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BVerfG 14.12.2023 - 2 BvR 1233/23
BVerfG 14.12.2023 - 2 BvR 1233/23 - Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Versagung von Räumungsschutz ohne hinreichende Aufklärung drohender Gesundheitsgefahren verletzt Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art 2 Abs 2 S 1 GG - zu den Voraussetzungen einer "Neubewertung der Sachlage" iSd § 765a Abs 4 ZPO
Normen
Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 765a Abs 1 S 1 ZPO, § 765a Abs 3 ZPO, § 765a Abs 4 ZPO, § 885 Abs 1 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend BVerfG, 7. September 2023, Az: 2 BvR 1233/23, Einstweilige Anordnung
vorgehend LG München I, 20. Juli 2023, Az: 14 T 8623/23, Beschluss
Tenor
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1. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 20. Juli 2023 - 14 T 8623/23 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.
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2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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3. Die einstweilige Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus dem Endurteil des Amtsgerichts München vom 15. Juni 2022 - 461 C 6326/21 - sowie dem Endurteil des Landgerichts München I vom 19. Oktober 2022 - 14 S 7692/22 - wird, soweit die Beschwerdeführerin zur Räumung und Herausgabe der von ihr innegehabten Wohnung einschließlich des zugehörigen Kellerabteils verurteilt worden ist, bis zu einer erneuten Entscheidung des Landgerichts über die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin verlängert.
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4. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen einschließlich der im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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I.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde begehrt die Beschwerdeführerin die Verlängerung eines Räumungsschutzes.
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1. Die Beschwerdeführerin (81 Jahre alt) war seit den 1980er Jahren Mieterin einer Wohnung in (…), die sie zusammen mit ihrem Ehemann angemietet hatte. In der Wohnung wohnt derzeit neben der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann auch deren volljähriger Sohn. Aufgrund mehrfachen Fehlverhaltens des Sohnes gegenüber anderen Bewohnern des Hauses kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis. Das Amtsgericht München bestätigte mit Urteil vom 15. Juni 2022 - 461 C 6326/21 - die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen und verurteilte die Beschwerdeführerin, ihren Ehemann und ihren Sohn zur Räumung der Wohnung bis zum 31. Oktober 2022. Die dagegen eingelegte Berufung wies das Landgericht München I mit Urteil vom 19. Oktober 2022 - 14 S 7692/22 - zurück.
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2. Nachdem Termin zur zwangsweisen Räumung auf den 26. Mai 2023 bestimmt worden war, stellte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit Schriftsätzen vom 6. und 15. Mai 2023 einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO, mit dem er die Einstellung der Zwangsvollstreckung für sechs Monate begehrte. Er begründete den Antrag mit einem am 29. März 2023 erfolgten Suizidversuch der Beschwerdeführerin, der zu einer stationären Aufnahme in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses geführt habe. Auf den Antrag hin stellte das Amtsgericht München (Abteilung für Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen) mit Beschluss vom 17. Mai 2023 - 1535 M 40647/23 - die Zwangsvollstreckung bis zum 31. August 2023 einstweilen ein. Zur Begründung verwies es darauf, dass im Hinblick auf die vorgelegten Atteste des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie (…) im Hinblick auf die weiterbestehenden Rahmenbedingungen die Gefahr eines erneuten Suizidversuchs bestehe. Von den Räumungsschuldnern sei allerdings zu verlangen, dass sie alles Zumutbare unternähmen, um die Gefahr einer Suizidalität der Beschwerdeführerin möglichst auszuschließen und bis zum 31. August 2023 eine Ersatzwohnung zu finden.
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3. Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin, in Abänderung des Beschlusses vom 17. Mai 2023 nach § 765a Abs. 4 ZPO die Einstellung der Zwangsvollstreckung zu verlängern. Er bezog sich dabei auf ein nunmehr vorliegendes, am 26. Mai 2023 ausgestelltes Attest einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, wonach sich die Beschwerdeführerin aufgrund einer Zustandsverschlechterung einer rezidivierend depressiven Störung, gegenwärtig schwerer Episode, (erneut) in stationärer Behandlung befinde; diese werde voraussichtlich vier bis fünf Wochen in Anspruch nehmen. Mit Beschluss vom 7. Juni 2023 - 1535 M 40647/23 - wies das Amtsgericht München den Antrag zurück. Aus dem vorgelegten Attest vom 26. Mai 2023 gehe nicht hervor, dass sich gerade aufgrund der drohenden Räumung die gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführerin erheblich verschlechtern würden. Ein weiteres Zuwarten könne den Gläubigern nicht zugemutet werden.
