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BFH 06.10.2016 - IX B 81/16
BFH 06.10.2016 - IX B 81/16 - Aussetzung des Verfahrens - Bescheinigung über Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen - Remonstration des FA - Keine Kostenentscheidung über unselbständige Nebenentscheidung
Normen
§ 74 FGO, § 7h Abs 2 S 1 EStG 1997, § 7h Abs 1 EStG 1997, § 177 BauGB vom 27.08.1997, § 143 Abs 1 FGO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 17. Juni 2016, Az: 6 K 277/10, Beschluss
Leitsatz
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1. Die Aussetzung des Verfahrens kommt nicht mehr in Betracht, wenn das Verwaltungsverfahren, von dessen Ausgang die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt, abgeschlossen ist. Das ist der Fall, wenn die zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren, in dem das vorgreifliche Rechtsverhältnis festzustellen ist, durch bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt abgeschlossen hat .
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2. Remonstriert das FA gegen die Bescheinigung der zuständigen Behörde über das Vorliegen von Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen nach § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG, führt dies weder zur Fortsetzung des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens noch wird dadurch ein neues Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt, über welches die zuständige Behörde förmlich zu entscheiden hat .
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3. Bei Überprüfung der Ermessensentscheidung des FG hat der BFH sein eigenes Ermessen auszuüben .
Tenor
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Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Juni 2016 6 K 277/10 aufgehoben.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erwarben 1999 eine vom Bauträger noch zu errichtende Eigentumswohnung im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Das Grundstück befindet sich in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet. Die Wohnung wurde im September 2000 fertiggestellt.
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Im Dezember 2000 bescheinigte die zuständige Behörde gegenüber dem Bauträger für das Gesamtgrundstück die Durchführung von Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. von § 177 des Baugesetzbuchs (BauGB) sowie die bis zur Antragstellung dafür angefallenen Aufwendungen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ 2002 einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2000 bis 2010 für das Gesamtobjekt. Zu der von den Klägern erworbenen Wohnung enthielt der Bescheid erklärungsgemäß folgende Feststellungen:
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Anschaffungskosten gesamt
515.202 DM
Grund und Boden
62.165 DM
Altbau
121.375 DM
Modernisierung
331.662 DM
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Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
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In den Jahren 2005 bis 2007 fand bei dem Bauträger eine Außenprüfung für das Objekt statt. Nach Auffassung der Prüferin handelte es sich bei der von den Klägern erworbenen Wohnung um einen bautechnischen Neubau, für den die Förderung nach § 7h des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht in Betracht komme. Das FA änderte daraufhin den Feststellungsbescheid und stellte zu Lasten der Kläger die "Anschaffungskosten für nach Kaufvertragsabschluss durchgeführte Modernisierungs- bzw. Baumaßnahmen" mit 0 DM fest.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat. Das Verfahren ruhte zunächst mit Zustimmung beider Beteiligter bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem Revisionsverfahren X R 15/13.
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Nachdem das BFH-Urteil vom 22. Oktober 2014 X R 15/13 (BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367) veröffentlicht war, haben die Kläger eine objektbezogene Bescheinigung der zuständigen Behörde beigebracht, in der auf die Wohnung der Kläger entfallende anteilige Modernisierungsaufwendungen von 160.860 € bescheinigt sind (Bescheinigung vom 11. Juni 2015).
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Gegen diese Bescheinigung hat das FA bei der zuständigen Behörde remonstriert und die Aussetzung des Klageverfahrens beantragt. Am 16. November 2015 hat die zuständige Behörde dem FA mitgeteilt, es bestehe kein Grund, die erteilte Bescheinigung in Zweifel zu ziehen. Die vom FA vorgelegten Unterlagen könnten nicht bestätigt werden. Die Bauakten seien bereits vernichtet worden.
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Durch Beschluss vom 17. Juni 2016 hat das FG nach Anhörung der Kläger das Verfahren bis zur Entscheidung der zuständigen Behörde über das vom FA eingeleitete Remonstrationsverfahren gegen die Bescheinigung vom 11. Juni 2015 ausgesetzt. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
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1. Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung u.a. anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann das Gericht die Verhandlung (das Verfahren) u.a. bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde aussetzen.
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2. Die Voraussetzungen des § 74 FGO liegen im Streitfall nicht vor.
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a) Zwar ist das FA an die Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG gebunden, soweit sie sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG genannten Merkmale bezieht. Dies schließt die Entscheidung der zuständigen Behörde darüber ein, ob ein Neubau in bautechnischem Sinne vorliegt (vgl. nur BFH-Urteil in BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367). Der Inhalt des mit der Klage angefochtenen Feststellungsbescheids ist insofern vom Ausgang des Verwaltungsverfahrens abhängig, in dem die zuständige Behörde über diese Frage entscheidet. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt aber nicht mehr in Betracht, wenn das Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist. Das ergibt sich im Umkehrschluss daraus, dass die Aussetzung längstens bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde anzuordnen ist. Im Streitfall hat die zuständige Behörde die Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG erteilt. Der Bescheid ist auch bestandskräftig geworden; das Verwaltungsverfahren ist damit abgeschlossen.
