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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BVerfG 04.10.2019 - 1 BvR 1710/18
BVerfG 04.10.2019 - 1 BvR 1710/18 - Stattgebender Kammerbeschluss: Versagung von PKH im sozialgerichtlichen Verfahren unter "Durchentscheiden" einer bislang ungeklärten Rechtsfrage (hier: Aufenthaltsrecht sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers gem § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004) verletzt Rechtsuchenden in Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 18 Abs 1 AEUV, § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004, § 3 Abs 1 S 1 FreizügG/EU, § 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, § 114 Abs 1 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 3. Juli 2018, Az: L 7 AS 274/18 B, Beschluss
vorgehend SG Frankfurt, 12. Februar 2018, Az: S 16 AS 1451/17, Beschluss
Tenor
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1. Der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Februar 2018 - S 16 AS 1451/17 - und der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. Juli 2018 - L 7 AS 274/18 B - verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes).
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2. Der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts wird aufgehoben und die Sache wird an das Hessische Landessozialgericht zurückverwiesen.
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3. Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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4. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren.
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5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung von Prozesskostenhilfe in einem auf die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gerichteten Klageverfahren.
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I.
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1. Die Beschwerdeführerin ist rumänische Staatsbürgerin. Sie reiste im Mai 2017 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und zwei gemeinsamen Kindern in das Bundesgebiet ein. Im Juli 2017 wurde das dritte gemeinsame Kind geboren. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin und die gemeinsamen Kinder sind ebenfalls rumänische Staatsangehörige. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin geht seit Juni 2017 einer (geringfügigen) Beschäftigung nach. Die Beschwerdeführerin betreut die gemeinsamen Kinder.
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2. Die Familie beantragte am 27. Juli 2017 Leistungen nach dem SGB II, die dem Lebensgefährten der Beschwerdeführerin und den gemeinsamen Kindern auch bewilligt wurden. Der Antrag der Beschwerdeführerin hingegen wurde unter Verweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II abgelehnt. Die Beschwerdeführerin erhob hiergegen am 6. Dezember 2017 Klage, die zwischenzeitlich mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 14. November 2018 abgewiesen wurde, und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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II.
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Mit angegriffenem Beschluss vom 12. Februar 2018 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Landessozialgericht mit angegriffenem Beschluss vom 3. Juli 2018 zurück.Zur Begründung verwies es darauf, dass sich weder aus der von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG noch aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ein Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin ableiten lasse.
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III.
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1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Die Erfolgsaussichten der Klage der Beschwerdeführerin seien von der Frage abhängig, ob ihr ein Aufenthaltsrecht unabhängig von dem Zweck der Arbeitssuche zustehe. Dies sei eine schwierige, bisher noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage, welche auch in der Fachliteratur und fachgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet werde.
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2. Das Land Hessen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Kammer hat die einschlägigen Akten des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts beigezogen.
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IV.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden; ausgehend davon ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
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1. Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (vgl. BVerfGE 78, 104 117 f.>; 81, 347 357>; 117, 163 187>). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 357>).
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Prozesskostenhilfe darf aber von Verfassungs wegen insbesondere dann nicht versagt werden, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. ausführlich BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. April 2019 - 1 BvR 2111/17 -, Rn. 22 m.w.N.).
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2. Nach diesen Grundsätzen verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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Die angegriffenen Beschlüsse überspannen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung und verfehlen dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, weil sich die im Verfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsrecht zusteht, als ungeklärt und schwierig darstellt.
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a) In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte und der Literatur ist umstritten, ob § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht vermitteln kann (für ein Aufenthaltsrecht: LSG NRW, Beschluss vom 30. November 2015 - L 19 AS 1713/15 B ER -, juris, Rn. 15 und Beschluss vom 1. August 2017 - L 19 AS 1131/17 B ER -, juris, Rn. 41 m.w.N. sowie Beschluss vom 30. Oktober 2018 - L 19 AS 1472/18 B ER -, juris, Rn. 28 ff.; ebenso Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 11 FreizügG/EU Rn. 38, 39 und Oberhäuser, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, FreizügG/EU § 11 Rn. 57 f.; ablehnend dagegen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 - L 31 AS 1000/17 B ER -, juris, Rn. 5, LSG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2017 - L 21 AS 782/17 B ER -, juris, Rn. 43 und wohl auch Hailbronner, in: AuslR, Freizügigkeitsgesetz/EU § 11 Rn. 38 <März 2017>). Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hierzu ist nicht ersichtlich.
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b) Die Frage nach der Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist danach eine ungeklärte Rechtsfrage. Sie ist auch als "schwierig" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzustufen, da sich die vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen aufgeworfene Frage der Reichweite des Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEUV, insbesondere seine hier nur mittelbare Anwendung weder aus der hierzu vorliegenden Rechtsprechung noch aus den gesetzlichen Regelungen ohne Weiteres beantworten lässt. Hinzu kommt, dass die Frage nach dem Aufenthaltsrecht sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch die Wertungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK berücksichtigen muss.
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3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich insoweit, als das Land Hessen zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. BVerfGE 105, 239 252>). Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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