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BVerfG 21.09.2024 - 1 BvQ 57/24
BVerfG 21.09.2024 - 1 BvQ 57/24 - Erfolgreicher Eilantrag einer Rundfunkanstalt bzgl der Nennung einer Kleinpartei in der Ergebnisberichterstattung zur Landtagswahl in Brandenburg 2024 - Folgenabwägung
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, Art 21 Abs 1 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 123 Abs 1 VwGO
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 18. September 2024, Az: OVG 3 S 109/24, Beschluss
vorgehend VG Berlin, 10. September 2024, Az: VG 2 L 119/24, Beschluss
Tenor
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Die Wirksamkeit des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. September 2024 - OVG 3 S 109/24 - wird bis zu einer Entscheidung über eine erhobene Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten ausgesetzt.
Gründe
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A.
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Der Antragsteller als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wendet sich gegen den oberverwaltungsgerichtlichen Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der er verpflichtet worden ist, in seinen Ergebnispräsentationen zu der am 22. September 2024 in Brandenburg stattfindenden Landtagswahl unter bestimmten Voraussetzungen Wahlergebnisse der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei) in seinem Landesfernsehprogramm auszuweisen.
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I.
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1. Der Landesverband Brandenburg der Tierschutzpartei beantragte beim Verwaltungsgericht Berlin am 28. August 2024 den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit ihr sollte der Antragsteller verpflichtet werden, in allen Ergebnispräsentationen zur brandenburgischen Landtagswahl in seinem Landesfernsehprogramm am 22. und 23. September 2024 die (voraussichtlichen) Wahlergebnisse des Antragstellers auszuweisen, sofern er gemäß der jeweils präsentierten Prognose beziehungsweise Hochrechnung beziehungsweise dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mindestens zwei Prozent erreicht und dadurch insgesamt nicht mehr als zehn Landeslisten gesondert ausgewiesen werden müssen.
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Zur Begründung verwies die Tierschutzpartei unter anderem auf die Chancengleichheit der Parteien außerhalb von Wahlkampfzeiten. Die Mobilisierung von neuen Mitgliedern und Spenden sei von Verfassungs wegen geschützt, während eine Sperrklausel allein der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments diene. Der Staat sei verpflichtet, den negativen Effekt der Sperrklausel auf kleine Parteien aktiv auszugleichen. Der Rundfunk sei verpflichtet, bedeutende Meinungen in seiner Berichterstattung zu berücksichtigen. Bedeutsam seien auch Parteien, die nicht über die Sperrklausel gekommen seien. Die Nachwahlberichterstattung sei dazu geeignet, die zukünftigen Chancen der Parteien zu beeinflussen. Für das Offenhalten einer kurzfristigen Anpassung des redaktionellen Konzepts könne sich der Antragsteller nicht pauschal auf seine Rundfunkfreiheit beziehen. Eine Anpassung nach den ersten Hochrechnungen indiziere eine Ergebnisabhängigkeit des redaktionellen Vorgehens, das weder mit dem Anspruch auf Chancengleichheit der Tierschutzpartei noch mit ihrem Anspruch auf willkürfreie Entscheidung in Einklang zu bringen sei. Ein Eingriff in die publizistische Freiheit des Antragstellers verkürze diese nicht dauerhaft. Ohnehin bestehe bei der Präsentation von Prognosen und Hochrechnungen ein deutlich geringerer Gestaltungsspielraum.