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4. Gegen diesen Beschluss legte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 14. Juni 2023 sofortige Beschwerde ein und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom 17. Juli 2023 insbesondere die Begutachtung der Beschwerdeführerin durch einen (internistischen) Facharzt. In diesem Zusammenhang legte er einen Entlassungsbericht des Krankenhauses vom 14. Juni 2023 vor. Darin ist insbesondere aufgeführt, dass keine Hinweise auf eine akute Suizidalität der Beschwerdeführerin bestünden und die Beschwerdeführerin in psychopathologisch teilgebessertem Zustand entlassen werde. Der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin wies in seinem Schriftsatz vom 14. Juni 2023 darauf hin, dass innerhalb der stationären Behandlung nicht mehr erzielt worden sei als eine Stabilisierung. Zum Beleg der weiteren gesundheitlichen Entwicklung der Beschwerdeführerin legte er einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 13. Juli 2023 vor. Dort wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus telefonisch mit dem Facharzt in Kontakt stehe. Die Beschwerdeführerin sei mittlerweile so schwach und ängstlich, dass sie ihr Haus nicht mehr verlassen könne. In dieser Verfassung sei sie nicht in der Lage, sich um eine Wohnung zu kümmern. Eine Besserung in absehbarer Zeit sei vorerst nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführerin habe wiederholt den Wunsch geäußert zu sterben. Die weitere Prognose sei negativ zu bewerten. Aus psychiatrischer Sicht könne nur erneut für den Verbleib in der bisherigen Wohnung plädiert werden, sofern die Familie der Beschwerdeführerin keine umfassende Unterstützung bei der Wohnungssuche erhalte.
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Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Juli 2023 - 14 T 8623/23 - wies das Landgericht München I die sofortige Beschwerde zurück. Eine Verlängerung des Räumungsschutzes komme nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin berufe sich ohne Erfolg auf ihren Gesundheitszustand. Dabei werde nicht verkannt, dass die Beschwerdeführerin insbesondere psychisch nicht unerheblich belastet und die Suche nach Ersatzwohnraum in (…) problematisch sei. Weder der Entlassungsbericht des Krankenhauses noch der Befundbericht des Facharztes veranlassten jedoch aufgrund geänderter Sachlage eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Der Entlassungsbericht verhalte sich weder zu den psychischen noch zu den physischen Folgen einer Zwangsräumung. Der Befundbericht gehe auf die etwaigen Folgen einer Räumung ebenfalls nicht ein. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringe, sie könne sich an einer Wohnungssuche nicht beteiligen, rechtfertige dies die Verlängerung des Räumungsschutzes ebenfalls nicht. Denn es sei nicht vorgetragen, dass sich der Ehemann und der gemeinsame Sohn, denen ebenfalls die Wohnungssuche obliege, intensiv um eine solche Suche bemüht hätten.
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II.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
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Der angegriffene Beschluss verkenne, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Sache der Fachgerichte sei, eine möglichst weitgehende Sachaufklärung nicht nur im Bereich der Suizidvermeidung sicherzustellen, sondern auch darüber hinaus. Obwohl die vorgelegten umfangreichen Atteste keinen Zweifel am kritischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ließen, hätten Amts- und Landgericht die Verpflichtung zur eigenen weitergehenden Sachaufklärung verkannt. Die Beschwerdeführerin habe ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, was nicht geschehen sei. Insbesondere hätte der neu eingetretene Umstand, dass die stationäre Behandlung der Beschwerdeführerin erfolglos geblieben sei, die Gerichte zur weiteren Sachaufklärung zwingen müssen. Auch die Verweisung auf die Angehörigen bei der Hilfe zur Wohnungssuche sei nicht mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Danach bestehe eine solche Pflicht zur Hilfe nicht; der Ehemann der Beschwerdeführerin sei aufgrund seiner psychischen und körperlichen Verfassung auch gar nicht in der Lage, bei der Wohnungssuche zu helfen.
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Überdies verstoße die vom Landgericht vorgenommene Beschränkung des Rechtsbehelfs auf den formalen Regelungsinhalt des § 765a Abs. 4 ZPO gegen das Recht auf rechtliches Gehör. Das Landgericht habe verkannt, dass bereits der ursprünglich vom Amtsgericht beschiedene Antrag auf eine Räumungsfrist von sechs Monaten gerichtet gewesen sei, wovon nur drei Monate zugesprochen worden seien. Die Weiterverfolgung des ursprünglichen Begehrens sei gleichzeitig als sofortige Beschwerde gegen die Teilabweisung des Antrags nach § 765a Abs. 1 ZPO durch das Amtsgericht auszulegen gewesen.
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III.
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Auf Antrag der Beschwerdeführerin hat die Kammer am 7. September 2023 eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG erlassen und die Zwangsvollstreckung aus den der Vollstreckung zugrundeliegenden Endurteilen des Amtsgerichts und des Landgerichts einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt, soweit die Beschwerdeführerin zur Räumung und Herausgabe der von ihr innegehabten Wohnung einschließlich des zugehörigen Kellerabteils verurteilt worden ist.
