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BFH 23.08.2016 - IX R 15/16
BFH 23.08.2016 - IX R 15/16 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung - Büroversehen
Normen
§ 56 Abs 1 FGO, § 120 Abs 2 S 1 FGO, § 56 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 4. April 2016, Az: 8 K 2166/14, Urteil
Leitsatz
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NV: Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten verschuldet war.
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 4. April 2016 8 K 2166/14 wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten über die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie in der Sache über den Ansatz eines Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes.
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Mit Einkommensteuerbescheid 2012 vom 26. Juli 2013 sowie mit Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2014 hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft in Höhe von 26.000 € erfasst. Mit Urteil vom 4. April 2016 hat das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) die von den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) dagegen erhobene Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Das FG-Urteil ist dem von den Klägern bevollmächtigten Rechtsanwalt mittels Empfangsbekenntnis am Dienstag, den 12. April 2016, zugestellt worden. Mit am Dienstag, den 10. Mai 2016, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz haben die Kläger Revision gegen das Urteil eingelegt. Eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision durch den Senatsvorsitzenden aufgrund eines vor Ablauf der Frist gestellten Antrags erfolgte nicht.
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Mit Schreiben des Vorsitzenden vom 20. Juni 2016 wurde der Prozessbevollmächtigte der Kläger auf den am 13. Juni 2016 erfolgten Ablauf der Revisionsbegründungsfrist und die bis dahin fehlende Revisionsbegründung hingewiesen.
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Mit Schreiben vom 12. Juli 2016 haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung bringen sie vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe nach Eingang des FG-Urteils die Handakte und den Vorgang seiner erfahrenen und bis dahin stets sorgfältig und zuverlässig arbeitenden Büroangestellten ausgehändigt. Er habe diese angewiesen, im Fristenkalender die Revision auf den 12. Mai 2016 sowie die Begründung der Revision auf den 13. Juni 2016 zu notieren. Zudem habe eine Vorfrist für den 6. Mai 2016 und den 7. Juni 2016 notiert werden sollen. Anschließend habe die Akte ihm mit Ausführungsbestätigung sofort wieder vorgelegt werden sollen. Diese Anweisung sei noch im Beisein des Prozessbevollmächtigten auf dem Urteil notiert worden. Die Büroangestellte habe anschließend die Eintragung der Frist zur Einlegung der Revision nebst der Vorfrist vorgenommen. Die Eintragung der Revisionsbegründungsfrist, der Vorfrist dazu und die sofortige Wiedervorlage der Akte sei versäumt worden. Nachdem die Kläger den Prozessbevollmächtigten am 5. Mai 2016 mit der Einlegung der Revision beauftragt hätten und dieser die Revision am 10. Mai 2016 eingelegt habe, habe sich die Akte im Büro ihres Prozessbevollmächtigten befunden. Bei der Büroangestellten handele es sich um eine geschulte und stets zuverlässige Bürokraft, die den Fristenkalender seit mehr als fünfeinhalb Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe. Daher liege ein Büroversehen einer bis dahin fehlerfrei arbeitenden Büroangestellten vor. An das genaue Geschehen während der Eintragung der Fristen könne sich die Büroangestellte allerdings nicht mehr erinnern. Sie vermute, dass sie bei Eintragung der Fristen durch andere Arbeitsaufträge abgelenkt gewesen sei.
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Die Kläger beantragen,
ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Frist zur Begründung der Revision zu gewähren, das Urteil des FG vom 4. April 2016 und die Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2014 aufzuheben und den Bescheid über Einkommensteuer 2012 vom 26. Juli 2013 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 26.000 € nicht berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Die Kläger haben die Frist für die Begründung der Revision versäumt. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Frist lief im Streitfall am Montag, den 13. Juni 2016, ab. Die Revisionsbegründung der Kläger ist jedoch erst am 12. Juli 2016 --nach einem Hinweisschreiben des Senatsvorsitzenden vom 20. Juni 2016-- beim BFH eingegangen.
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2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger an der Einhaltung der Frist unverschuldet verhindert waren.
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a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 I R 67/06, BFHE 221, 201, BStBl II 2011, 55, unter B.I.1., m.w.N.; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Rz 10). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Die Tatsachen, die auf ein fehlendes Verschulden schließen lassen, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Dazu gehört eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darlegung der Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2010 IV R 5/10, BFH/NV 2011, 809).
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines vom Prozessbevollmächtigten nicht zu vertretenden Büroversehens kann nur dann gewährt werden, wenn einem mit der büromäßigen Bearbeitung der Angelegenheit befassten und in der Vergangenheit stets zuverlässigen Mitarbeiter trotz ordnungsgemäßer Büroorganisation ein Fehler unterlaufen ist (zum Büroversehen vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 26. Februar 2014 IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881, unter II.2.a, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 56 Rz 20, Stichwort "Büroversehen").
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Wird --wie im Streitfall-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, so muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt. Der Prozessbevollmächtigte muss alle Vorkehrungen getroffen haben, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und muss durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen haben. Bei Bevollmächtigten, die die Rechts- und Steuerberatung berufsmäßig ausüben, ist u.a. die Schilderung der Fristenkontrolle nach Art und Umfang erforderlich und diese durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom 17. November 2015 V B 56/15, BFH/NV 2016, 222, unter II.2.b, m.w.N.).
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Begründungsfrist für die Revision nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört. Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (vgl. zuletzt BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 222, unter II.2.c bb, m.w.N.).
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b) Unter Beachtung dieser Maßstäbe haben die Kläger weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden die Frist zur Begründung der Revision versäumt hat.
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aa) Nach den Ausführungen der Kläger hat es ihr Bevollmächtigter unterlassen, nach Eingang der FG-Entscheidung die Ausführungsbestätigung hinsichtlich der Notierung der Revisionsbegründungsfrist zu kontrollieren. Gleichfalls hat es der Prozessbevollmächtigte anlässlich des Fertigens des Schriftsatzes zur Revisionseinlegung vom 10. Mai 2016 unterlassen, die Erfassung der Revisionsbegründungsfrist (erneut) zu kontrollieren. Nach der Rechtsprechung des BFH gehört es jedoch zu den Pflichten eines Bevollmächtigten im Rahmen des Revisionsverfahrens, bei der Bearbeitung der Sache eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen (vgl. BFH-Beschluss vom 13. September 2012 XI R 40/11, BFH/NV 2013, 213, unter II.2.b bb). Für eine sorgfältige Prüfung bestand auch gerade deswegen Anlass, weil die Revisionsbegründungsfrist auch für einen schwerpunktmäßig mit der Prozessführung beauftragten Rechtsanwalt regelmäßig keine alltägliche Frist ist.
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bb) Danach ist ein Büroversehen ihres Bevollmächtigten nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Der Prozessbevollmächtigte hat außer einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten keine weiteren Unterlagen vorgelegt, die auf ein fehlendes Verschulden hinsichtlich der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist hindeuten. Er hat nicht weiter ausgeführt, wie im Büro konkret die Fristenkontrolle erfolgt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440, unter 2.). Auch sein Vortrag, auf der im Büro eingegangenen FG-Entscheidung sei die Revisionsbegründungsfrist notiert gewesen und nur versehentlich von der Büroangestellten nicht erfasst worden, wird nicht durch die Vorlage einer entsprechenden Kopie des Schriftstücks glaubhaft gemacht.
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3. Die Kostentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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