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2. Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte den Antrag mit Beschluss vom 10. September 2024 - VG 2 L 119/24 - ab. Der Anordnungsanspruch ergebe sich weder aus § 5 Abs. 1 Satz 1 PartG noch aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG. Der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit sei allenfalls in geringem Maße berührt, wenn der Antragsteller nach seinem Konzept das (voraussichtliche) Wahlergebnis der Tierschutzpartei erst ab einem Wert von drei Prozent gesondert ausweise. Selbst wenn der Tierschutzpartei ein Ergebnis von mindestens zwei Prozent gelingen sollte, seien die Auswirkungen einer unterbleibenden Nennung in der Nachwahlberichterstattung auf die erst in fünf Jahren anstehenden Landtagswahlen nicht greifbar. Dass das Fernsehpublikum das Ergebnis in Erinnerung behalte, sei eher fernliegend. Die Benachteiligung beim Einwerben von Spenden und Mitgliedsbeiträgen stelle eine bloße Vermutung dar. Der Eingriff in die Programmgestaltung berühre sie umgekehrt nur in einem Randbereich und ihm komme nur ein geringes Gewicht zu. Praktische Schwierigkeiten zur technischen Umsetzung der Darstellung des (voraussichtlichen) Wahlergebnisses seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Allerdings berufe sich der Antragsteller mit Erfolg auf die redaktionelle Ausgestaltung seines Sendekonzepts, grundsätzlich nur über mandatsrelevante Aspekte zu berichten beziehungsweise auf Ergebnisse reagieren zu können, die nach seiner redaktionellen Vorstellung von öffentlichem Interesse seien. Die von der Tierschutzpartei erstrebte Ergebnisdarstellung verlagere den Fokus der Nachwahlberichterstattung und schränke die vom Sendekonzept angestrebte Flexibilität ein. Zu denken sei an das Erreichen eines Wahlergebnisses über zwei Prozent von zehn der 14 zur Wahl stehenden Landeslisten. Die damit erforderlichen Ergebnisauswertungen führten zur Verschiebung des redaktionellen Fokus. Im Übrigen sei dem Anspruch auf Chancengleichheit unter Berücksichtigung des wahlbezogenen Gesamtprogramms des Antragstellers genüge getan, wofür auch sein Internetauftritt zu berücksichtigen sei.
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3. Den Beschluss des Verwaltungsgerichts änderte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit seinem Beschluss vom 18. September 2024 - OVG 3 S 109/24 - ab. Es verpflichtete den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung, in allen Ergebnispräsentationen zur brandenburgischen Landtagswahl in seinem Landesfernsehprogramm am 22. und 23. September 2024 die (voraussichtlichen) Wahlergebnisse des Antragstellers auszuweisen, sofern er gemäß der jeweils präsentierten Prognose beziehungsweise Hochrechnung beziehungsweise dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mindestens zwei Prozent erreicht und dadurch insgesamt nicht mehr als zehn Landeslisten gesondert ausgewiesen werden müssen.
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Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht insbesondere aus, dass sich der Anordnungsanspruch aus dem durch Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit ergebe. Dieses Recht gelte auch im Zusammenhang mit der in Rede stehenden (Nachwahl-)Berichterstattung am Wahlabend nach Schließung der Wahllokale sowie am Folgetag. Denn Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schütze das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit und damit auch über die Zeit des Wahlkampfes hinaus. Hinzu komme, dass die – noch in einem engen Zusammenhang mit der Wahl stehende – Fernsehberichterstattung über die Feststellung des Wahlergebnisses am Wahlabend und am Folgetag üblicherweise eine besonders hohe öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehe und damit eine erhebliche Publizitätswirkung entfalte. Der Präsentation des Wahlergebnisses komme sowohl für die Parteien, die sich zur Wahl gestellt haben, als auch für die Wählerinnen und Wähler eine große Bedeutung zu. Es sei plausibel, dass die Publizität, die mit einer Ausweisung des individuellen Wahlergebnisses in der Fernsehberichterstattung am Wahlabend verbunden sei, erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung kleinerer Parteien mit Ergebnissen unterhalb der Hürde von fünf Prozent haben könne und deren