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BFH 05.12.2019 - II R 37/18
BFH 05.12.2019 - II R 37/18 - Dem Verkäufer vorbehaltene Nutzungen als grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung
Normen
§ 8 Abs 1 GrEStG 1997, § 9 Abs 1 Nr 1 GrEStG 1997, § 118 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 22. Juni 2017, Az: 6 K 1514/15, Urteil
nachgehend Sächsisches Finanzgericht, 4. September 2020, Az: 6 K 1514/15, Beschluss
Leitsatz
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Verpflichtet sich der Käufer beim Kauf eines Grundstücks, dieses dem Verkäufer ohne angemessenes Entgelt zur Nutzung zu überlassen, liegt darin eine Gegenleistung für das Grundstück.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 22.06.2017 - 6 K 1514/15 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag vom 09.05.2012 (Kaufvertrag) ein Grundstück vom Verkäufer. Das als Kulturdenkmal erfasste, parkähnliche Gelände war mit acht Gebäuden bebaut, von denen drei (Nr. 1a, 2 und 5) genutzt wurden; die anderen befanden sich in schlechtem baulichen Zustand und standen leer. In § 2 des Kaufvertrags räumte die Klägerin dem Verkäufer das Recht ein, seine bisherige Nutzung der Gebäude 2 und 5 zunächst für 30 Jahre unentgeltlich fortzusetzen. § 4 des Kaufvertrags lautet:
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"Kaufpreis, Verpflichtung des Verkäufers
Objektiv wird festgestellt, dass das Grundstück mit einer Vielzahl alter Bausubstanz sowie einer maroden Erschließung belastet ist und sich im Übrigen zu großen Teilen in einem schlechten Gesamtzustand befindet. Das Grundstück ist daher insgesamt mit einem negativen Kaufpreis zu bewerten. Aus diesem Grunde bestimmen die Vertragsparteien keinen Kaufpreis.
Der Verkäufer verpflichtet sich für die Ablösung aufgezeigter 'Lasten' des Grundstücks zur Zahlung eines einmaligen Geldbetrages in Höhe von 100.000 Euro … an den Käufer. …"
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 13.11.2013 Grunderwerbsteuer fest und zog dabei einen nach § 138 des Bewertungsgesetzes gesondert festgestellten Grundbesitzwert als Bemessungsgrundlage heran.
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Auf den Einspruch hin legte das FA der Besteuerung stattdessen den Kapitalwert der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen als Gegenleistung zugrunde, den es mit 620.018 € bezifferte.
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Im Klageverfahren nahm das FA eine geringere zur Nutzung überlassene Grundstücksfläche an. Der Nutzungswert als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer sei daher auf 491.462,20 € herabzusetzen.
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Auf den --protokollierten und deshalb maßgebenden-- Antrag der Klägerin, den Grunderwerbsteuerbescheid dahingehend zu ändern, dass die Steuer auf 0 € festgesetzt wird, hob das Finanzgericht (FG) den Bescheid auf. Die Steuer sei nach dem Wert der Gegenleistung zu bemessen. Diese betrage 0 €. Die Vertragsparteien hätten einen Kaufpreis von ./. 100.000 € festgelegt, da sie mit Abbruchkosten gerechnet hätten, die "den Wert des Grund und Bodens und der noch nutzbaren Gebäudeteile sowie des 30-jährigen Nutzungsrechts" überstiegen. Von erwarteten Kosten in Höhe von ca. 500.000 € sei lediglich ein Anteil von 80 % durch Fördermittel gedeckt gewesen. Deshalb habe sich der Verkäufer "auf einen negativen Kaufpreis eingelassen …, obwohl er ein 30-jähriges Nutzungsrecht an den Gebäuden 2 und 5 erhalten hat". Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1327 veröffentlicht.
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Mit der Revision macht das FA eine Verletzung von § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geltend. Bei der Bestimmung der Gegenleistung habe das FG das dem Verkäufer vorbehaltene Nutzungsrecht außer Acht gelassen. Allerdings sei die Zuzahlung des Verkäufers in Höhe von 100.000 € in Abzug zu bringen, die Bemessungsgrundlage daher mit 391.462,20 € anzusetzen.
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Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage, soweit nicht eine Herabsetzung der Bemessungsgrundlage auf 391.462,20 € zugesagt wurde, abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG verletzt, indem es die dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen nicht in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einbezogen hat.
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1. Gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer grundsätzlich nach dem Wert der Gegenleistung.
