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BFH 14.07.2022 - IV B 66/21
BFH 14.07.2022 - IV B 66/21 - Akteneinsicht in Gerichtsakte und Verwaltungsakte
Normen
§ 52b FGO, § 71 Abs 2 FGO, § 77 Abs 1 S 4 FGO, § 78 FGO, § 102 FGO, § 32f StPO, § 299 ZPO, § 120 SGG, § 100 VwGO
Vorinstanz
vorgehend FG Hamburg, 30. September 2021, Az: 3 K 67/20, Beschluss
vorgehend BFH, 25. August 2021, Az: IV B 72/20, Beschluss
vorgehend FG Hamburg, 2. November 2020, Az: 3 K 67/20, Beschluss
Leitsatz
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NV: Der Begriff der "Prozessakten" i.S. von § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO umfasst nicht nur die Gerichtsakte, sondern auch die dem Gericht vorgelegten Verwaltungsakten.
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 30.09.2021 - 3 K 67/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Das Beschwerdeverfahren über die Art und Weise der zu gewährenden Akteneinsicht befindet sich im zweiten Rechtsgang.
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Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führt vor dem Finanzgericht (FG) Hamburg unter dem Aktenzeichen 3 K 67/20 ein Klageverfahren gegen einen Bescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Sie wird durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, der als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugelassen ist. Mit der Klageerhebung vom 09.04.2020 beantragte die Klägerin die Gewährung von Akteneinsicht in verschiedene Verwaltungsakten. Das FG gestattete der Klägerin am 10.09.2020, die Akteneinsicht im Akteneinsichtsraum des FG zu nehmen.
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Mit Schreiben vom 28.10.2020 beantragte die Klägerin sodann, ihrem Prozessbevollmächtigten den Inhalt der dem FG vorgelegten 49 Aktenbände sowie zweier Hefter nach § 78 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Abruf bereitzustellen. Hilfsweise seien diese Akten der Klägerin in den Räumen der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten zur Verfügung zu stellen. Weiterhin hilfsweise sei ihr zu gestatten, diese Akten mithilfe eines mitgebrachten Einzugsscanners nach Entheftung und Entklammerung in den Diensträumen des FG oder in anderen Diensträumen in X oder Y zu scannen und zu speichern.
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Der Senatsvorsitzende des FG teilte der Klägerin mit Schreiben vom 02.11.2020 mit, dass die dem FG vom FA vorgelegten Akten nur in Papierform vorlägen. Eine Bereitstellung dieser Akten zum Abruf komme deshalb nicht in Betracht. Auch den Antrag auf Übersendung der dem FG vorgelegten Akten in die Räume der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten lehnte er ab. Die Akteneinsicht werde nur in den Diensträumen des FG gewährt; eine Entheftung und Entklammerung der Akten sei nicht gestattet.
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Auf die Beschwerde der Klägerin hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 25.08.2021 - IV B 72/20 den ablehnenden Beschluss des FG vom 02.11.2020 wegen formeller Rechtswidrigkeit auf. Zuständig für die Entscheidung über die Art und Weise der durchzuführenden Akteneinsicht sei nicht der Senatsvorsitzende, sondern der Senat.
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Das FA übersandte dem FG in dem anhängigen Klageverfahren mit Schreiben vom 28.09.2021 weitere Akten und teilte dazu mit, dass es sich hierbei um die klägerseits gewünschten weiteren 16 Arbeitsakten der Betriebsprüfung sowie eine weitere Akte der Betriebsprüfung handele.