Aussichten auf weiteren Wählerzuspruch, sonstige Unterstützung oder eine stärkere öffentliche Auseinandersetzung mit ihr und ihren Anliegen – unter Umständen erheblich – fördere. Diese Bedeutung, die der Präsentation des Wahlergebnisses gerade für kleinere Parteien zukomme, werde unzulässig verkürzt, wenn man vorrangig darauf abstelle, dass die nächsten Landtagswahlen erst in fünf Jahren stattfänden. Demgegenüber sei eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit des Antragstellers nicht zu erkennen. Die allein geforderte gesonderte Nennung der von der Tierschutzpartei erzielten (voraussichtlichen) Wahlergebnisse in Ergebnispräsentationen lasse sich ohne erhebliche Änderungen des redaktionellen Konzeptes der zur Nachwahlberichterstattung geplanten Fernsehsendungen bewerkstelligen. Die einstweilige Anordnung beziehe sich (nur) auf die Ergebnispräsentationen, wie sie in Wahlsendungen regelmäßig in Schaubildern oder einem durchlaufenden Band erfolge. Dass die gesonderte Nennung des Ergebnisses, wenn es mindestens zwei Prozent betrage, sowie gegebenenfalls – aus Gründen der Gleichbehandlung – eines entsprechenden Ergebnisses anderer Parteien die Darstellung überfrachteten oder eine Unübersichtlichkeit zur Folge hätte, die die Auffassungsgabe der Zuschauer überstrapazieren könnte, habe der Antragsteller schon nicht nachvollziehbar dargelegt.
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II.
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Der Antragsteller beantragt mit seinem am 20. September 2024 eingegangenen Schriftsatz, den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben, hilfsweise dessen Vollziehung auszusetzen.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig. Eine Anhörungsrüge gegen den unanfechtbaren Beschluss des Oberverwaltungsgerichts scheide aus, da der Antragsteller keine Nichtberücksichtigung seines Vorbringens geltend mache. Ihm drohe bei Nichterlass der Anordnung ein schwerer Nachteil. Er müsse im Rahmen aller Ergebnispräsentationen sämtliche Parteien mit einem Stimmanteil von mindestens zwei Prozent separat ausweisen, obwohl das im Rahmen der Rundfunkfreiheit frei und ohne staatliche Einflüsse zu gestaltende Sendekonzept eine separate Ausweisung in allen Ergebnispräsentationen nur für Parteien mit Mandatsrelevanz, das heiße Parteien, die tatsächlich in den Landtag einziehen könnten, oder mit sonstigem öffentlichen Interesse vorsehe. Der Antragsteller müsse Inhalte präsentieren, wofür es kein redaktionelles Erfordernis gebe, weil das erforderliche öffentliche Interesse nicht bestehe. Die Rundfunkfreiheit sei von besonderer Bedeutung im Wertsystem des Grundgesetzes und für die Verfassungsprinzipien der (staats-)freien Presse und des (staats-)freien beziehungsweise staatsfernen Rundfunks. Die gerichtliche Anordnung entbehre einer sachlichen Grundlage, da weder deutlich werde, warum nicht auch Parteien mit einem Stimmanteil von unter zwei Prozent auszuweisen seien, noch klar sei, warum Parteien mit zwei Prozent der Stimmen genauso dargestellt werden sollten wie Parteien, die künftig im Landtag vertreten seien.
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2. Der Antrag sei auch begründet. Hierzu führt der Antragsteller insbesondere aus, dass es seiner journalistisch-fachlichen, an qualitativen Maßstäben ausgerichteten Entscheidung überlassen bleiben müsse, wie er die Inhalte seiner Sendungen auswähle und welche Zeit und welchen Stellenwert er den verfügbaren Informationen für den Ablauf einer linearen Nachrichtensendung einräume. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die Berichterstattung am Wahlabend eine verfassungsrechtlich relevante Bedeutung für die zukünftigen Wahlchancen einer Partei habe, stelle sich als reine Spekulation dar. Seine Auffassung, von der Tierschutzpartei könne eine Glaubhaftmachung des konkreten Einflusses auf künftige Wahlentscheidungen nicht verlangt werden, sei ein Zirkelschluss, weil dieser auf der unzutreffenden Annahme eines grundsätzlichen Einflusses beruhe. Mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stehe der Antragsteller vor der Aufgabe, auch weitere Parteien in den Ergebnispräsentationen auszuweisen. Das erhöhe die Eingriffsintensität. Würde der einstweiligen Anordnung nicht stattgegeben, verändere sich die Wahlberichterstattung in erheblichem Maße.
