Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 21.03.2013 - C-92/11
EuGH 21.03.2013 - C-92/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 21. März 2013 ( *1) - „Richtlinie 2003/55/EG — Erdgasbinnenmarkt — Richtlinie 93/13/EWG — Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 bis 5 — Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern — Allgemeine Voraussetzungen — Missbräuchliche Klauseln — Einseitige Änderung des Preises der Leistung durch den Gewerbetreibenden — Verweis auf eine bindende Regelung, die auf eine andere Kategorie von Verbrauchern abstellt — Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13 — Pflicht zur klaren und verständlichen Abfassung und zur Transparenz“
Leitsatz
In der Rechtssache C-92/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2011, in dem Verfahren
RWE Vertrieb AG
gegen
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der RWE Vertrieb AG, vertreten durch Rechtsanwälte P. Rosin, J. Schütze und A. von Graevenitz,
der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V., vertreten durch Rechtsanwalt P. Wassermann,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. September 2012
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2, Art. 3 und Art. 5 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) sowie von Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Abs. 2 des Anhangs dieser Richtlinie einerseits und von Art. 3 Abs. 3 und Anhang A Buchst. b und c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57) andererseits.
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der RWE Vertrieb AG (im Folgenden: RWE) und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. wegen der Verwendung angeblich missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen durch RWE.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13
Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 [dieser Richtlinie] umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.“
Im 20. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:
„… Der Verbraucher muss tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Im Zweifelsfall ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden.“
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“
Art. 3 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.
(2) Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im Einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im Voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte.
Die Tatsache, dass bestimmte Elemente einer Vertragsklausel oder eine einzelne Klausel im Einzelnen ausgehandelt worden sind, schließt die Anwendung dieses Artikels auf den übrigen Vertrag nicht aus, sofern es sich nach der Gesamtwertung dennoch um einen vorformulierten Standardvertrag handelt.
Behauptet ein Gewerbetreibender, dass eine Standardvertragsklausel im Einzelnen ausgehandelt wurde, so obliegt ihm die Beweislast.
(3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.“
In Art. 4 Abs. 1 der genannten Richtlinie heißt es:
„Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird … unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.“
Art. 5 derselben Richtlinie bestimmt:
„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. …“
Der Anhang der Richtlinie 93/13 führt die in ihrem Art. 3 Abs. 3 angesprochenen Klauseln auf:
„1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass
…
die Zustimmung des Verbrauchers zu Klauseln unwiderlegbar festgestellt wird, von denen er vor Vertragsabschluss nicht tatsächlich Kenntnis nehmen konnte;
der Gewerbetreibende die Vertragsklauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann;
…
der Verkäufer einer Ware oder der Erbringer einer Dienstleistung den Preis zum Zeitpunkt der Lieferung festsetzen oder erhöhen kann, ohne dass der Verbraucher in beiden Fällen ein entsprechendes Recht hat, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Endpreis im Verhältnis zu dem Preis, der bei Vertragsabschluss vereinbart wurde, zu hoch ist;
…
2. Tragweite der Buchstaben … j) und l)
…
…
Buchstabe j) steht ferner Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Gewerbetreibende das Recht vorbehält, einseitig die Bedingungen eines unbefristeten Vertrages zu ändern, sofern es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, und es diesem freisteht, den Vertrag zu kündigen.
…
Buchstabe l) steht Preisindexierungsklauseln nicht entgegen, wenn diese rechtmäßig sind und der Modus der Preisänderung darin ausdrücklich beschrieben wird.“
Richtlinie 2003/55
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 lautet:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.“
In Anhang A der Richtlinie 2003/55, der die Maßnahmen zum Schutz der Kunden betrifft, heißt es:
„Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144, S. 19)] und der Richtlinie 19/93 …, soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden
…
Die Bedingungen müssen gerecht und im Voraus bekannt sein. Diese Informationen müssen in jedem Fall vor Abschluss oder Bestätigung des Vertrags übermittelt werden. Auch bei Abschluss des Vertrags durch Vermittler müssen die oben genannten Informationen vor Vertragsabschluss bereitgestellt werden;
rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;
transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;
… Die allgemeinen Vertragsbedingungen müssen fair und transparent sein. Sie müssen klar und verständlich abgefasst sein. Die Kunden müssen gegen unfaire oder irreführende Verkaufsmethoden geschützt sein;
…“
Deutsches Recht
§ 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (im Folgenden: AVBGasV), die in dem vom Ausgangsrechtsstreit erfassten Zeitraum galt, bestimmte:
„(1) Die allgemeinen Bedingungen, zu denen Gasversorgungsunternehmen … jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen haben, sind in den §§ 2 bis 34 dieser Verordnung geregelt. Sie sind Bestandteil des Versorgungsvertrages.