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Das FG beschloss am 30.09.2021 durch drei Berufsrichter, der Klägerin Akteneinsicht in die von dem FA vorgelegten Steuerakten zu gewähren. Die Akteneinsicht werde im Akteneinsichtszimmer des FG gewährt. Eine Entheftung und Entklammerung der Akten werde nicht gestattet. Der Antrag, die Akten nach § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO zum Abruf bereitzustellen, wurde ebenso abgelehnt wie der Antrag auf Übersendung der Akten in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. In die Gerichtsakte wurde der Klägerin Akteneinsicht durch Bereitstellung der Akte zum Abruf gewährt. Das FG legte dar, dass diese Entscheidung sich auch auf die mit Schreiben des FA vom 28.09.2021 zusätzlich vorgelegten Steuerakten beziehe. Wegen der Begründung der Entscheidung bezog sich das FG auf den Beschluss seines Senatsvorsitzenden vom 02.11.2020 und die Hinweise, die der BFH in seinem Beschluss vom 25.08.2021 - IV B 72/20 gegeben hatte.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Akteneinsicht vom 28.10.2020 weiter. Da die Gerichtsakte in elektronischer Form geführt werde, werde der Anspruch auf Gewährung der Bereitstellung zum Abruf nun auf § 78 Abs. 2 FGO und nur hilfsweise auf § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO gestützt. Weiter hilfsweise seien die Akten in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten zu übersenden oder es sei deren Scannen und Speichern nach Entheftung und Entklammerung in Diensträumen zu gestatten.
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Mit dem Begriff "Prozessakte" i.S. von § 78 FGO seien nur die Gerichtsakten gemeint, nicht auch die dem Gericht vorgelegten Akten. Für die dem Gericht vorgelegten Akten gelte ein allgemeines Einsichtnahmerecht, dessen Ausgestaltung dem Verfahrensermessen des Gerichts obliege. Das FG habe deshalb sein Ermessen unterschritten, als es sich zur Begründung seiner Ablehnung auf § 78 Abs. 3 FGO bezogen habe. Denn diese Regelung, die den Ort der Akteneinsicht grundsätzlich auf Diensträume beschränke, sei danach im Streitfall nicht einschlägig.
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Angesichts des Umfangs der Akten dürfe die Klägerin nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, die Akten auf der Suche nach einem bestimmten Schriftsatz durchblättern zu können. Elektronisch sei die Suche aber in zumutbarer Weise zu bewerkstelligen. Die Entheftung und Entklammerung der Akten sei dabei notwendig, um das Scannen zu ermöglichen. Ohne die Entheftung der Akten könne keine vollständige Kopie angefertigt werden. Da es keinen Anspruch auf Bereitstellung einer vollständigen Zweitakte gebe, bleibe dem Steuerpflichtigen keine andere Möglichkeit als deren eigene Erstellung. Wegen der vorhandenen Paginierung der Akten sei kein Verlust zu befürchten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, einen Steuerberater als weniger vertrauenswürdig zu erachten als den Mitarbeiter einer Geschäftsstelle.
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Es verletze das Recht auf Gehör, sie auf das händische Durchblättern der umfangreichen Akten in Diensträumen zu verweisen. Zwei Anläufe des Prozessbevollmächtigten, die Akten am 24. und 30.11.2020 in mehr als drei Stunden zu durchblättern, hätten sich als unzureichend erwiesen. Der Prozessbevollmächtigte gehöre einer Risikogruppe an und habe sich der Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus ausgesetzt. Wegen der Dauerbelüftung in dem Raum habe er starke Rückenschmerzen davongetragen. Es sei ihm auch nicht zuzumuten, während der Akteneinsicht eine Maske zu tragen.
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Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verlange es, die Akteneinsicht ausnahmeweise auch außerhalb von Diensträumen zuzulassen. Die Zahl der einzusehenden Akten sei im Streitfall außergewöhnlich hoch. Hierzu gehörten auch viele Arbeitsakten der Betriebsprüfung, die erfahrungsgemäß unübersichtlich seien.
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Das FG beschloss in der Besetzung mit drei Berufsrichtern am 29.10.2021, der Beschwerde der Klägerin gegen die Entscheidung über die Akteneinsicht vom 30.09.2021 nicht abzuhelfen. Die angefochtene Entscheidung habe alle dem FG vorgelegten Akten umfasst, auch die unter dem 28.09.2021 übersandten Akten.
Entscheidungsgründe
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II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Akteneinsicht in der von ihr begehrten Art und Weise.
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1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Art und Weise der Akteneinsicht in die in Papierform geführten 66 Band Akten, die dem FG zu dem Klageverfahren vorgelegt wurden. Die Klägerin möchte, dass diese Akten zum Abruf bereitgestellt werden, hilfsweise, dass ihr gestattet wird, diese Akten nach vorherigem Entklammern und Entheften selbst zu scannen und zu speichern, weiter hilfsweise, dass die Akten in die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten übersandt werden.
