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BVerfG 24.06.2019 - 1 BvQ 51/19
BVerfG 24.06.2019 - 1 BvQ 51/19 - Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die einstweilige Aussetzung einer Vorführungsanordnung in einer Betreuungssache (§ 283 Abs 1 S 1 FamFG) - potentielle Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei unterbliebener Anhörung des Betroffenen nach § 283 Abs 1 S 2 FamFG
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 44 FamFG, § 283 Abs 1 S 1 FamFG, § 283 Abs 1 S 2 FamFG
Vorinstanz
vorgehend AG Hameln, 14. Juni 2019, Az: 39 XVII D 819, Beschluss
vorgehend AG Hameln, 14. Juni 2019, Az: 39 XVII D 819, Beschluss
nachgehend BVerfG, 15. August 2019, Az: 1 BvQ 51/19, Kammerbeschluss
Tenor
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1. Die Wirksamkeit des Beschlusses des Amtsgerichts Hameln vom 14. Juni 2019 - 39 XVII D 819 - wird einstweilen, längstens für sechs Monate, ausgesetzt.
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird, soweit er sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hameln vom 14. Juni 2019 - 39 XVII D 818 - richtet, als unzulässig abgelehnt.
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3. Das Land Niedersachsen hat dem Antragsteller zu 1) die notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe
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Die Antragsteller wenden sich gegen Vorführungsanordnungen in Betreuungs-sachen.
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I.
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1. Bei den Antragstellern zu 1) und zu 2) handelt es sich um Sohn und Vater. Das Amtsgericht Hameln hat für beide Antragsteller gesondert mit den angegriffenen Beschlüssen die Untersuchung zur Vorbereitung eines Gutachtens durch einen medizinischen Sachverständigen sowie gleichzeitig die Vorführung nach § 283 FamFG angeordnet. Außerdem wurde jeweils die Befugnis zur Gewaltanwendung im Falle des Widerstandes und zum Betreten der Wohnung ausgesprochen. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, die Antragsteller lehnten eine Begutachtung ab. Eine Ladung zur persönlichen Anhörung erscheine zwecklos, weil der bisherige Schriftverkehr und der aus den bisherigen Ermittlungen gewonnene Gesamteindruck den Schluss darauf zuließen, dass die Antragsteller einer solchen Ladung definitiv nicht Folge leisten würden. Aus einer ärztlichen Mitteilung des Sachverständigen ergebe sich zudem, dass der Antragsteller zu 1) an einer wahnhaften Störung leide. Gerade auch wegen der erkennbaren Abschottung und Verweigerung von Unterstützung etwa durch einen Pflegedienst sowie der Verantwortlichkeit für den Vater bestehe dringender Handlungsbedarf.
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Hinsichtlich des Vaters ergäben sich Anhaltspunkte aus der ärztlichen Mitteilung, dass die pflegerische Versorgung und dessen Gesundheitszustand schlecht seien, so dass das Betreuungsverfahren zügig vorangetrieben werden müsse. Der Vater lebe zusammen mit dem Antragsteller zu 1), der auch in seinem eigenen Betreuungsverfahren jegliche Mitwirkung ablehne. Es erscheine so, als ob der Vater dem Handeln seines Sohnes ausgeliefert sei.
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Die Befugnis zur Gewaltanwendung und die Ermächtigung zum Betreten der Wohnung seien jeweils notwendig, da zu erwarten sei, dass bei Vollzug der Vorführung Widerstand geleistet und die Wohnung nicht freiwillig geöffnet werde.
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2. Die Antragsteller rügen die Verletzung rechtlichen Gehörs.