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III.
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Der Tierschutzpartei ist mit Verfügung vom 20. September 2024 gemäß § 23 Abs. 2 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Sie führt unter anderem aus, dass es an einer Darlegung eines schweren Nachteils fehle. Bei seiner Beurteilung gehe es um nicht nur reflexhafte Beeinträchtigungen lediglich in Randbereichen der redaktionellen Freiheit. Die Einschränkung geschehe hier schon durch die gesetzliche Pflicht des Antragstellers zur umfassenden Information. Er sei zur Ausübung seiner Grundrechtsfähigkeit gerade im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben und Schranken berechtigt. Es handele sich um eine dienende Freiheit. Er sei zur umfassenden Berichterstattung verpflichtet. Umgekehrt habe das Oberverwaltungsgericht die Nachteile der Tierschutzpartei begründet. Wahlergebnisse würden nicht nur als abstrakte Zahl zur Kenntnis genommen, sondern mit mindestens zwei Prozent der Stimmen als ernstzunehmendes Wahlergebnis eingeordnet. Hieran würden sich Zuschauer erinnern. Die Nennung kleiner Parteien zwischen zwei und drei Prozent habe positive Auswirkungen. Ohne Nennung hätten sie Nachteile im anschließenden Wettbewerb um Unterstützung.
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B.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
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I.
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Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Es ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache anhängig ist; ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann auch isoliert und im Vorgriff auf eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gestellt werden (vgl. BVerfGE 105, 235 238>; 113, 113 119 f.>). Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, sind die Erfolgsaussichten einer zu erhebenden Verfassungsbeschwerde nur insoweit relevant, als diese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erwiese. Bei offenem Ausgang eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes angeführt werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht muss die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 7, 367 371>; 131, 47 55>; 132, 195 232>; 134, 138 140 Rn. 6>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 131, 47 55>; 132, 195 232>; stRspr).
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II.
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In Anwendung dieses Maßstabs ist die Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung auszusetzen (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) und die Anordnung in der bestimmten Weise zu befristen (§ 32 Abs. 6 Satz 1 BVerfGG).
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1. Eine bisher nicht erhobene Verfassungsbeschwerde erscheint nach dem Stand des derzeitigen Vorbringens des Antragstellers weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Sie beträfe Fragen des Verhältnisses von Rundfunkfreiheit und Parteiengleichheit für die Berichterstattung über Wahlergebnisse und seine Hochrechnungen am Wahlabend sowie dem Folgetag und damit nach Schließung der Wahllokale. Diese Fragen können in der Kürze der verfügbaren Zeit nicht abschließend beantwortet werden.
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2. Die demnach gebotene Beurteilung und Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs des Antrags einträten, führt im vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht sprechen.
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a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich eine Verfassungsbeschwerde in einem Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, hätte der Antragsteller auf der Grundlage der Wirkungen des angegriffenen Beschlusses sein redaktionelles Konzept zur Berichterstattung über das (voraussichtliche) Wahlergebnis anzupassen. Dies hätte er in den Sendungen dann schon umsetzen müssen. Dabei hätte er vorzusehen, dass er bei allen Ergebnispräsentationen (voraussichtliche) Wahlergebnisse von mindestens zwei Prozent berücksichtigt. Sie müssten erst dann nicht berücksichtigt werden, wenn mehr als zehn Landeslisten gesondert auszuweisen wären.
