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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BAG 31.01.2023 - 9 AZR 85/22
BAG 31.01.2023 - 9 AZR 85/22 - Urlaub - 15 Monatsfrist - Mitwirkungsobliegenheiten
Vorinstanz
vorgehend ArbG Iserlohn, 25. Juni 2021, Az: 4 Ca 2312/20, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 17. Februar 2022, Az: 5 Sa 872/21, Urteil
Tenor
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. Februar 2022 - 5 Sa 872/21 - wird zurückgewiesen.
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2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub nebst Zahlung von Urlaubsgeld aus den Jahren 2016 und 2017 in Anspruch.
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Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. August 1992 bis zum 25. Februar 2021 angestellt. Aufgrund einer Verkrümmung mehrerer Finger der linken Hand war er vom 4. Januar 2010 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig. Seit dem 3. September 2010 erhielt der Kläger Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Die Krankenkasse steuerte ihn am 3. Juli 2011 aus. Danach bezog er für die Dauer von 12 Monaten Arbeitslosengeld I. Daran schloss sich eine durch die Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte Weiterbildungsmaßnahme an, für deren Dauer dem Kläger Übergangsgeld nach dem SGB VI gewährt wurde. Mit Wirkung ab dem 5. Mai 2014 befand er sich in der Rehabilitationsberatung der Deutschen Rentenversicherung. Anschließend absolvierte der Kläger verschiedene Praktika. Seit dem 1. Oktober 2017 ist er bei den I gGmbH angestellt.
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Mit seiner Klage hat der Kläger verlangt, ihm insgesamt 60 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2016 und 2017 mit einem Betrag iHv. 5.995,20 Euro brutto abzugelten und zusätzlich Urlaubsgeld iHv. 2.997,60 Euro brutto an ihn zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, der in diesen Jahren nicht in Anspruch genommene Urlaub sei nicht verfallen, weil die Beklagte ihren diesbezüglichen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen sei. Diese bestünden auch während einer lang andauernden Erkrankung und seien bei richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG Voraussetzung dafür, dass Urlaubsansprüche im Fall einer über mehrere Jahre andauernden Erkrankung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen könnten.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.992,80 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, die Urlaubsansprüche des Klägers aus den Jahren 2016 und 2017 seien unabhängig von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG auf Abgeltung des Urlaubs aus den Jahren 2016 und 2017. Zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses standen dem Kläger die Urlaubsansprüche aus den streitgegenständlichen Jahren nicht mehr zu. Die Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahr 2016 sind nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG am 31. März 2018 verfallen und die aus dem Jahr 2017 am 31. März 2019. Damit sind auch die darauf bezogenen akzessorischen Ansprüche auf Urlaubsgeld erloschen.
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I. Der gesetzliche Mindesturlaub des Klägers gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG aus den Jahren 2016 und 2017 ist in unionsrechtskonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG aufgrund der seit Beginn des Urlaubsjahres fortdauernden Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen, ohne dass es darauf ankommt, dass die Beklagte ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat (vgl. grundl. EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 28, 38, 44; bestätigt durch EuGH 22. September 2022 - C-518/20 und C-727/20 - [Fraport] Rn. 36; 25. Juni 2020 - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.; 29. November 2017 - C-214/16 - [King] Rn. 55 ff.; BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 23, 32 ff., BAGE 142, 371; vgl. auch 16. Oktober 2012 - 9 AZR 63/11 - Rn. 9; 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 14).
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1. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 39 ff., BAGE 165, 376).
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2. Diese Grundsätze gelten bei Langzeiterkrankungen von Arbeitnehmern nicht uneingeschränkt.
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a) Bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG ist die Befristung des Urlaubsanspruchs nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es - was erst im Nachhinein feststellbar ist - objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal (BAG 20. Dezember 2022 - 9 AZR 401/19 - Rn. 21; 7. September 2021 - 9 AZR 3/21 (A) - Rn. 28 ff. mit ausf. Begründung). Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Anspruchs ist - ohne dass es auf die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers ankäme - von vornherein ausgeschlossen, weil die Arbeitsunfähigkeit auf psychischen oder physischen Beschwerden beruht und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist (st. Rspr., vgl. EuGH 25. Juni 2020 - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 66; 4. Oktober 2018 - C-12/17 - [Dicu] Rn. 32, 33 mwN).
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b) Dagegen erlischt der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub aus einem Bezugszeitraum, in dem der Arbeitnehmer vor seiner langandauernden Erkrankung tatsächlich gearbeitet hat, grundsätzlich nicht 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahrs, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben (EuGH 22. September 2022 - C-518/20 und C-727/20 - [Fraport] Rn. 46; BAG 20. Dezember 2022 - 9 AZR 401/19 - Rn. 22).
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3. Danach ist der Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus den Jahren 2016 und 2017 nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG erloschen, obwohl die Beklagte ihren Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Dass der Kläger seine Urlaubsansprüche aus den Jahren 2016 und 2017 nicht zu realisieren vermochte, ist allein auf seine lang andauernde Erkrankung und nicht darauf zurückzuführen, dass die Beklagte ihrer Initiativlast nicht gerecht geworden ist. Der Kläger war durchgehend vom 4. Januar 2010 bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 25. Februar 2021 arbeitsunfähig. Damit bestand in den Urlaubsjahren 2016 und 2017 von Beginn an bis zum 31. März des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres nach § 275 Abs. 1 BGB keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung, von der die Beklagte den Kläger durch Urlaubserteilung hätte befreien können (vgl. BAG 7. September 2021 - 9 AZR 3/21 (A) - Rn. 31; 18. März 2015 - 9 AZR 669/12 - Rn. 16).
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4. Der Senat konnte über die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs des Klägers aus den Jahren 2016 und 2017 entscheiden, ohne den Gerichtshof der Europäischen Union zuvor nach Art. 267 Abs. 3 AEUV um Vorabentscheidung zu ersuchen (vgl. zu den Voraussetzungen hierfür BVerfG 9. Mai 2018 - 2 BvR 37/18 - Rn. 29 mwN; BAG 23. Mai 2018 - 5 AZR 303/17 - Rn. 23 mwN). Mit der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Voraussetzungen geklärt, unter denen das Unionsrecht ein Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht zulässt.
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II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG auf Abgeltung von vertraglichem Mehrurlaub aus den Jahren 2016 und 2017. Seine Ansprüche sind ebenfalls vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG erloschen. Die Parteien haben nicht vorgetragen, dass sie arbeitsvertraglich ihre jeweiligen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des vertraglichen Mehrurlaubs und die Voraussetzungen seiner Befristung und seines Verfalls abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt haben. Es ist deshalb von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen Mehrurlaub auszugehen (vgl. hierzu BAG 29. September 2020 - 9 AZR 266/20 (A) - Rn. 26, BAGE 172, 337; 25. Juni 2019 - 9 AZR 546/17 - Rn. 21). Danach ist der vertragliche Mehrurlaub des Klägers aus dem Jahr 2016 am 31. März 2018 und der aus 2017 am 31. März 2019 erloschen.
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III. Die urlaubsakzessorischen Ansprüche des Klägers auf Urlaubsgeld sind mit Erlöschen des jeweiligen Jahresurlaubs ebenfalls untergegangen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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