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IV.
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1. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und der Vollstreckungsgläubigerin ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
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a) Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat hiervon keinen Gebrauch gemacht.
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b) Die Vollstreckungsgläubigerin ist der Verfassungsbeschwerde entgegengetreten. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verstoße nicht gegen Art. 2 Abs. 2 GG.
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aa) Aussagen zu einer Gefahr für Leib und Leben der Beschwerdeführerin durch die bevorstehende Räumung enthielten weder der Entlassungsbericht vom 14. Juni 2023 noch der Befundbericht vom 13. Juli 2023. Auch sonstige Atteste zu akuten weiteren Erkrankungen der Beschwerdeführerin, aufgrund derer ihr gerade im Falle einer Räumung schwerwiegende gesundheitliche Gefahren drohten, seien nicht vorgelegt worden. Eine Suizidgefahr werde von der Beschwerdeführerin bereits gar nicht mehr behauptet.
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bb) Darüber hinaus sei das Landgericht schon aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert gewesen, medizinischen Sachverhalten, die bereits dem bestandskräftigen Beschluss des Amtsgerichts vom 17. Mai 2023 zugrunde gelegen hätten und deshalb keine neuen Tatsachen im Sinne von § 765a Abs. 4 ZPO darstellten, nunmehr durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens weiter nachzugehen. Substantiierter Sachvortrag der Beschwerdeführerin zu neu hinzugetretenen, bisher nicht berücksichtigten Erkrankungen der Beschwerdeführerin sei nicht erfolgt. Das Landgericht sei im Übrigen auch zu Recht davon ausgegangen, dass der aktuelle gesundheitliche Zustand der Beschwerdeführerin als solcher ohnehin unbeachtlich sei, da neben der Beschwerdeführerin auch ihr Ehemann und der gemeinsame Sohn zur Räumung verpflichtet seien und nicht ersichtlich sei, dass diese nicht in der Lage wären, eine Ersatzwohnung zu suchen.
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2. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
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V.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet.
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a) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht wegen fehlender Rechtswegerschöpfung unzulässig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des veröffentlichten Beschlusses der Kammer vom 7. September 2023 im einstweiligen Anordnungsverfahren verwiesen (vgl. Rn. 5-8).
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b) Die Verfassungsbeschwerde ist im erkannten Umfang offensichtlich begründet. Insoweit verletzt die angegriffene Entscheidung des Landgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
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aa) Macht der Vollstreckungsschuldner für den Fall einer Zwangsräumung substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend, haben sich die Tatsacheninstanzen − beim Fehlen eigener Sachkunde − zur Achtung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtspositionen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juni 2022 - 2 BvR 447/22 -, Rn. 40 m.w.N.). Eine Gefährdung des unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehenden Rechts des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit kann im Vollstreckungsschutzverfahren nicht nur bei der konkreten Gefahr eines Suizids gegeben sein. Die Vollstreckung kann auch aus anderen Gründen eine konkrete Gefahr für das Leben des Schuldners begründen oder wegen schwerwiegender gesundheitlicher Risiken eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne des § 765a ZPO darstellen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juni 2022 - 2 BvR 447/22 -, Rn. 42 m.w.N.).
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bb) Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht substantiiert ihr drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht. Im vorgelegten Entlassungsbericht des Krankenhauses vom 14. Juni 2023 wird zwar eine akute Suizidalität der Beschwerdeführerin verneint. Im ebenfalls vorgelegten Befundbericht des behandelnden Facharztes für Psychiatrie vom 13. Juli 2023 wird jedoch ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin mittlerweile so schwach und ängstlich sei, dass sie ihr Haus nicht mehr verlassen könne. Eine Besserung in absehbarer Zeit sei nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführerin habe wiederholt den Wunsch geäußert zu sterben; die weitere Prognose sei negativ zu bewerten. Aus psychiatrischer Sicht könne nur erneut für den Verbleib in der bisherigen Wohnung plädiert werden, sofern die Familie der Beschwerdeführerin keine umfassende Unterstützung bei der Wohnungssuche erhalte. Dieser Befund des behandelnden Facharztes hätte für das Landgericht, insbesondere in Anbetracht des nur wenige Monate zuvor erfolgten Suizidversuchs, Anlass geben müssen, weitere Sachaufklärung im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und die mit einer Räumung für sie verbundenen gesundheitlichen Folgen zu betreiben. Die Beschwerdeführerin hatte insoweit auch mit Schriftsatz vom 17. Juli 2023 ausdrücklich ihre fachärztliche Begutachtung beantragt. Demgegenüber erweist sich das Abstellen des Landgerichts allein darauf, dass die ärztlichen Berichte nicht auf die konkreten Folgen einer Räumung eingingen, als unzureichend.