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b) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das FA die zuständige Behörde darum gebeten hat, ihre Entscheidung zu überdenken und zu ändern. Dabei handelt es sich weder um eine förmliche Fortsetzung des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens noch um ein eigenständiges Verfahren, welches durch eine förmliche Entscheidung abgeschlossen werden muss. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die zuständige Behörde das Begehren des FA bereits endgültig zurückgewiesen hat, worüber die Beteiligten streiten, oder ob noch eine Entscheidung (z.B. der vorgesetzten Behörde) in der Sache zu erwarten steht. Ist die Entscheidung, von deren Ausgang der Rechtsstreit abhängt, bereits ergangen, steht mithin nicht deren Erlass, sondern deren Vollziehung in Streit, kommt eine Aussetzung grundsätzlich nicht in Betracht, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass die bindende Entscheidung noch beseitigt werden kann (im Ergebnis ebenso: Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 94 Rz 22).
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c) Aber selbst wenn man dies anders sehen wollte, hätte die Beschwerde Erfolg. Über die Aussetzung des Verfahrens entscheidet das FG nach seinem Ermessen. Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung hat der BFH sein eigenes Ermessen auszuüben (BFH-Beschluss vom 27. November 1992 III B 133/91, BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240). Der beschließende Senat sieht keine hinreichende Aussicht dafür, dass die zuständige Behörde ihre Bescheinigung zurücknehmen oder ändern wird. Die Behörde hat dies abgelehnt und u.a. darauf verwiesen, dass die Akten bereits vernichtet seien, so dass der Sachverhalt nicht mehr neu beurteilt werden könne. Im Übrigen geht es in der Sache um eine inhaltliche Differenz. Das FA meint, die am Dachgeschoss ausgeführten Baumaßnahmen führten zu einem bautechnischen Neubau, denn es seien die Wände, der Fußboden und der Dachstuhl neu in das Gebäude eingefügt worden. Die zuständige Behörde argumentiert dagegen, das Gebäude sei im Krieg beschädigt und mit einem Notdach versehen worden. Zu Beginn der Sanierung seien noch Teile des alten Daches vorhanden gewesen und genutzt worden. Deshalb habe es sich um eine Sanierung und nicht um einen Neubau gehandelt. Der Bauträger habe die Auflage gehabt, die Kriegsschäden zu beseitigen und den ursprünglich vorhandenen Zustand (Traufhöhe und Kubatur des Dachstuhls) wiederherzustellen. Dies zugrunde gelegt, hat die zuständige Behörde in Anwendung von § 177 BauGB darüber entschieden, dass die von den Klägern erworbene Wohnung kein (bautechnischer) Neubau ist. Das FA wird diese Entscheidung infolge der Bindungswirkung hinnehmen müssen, auch wenn es sie für unzutreffend hält.
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d) Für das weitere, noch nicht abgeschlossene Verfahren in der Hauptsache weist der erkennende Senat, dem nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH die ausschließliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über die maßgebliche Vorschrift zufällt, darauf hin, dass nach seiner langjährigen und ständigen Rechtsprechung die zuständige Gemeindebehörde mit der Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 EStG für die Finanzbehörden bindend über die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale entscheidet (s. BFH-Urteile vom 21. August 2001 IX R 20/99, BFHE 196, 191, BStBl II 2003, 910; vom 22. September 2005 IX R 13/04, BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373; vom 6. Mai 2014 IX R 15/13, BFHE 246, 61, BStBl II 2015, 581; IX R 16/13, BFH/NV 2014, 1729; IX R 17/13, BFH/NV 2014, 1731; s. ferner BFH-Urteil vom 17. Dezember 1996 IX R 91/94, BFHE 182, 175, BStBl II 1997, 398, zur Vorgängervorschrift des § 82g Abs. 1 Satz 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1986). Nach diesen Grundsätzen prüft allein die Gemeinde, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt wurden; nach den Wertungen des Baugesetzbuchs muss entschieden werden, wie die Begriffe "Modernisierung" und "Instandsetzung" zu verstehen sind und ob darunter auch ein Neubau in bautechnischem Sinne zu subsumieren ist (s. nur BFH-Urteil in BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373).
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Auch wenn der X. Senat des BFH in verschiedenen, mit dem Streitfall nicht sachverhaltsidentischen Einzelfällen --auch zu den vorliegend nicht einschlägigen Sonderregelungen für Baudenkmale (§§ 7i, 10f EStG)-- eine hiervon differenzierte Auffassung vertreten hat (s. BFH-Urteile vom 2. September 2008 X R 7/07, BFHE 224, 484, BStBl II 2009, 596; vom 24. Juni 2009 X R 8/08, BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960), stellt die Neuausrichtung der Rechtsprechung dieses Senats mit der Entscheidung in BFHE 247, 562, BStBl II 2015, 367 --entgegen der Auffassung des FA-- keine Abkehr von der bisherigen BFH-Rechtsprechung, sondern im Gegenteil eine Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats dar (insoweit missverständlich Stellungnahme des Bundesrates vom 23. September 2016, BRDrucks 406/16 (Beschluss), S. 14).
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Nach diesen Grundsätzen, von denen im Übrigen auch die Finanzverwaltung ausgeht (s. R 7h Abs. 4 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien), unterliegt die Bescheinigung mit Blick auf die bescheinigten Tatbestandsmerkmale des § 7h Abs. 1 EStG weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden; vielmehr handelt es sich hierbei um einen Verwaltungsakt in Form eines Grundlagenbescheides, an den die Finanzbehörden im Rahmen des gesetzlich vorgegebenen Umfangs gebunden sind (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Das FG wird im anstehenden Hauptsacheverfahren diese Rechtsgrundsätze zu berücksichtigen haben.
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3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da es sich bei der Aussetzung des Verfahrens um eine unselbständige Nebenentscheidung handelt. Das gilt auch für die erfolgreiche Beschwerde über die Aussetzung/Nichtaussetzung des Verfahrens (vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 143 Rz 9 "Aussetzung des Klageverfahrens").
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