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Der Antragsteller zu 1) macht geltend, es sei eine notarielle Patientenverfügung ausgestellt worden, mit welcher sein Vater und er sich vor Zwangsbegutachtungen hätten schützen wollen. Auf das Recht einer Anhörung sei er nicht hingewiesen worden. Die Gesamtumstände blieben für ihn im Dunkeln. Von ihm beauftragten Rechtsanwälten sei auch nichts mitgeteilt worden. Die ärztliche Mitteilung, auf die in den angegriffenen Beschlüssen Bezug genommen wird, sei ihm nicht bekannt. Das Gericht kenne ihn nicht. Von "bisherigen Ermittlungen" wisse er nichts. Davon, dass die Unterstützung eines Pflegedienstes ihm angeboten worden sei, wisse er ebenfalls nichts. Akteneinsicht habe er nicht erhalten. Das Gericht lehne rechtliches Gehör ab. Das Betreuungsverfahren sei insgesamt rechtswidrig. Der Vater bekomme regelmäßig hauswirtschaftliche Versorgung. Halbjährliche Überprüfungen durch den Pflegedienst seien ordnungsgemäß gewesen. Kontakt mit Psychiatern lehne er aus religiös-weltanschaulichen Gründen ab. Eine Betreuung für ihn und seinen Vater sei unverhältnismäßig.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist teilweise unzulässig, im Übrigen zulässig und begründet.
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1. Der Antrag des Antragstellers zu 2) ist unzulässig. Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Antragstellers zu 1) gemäß § 22 Abs. 1, Abs. 2 BVerfGG, im Namen seines Vaters Antrag auf einstweilige Anordnung zu stellen. Eine Vollmacht wurde nicht vorgelegt.
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2. Der Antrag des Antragstellers zu 1) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 186>; 103, 41 42>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 186>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 111>; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde (vgl. BVerfGE 34, 211 216>).
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b) Nach diesen Maßstäben ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung angezeigt. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde des Antragstellers zu 1) erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
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aa) Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nicht von vornherein unzulässig. Der Antragsteller zu 1) wendet sich gegen einen nach § 58 Abs. 1 FamFG unanfechtbaren Beschluss. Der Rechtsweg ist gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Antragsteller zu 1) keine ausdrückliche Anhörungsrüge nach § 44 FamFG erhoben hat. Ob § 44 FamFG auf eine Vorführungsanordnung als Zwischenentscheidung überhaupt anwendbar ist, ist bislang offen geblieben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2010 - 1 BvR 2797/09 -, www.bverfg.de, Rn. 26). Hier hat das Amtsgericht aber ausdrücklich erklärt, dass eine Anhörung des Antragstellers zu 1) zwecklos sei, so dass diesem der Verweis auf die Anhörungsrüge jedenfalls nicht zumutbar wäre.
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bb) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Nach dem Vortrag des Antragstellers zu 1) erscheint jedenfalls eine Verletzung in seinem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG möglich.
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Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob dem Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde (BVerfGE 36, 85 88>). Maßgebend für diese Pflicht des Gerichts ist der Gedanke, dass der Verfahrensbeteiligte Gelegenheit haben muss, die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert, dass das erkennende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (vgl. BVerfGE 83, 24 35>; 96, 205 216>; stRspr). Der angegriffene Beschluss genügt diesen Voraussetzungen nicht.
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Der Antragsteller zu 1) wurde weder schriftlich noch mündlich von der beabsichtigten Untersuchung informiert. Er konnte sich dementsprechend nicht äußern. Dies widerspricht nicht nur § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG, sondern könnte auch das Grundrecht des Antragstellers zu 1) auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzen, zumal der angegriffene Beschluss keine besondere Dringlichkeit der angeordneten ärztlichen Untersuchung erkennen lässt.
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Die unterbliebene Anhörung kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass der Antragsteller zu 1) in der Vergangenheit eine Untersuchung und die Mitwirkung im Verfahren verweigert hat. Jedenfalls hätte ihm Gelegenheit gegeben werden müssen, zu der ärztlichen Mitteilung des Sachverständigen vom 12. Juni 2019, die ihm eine psychische Erkrankung attestiert und auf welche das Gericht die angegriffene Entscheidung maßgeblich stützt, Stellung zu nehmen. Dass ihm diese Mitteilung nicht einmal schriftlich übersandt wurde, ist nicht zu rechtfertigen.
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3. Die Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers zu 1) aus. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, so könnte eine Untersuchung des Antragstellers zu 1) stattfinden, zu der er unter Anwendung von Gewalt gezwungen werden könnte. Dies würde einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellen, der durch einen nachträglichen Erfolg der Verfassungsbeschwerde nicht mehr ungeschehen gemacht werden könnte. Im Übrigen kann das Gericht die Anhörung des Antragstellers zu 1) jederzeit nachholen, um danach erneut zu entscheiden.
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4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Antragstellers zu 1) beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
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