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2. Der Anspruch auf Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich aus § 78 FGO.
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a) Nach § 78 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen.
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b) Das Verfahren zur Einsichtnahme in die von dem Gericht selbst geführten Akten und die dem Gericht vorgelegten Akten regeln § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO.
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aa) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, wird Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt (§ 78 Abs. 2 Satz 1 FGO). Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt (Satz 2). Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akten wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt (Satz 3). Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden (Satz 4).
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Werden die Prozessakten in Papierform geführt, wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt (§ 78 Abs. 3 Satz 1 FGO). Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt werden (Satz 2).
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bb) Der Begriff der "Prozessakten" i.S. von § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO umfasst --entgegen der Auffassung der Klägerin-- nicht nur die Gerichtsakte, sondern auch die dem Gericht von der beteiligten Finanzbehörde nach § 71 Abs. 2 FGO vorgelegten Verwaltungsakten (so auch Stalbold in Gosch, FGO § 78 Rz 26; Hollatz in Hennigfeld/Rosenke, eKomm Ab 01.01.2018, § 78 FGO Rz 13 (Aktualisierung v. 19.04.2020); Maetz in juris - Die Monatszeitschrift 2022, 82, 84; wohl auch Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 78 FGO Rz 102; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 4, 16; vom 07.06.2021 - VIII B 123/20, BFHE 272, 345, BStBl II 2021, 915, Rz 2, 13, und vom 22.10.2021 - IX B 38/21, Rz 8 f.; anderer Ansicht Brandis in Tipke/Kruse, § 78 FGO Rz 14, und Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 78 Rz 4). Dies ergibt sich aus dem Gesetzgebungsverfahren (1) und aus Sinn und Zweck der Regelung (2). Dem steht ein anderes Verständnis des Begriffs der Prozessakten in § 52b FGO nicht entgegen (3).
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(1) Das Gesetzgebungsverfahren spricht dafür, dass die Prozessakten in § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO auch die dem Gericht vorgelegten Akten umfassen.
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Die Neuregelung der Verfahrensabläufe in § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO erfolgte durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 (BGBl I 2017, 2208). Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 06.05.2016 (BRDrucks 236/16) enthielt zunächst nur Regelungen zur Aktenführung und der Gewährung von Akteneinsicht in die "Akten" des Strafverfahrens (§ 32f der Strafprozessordnung --StPO--) und in die "Prozessakten" des Zivilverfahrens (§ 299 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Auf die Sozial-, Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit wurde die Verpflichtung zur Führung elektronischer Akten und die Verfahrensregelung für die Akteneinsicht erst auf Vorschlag des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags erweitert (Bericht und Beschlussempfehlung vom 28.04.2017, BTDrucks 18/12203, S. 1 f., 47 ff., 51 ff., 55 ff.). Der Entwurf fügte u.a. in § 78 FGO die Absätze 2 und 3 ein, die Regelungen für die Akteneinsicht in "Prozessakten" enthalten, die in elektronischer oder in Papierform vorliegen. Zur Begründung wurde hierbei auf die Begründung der entsprechenden Regelungsentwürfe zu § 299 ZPO und § 32f StPO verwiesen, ohne auf Besonderheiten der Fachgerichtsbarkeit einzugehen (BTDrucks 18/12203, S. 85 f. zu § 120 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG--, S. 88 zu § 100 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- und S. 90 zu § 78 FGO). Anders als § 78 Abs. 1 FGO kennen jedoch weder § 32f StPO noch § 299 ZPO eine Unterscheidung zwischen Gerichtsakte und dem Gericht vorgelegten bzw. ihm vorliegenden Akten. Daraus ergibt sich nach Ansicht des Senats, dass der Gesetzgeber in § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO das Verfahren der Akteneinsicht umfassend, d.h. für alle Akten regeln wollte, die Gegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens sind, also nicht nur für die Gerichtsakte, sondern auch für die dem FG vorgelegten Verwaltungsakten. Besteht die Prozessakte zum Teil aus elektronischen, zum Teil aus Papierakten (sog. hybride Aktenführung), so richtet sich das Verfahren für die elektronisch geführten Aktenteile nach § 78 Abs. 2 FGO, für den aus Papier bestehenden Teil nach § 78 Abs. 3 FGO.
