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BVerfG 28.03.2022 - 1 BvR 2210/21
BVerfG 28.03.2022 - 1 BvR 2210/21 - Nichtannahme einer nach Wegfall des Rechtsschutzinteresses unzulässigen Verfassungsbeschwerde in einer Betreuungssache - Anordnung der Auslagenerstattung aus Billigkeitsgründen bei ursprünglicher offensichtlicher Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 90 BVerfGG, § 1908b Abs 1 S 3 BGB
Vorinstanz
vorgehend LG Arnsberg, 23. August 2021, Az: I-5 T 119/21, Beschluss
vorgehend AG Schmallenberg, 30. April 2021, Az: 2 XVII 72/20 S, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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I.
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Der Verfassungsbeschwerde liegt ein Antrag auf einen Betreuerwechsel zugrunde.
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1. Der Beschwerdeführer leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie am Asperger-Syndrom. Er wohnte bis vor kurzem in einer Wohneinrichtung für junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen. Sein damaliger Betreuer ist mit der Fachleiterin der Einrichtung verheiratet. Wegen der Besorgnis eines Interessenkonflikts in der Person seines Betreuers beantragte der Beschwerdeführer diesen zu entlassen und einen neuen Berufsbetreuer sowie einen namentlich genannten ehrenamtlichen Betreuer zu bestellen.
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2. Das Amtsgericht lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf einen Betreuerwechsel ab. Die Voraussetzungen für einen Betreuerwechsel lägen nicht vor. Das Gericht könne nicht feststellen, dass die Eignung des Betreuers nicht mehr gewährleistet sei oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliege. Das Landgericht wies die Beschwerde dagegen zurück.
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3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie in seinen grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
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4. Nach Eingang der Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht teilte ein anderes Amtsgericht mit, dass für den Beschwerdeführer ein neuer Berufsbetreuer bestellt worden sei. Aus dem Beschluss geht hervor, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich in den Bezirk dieses Amtsgerichts umgezogen ist. Der neue Betreuer des Beschwerdeführers ist ebenfalls an dem neuen Wohnort des Beschwerdeführers wohnhaft.
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Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Äußerung.
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Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil kein zwingender Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegt und auch sonst kein Grund für ihre Annahme besteht. Der Sache kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels eines fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses nach der Bestellung eines neuen Betreuers nicht (mehr) zulässig und hat damit keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>).
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III.
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Dem Beschwerdeführer sind seine notwendigen Auslagen zu erstatten, § 34a Abs. 3 BVerfGG.
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1. Über die Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 85, 109 114>; 87, 394 397>). Dabei kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, maßgebliche Bedeutung zukommen (vgl. BVerfGE 85, 109 114>; 87, 394 397>). Zwar findet eine Beurteilung der Erfolgsaussichten analog den Verfahrensordnungen der einzelnen Gerichtszweige (vgl. § 91a ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO, § 138 Abs. 1 FGO) im Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Regel nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 264 f.>; 85, 109 115 f.>; 87, 394 397 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. November 2011 - 1 BvR 3269/08 -, Rn. 9). Bedenken dagegen, dass im Falle einer Erledigung der Verfassungsbeschwerde über die Auslagenerstattung aufgrund einer nur überschlägigen Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde entschieden und dabei zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen aufgrund einer lediglich kursorischen Prüfung Stellung genommen werden müsste (vgl. BVerfGE 33, 247 264 f.>; 85, 109 115>), greifen jedoch nicht durch, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG unterstellt werden kann oder wenn die verfassungsrechtliche Lage bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 115 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. November 2011 - 1 BvR 3269/08 -, Rn. 9).
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2. Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers anzuordnen. Die Verfassungsbeschwerde wäre vorliegend offensichtlich begründet gewesen. Der Beschwerdeführer hat zwar die Verfassungsbeschwerde nicht für erledigt erklärt; diese Verkennung der prozessualen Lage zwingt jedoch nicht dazu, ihm die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Dezember 2013 - 2 BvR 1373/12 -, Rn. 6).
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a) Die Entscheidung über die Auslagenerstattung orientiert sich an der Erfolgsaussicht der Hauptsache, weil die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Gewährung rechtlichen Gehörs durch die Kenntnisnahme und Erwägung des maßgeblichen Parteivorbringens bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 60, 175 210 ff.>; 64, 135 143>; 65, 227 234>; 86, 133 144>; 107, 395 409>). Danach entspricht die Anordnung der Auslagenerstattung der Billigkeit, weil die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg hatte. Jedenfalls soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG rügt, war die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzte den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, da sich das Gericht mit dem Vorschlag des Beschwerdeführers, einen ehrenamtlichen Betreuer anstelle des derzeitigen Berufsbetreuers zu bestellen, nicht auseinandergesetzt hat.
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Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen (vgl. BVerfGE 47, 182 188 f.>; 86, 133 146>). Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht beachtet worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2016 - 1 BvR 1225/15 -, Rn. 11 m.w.N.).
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b) So lag der Fall hier. Das Landgericht ist auf den Vorschlag des Beschwerdeführers, in Zukunft von einer konkret benannten Person als ehrenamtlichen Betreuer betreut zu werden, nicht eingegangen, obwohl auf den Vorschlag des Beschwerdeführers hin ein Betreuerwechsel jedenfalls hätte geprüft werden müssen. Nach § 1908b Abs. 1 Satz 3 BGB soll das Gericht einen nach § 1897 Abs. 6 BGB bestellten Berufsbetreuer entlassen, wenn der Betreute durch eine oder mehrere andere Personen außerhalb einer Berufsausübung betreut werden kann (vgl. dazu Schneider, in: Münchener Kommentar BGB, 8. Aufl. 2020, § 1908b Rn. 18). Gemäß § 1908b Abs. 3 BGB kann das Gericht den Betreuer entlassen, wenn der Betreute eine gleich geeignete Person, die zur Übernahme bereit ist, als neuen Betreuer vorschlägt. Die Eignung der vorgeschlagenen Person prüft wiederum das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG (vgl. Schmidt-Recla, in: Krafka/Schindler, BeckOGK BGB, § 1908b Rn. 49 [Feb. 2022]). Mit der Benennung einer konkreten Person durch den Beschwerdeführer, die als ehrenamtlicher Betreuer anstelle des bisherigen Berufsbetreuers in Betracht käme, hätte sich das Landgericht daher auseinandersetzen müssen.
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Die Entscheidung beruhte auch auf diesem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte es den Wunsch des Beschwerdeführers, von dem genannten ehrenamtlichen Betreuer betreut zu werden, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, einen Betreuerwechsel angeordnet hätte. § 1908b Abs. 3 BGB räumt dem Gericht bei einer bereits bestehenden Betreuung zwar ein Ermessen ein. Bei der Ausübung des Ermessens ist aber dem Wunsch des Betroffenen besonderes Gewicht beizumessen (vgl. Schmidt-Recla, in: Krafka/Schindler, BeckOGK BGB, § 1908b Rn. 52).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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