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BSG 17.08.2017 - B 5 R 248/16 B
BSG 17.08.2017 - B 5 R 248/16 B - (Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Weiterbewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit - Anwendung des § 96 SGG)
Normen
§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 77 SGG, § 123 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 43 SGB 6
Vorinstanz
vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 5. Januar 2016, Az: S 20 R 1596/14
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 12. Juli 2016, Az: L 9 R 312/16, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Juli 2016 hinsichtlich der Zeit ab dem 1.12.2018 aufgehoben und die Sache insofern zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
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Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.
Gründe
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Mit Urteil vom 12.7.2016 hat das LSG Baden-Württemberg ohne mündliche Verhandlung die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 5.1.2016, der einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.11.2015 hinaus auf Dauer abgelehnt hatte, abgewiesen. Die Klage sei mit Erlass des weiteren Bescheides vom 15.10.2015, mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung wiederum auf Zeit bis 30.11.2018 verfügt habe, unzulässig geworden. Dieser Bescheid sei nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, weil er die zuvor ausgesprochene, zeitlich befristete Entscheidung über eine Zeitrentengewährung weder ganz noch teilweise aufgehoben und durch eine neue Regelung ersetzt, sondern vielmehr - bezogen auf einen späteren Zeitpunkt - bestätigt habe. Eine Änderung oder Ersetzung folge auch nicht daraus, dass auch der Bescheid vom 15.10.2015 die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt habe. Eine analoge Anwendung von § 96 SGG komme seit der Neufassung der Vorschrift zum 1.1.2008 nicht mehr in Betracht. Eine Einbeziehung aufgrund einer Klageänderung nach § 99 SGG liege nicht vor. Die Weiterbewilligung für die Zeit vom 1.12.2015 bis 30.11.2018 habe jedoch dazu geführt, dass der Kläger nicht mehr behaupten könne, durch die Ablehnung für die Zeit nach dem 30.11.2015 beschwert zu sein. Der entsprechende Verfügungssatz im Bescheid vom 6.12.2013 habe sich mit der Weiterbewilligung bis 30.11.2018 erledigt und entfalte keine Rechtswirkungen mehr. Im Ergebnis habe das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bestehe unabhängig hiervon nicht, wie die Beklagte und das SG zutreffend entschieden hätten.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensfehler und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig und wegen eines Verfahrensfehlers (§ 160a Abs 2 Nr 3 SGG) begründet. Der Senat macht insofern von § 160a Abs 5 SGG Gebrauch.
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Das Begehren des Klägers (§ 123 SGG) ist, wovon das angegriffene Urteil zutreffend ausgeht, auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.11.2015 hinaus auf Dauer gerichtet. Durch die Weiterbewilligung für die Zeit vom 1.12.2015 bis 30.11.2018 ist das Rechtsschutzbedürfnis insofern entfallen. Die Nichtzulassungsbeschwerde geht nicht darauf ein, dass dies unabhängig davon gilt, ob man der von ihr vertretenen Auffassung zur Anwendung von § 96 SGG folgt und das Vorliegen eines entsprechenden Verfahrensfehlers daher hinsichtlich des genannten Zeitraums keinesfalls zu einem ihr günstigeren Ergebnis führen könnte. Dagegen führt die gerügte Nichteinbeziehung des weiteren Verwaltungsakts im Bescheid vom 15.10.2015 über die Ablehnung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab dem 1.12.2018 zu einer potenziell ergebnisrelevanten Verkennung des Streitgegenstandes.
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Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 6.12.2013 (Verwaltungsakte)
1.
über die befristete (Weiter-)Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.4.2014 bis 30.11.2015 und
2.
die Ablehnung einer über diesen Zeitraum hinausgehenden zeitlich nicht beschränkten Rente
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verlautbart (vgl zu den Verfügungssätzen einer Zeitrentenbewilligung BSG vom 24.10.1996 - 4 RA 31/96 - SozR 3-2600 § 300 Nr 8).
