 des Urteils vom 23. Februar 1988, Kommission/Vereinigtes Königreich (353/85, EU:C:1988:82), um auf das Vorbringen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland einzugehen, wonach zwischen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie eine Parallele zu ziehen sei, die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden herausgestellt, was ihn zu dem Ergebnis gelangen ließ, dass sich abgesehen von den Lieferungen kleineren Umfangs, die bei der Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin unbedingt notwendig sind, die Abgabe von Arzneimitteln und sonstigen Gegenständen in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von der Dienstleistung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie trennen lässt.
In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof in Rn. 35 des Urteils vom 10. September 2002, Kügler (C-141/00, EU:C:2002:473), das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Behandelndem erwähnt, um den Gegensatz zwischen den beiden in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungstatbeständen hinsichtlich des Orts herauszustellen, an dem die Leistungen zu erbringen sind, womit er den Rahmen veranschaulicht hat, in dem die Leistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie im Allgemeinen erbracht werden.
Hierzu hat er in Rn. 36 jenes Urteils näher ausgeführt, dass nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie alle Leistungen steuerfrei sein sollen, die in Krankenhäusern erbracht werden, während nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie diejenigen Heilbehandlungen steuerfrei sein sollen, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden.
Außerdem hat der Gerichtshof in Rn. 27 jenes Urteils bei der Nennung der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach dieser Bestimmung nicht auf das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden Bezug genommen.
Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht von der Voraussetzung abhängt, dass die betreffende Heilbehandlungsleistung im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden erbracht wird.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass Heilbehandlungsleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die von einem Facharzt für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer fallen können, wenn sie nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erfüllen.
Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht von der Voraussetzung abhängt, dass die betreffende Heilbehandlungsleistung im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden erbracht wird.
Toader
Bay Larsen
Safjan
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. September 2019.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Die Präsidentin der Sechsten Kammer
C. Toader
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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