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Mit dieser Maßgabe für das redaktionelle Konzept des Antragstellers können im Sendungsablauf absehbar insofern Änderungen verbunden sein, als eine breitere graphische und erläuternde Darstellung erforderlich werden kann. Sie kann wegen der Einblendung umfänglicherer Grafiken und damit einhergehenden erläuternden Moderationen mehr Zeit als nach dem bisherigen redaktionellen Konzept in Anspruch nehmen. Dies reduzierte umgekehrt Sendezeit für andere konzipierte Schwerpunkte und Inhalte der Sendungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der durch das Oberverwaltungsgericht gezogenen Grenze von bis zu zehn gesondert auszuweisenden Ergebnissen von mindestens zwei Prozent durchaus merkliche Verschiebungen in der Ergebnispräsentation einhergehen können und sie deutlich umfänglicher als geplant ausfallen kann. Damit hat die angegriffene Entscheidung im vorliegenden Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Parteien gerade weiterreichende Auswirkungen, obwohl sich der tatsächliche Umfang der Verschiebungen wegen der Ungewissheit über (voraussichtliche) Wahlergebnisse naturgemäß nicht im Vorhinein eingrenzen lässt.
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Die Nachteile für den Antragsteller stellen sich weiterhin gerade unter Berücksichtigung der Natur des aus dem angegriffenen Beschluss folgenden Eingriffs als von erheblichem Gewicht dar. Es handelt sich um einen Eingriff in die redaktionelle Gestaltungsfreiheit bei der Erstellung und Umsetzung von Konzepten für eine Rundfunksendung. Die Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit. Sie gewährleistet, dass der Rundfunk frei von externer Einflussnahme entscheiden kann, wie er eine publizistische Aufgabe erfüllt (vgl. BVerfGE 87, 181 201>; 90, 60 87>; 97, 298 310>; 114, 371 389 f.>). Die Programmfreiheit bedeutet ein Verbot nicht nur staatlicher, sondern jeder fremden Einflussnahme auf Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung der Programme (vgl. BVerfGE 59, 231 258>). Daher steht das Grundrecht ohne Rücksicht auf öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsformen, auf kommerzielle oder gemeinnützige Betätigungen jedenfalls allen natürlichen und juristischen Personen zu, die Rundfunkprogramme veranstalten (vgl. BVerfGE 95, 220 234>; 97, 298 310>). In diese Gewährleistungsdimension der Rundfunkfreiheit greift die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts tiefgehend ein; dies gilt ungeachtet der Prüfung einer Rechtfertigung des Eingriffs im Verhältnis zu den Rechten der an der Wahl teilnehmenden Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG. In Rede steht nicht die Frage, ob der Antragsteller überhaupt unterhalb der Grenze von fünf Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BbgLWahlG ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Ergebnisdarstellung berücksichtigen wird. Dafür ist sein Sendekonzept gerade offen. Vielmehr geht es um die Bewertung, ab wieviel Prozent der Stimmenanteile unterhalb mandatsrelevanter Ergebnisse deren Präsentation einzusetzen hat. Die Kriterien für die Festlegung dieser Grenze sind weder im Tatsächlichen noch verfassungsrechtlich eindeutig bestimmbar. Die vom Oberverwaltungsgericht gezogene Grenze folgt keinen sachlich zwingenden Gründen. Eine andere Festlegung ließe sich gleichfalls vertreten. Die Festlegung der genauen Grenze kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und zudem nicht abstrakt im Vorhinein erfolgen. Denn sie muss auch Stimmbewegungen im Vergleich zu vorausgegangenen Wahlergebnissen in diesem Bereich berücksichtigen, die sich gegebenenfalls erst im Verlauf der Hochrechnungen und (Teil-)Ergebnisse in der Sendung ergeben können. Eine Determinierung im Vorhinein, welcher Bandbreite an Wahlergebnissen unterhalb von fünf Prozent Stimmenanteil jedenfalls Bedeutung zukommt, nimmt im nicht immer vorhersehbaren Verlauf der Programmgestaltung etwaig notwendig werdende Spielräume zur Anpassung eines redaktionellen Konzepts. Die Spielräume der Ergebnispräsentation werden durch die angegriffene Entscheidung stark vorgezeichnet und umgekehrt wird die Programmfreiheit deutlich eingeschränkt, obwohl der Schwerpunkt des Interesses an der Berichterstattung über die (voraussichtlichen) Ergebnisse der Wahl ein anderer ist. Der Schwerpunkt liegt auf der Zusammensetzung des Parlaments und den dortigen Mehrheiten für mögliche Regierungsbildungen.