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Der Kläger hat sich mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG) ursprünglich nur gegen den ihn allein belastenden 2. Verwaltungsakt gewandt und nach seinen ausdrücklichen Anträgen im Wege der hiermit kombinierten Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) die Zuerkennung einer Dauerrente begehrt. Für dieses Leistungsbegehren ist das Rechtsschutzbedürfnis entgegen der Auffassung des LSG nicht etwa mit dem während des Klageverfahrens ergangenen weiteren Bescheid vom 15.10.2015 vollständig entfallen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Anspruch auf "Zeitrente" wegen voller Erwerbsminderung ein "eigenständiger Anspruch" wäre, sodass sich beide Ansprüche gegenseitig ausschlössen. Diese Argumentation geht bereits deshalb fehl, weil es nach § 33 Abs 3 Nr 2, § 89 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB VI nur eine "Rente wegen voller Erwerbsminderung" gibt. Diese ist vom Rentenversicherungsträger nach § 102 Abs 2 S 1 und 5 SGB VI lediglich (grundsätzlich) zunächst für einen begrenzten Zeitraum als befristete Rente ("auf Zeit") zu leisten (s zum Beginn und Ende befristeter Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit § 101 Abs 1, § 102 Abs 1, Abs 2 S 2 bis 4 SGB VI). Hieraus ergibt sich im Rechtsstreit um eine Dauerrente ohne Weiteres die Teilbarkeit des Streitgegenstandes mit der Notwendigkeit einer gesonderten Fortführung im Übrigen (vgl zur Möglichkeit der Zuerkennung einer befristeten Rente durch Teilanerkenntnis, BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 16/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 19).
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Das Leistungsbegehren des Klägers scheitert auch nicht daran, dass sich die ursprüngliche Rentenablehnung im Bescheid vom 15.10.2015 während des Verfahrens erledigt hat.
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Wird während des Klageverfahrens auf einen weiteren Antrag Rente wegen voller Erwerbsminderung erneut abgelehnt oder - wie hier - für einen Teil des streitigen Zeitraums bewilligt und im Übrigen weiter abgelehnt, liegen damit iS von § 96 S 1 SGG die bisherige Ablehnung ersetzende Neuregelungen vor, über die entgegen der Auffassung des LSG in unmittelbarer Anwendung der Norm zu entscheiden ist. Den unverändert gebliebenen Teil des nach Ergehen des Bescheides vom 15.10.2015 lediglich um drei Jahre verkürzten Ablehnungszeitraums konnte der Kläger seither zulässig nur noch durch den Angriff auf die hierzu in diesem Bescheid verlautbarte Regelung - und folglich nicht mehr auf die erledigte Ablehnung im Bescheid vom 6.12.2013 - bekämpfen. Allein hierüber hatten das SG und das LSG (§ 157 S 1 SGG) dann noch in der Sache zu entscheiden. Dafür, dass auch nach Erlass des Bescheides vom 15.10.2015 hinsichtlich des Ablehnungszeitraums ab dem 1.12.2018 weiterhin die insofern identische Regelung im Bescheid vom 6.12.2013 hätte fortbestehen sollen, fehlt es an Anhaltspunkten. Damit ist zwar der ursprüngliche Gegenstand der Anfechtungsklage (iS von § 95 SGG) entfallen, doch fehlt es aufgrund der gesetzlichen Einbeziehung der ersetzenden Verwaltungsakte im Bescheid vom 15.10.2015 nicht etwa an der erforderlichen Vorbefassung der Verwaltung überhaupt mit dem Ergebnis, dass der Kläger nachträglich an der Erhebung der unechten Leistungsklage gehindert wäre.
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Soweit die Rechtsprechung der Instanzgerichte teilweise dennoch die Anwendbarkeit von § 96 Abs 1 SGG mit dem Hinweis ablehnt, dass es sich bei der Leistungsablehnung nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt (exemplarisch LSG Sachsen-Anhalt vom 28.1.2016 - L 3 R 218/13 - Juris RdNr 62), verkennt sie, dass es in Fällen der vorliegenden Art nicht um die Wirkung einer in Bestandskraft erwachsenen (§ 77 SGG) Ablehnung geht, sondern der durch den unmittelbaren Angriff auf die Leistungsablehnung eröffnete Streitgegenstand in Frage steht. Insofern ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich der letzte Verhandlungstermin vor dem Tatsachengericht (vgl BSG vom 17.2.2005 - B 13 RJ 31/04 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 3 - Juris RdNr 29). Soweit sich die Instanzgerichte zur Begründung ihrer Auffassung auf die Rechtsprechung des BSG zum SGB II und zum SGB XII berufen (vgl exemplarisch LSG Sachsen-Anhalt vom 4.6.2015 - L 1 R 136/13 - Juris RdNr 27), lassen sie unberücksichtigt, dass die dortige Rechtsprechung zu § 96 SGG ihre Begründung gerade in der spezifischen Ausgestaltung dieser Rechtsgebiete, insbesondere der gesetzlich vorgeschriebenen abschnittsweisen Bewilligung (§ 41 Abs 1 S 3 SGB II) und dem sich hieraus ergebenden Problem einer nur analogen Anwendung der Norm findet (vgl BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R - SozR 4-4300 § 428 Nr 3 RdNr 14; Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 4/06 R -; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R - Juris RdNr 13 und BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R - SozR 4-3500 § 21 Nr 1 RdNr 8). Zudem führt das Urteil vom 7.11.2006 (B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 30), auf das sich diese Entscheidungen teilweise stützen, noch ausdrücklich aus: "… Unter Berücksichtigung all dieser besonderen Umstände ist eine analoge Anwendung des § 96 Abs 1 SGG auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume im Rahmen des SGB II grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Wenn sich der Kläger allerdings gegen einen Bescheid wehrt, mit dem die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt worden ist, ist Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens - je nach Klageantrag - die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit. Hat der Kläger zwischenzeitlich einen neuen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und ist dieser Antrag wiederum abschlägig beschieden worden, ist diese (erneute) Ablehnung in unmittelbarer Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden; denn diese Ablehnung ersetzt für den späteren Zeitraum den früheren Ablehnungsbescheid."