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(2) Auch Sinn und Zweck der in § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO eingeführten Verfahrensregeln sprechen für die Einbeziehung der dem Gericht vorgelegten Akten. Es wäre nicht sachgerecht, die ausdifferenzierten und abgestuften Verfahrensregelungen in § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO für die Einsicht in einerseits elektronische und andererseits in Papierform vorliegende Akten nur für die Gerichtsakte anzuwenden und die Einsicht in die dem FG vorgelegten Akten dem Verfahrensermessen des Gerichts nach § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO zu unterwerfen (so aber konsequent Brandis in Tipke/Kruse, § 78 FGO Rz 14). Dies widerspräche dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, das Verfahren der Akteneinsicht umfassend und einheitlich zu regeln.
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Es wäre auch besonders misslich, die neuen, ausdifferenzierten Regeln gerade für die vorgelegten Verwaltungsakten nicht anzuwenden. Denn die Beteiligten haben --wie auch der Streitfall zeigt-- regelmäßig ein besonderes Interesse an der Einsichtnahme in gerade diese vorgelegten Verwaltungsakten. Schließlich hat der Steuerpflichtige durch § 78 FGO erstmalig im Rahmen eines finanzgerichtlichen Verfahrens einen Anspruch auf Einsichtnahme in diese Akten; vor dem Klageverfahren besteht nur ein Anspruch auf eine ermessensgerechte Entscheidung der Verwaltungsbehörde über eine beantragte Akteneinsicht (BFH-Beschlüsse vom 04.06.2003 - VII B 138/01, BFHE 202, 231, BStBl II 2003, 790, und vom 05.12.2016 - VI B 37/16, Rz 3).
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Die Gerichtsakte ist für die Akteneinsicht hingegen regelmäßig von eher nachgeordnetem Interesse. Besteht ihr sachlicher Inhalt doch im Wesentlichen aus ausgetauschten Schriftsätzen, die den Beteiligten ohnehin von Amts wegen durch das Gericht übermittelt werden (§ 77 Abs. 1 Satz 4 FGO).
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(3) Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass mit dem Begriff "Prozessakte" in § 52b FGO nur die vom Finanzgericht selbst geführte Akte, also die Gerichtsakte, gemeint ist. Auch identische Begriffe können normspezifisch unterschiedlich ausgelegt werden.
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3. Die Entscheidung des FG, der Klägerin die dem FG vorgelegten Akten nur in den Diensträumen des FG zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Art und Weise der Einsichtnahme in die dem FG vorgelegten Akten.
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a) Im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen eine vom FG getroffene, die Akteneinsicht außerhalb von Diensträumen ablehnende Entscheidung ist der BFH nicht auf eine Überprüfung der Ermessensentscheidung des FG beschränkt. § 102 FGO gilt nur für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Behörden, nicht dagegen für eine solche gerichtlicher Entscheidungen. Demzufolge ist der BFH als Beschwerdegericht selbst Tatsachengericht und somit gehalten, eigenes Ermessen auszuüben (vgl. BFH-Beschluss vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 17). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (z.B. BFH-Beschlüsse vom 09.03.2015 - II B 98/14, Rz 7, und vom 11.09.2013 - I B 179/12, Rz 13).
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b) Die dem FG vorgelegten Akten müssen der Klägerin nicht zum Abruf bereitgestellt werden.
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Soweit Prozessakten noch in Papierform geführt werden, ist die Akteneinsicht in Diensträumen die Regel (§ 78 Abs. 3 Satz 1 FGO). Nach der Ermessensvorschrift des § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO kann die Akteneinsicht auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf gewährt werden, soweit keine wichtigen Gründe entgegenstehen. Es besteht jedoch kein Anspruch, eine bestehende Papierakte zum Zwecke der Akteneinsicht durch digitalen Abruf in eine elektronische Akte zu überführen (BFH-Beschlüsse vom 28.11.2019 - X B 132/19, Rz 26, und vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 24). Abgesehen davon stellt im Streitfall der erhebliche Umfang der Akten, in die Einsicht begehrt wird, mit 66 Bänden auch einen wichtigen Grund i.S. von § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO dafür dar, keine Bereitstellung zum Abruf zu ermöglichen.