(2) Kunde im Sinne dieser Verordnung ist der Tarifkunde.“
§ 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV sah vor:
„(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.
(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.
…“
In § 32 Abs. 1 und 2 AVBGasV hieß es:
„(1) Das Vertragsverhältnis läuft solange ununterbrochen weiter, bis es von einer der beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt wird …
(2) Ändern sich die allgemeinen Tarife oder ändert das Gasversorgungsunternehmen im Rahmen dieser Verordnung seine allgemeinen Bedingungen, so kann der Kunde das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Kalendermonats kündigen.
…“
§ 307 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) lautet:
„(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, oder
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.“
§ 310 Abs. 2 BGB bestimmt:
„Die §§ 308 und 309 finden keine Anwendung auf Verträge der Elektrizitäts-, Gas-, Fernwärme- und Wasserversorgungsunternehmen über die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Energie, Gas, Fernwärme und Wasser aus dem Versorgungsnetz, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit elektrischer Energie, Gas, Fernwärme und Wasser abweichen. Satz 1 gilt entsprechend für Verträge über die Entsorgung von Abwasser.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
RWE, ein Gasversorgungsunternehmen, schloss mit Verbrauchern Gaslieferungsverträge im Rahmen der Vertragsfreiheit (Sonderkundenverträge). Neben der Möglichkeit, solche Verträge zu schließen, haben RWE und die anderen Gasversorger nach der nationalen Regelung die Pflicht, mit Verbrauchern Verträge zu einem Standardtarif (Tarifkundenverträge) zu schließen.
Die Gaspreisänderungsklauseln in den allgemeinen Bedingungen der hier in Rede stehenden Sonderkundenverträge nahmen auf die Bestimmungen der nationalen Regelung oder auf die Standardbedingungen Bezug, deren Wortlaut dieser Regelung entsprach, die auf die genannten Verträge nicht anwendbar war und nur für die Tarifkundenverträge galt. Die genannte Regelung erlaubte es dem Lieferanten, die Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung anzugeben, stellte jedoch sicher, dass die Kunden von der Änderung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten.
In der Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 1. Oktober 2005 erhöhte RWE die Gaspreise vier Mal. In diesem Zeitraum bestand für die Kunden, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, keine Möglichkeit, den Gasversorger zu wechseln.
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. nimmt RWE aus abgetretenem Recht der genannten Verbraucher auf Rückzahlung der von diesen aufgrund der Preiserhöhung an RWE geleisteten Zusatzzahlungen in Anspruch.
Das Landgericht Dortmund gab der Klage auf Rückzahlung von 16128,63 Euro zuzüglich Zinsen statt. Die Berufung von RWE vor dem Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg.
Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts legte RWE Revision ein. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts ab.
Der Bundesgerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Gaslieferungsverträgen mit Verbrauchern, die außerhalb der allgemeinen Versorgungspflicht im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit beliefert werden (Sonderkunden), nicht den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen, wenn in diesen Vertragsklauseln die für Tarifkunden im Rahmen der allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht geltenden gesetzlichen Regelungen unverändert in die Vertragsverhältnisse mit den Sonderkunden übernommen worden sind?
Sind – soweit anwendbar – die Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Abs. 2 des Anhangs dieser Richtlinie sowie Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Sonderkunden den Anforderungen an eine klare und verständliche Abfassung und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz genügen, wenn in ihnen Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie nicht für Klauseln allgemeiner Bedingungen in zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern geschlossenen Verträgen gilt, die eine für eine andere Vertragskategorie geltende Regel des nationalen Rechts aufgreifen und der fraglichen nationalen Regelung nicht unterliegen.
Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.
Wie aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 hervorgeht, erstreckt sich die in deren Art. 1 Abs. 2 vorgesehene Ausnahme auf Klauseln, die auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruhen, die unabdingbar sind oder die von Gesetzes wegen greifen, wenn sie nicht abbedungen wurden.
