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BSG 24.10.2013 - B 13 R 83/13 B
BSG 24.10.2013 - B 13 R 83/13 B - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Entscheidung in Abwesenheit eines Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war
Normen
§ 62 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 126 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 93 Abs 1 Nr 1 SGB 6, § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB 6
Vorinstanz
vorgehend SG München, 29. Juni 2012, Az: S 26 R 2736/11, Gerichtsbescheid
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 17. Januar 2013, Az: L 6 R 594/12, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2013 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. In der Sache ist die Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Altersrente des Klägers streitig.
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Der im Jahr 1947 geborene Kläger bezieht seit 1.4.2007 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Auf diese Rente wird seine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung angerechnet. Nach bereits vorangegangenem Klageverfahren wegen dieser Anrechnung (Bayerisches LSG vom 29.2.2008 - L 6 R 829/07; Senatsbeschluss vom 21.4.2008 - B 13 R 143/08 B; Bayerisches LSG vom 20.11.2009 - L 6 R 896/09 WA) hat sich der Kläger erneut gegen die Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf seine Altersrente durch Bescheid vom 13.10.2011 gewendet.
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Das Widerspruchsverfahren (Bescheid vom 13.1.2012) sowie das Klage- und Berufungsverfahren blieben ebenfalls erfolglos (Gerichtsbescheid vom 29.6.2012; Urteil des Bayerischen LSG vom 17.1.2013). Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anrechnung der Verletztenrente rechtmäßig erfolgt sei (§ 93 Abs 1 Nr 1 SGB VI), wobei ein nach der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer MdE von 30 vH entsprechender Betrag unberücksichtigt geblieben sei (§ 93 Abs 2 Nr 2a SGB VI). Diese Gesetzeslage habe das BSG für rechtens erachtet (Hinweis auf BSG vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R - BSGE 95, 159 = SozR 4-2600 § 93 Nr 7; Senatsurteil vom 27.8.2009 - B 13 R 14/09 R - BSGE 104, 108 = SozR 4-2600 § 93 Nr 13).
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Der Kläger ist am 5.12.2012 zur mündlichen Verhandlung am 17.1.2013 geladen worden. Sein persönliches Erscheinen war angeordnet. Mit Schriftsatz vom 16.1.2013, beim LSG am 17.1.2013 eingegangen, hat er ausgeführt:
"zu der mündlichen Verhandlung, 17. Januar 2013 bitte ich zu entschuldigen, da ich infolge der Erkältung mit Halsbeschwerden und dem Problem zu sprechen belastet bin."
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In diesem, wie auch in den vorangegangenen Schriftsätzen vom 6.1.2013 und vom 18.12.2012 hat er zur Sache vorgetragen.
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Die Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 17.1.2013 weist aus, dass der Kläger nicht erschienen war; es heißt ferner:
"Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 16.01.2013 aus gesundheitlichen Gründen entschuldigt. Eine Vertagung des Termins wurde nicht beantragt."
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Nach Beratung erging folgender Beschluss:
"Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers wird aufgehoben."
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Das LSG hat den Rechtsstreit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.1.2013 entschieden und seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG München zurückgewiesen.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG). Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Das LSG habe den Rechtsstreit nicht in seiner Abwesenheit entscheiden dürfen. Mit Schriftsatz vom 16.1.2013 habe er zumindest konkludent einen Verlegungsantrag gestellt, den das LSG nicht beachtet habe.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
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Der Kläger hat den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) gerügt.
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Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Denn das LSG hat mit der Entscheidung über die Berufung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.1.2013 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 1 SGG), muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5 mwN). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden. Ein erheblicher Grund in diesem Sinn liegt vor, wenn der Beteiligte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, sich für den Termin begründet entschuldigt hat. Er darf dann darauf vertrauen, dass er noch Gelegenheit zur Äußerung erhält. Eines ausdrücklichen Vertagungsantrages bedarf es dann nicht mehr (stRspr, vgl BSG vom 27.1.1993 - 6 RKa 19/92 - Juris RdNr 17; vom 1.8.1978 - 7 RAr 42/77 - Juris RdNr 13).
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Dies gilt auch dann, wenn wie hier die Ladung einen Hinweis auf § 126 SGG enthielt, wonach im Falle des Ausbleibens des Klägers Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne und die Entscheidung auch nach Lage der Akten ergehen könne. Denn ungeachtet des Hinweises auf § 126 SGG hat das Gericht durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zum Ausdruck gebracht, dass es auf seine Anwesenheit Wert lege bzw diese für erforderlich halte. Daher muss das Gericht in jedem Fall prüfen, ob es ohne Anhörung eines der Beteiligten entscheiden kann. Hat sich der Beteiligte vor dem Termin ordnungsgemäß entschuldigt, hat das Gericht diesen - jedenfalls wenn er nicht rechtskundig vertreten ist - auch ohne Vorliegen eines förmlichen Terminverlegungsantrags umgehend zu verständigen, sofern die mündliche Verhandlung gleichwohl stattfinden und der Rechtsstreit durch Urteil entschieden werden soll. Denn das Gericht ändert damit seine erkennbare Einstellung zur Gebotenheit einer persönlichen Anhörung des Beteiligten und hat ihm dies im Rahmen einer fairen Verfahrensführung zur Vermeidung von Überraschungen rechtzeitig vor dem Termin bekanntzugeben (stRspr, vgl Senatsbeschluss vom 16.12.1993 - 13 RJ 37/93 - Juris RdNr 19; BSG vom 7.2.2001 - B 9 VM 1/00 B - Juris RdNr 6; vom 12.4.2000 - B 9 VG 11/99 B - Juris RdNr 6).
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So liegt der Fall hier. Nachdem der Kläger seine Abwesenheit im Schriftsatz vom 16.1.2013 wegen einer Erkältung mit Hals- und Sprechbeschwerden auch nach Ansicht des LSG entschuldigt hatte, hätte das Gericht den Kläger über die beabsichtigte Entscheidung in seiner Abwesenheit informieren müssen. Das ist hier nicht erfolgt. Denn ausweislich der Akten des LSG ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass das LSG auch nur versucht hätte, vor seiner Entscheidung Kontakt mit dem Kläger aufzunehmen. Daher kann der Senat offenlassen, wie zu verfahren wäre, wenn bei einer am Tag der mündlichen Verhandlung eingehenden Entschuldigung kein Kontakt mit dem Kläger hergestellt werden kann.
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Die unterbliebene Vertagung des Termins stellt sich als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren dar (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und ist damit ein wesentlicher Mangel des Verfahrens. Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R, Juris RdNr 13; BSG vom 16.11.2000, SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B, Juris RdNr 18).
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Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Daher kann dahinstehen, ob der Kläger auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache formgerecht dargelegt hat.
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
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