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c) Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist es auch nicht zu gestatten, Heftung und Verklammerung der dem FG vorgelegten Akten zu lösen und die Aktenbestandteile sodann eigenständig zu scannen und zu speichern.
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Nach § 78 Abs. 1 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen. Bereits hieraus ergibt sich, dass der Steuerpflichtige oder sein Prozessbevollmächtigter nicht berechtigt sind, in die der Akteneinsicht unterliegenden Aktenbestandteile körperlich einzugreifen. Ebenso besteht im Übrigen kein Anspruch darauf, eine Akteneinsicht in den Diensträumen ohne Beisein eines dort Bediensteten durchzuführen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28.11.2019 - X B 132/19, Rz 23, und vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 24). Angesichts der damit einhergehenden Gefahren eines Verlusts, einer Beschädigung oder einer Manipulation des Akteninhalts ist auch nicht ersichtlich, dass sich aus § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO ein Anspruch eines Prozessbeteiligten auf Herstellung einer digitalen Akte in Eigenregie ergibt.
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Dahinstehen kann, ob ein entsprechender Anspruch bestehen kann, wenn die Herstellung einer solchen digitalen Akte für eine sachgerechte Prozessführung erforderlich ist (dazu BFH-Beschluss vom 09.08.2021 - VIII B 70/21). Denn es ist weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich, dass im Streitfall erst die Herstellung einer digitalen Akte eine sachgerechte Prozessführung ermöglicht. Das Ziel des klägerischen Begehrens, den rechtzeitigen Zugang eines Antrags vom 05.10.2011 bei dem FA nachzuweisen, kann nach Ansicht des Senats vielmehr auch mit der gewährten Akteneinsicht in dem Akteneinsichtsraum des FG in zumutbarer Weise erreicht werden. Die dem FG vorgelegten Papierakten können dazu durchgeblättert und auf diese Weise auf das Vorhandensein des Antrags oder eines sonstigen Hinweises auf dessen Eingang gesichtet werden. Selbst wenn das Entklammern, Entheften und Einscannen der Akten und das anschließende Durchsuchen mittels einer Software --wie der Prozessbevollmächtigte behauptet-- weniger zeitintensiv sein sollte als das händische Durchblättern der Akten, ist nicht ersichtlich, dass Letzteres keine sachgerechte Prozessführung gewährleisten könnte und deshalb --trotz der damit einhergehenden Gefahren für den geordneten Geschäftsgang-- die Herstellung einer digitalen Akte in Eigenregie zugelassen werden müsste.
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d) Die Akteneinsicht ist auch nicht durch Aktenübersendung in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten der Klägerin durchzuführen.
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aa) Werden die Prozessakten --wie hier die dem FG vorgelegten Akten, in die die Klägerin Einsicht begehrt-- in Papierform geführt, wird Akteneinsicht nach § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Um Diensträume handelt es sich indes nicht bei den Kanzleiräumen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, da er kein Träger öffentlicher Gewalt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 14, m.w.N.).
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Auch unter Geltung der Neufassung des § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO kann zwar in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen zur Gewährung rechtlichen Gehörs und aus Gründen der Waffengleichheit der Beteiligten ein Anspruch auf Einsicht in Papierform geführter Akten in den Geschäftsräumen eines Prozessbevollmächtigten bestehen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 28.11.2019 - X B 132/19, Rz 15; vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 16; vom 11.01.2022 - XI B 89/21, Rz 15; zweifelnd BFH-Beschluss vom 06.09.2019 - III B 38/19, Rz 9).