- 11
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Entgegen der Auffassung des LSG betrifft die Anwendung von § 96 SGG in Fällen der vorliegenden Art nicht etwa "die zuvor ausgesprochene zeitlich befristete Entscheidung über eine Rentengewährung", sondern vielmehr allein den streitigen Verwaltungsakt über die Ablehnung einer Rente für darüber hinausgehende Zeiträume, durch die allein der Kläger belastet sein kann. Im Ergebnis zutreffend lehnt das Berufungsgericht eine analoge Anwendung der Norm ab. Deren bedarf es vorliegend allerdings schon von vornherein deshalb nicht, weil eine Regelung über "Folgezeiträume", auf die § 96 SGG seit dem 1.4.2008 grundsätzlich keine Anwendung mehr findet (vgl die Nachweise bei Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Auflage 2017, § 96 RdNr 4), nicht vorliegt. Die Ablehnung der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer eröffnet den Streit um entsprechende Rechte und Ansprüche grundsätzlich bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (§ 43 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 SGB VI). Die erneute Ablehnung nach gleichzeitiger Weitergewährung betrifft einen Teil des bereits streitigen Zeitraums und nicht etwa einen nachfolgenden Zeitraum, der wegen eines notwendigen Wechsels der Tatsachengrundlage prozessual gesondert zu betrachten wäre.
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Der Kläger hat die kraft gesetzlicher Fiktion erhobene Klage gegen die Rentenablehnung im Bescheid vom 15.10.2015 auch nicht etwa zurückgenommen. Eine ausdrückliche oder sinngemäße Erklärung dieses Inhalts fehlt. Der vom Berufungsgericht "sachdienlich gefasste" Antrag gibt das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) des Klägers gerade nicht vollständig wieder. Zur Beseitigung etwaiger Zweifel hätte es im Übrigen nahe gelegen, den Kläger zu einer entsprechenden Klarstellung aufzufordern (§ 153 Abs 1, § 106 Abs 1 SGG). Hierzu wäre die mündliche Verhandlung der geeignete und vom Gesetz grundsätzlich vorgesehene Ort schon deshalb gewesen (§ 112 Abs 2 S 2 SGG), weil sich bereits das SG ohne jede Erwähnung des ihm offenbar vorliegenden Bescheides vom 15.10.2015 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ermächtigt gesehen hatte.
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Das LSG hat nach alledem zu Unrecht nicht über die weitere Rentenablehnung im Bescheid vom 15.10.2015 entschieden. Die fehlende Berücksichtigung dieses Verwaltungsakts im Bescheid vom 15.10.2015 ist - ungeachtet der obiter dicta des LSG - jedenfalls hinsichtlich der Zeit ab dem 1.12.2018 potenziell ergebnisrelevant. Das Berufungsgericht lässt bei seinen Ausführungen zu den Erfolgsaussichten in der Sache, zu denen es nach eigener Rechtsauffassung zur Zulässigkeit der Klage nicht als gesetzlicher Richter berufen war, alle weiteren Erkenntnisse unberücksichtigt, auf denen die Weiterbewilligung der Rente für die Zeit vom 1.12.2015 bis 30.11.2018 durch die Beklagte beruht. Die abstrakten Ausführungen zu den Voraussetzungen der Zeitrentenbewilligung sind insofern ohne Erkenntniswert.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
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