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cc) Das Landgericht war an einer weiteren Sachaufklärung auch nicht dadurch gehindert, dass § 765a Abs. 4 ZPO die Änderung eines Beschlusses nach § 765a Abs. 1 ZPO nur zulässt, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.
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(1) Die Vollstreckungsgerichte haben den Einfluss und die Wertentscheidungen der Grundrechte bei der Handhabung des Verfahrensrechts zu beachten. Dies schließt es aus, bei der Beurteilung der Frage kleinlich zu verfahren, ob sich eine Sachlage so geändert hat, dass eine Aufhebung oder Änderung der im vorangegangenen Vollstreckungsschutzverfahren getroffenen Entscheidung geboten ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 1989 - 1 BvR 536/89 -, juris, Rn. 1). Mit Rücksicht auf die Pflicht des Staates, Verfassungsverletzungen, insbesondere schwerwiegende Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst auszuschließen, ist eine solche Änderung der Sachlage etwa auch dann anzunehmen, wenn der Schuldner zwar ein und dieselbe Krankheit als Vollstreckungshindernis bezeichnet, diese jedoch einen Verlauf genommen hat, welcher bei der vorangegangenen Antragstellung und seiner Bescheidung nicht hat vorhergesehen werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 1989 - 1 BvR 536/89 -, juris, Rn. 1).
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(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist vorliegend von einer Veränderung der Sachlage im Sinne des § 765a Abs. 4 ZPO auszugehen. Das Amtsgericht hatte in seinem Beschluss vom 17. Mai 2023, mit dem es die Zwangsvollstreckung zunächst für drei Monate einstweilen eingestellt hatte, diese hinter dem Antrag zurückbleibende Befristung insbesondere damit begründet, es könne von der Beschwerdeführerin und ihren Familienangehörigen erwartet werden, dass sie innerhalb der Frist alles Zumutbare unternähmen, um die Gefahren der Suizidalität auszuschließen. Das Amtsgericht ist mithin davon ausgegangen, dass nach Ablauf der drei Monate keine wesentlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Beschwerdeführerin mehr vorlägen. Dieser Prognose steht aber der etwa zwei Monate nach der genannten Entscheidung verfasste psychiatrische Befundbericht vom 13. Juli 2023 entgegen, den die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren vorgelegt hat und in dem ihre aktuelle (psychiatrische und sonstige) gesundheitliche Situation ausführlich geschildert wird. Damit liegt in Anbetracht der angeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Neubewertung der Sachlage im Sinne von § 765a Abs. 4 ZPO vor.
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dd) Soweit die Vollstreckungsgläubigerin im Übrigen in ihrer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde ausgeführt hat, das Landgericht sei auch zu Recht davon ausgegangen, dass der aktuelle gesundheitliche Zustand der Beschwerdeführerin als solcher ohnehin unbeachtlich sei, da neben der Beschwerdeführerin auch ihr Ehemann und der gemeinsame Sohn zur Räumung verpflichtet seien und nicht ersichtlich sei, dass diese nicht in der Lage wären, eine Ersatzwohnung zu suchen, ist dies unzutreffend. Das Landgericht hat in der angegriffenen Entscheidung vielmehr - nach der Verneinung einer im Falle einer Räumung drohenden schwerwiegenden Gesundheitsgefahr - die geltend gemachte Unfähigkeit der Beschwerdeführerin zur Wohnungssuche erst als weiteren Gesichtspunkt im Hinblick darauf geprüft, ob diese für sich genommen eine Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigt. Im Falle der Bejahung einer berücksichtigungsfähigen Gesundheitsgefahr wäre das Landgericht somit aus seiner Sicht zu dieser Erwägung nicht mehr gelangt.
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2. Die gerügte Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 und des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG hat die Beschwerdeführerin hingegen nicht in einer den Vorgaben der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise dargelegt. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht erkennbar, wieso das Landgericht aufgrund der eindeutigen Formulierungen der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin, wonach "die Abänderung des Beschlusses gemäß § 765a Abs. 4 ZPO" beantragt werde, von der Einlegung einer sofortigen Beschwerde statt eines Verlängerungsantrags nach § 765a Abs. 4 ZPO hätte ausgehen müssen und hierdurch das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt hätte. Zu Art. 6 Abs. 1 GG finden sich in der Verfassungsbeschwerde keine inhaltlichen Ausführungen.
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3. Der Beschluss des Landgerichts ist demnach wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
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4. Da allein die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts noch nicht zu einer Einstellung des Zwangsvollstreckungsverfahrens führt, ist die einstweilige Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus den Endurteilen des Amtsgerichts München vom 15. Juni 2022 beziehungsweise des Landgerichts München I vom 19. Oktober 2022 bis zum Erlass einer erneuten Entscheidung des Landgerichts zu verlängern (vgl. BVerfGK 6, 5 13>).
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5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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