Außerdem sind die Vertragsklauseln, die auf nationalen Rechtsvorschriften beruhen, mit denen eine bestimmte Vertragskategorie geregelt wird, vom Geltungsbereich dieser Richtlinie nicht nur in den Fällen ausgenommen, in denen der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag unter diese Vertragskategorie fällt, sondern auch dann, wenn es sich um andere Verträge handelt, auf die die genannten Rechtsvorschriften gemäß einer Bestimmung des nationalen Rechts anwendbar sind.
Wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge ausführt, ist dieser Ausschluss von der Geltung der Regelung der Richtlinie 93/13 dadurch gerechtfertigt, dass in den vorstehend in den Randnrn. 26 und 27 bezeichneten Fällen die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat.
Diese Argumentation gilt jedoch nicht für die Klauseln von Verträgen, die nicht zu den vorstehend in Randnr. 27 genannten Verträgen gehören. Bei einer solchen Konstellation sind die betreffenden Verträge nämlich nach der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers vom Anwendungsbereich der für andere Vertragskategorien vorgesehenen Regelung ausgenommen. Ein etwaiger Parteiwille, die Anwendung dieser Regelung auf einen sonstigen Vertrag auszudehnen, kann nicht einer ausgewogenen Regelung aller Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch den nationalen Gesetzgeber gleichgestellt werden.
Ließe man zu, dass die Richtlinie 93/13 für Vertragsklauseln allein deshalb nicht gälte, weil sie nationale Rechtsvorschriften, die auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nicht anwendbar sind, aufgreifen oder in Bezug nehmen, würde zudem die mit dieser Richtlinie errichtete Verbraucherschutzregelung in Frage gestellt.
Ein Gewerbetreibender könnte dann nämlich der Überprüfung der Missbräuchlichkeit von mit dem Verbraucher nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln leicht entgehen, indem er die Klauseln seiner Verträge so abfasst wie die Klauseln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften für bestimmte Vertragskategorien vorgesehen sind. Die Rechte und Pflichten, die mit dem auf diese Weise verfassten Vertrag begründet werden, wären aber in ihrer Gesamtheit nicht zwangsläufig so ausgewogen, wie es der nationale Gesetzgeber für die Verträge wollte, die unter seine entsprechende Regelung fallen.
Im vorliegenden Fall war, wie aus den das nationale Verfahren betreffenden Akten hervorgeht, die Möglichkeit für einen Lieferanten, die Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang der Preisänderung anzugeben, in der nationalen Regelung, der AVBGasV, vorgesehen, die nicht für die Sonderkundenverträge über Erdgaslieferungen galt, die von RWE mit den Verbrauchern im Rahmen der Vertragsfreiheit geschlossen worden waren.
Der deutsche Gesetzgeber wollte somit die Sonderkundenverträge vom Anwendungsbereich der AVBGasV ausnehmen.
Diese Feststellung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klauselverbote der §§ 308 und 309 BGB nach § 310 Abs. 2 BGB keine Anwendung auf die Verträge der Gasversorgungsunternehmen über die Versorgung von Sonderabnehmern finden, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden abweichen.
Für die Sonderkundenverträge gilt nämlich § 307 BGB, nach dem Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, wobei sich eine solche Benachteiligung auch daraus ergeben kann, dass die fragliche Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
§ 307 BGB entspricht aber Art. 3 der Richtlinie 93/13, der ein grundlegender Bestandteil der mit dieser Richtlinie errichteten Verbraucherschutzregelung ist.
Demnach hat der deutsche Gesetzgeber, wie von der Generalanwältin im Kern in Nr. 56 ihrer Schlussanträge festgestellt, die Sonderkundenverträge bewusst nicht der Regelung des nationalen Rechts über den Inhalt der Klauseln der Gaslieferungsverträge unterworfen.
Unter diesen Umständen ist nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 deren Geltung für Klauseln wie diejenigen der Sonderkundenverträge, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht ausgeschlossen.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie für Klauseln allgemeiner Bedingungen in zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern geschlossenen Verträgen gilt, die eine für eine andere Vertragskategorie geltende Regel des nationalen Rechts aufgreifen und der fraglichen nationalen Regelung nicht unterliegen.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit den Nrn. 1 Buchst. j und 2 Buchst. b Abs. 2 des Anhangs dieser Richtlinie sowie Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen sind, dass eine Standardvertragsklausel, mit der sich das Versorgungsunternehmen das Recht vorbehält, den Gaslieferpreis einseitig zu ändern, die aber nicht den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung nennt, den Anforderungen der genannten Bestimmungen genügt, wenn sichergestellt ist, dass die Verbraucher von der Preisänderung mit angemessener Frist im Voraus benachrichtigt werden und ihnen dann das Recht zusteht, den Vertrag zu kündigen, wenn sie diese Änderungen nicht hinnehmen wollen.
Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem davon ausgeht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (Urteile vom 15. März 2012, Pereničová und Perenič, C-453/10, Randnr. 27, und vom 26. April 2012, Invitel, C-472/10, Randnr. 33).
In Anbetracht dieser Unterlegenheit stellt die Richtlinie 93/13 zum einen in ihrem Art. 3 Abs. 1 das Verbot von Standardklauseln auf, die entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen.
Zum anderen verpflichtet die Richtlinie 93/13 in ihrem Art. 5 die Gewerbetreibenden zu einer klaren und verständlichen Formulierung der Klauseln. Der 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 stellt insoweit klar, dass der Verbraucher tatsächlich Gelegenheit haben muss, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen.
Für den Verbraucher ist es nämlich von grundlegender Bedeutung, dass er vor Abschluss eines Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert ist. Insbesondere auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er sich durch die vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen binden möchte.
Im Übrigen hat der Unionsgesetzgeber dieser Information des Verbrauchers auch im Rahmen der Richtlinie 2003/55 und damit konkret in Bezug auf Gaslieferungsverträge eine besondere Bedeutung beigemessen. So müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen einen hohen Verbraucherschutz gewährleisten. Dazu ergibt sich aus Anhang A Buchst. a, c und d der Richtlinie 2003/55, dass sie u. a. Maßnahmen erlassen müssen, mit denen sichergestellt wird, dass diese Bedingungen gerecht und transparent sowie klar und verständlich abgefasst sind, dass die Bedingungen vor Vertragsabschluss für die Verbraucher bereitgestellt werden und dass die Verbraucher transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die anwendbaren Standardbedingungen erhalten. Außerdem stellt dieser Anhang klar, dass die darin genannten Maßnahmen unbeschadet der Richtlinie 93/13 gelten.
Hinsichtlich einer Standardklausel wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die dem Versorgungsunternehmen die einseitige Änderung der Entgelte für die Gaslieferung erlaubt, ergibt sich sowohl aus Nr. 2 Buchst. b Abs. 2 und d des Anhangs der Richtlinie 93/13 als auch aus Anhang A Buchst. b der Richtlinie 2003/55, dass der Gesetzgeber im Rahmen von unbefristeten Verträgen wie Gaslieferungsverträgen das Bestehen eines berechtigten Interesses des Versorgungsunternehmens an der Möglichkeit einer Änderung der Entgelte für seine Leistung anerkannt hat.
Allerdings muss eine Standardklausel, die eine solche einseitige Anpassung erlaubt, den in diesen Richtlinien aufgestellten Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es letztlich nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des nationalen Gerichts ist, in jedem Einzelfall festzustellen, ob dem so ist. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs bezieht sich nämlich auf die Auslegung der Bestimmungen besagter Richtlinien und auf die Kriterien, die das nationale Gericht bei der Prüfung einer Vertragsklausel im Hinblick auf diese Bestimmungen anwenden darf oder muss, wobei es dem nationalen Gericht zukommt, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. Urteile vom 9. November 2010, VB Pénzügyi Lízing, C-137/08, Slg. 2010, I-10847, Randnr. 44, und Invitel, Randnr. 22).
In Bezug auf die Beurteilung einer Klausel, die es dem Gewerbetreibenden erlaubt, die Entgelte für die zu erbringende Leistung einseitig zu ändern, hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass sich aus den Art. 3 und 5 sowie den Nrn. 1 Buchst. j und l und 2 Buchst. b und d des Anhangs der Richtlinie 93/13 ergibt, dass dafür von wesentlicher Bedeutung ist, ob zum einen der Vertrag den Anlass und den Modus der Änderung der Entgelte für die zu erbringende Leistung so transparent darstellt, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen dieser Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen kann, und ob zum anderen der Verbraucher berechtigt ist, den Vertrag zu beenden, falls diese Entgelte tatsächlich geändert werden sollten (vgl. in diesem Sinne Urteil Invitel, Randnrn. 24, 26 und 28).
