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BVerfG 28.07.2021 - 2 BvR 1282/21
BVerfG 28.07.2021 - 2 BvR 1282/21 - Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren: Einstweilige Untersagung des Vollzugs einer Auslieferung an die Russische Föderation - potentielle politische Verfolgung im Zielstaat, mangelnde Gesamtwürdigung der dortigen Haftbedingungen - Folgenabwägung
Vorinstanz
vorgehend OLG Düsseldorf, 5. Juli 2021, Az: III - 4 AR 57/21, Beschluss
nachgehend BVerfG, 8. Dezember 2021, Az: 2 BvR 1282/21, Stattgebender Kammerbeschluss
Tenor
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Die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Russischen Föderation wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.
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Dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wird aufgegeben, dem Bundesverfassungsgericht binnen zwei Wochen eine den Anforderungen des § 22 Absatz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz entsprechende Vollmacht im Original vorzulegen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt.
Gründe
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Zur Verfahrenssicherung wird die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Russischen Föderation gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.
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1. Das Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 3>; 82, 310 312>; 94, 166 216 f.>; 104, 23 27>; 106, 51 58>).
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Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 43 f.>; 103, 41 42>; 118, 111 122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 371>; 106, 351 355>; 108, 238 246>; 125, 385 393>; 132, 195 232 f. Rn. 87>; stRspr).
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2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
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a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, mit der die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt wurde, den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Dem angegriffenen Beschluss lässt sich weder eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem detaillierten Vortrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Gefahr einer politischen Verfolgung im Zielstaat noch eine Gesamtwürdigung der Haftbedingungen, die den Beschwerdeführer nach seiner Auslieferung wahrscheinlich erwarten werden, entnehmen (vgl. m.w.N. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1832/19 -, Rn. 41 f., und EGMR <GK>, Muršić v. Croatia, Urteil vom 20. Oktober 2016, Nr. 7334/13, § 75, § 114, §§ 124 f. und §§ 138 f.). Es ist auch nicht erkennbar, dass das Gericht eine eigene Gefahrenprognose vorgenommen hat, um die Belastbarkeit der Zusicherungen der russischen Behörden einschätzen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Oktober 2019 - 2 BvR 828/19 -, Rn. 44 m.w.N.).
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b) Die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer überstellt würde, sich später aber herausstellte, dass die Überstellung rechtswidrig war, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Überstellung einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass sie ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine erfolgreiche Geltendmachung seiner Einwände gegen die Überstellung voraussichtlich nicht mehr möglich. Demgegenüber könnte der Beschwerdeführer, sollte sich die geplante Überstellung als rechtmäßig erweisen, zu einem späteren Zeitpunkt an die russischen Behörden übergeben werden. Sein Aufenthalt in Deutschland würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.
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