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BVerfG 04.05.2021 - 2 BvR 277/19
BVerfG 04.05.2021 - 2 BvR 277/19 - Stattgebender Kammerbeschluss: Generelle Versagung des Begehrens auf Informationszugang im Bußgeldverfahren verletzt Anspruch auf faires Verfahren aus Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 46 Abs 1 OWiG, § 147 StPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Bamberg, 23. November 2018, Az: 2 Ss OWi 1495/18, Beschluss
vorgehend AG Rosenheim, 28. Mai 2018, Az: 5 OWi 410 Js 799/18, Urteil
Tenor
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Das Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 28. Mai 2018 - 5 OWi 410 Js 799/18 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 23. November 2018 - 2 Ss OWi 1495/18 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Rosenheim zurückverwiesen.
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Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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I.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine Verurteilung im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung sowie die Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet. Die dem Ordnungswidrigkeitenvorwurf zugrundeliegende Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines standardisierten Messverfahrens mit dem Messgerät PoliScan Speed M1. Vor der Verurteilung hatte der Beschwerdeführer erfolglos Zugang zu außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen, insbesondere den Messdaten, begehrt, um eine eigenständige Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit des Messergebnisses vorzunehmen.
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II.
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1. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde insbesondere eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) geltend. Er rügt unter anderem, dass ihm infolge der Entscheidungen der Fachgerichte die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messergebnisses und damit die Formulierung von konkreten Einwendungen gegen das standardisierte Messverfahren unzulässig erschwert worden seien. Dies stelle sich als verfassungswidrig dar.
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2. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und dem Generalbundesanwalt ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
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III.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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Das Urteil des Amtsgerichts und die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Rechtsbeschwerde verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Fachgerichte haben verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgen kann. Die generelle Versagung des Begehrens des Beschwerdeführers auf Informationszugang, welches dieser im fachgerichtlichen Verfahren hinreichend geltend gemacht hat, wird deshalb der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gewährleistung nicht gerecht. Entgegen der Annahme der Fachgerichte handelt es sich hierbei auch nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, Rn. 47 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. April 2021 - 2 BvR 1451/18 -, Rn. 5). Auf dieser Fehlannahme beruht die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Es ist auch nicht auszuschließen, dass bereits die Verurteilung des Beschwerdeführers auf dem Verstoß des Amtsgerichts Rosenheim gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens beruht.
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IV.
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1. Hiernach ist festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 28. Mai 2018 - 5 OWi 410 Js 799/18 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 23. November 2018 - 2 Ss OWi 1495/18 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen.
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2. Beide Entscheidungen waren aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Rosenheim zurückzuverweisen.
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3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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