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Die Entscheidung, Akteneinsicht ausnahmsweise auch außerhalb von Diensträumen zu gewähren, ist eine am Einzelfall zu beurteilende Ermessensentscheidung. Dabei sind die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen gegeneinander abzuwägen, d.h. das dienstliche Interesse an einem geordneten Geschäftsgang einerseits (insbesondere die Gefahr von Aktenverlusten bzw. -beschädigungen oder gar -manipulationen, der Schutz von potenziellen Beweismitteln [Steuererklärungen mit Originalbelegen], die jederzeitige Verfügbarkeit der Akten sowie die Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Dritten) mit dem Interesse an der Ersparnis von Zeit und Kosten im Falle der Gewährung der Akteneinsicht außerhalb von Diensträumen andererseits (z.B. BFH-Beschluss vom 28.11.2019 - X B 132/19, Rz 16). In die Abwägung einzubeziehen ist auch, ob die Akteneinsicht ohne unverhältnismäßige Gefährdung der Gesundheit des Prozessbevollmächtigten in den Diensträumen durchgeführt werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 11.01.2022 - XI B 89/21, Rz 19 ff.). Im Rahmen des danach erforderlichen Abwägungsprozesses ist der vom Gesetzgeber in § 78 Abs. 3 FGO gesteckte Ermessensrahmen und hierbei insbesondere das o.g. Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen einer Akteneinsicht in und außerhalb von Diensträumen zu beachten. Hieraus folgt, dass Unbequemlichkeiten, die regelmäßig mit der Akteneinsicht in Diensträumen verbunden sein können (z.B. räumliche Enge, Fahrt- und Zeitaufwand), keine Ausnahme von der Regel des § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO nach sich ziehen können (z.B. BFH-Beschlüsse vom 28.11.2019 - X B 132/19, Rz 16, und vom 13.06.2020 - VIII B 149/19, Rz 16).
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bb) Nach diesen Grundsätzen kommt eine Aktenübersendung in die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nicht in Betracht. Es liegen keine Gründe vor, die eine Überlassung der dem FG vorgelegten Akten in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Dabei kann dahinstehen, ob auch der Umfang der einzusehenden Akten nach der Neuregelung des § 78 Abs. 3 FGO noch einen Grund für eine Aktenübersendung in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten darstellen kann. Jedenfalls wiegen die Gründe dafür, die Akteneinsicht im Interesse eines geordneten Geschäftsgangs nur in Diensträumen zu gestatten, im Streitfall deutlich schwerer. So bewahren die Akten die ihnen zukommende Beweisfunktion für das zwischen den Beteiligten streitige Vorhandensein eines Antrags der Klägerin vom 05.10.2011 und --im Fall des Auffindens dieses Schriftstücks in den Akten-- den Zeitpunkt seines Zugangs durch die Reihenfolge der vorgenommenen Heftung nur dann, wenn das Gericht die Akte nicht unbeaufsichtigt aus der Hand gibt, oder zuvor eine vollständige Duplikatsakte angefertigt hat. Letzteres ist indes gerade bei dem Umfang der den Streitfall betreffenden Akten ein sehr aufwendiges Unterfangen und widerspricht Sinn und Zweck des Grundsatzes der Durchführung der Akteneinsicht in Diensträumen.
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Besondere Vorsichtsmaßnahmen aufgrund der Coronavirus-Pandemie führen zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass die Klägerin die Zugehörigkeit ihres Prozessbevollmächtigten zu einer Risikogruppe lediglich behauptet hat, hat das FG zu Recht darauf verwiesen, dass ein eigener Raum zur Durchführung einer Akteneinsicht zur Verfügung steht, der die Möglichkeit der Belüftung bietet. Es ist nicht erkennbar, dass die möglichen und ggf. gebotenen Maßnahmen wie das Tragen einer Mund- und Nasen-Bedeckung sowie das Halten von Abstand zu anderen Menschen und die Reinigung von Händen bei der Akteneinsicht in dem FG nicht gewährleistet wären oder eine Unzumutbarkeit für den Prozessbevollmächtigten aus anderen Gründen bestünde. Gesundheitliche Beschwerden, die der Prozessbevollmächtigte durch einen längeren Aufenthalt in einem durch stetige Lüftung stark unterkühlten Raum befürchtet, kann er durch das Tragen entsprechender Kleidung vermeiden. Darüber hinaus bestehen jedenfalls derzeit, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde, keine unüberbrückbaren pandemiebedingten Beeinträchtigungen mehr.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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