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a) Was zur Gegenleistung gehört, bestimmt § 9 GrEStG, der eine Legaldefinition des Begriffs enthält und --zusammen mit § 8 Abs. 1 GrEStG-- darauf abzielt, die Gegenleistung so umfassend wie möglich zu erfassen (Begründung zum GrEStG 1940, RStBl 1940, 387, 405; vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 02.03.2011 - II R 23/10, BFHE 232, 358, BStBl II 2011, 932, Rz 17, und vom 02.03.2011 - II R 64/08, BFH/NV 2011, 1009, Rz 21). Dem Grunderwerbsteuergesetz liegt ein eigenständiger, über das bürgerlich-rechtliche Verständnis hinausgehender Gegenleistungsbegriff zugrunde (vgl. BFH-Urteile vom 16.02.1977 - II R 89/74, BFHE 122, 338, BStBl II 1977, 671, unter 2., und vom 08.09.2010 - II R 28/09, BFHE 231, 244, BStBl II 2011, 227, Rz 14).
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b) Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gilt als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Nutzungen sind gemäß § 100 BGB u.a. die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. Sie gebühren nach § 446 Satz 2 BGB von der Übergabe der Sache an dem Käufer. Wird die Norm vertraglich abbedungen, belässt der Grundstückskäufer also die Nutzungen dem Verkäufer über diesen Zeitpunkt hinaus, liegt darin ein geldwerter Vorteil, den der Käufer für den Erwerb der Sache hingibt. Dies rechtfertigt die Einbeziehung der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen in die Gegenleistung (vgl. Begründung zum GrEStG 1940, RStBl 1940, 387, 406; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.1981 - IX 153/81, IX 154/81, EFG 1982, 428; Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 19. Aufl., § 9 Rz 231; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 9 Rz 104; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 9 Rz 28; Konrad in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, § 9 Rz 154; Jochum in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 9 GrEStG Rz 64; im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 06.12.1989 - II R 95/86, BFHE 159, 255, BStBl II 1990, 186, unter 1.c).
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c) Wenn jedoch der Grundstücksverkäufer die vorbehaltenen Nutzungen angemessen vergütet, liegt in der Nutzungsüberlassung keine Gegenleistung für das Grundstück i.S. von § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (ähnlich BFH-Urteil vom 06.12.2017 - II R 55/15, BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 13).
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d) Für die Bestimmung der Gegenleistung ist nicht maßgebend, was die Vertragschließenden als Gegenleistung für das Grundstück bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sie sich tatsächlich verpflichtet haben (BFH-Urteil in BFHE 231, 244, BStBl II 2011, 227, Rz 14). Ob sich der Verkäufer Nutzungen ohne angemessenes Entgelt vorbehalten hat, ist durch Auslegung des Kaufvertrags zu ermitteln. Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist. Das Revisionsgericht prüft, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Dagegen ist die rechtliche Einordnung des von den Vertragspartnern Gewollten am Maßstab der jeweils einschlägigen Normen für das Revisionsgericht nicht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, sondern in vollem Umfang nachprüfbare Rechtsanwendung (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 30.01.2019 - II R 26/17, BFHE 264, 47, Rz 31).
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2. Nach diesen Maßstäben tragen die Feststellungen des FG nicht den Schluss, dass die dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen nicht in die Bemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG einzubeziehen seien.
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a) Gemäß § 4 des Kaufvertrags hat die Klägerin als Käuferin des Grundstücks keinen Kaufpreis zu entrichten; stattdessen hat der Verkäufer eine Zuzahlung in Höhe von 100.000 € zu leisten. Hieraus ergibt sich der von der Vorinstanz angenommene Kaufpreis von ./. 100.000 €.
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b) Daneben hat die Klägerin aber in § 2 des Kaufvertrags dem Verkäufer das Recht eingeräumt, seine bisherige Nutzung der Gebäude 2 und 5 für 30 Jahre unentgeltlich fortzusetzen. Sie hat Nutzungen des Grundstücks, die mit dessen Übergabe ihr als Käuferin zustünden, dem Verkäufer überlassen, ohne von diesem eine Vergütung zu erhalten. "Unentgeltlich" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin vom Verkäufer kein gesondertes Entgelt für die Überlassung der Gebäude fordert. Der Wert der Nutzungen stellt vielmehr eine --grunderwerbsteuerrechtliche-- Gegenleistung der Klägerin für den Erhalt des Grundstücks dar. Soweit die Klägerin einwendet, das Nutzungsrecht des Verkäufers sei in den Leistungsaustausch einbezogen worden, bestätigt sie in der Sache gerade diese Beurteilung.
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Sollte das FG angenommen haben, das Nutzungsrecht sei wertlos, bestehen dafür keine Anhaltspunkte. Nach den im Urteil getroffenen Feststellungen gehören die dem Verkäufer überlassenen Gebäude gerade nicht zu denen, die sich zum Zeitpunkt des Erwerbs in schlechtem Zustand befanden.
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c) Bemessungsgrundlage i.S. von § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist demgemäß der Wert der Nutzungen abzüglich der Zuzahlung des Verkäufers in Höhe von 100.000 €.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Feststellungen zum Umfang der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen zu treffen und das Nutzungsrecht zu bewerten haben.
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4. Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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