Was erstens die dem Verbraucher geschuldete Information betrifft, erweist es sich, dass mit einem bloßen Verweis in den allgemeinen Vertragsbedingungen auf eine Rechtsvorschrift, in der die Rechte und Pflichten der Parteien festgelegt werden, dieser Pflicht, dem Verbraucher den Anlass und den Modus der Änderung der Entgelte sowie sein Recht, den Vertrag zu kündigen, zur Kenntnis zu bringen, nicht nachgekommen wird. Entscheidend ist nämlich, dass der Verbraucher vom Gewerbetreibenden über den Inhalt der betreffenden Bestimmungen unterrichtet wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Invitel, Randnr. 29).
Das Ausbleiben dieser Information vor Vertragsabschluss kann, obschon das erforderliche Informationsniveau je nach den Fallumständen und den betroffenen Produkten oder Leistungen unterschiedlich sein kann, grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrags mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte und über sein Recht, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, unterrichtet wird.
Auch wenn es nämlich mit Blick auf Nr. 2 Buchst. b des Anhangs der Richtlinie 93/13 und Anhang A Buchst. b der Richtlinie 2003/55 dem Versorgungsunternehmen obliegt, den Verbraucher rechtzeitig über jede Tariferhöhung und über sein Recht zur Kündigung des Vertrags zu unterrichten, so kommt diese Verpflichtung, die für den Fall vorgesehen ist, dass das Unternehmen tatsächlich von dem Recht zur Änderung der Tarife, das es sich vorbehalten hat, Gebrauch machen möchte, zu der Verpflichtung hinzu, den Verbraucher vor Vertragsabschluss klar und verständlich über die grundlegenden Voraussetzungen der Ausübung eines solchen Rechts zur einseitigen Änderung zu informieren.
Diese strengen Anforderungen an die dem Verbraucher sowohl beim Abschluss eines Versorgungsvertrags als auch während dessen Durchführung geschuldete Information hinsichtlich des Rechts des Gewerbetreibenden zur einseitigen Änderung der Bedingungen dieses Vertrags entsprechen einem Interessenausgleich zwischen den beiden Parteien. Dem berechtigten Interesse des Gewerbetreibenden, sich gegen eine Änderung der Umstände zu wappnen, steht das genauso berechtigte Interesse des Verbrauchers gegenüber, zum einen die Folgen, die eine solche Änderung für ihn in der Zukunft haben könnte, zu kennen und damit absehen zu können, und zum anderen in einem solchen Fall über die Angaben zu verfügen, die es ihm erlauben, in der geeignetsten Weise auf seine neue Situation zu reagieren.
Was zweitens das Recht des Verbrauchers anbelangt, den von ihm geschlossenen Versorgungsvertrag bei einer einseitigen Änderung der Tarife durch den Gewerbetreibenden zu kündigen, ist es, wie die Generalanwältin in Nr. 85 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, von wesentlicher Bedeutung, dass die Kündigungsmöglichkeit dem Verbraucher nicht nur formal eingeräumt wird, sondern auch tatsächlich wahrgenommen werden kann. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Verbraucher aus Gründen, die mit den Modalitäten der Ausübung des Kündigungsrechts oder mit den auf dem betroffenen Markt herrschenden Bedingungen zusammenhängen, nicht über eine wirkliche Möglichkeit zum Wechsel des Lieferanten verfügt oder wenn er nicht angemessen und rechtzeitig von der künftigen Änderung benachrichtigt wurde und dadurch nicht die Möglichkeit hatte, zu überprüfen, wie sich die Änderung berechnet, und gegebenenfalls den Lieferanten zu wechseln. Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere, ob auf dem betreffenden Markt Wettbewerb herrscht, welche Kosten für den Verbraucher etwa mit der Kündigung des Vertrags verbunden sind, wie viel Zeit zwischen der Mitteilung und dem Inkrafttreten der neuen Tarife liegt, welche Informationen zum Zeitpunkt der Mitteilung gegeben werden und welchen Kosten- und Zeitaufwand ein Wechsel des Lieferanten erfordert.
Nach alledem ist die zweite Frage wie folgt zu beantworten:
Die Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 sind dahin auszulegen, dass es für die Beurteilung, ob eine Standardvertragsklausel, mit der sich ein Versorgungsunternehmen das Recht vorbehält, die Entgelte für die Lieferung von Gas zu ändern, den in diesen Bestimmungen aufgestellten Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt, insbesondere darauf ankommt,
ob der Anlass und der Modus der Änderung dieser Entgelte in dem Vertrag so transparent dargestellt werden, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien absehen kann, wobei das Ausbleiben der betreffenden Information vor Vertragsabschluss grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden kann, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrags mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte und über sein Recht, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, unterrichtet wird, und
ob von der dem Verbraucher eingeräumten Kündigungsmöglichkeit unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich Gebrauch gemacht werden kann.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Beurteilung anhand aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, einschließlich aller Klauseln in den allgemeinen Bedingungen der Verbraucherverträge, die die streitige Klausel enthalten.