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b) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, kann es dazu kommen, dass es an einer Repräsentation der Tierschutzpartei bei der Präsentation des Antragstellers über die Ergebnisse fehlen wird. Diese Einbuße an Repräsentanz in der Nachwahlberichterstattung ist mit Blick auf die von Art. 21 Abs. 1 GG den Parteien gewährleisteten Rechte nicht von erheblichem Gewicht.
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Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit (vgl. BVerfGE 148, 11 26 Rn. 46>; 154, 320 336 Rn 48>; 166, 93 157> Rn. 172). Zwar kann der Ausschluss von gerade publikumswirksamen Sendungen die Chancen einer Partei im Wettbewerb mit anderen Parteien unter Umständen nachhaltig verschlechtern. Dies gilt namentlich für die Vorwahlberichterstattung (vgl. BVerfGE 82, 54 59>). In dem vorliegenden Fall handelt es sich hingegen um eine Nachwahlberichterstattung, die zu den Chancen einer Partei bei Wahlen allenfalls einen mittelbaren Bezug hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Oktober 2023 - 2 BvQ 189/23 -, Rn. 18). Denn in diesem Zeitpunkt endete bereits das Werben der Parteien um Wählerstimmen und ist nur für die Zukunft relevant. Ein zeitlicher Zusammenhang mit sich unmittelbar anschließenden Wahlen ist hier jedoch nicht gegeben. Ein unmittelbarer Bezug folgt auch nicht aus den künftigen Bemühungen der Tierschutzpartei um die Werbung neuer Mitglieder und das Einwerben von Spenden an die Partei. Dafür erscheint die Nachwahlberichterstattung für Parteien, die die Sperrklausel (voraussichtlich) verfehlen, nicht von entscheidendem Einfluss. Denn das Interesse an der Nachwahlberichterstattung ist zuvörderst auf die Sitzverteilung im künftigen Parlament und den Einfluss der dortigen Mehrheitsverhältnisse auf die Bildung der künftigen Regierung gerichtet. Die Frage nach der künftigen Unterstützung von Parteien, die keine Mandate erzielen, wird vielmehr im Nachgang zu der Berichterstattung über die Wahlergebnisse (wieder) in das Interesse rücken. Der Fokus am Wahlabend und am Folgetag, für den das Oberverwaltungsgericht die Anordnung ausgesprochen hat, liegt hierauf nicht. Dafür stehen zuvörderst andere Sendeformate zur Verfügung.
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c) In der Gesamtbeurteilung der sich ergebenden Folgen wiegen die Nachteile, die dem Antragsteller im Fall der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die Nachteile, die für die Tierschutzpartei im Falle der Anordnung entstünden. Während die Einbußen, die sich für die Tierschutzpartei – in Abhängigkeit von den (voraussichtlichen) Wahlergebnissen – einstellen können, nicht von erheblichem Gewicht für die künftigen Chancen im Parteienwettbewerb sind, wären die Nachteile für die Rundfunkfreiheit des Antragstellers im Zeitpunkt seiner Berichtserstattung erheblich. Schon aus dieser unterschiedlichen Eingriffsintensität in die Gewährleistungsgehalte der Rundfunkfreiheit einerseits und die Chancengleichheit der Parteien andererseits folgt das Überwiegen der Nachteile des Antragstellers.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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