Zur zeitlichen Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils
Die deutsche Regierung hat den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen für den Fall, dass nach dem zu ergehenden Urteil eine Klausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht den Anforderungen des Unionsrechts genügen sollte, ersucht, die Wirkungen seines Urteils zeitlich so zu begrenzen, dass die in diesem Urteil zugrunde gelegte Auslegung nicht auf vor der Urteilsverkündung eingetretene Tarifänderungen anwendbar ist. Nach Ansicht von RWE, die in ihren schriftlichen Erklärungen ebenfalls einen Antrag in diesem Sinne gestellt hat, sollten die Urteilswirkungen um 20 Monate aufgeschoben werden, um den betroffenen Unternehmen und dem nationalen Gesetzgeber eine Anpassung an die Folgen des Urteils zu ermöglichen.
Zur Begründung ihrer Anträge verweisen die deutsche Regierung und RWE auf die schwerwiegenden finanziellen Folgen, die sich in Bezug auf eine große Zahl von Gaslieferungsverträgen in Deutschland ergeben könnten und ein erhebliches Defizit der betroffenen Unternehmen mit sich brächten.
Insoweit ist an die ständige Rechtsprechung zu erinnern, nach der durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (vgl. u. a. Urteile vom 2. Februar 1988, Blaizot u. a., 24/86, Slg. 1988, 379, Randnr. 27, vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C-402/03, Slg. 2006, I-199, Randnr. 50, vom 18. Januar 2007, Brzeziński, C-313/05, Slg. 2007, I-513, Randnr. 55, und vom 7. Juli 2011, Nisipeanu, C-263/10, Randnr. 32).
Der Gerichtshof kann die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ganz ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (vgl. u. a. Urteile Skov und Bilka, Randnr. 51, Brzeziński, Randnr. 56, vom 3. Juni 2010, Kalinchev, C-2/09, Slg. 2010, I-4939, Randnr. 50, und vom 19. Juli 2012, Rēdlihs, C-263/11, Randnr. 59).
Zur Gefahr schwerwiegender Störungen ist vorab festzustellen, dass hier die vom Gerichtshof vorstehend vorgenommene Auslegung des Unionsrechts den Begriff der missbräuchlichen Klausel in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie die Kriterien betrifft, die das nationale Gericht bei der Prüfung der streitigen Vertragsklausel im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie 93/13 unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/55 anwenden kann oder muss. Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 44, und Invitel, Randnr. 22).
Unter diesen Umständen können die finanziellen Folgen für die Gasversorgungsunternehmen in Deutschland, die mit den Verbrauchern Sonderkundenverträge über Erdgaslieferungen geschlossen haben, nicht allein auf der Grundlage der vom Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts bestimmt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 131).
Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.
Da das zweite oben in Randnr. 59 genannte Kriterium nicht erfüllt ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Kriterium der Gutgläubigkeit der Betroffenen erfüllt ist.
Demnach besteht kein Anlass, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie für Klauseln allgemeiner Bedingungen in zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern geschlossenen Verträgen gilt, die eine für eine andere Vertragskategorie geltende Regel des nationalen Rechts aufgreifen und der fraglichen nationalen Regelung nicht unterliegen.
Die Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG sind dahin auszulegen, dass es für die Beurteilung, ob eine Standardvertragsklausel, mit der sich ein Versorgungsunternehmen das Recht vorbehält, die Entgelte für die Lieferung von Gas zu ändern, den in diesen Bestimmungen aufgestellten Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt, insbesondere darauf ankommt,
ob der Anlass und der Modus der Änderung dieser Entgelte in dem Vertrag so transparent dargestellt werden, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien absehen kann, wobei das Ausbleiben der betreffenden Information vor Vertragsabschluss grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden kann, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrags mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte und über sein Recht, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, unterrichtet wird, und
ob von der dem Verbraucher eingeräumten Kündigungsmöglichkeit unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich Gebrauch gemacht werden kann.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Beurteilung anhand aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, einschließlich aller Klauseln in den allgemeinen Bedingungen der Verbraucherverträge, die die streitige Klausel enthalten.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Bayern
Persönlicher Ansprechpartner
E-Mail-Service
Bankdaten