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BFH 05.06.2014 - VI R 76/13
BFH 05.06.2014 - VI R 76/13 - (Doppelte Haushaltsführung - Mehrgenerationenhaushalt - Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO)
Normen
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG 2002, EStG VZ 2005
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 7. Mai 2013, Az: 13 K 2935/08, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Ein eigener Hausstand wird auch dann unterhalten, wenn der Haupthausstand im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts (mit den Eltern) geführt wird. Bei älteren, wirtschaftlich selbständigen, berufstätigen Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sie die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen, so dass ihnen dieser Hausstand als "eigener" zugerechnet werden kann.
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2. NV: Der Übernahme einer besonderen finanziellen Verantwortung für den (gemeinsamen) Hausstand durch die gleichmäßige Beteiligung an den laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten durch den Steuerpflichtigen bedarf es nicht (Anschluss an BFH-Urteil vom 16. Januar 2013 VI R 46/12, BFHE 240, 241, BStBl II 2013, 627).
Tatbestand
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I. Streitig ist die Berücksichtigung von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung bei einem ledigen Steuerpflichtigen, der geltend macht, seinen Haupthausstand am Wohnsitz seiner Eltern zu unterhalten.
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Der 1965 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ledig und in X nichtselbständig tätig. Er machte mit seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2004 bis 2005) geltend, in X eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 82 qm als Wohnung am Beschäftigungsort zu nutzen und seinen Haupthausstand in der in Y gelegenen 129 qm großen Mietwohnung seiner Eltern zu unterhalten. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) stand dem Kläger dort ein von den Eltern zusätzlich zu ihrer Wohnung angemieteter, mit einer Waschgelegenheit ausgestatteter Kellerraum in der Größe von 28 qm zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Der Kläger beteiligte sich nicht an den Mietkosten.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ in den gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden die geltend gemachten Kosten der doppelten Haushaltsführung (Kosten wegen Familienheimfahrten) unberücksichtigt.
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Die dagegen gerichtete Klage, mit der der Kläger den Abzug von Unterkunftskosten und Mehraufwendungen für die Verpflegung (2004) begehrte, hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG hat der Kläger keinen eigenen Hausstand in Y unterhalten. Ein solcher setze voraus, dass abgeschlossene Räumlichkeiten vorhanden seien, die ein eigenständiges Wirtschaften ermöglichten. Dazu sei erforderlich, dass wenigstens eine Kochgelegenheit und Sanitäreinrichtungen vorhanden seien. Daran fehle es hier. Zudem stehe dem Kläger kein eigenes Recht zur Nutzung des Kellerraums zu.
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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 8. September 2008 aufzuheben und die Änderungsbescheide vom 25. Januar 2007 dahingehend abzuändern, dass die doppelte Haushaltsführung berücksichtigt und die Einkommensteuer für die Jahre 2004 und 2005 auf … € und … € festgesetzt wird.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des Senats, s. etwa Urteil vom 21. April 2010 VI R 26/09, BFHE 230, 5, BStBl II 2012, 618, m.w.N.).
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a) Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der nicht verheiratete Arbeitnehmer als nicht die Haushaltsführung wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender Teil in einen Hausstand eingegliedert ist, wie es regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern der Fall ist, die nach Beendigung der Ausbildung weiterhin --wenn auch gegen Kostenbeteiligung-- im elterlichen Haushalt ihr Zimmer bewohnen. Die elterliche Wohnung kann in einem dieser häufigen Fälle zwar, auch wenn das Kind am Beschäftigungsort eine Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sein, sie ist aber nicht ein von dem Kind unterhaltener eigener Hausstand. Bei älteren, wirtschaftlich selbständigen, berufstätigen Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist hingegen davon auszugehen, dass sie die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen, so dass ihnen dieser Hausstand als "eigener" zugerechnet werden kann. Diese Regelvermutung gilt insbesondere, wenn die Wohnung am Beschäftigungsort dem Arbeitnehmer im Wesentlichen nur als Schlafstätte dient. Denn dort ist regelmäßig weder der Haupthausstand noch der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen zu verorten. Entspricht die Wohnsituation am Heimatort der Wohnung am Beschäftigungsort in Größe und Ausstattung oder übertrifft sie diese, ist dies vielmehr ein wesentliches Indiz dafür, dass der Mittelpunkt der Lebensführung nicht an den Beschäftigungsort verlegt worden ist, sondern der Haupthausstand dort fortgeführt wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Steuerpflichtige dort sein Privatleben führt, weil zum Heimatort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen, beispielsweise wegen der --mit steigender Lebenserwartung immer häufiger-- alten, betreuungs- oder sogar pflegebedürftigen Eltern.
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b) Der Umstand, dass der Arbeitnehmer dabei am Heimatort nicht über eine abgeschlossene Wohnung verfügt, steht dieser Vermutung nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können die durch das Leben am Beschäftigungsort zusätzlich entstehenden notwendigen Aufwendungen grundsätzlich auch dann zu Werbungskosten führen, wenn die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen am Ort seines Lebensmittelpunktes vergleichsweise einfach oder beengt sein sollten. Insbesondere müssen die dem Arbeitnehmer zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Räumlichkeiten nicht den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden. Vielmehr kann ein eigener Hausstand auch dann unterhalten werden, wenn der Erst- oder Haupthausstand gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil geführt wird.
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c) Auch bedarf es der Übernahme einer besonderen finanziellen Verantwortung für den (gemeinsamen) Hausstand durch die gleichmäßige Beteiligung an den laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten durch den Steuerpflichtigen nicht. Denn eine finanzielle Beteiligung, aus der auf eine gemeinsame Haushaltsführung von Eltern und Kindern geschlossen werden kann, kann auch vorliegen, wenn etwa eine Aufteilung nach laufenden und einmaligen Kosten oder nach gewöhnlichem und außergewöhnlichem Aufwand vorgenommen wird. Im Übrigen ist dem Merkmal der Entgeltlichkeit lediglich --eine gewichtige-- Indizfunktion beizumessen. Denn die Entgeltlichkeit ist keine unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) einer steuererheblichen doppelten Haushaltsführung. Dies gilt sowohl für die Überlassung der Wohnung selbst als auch für die Kostentragung im Übrigen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein alleinstehender Steuerpflichtiger auch dann einen eigenen Haushalt unterhält, wenn nicht er selbst, sondern Dritte für diese Kosten aufkommen. Denn eine eigene Haushaltsführung des auswärts Beschäftigten ist nicht zwingend ausgeschlossen, wenn sich dessen finanzielle Beteiligung am Haushalt nicht feststellen lässt, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen Beitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist (Senatsurteil vom 16. Januar 2013 VI R 46/12, BFHE 240, 241, BStBl II 2013, 627; s. auch Senatsurteile vom 28. März 2012 VI R 87/10, BFHE 236, 553, BStBl II 2012, 800; vom 26. Juli 2012 VI R 10/12, BFHE 238, 413, BStBl II 2013, 208).
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2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Das FG hat vor allem verkannt, dass bei einem erwachsenen, wirtschaftlich selbständigen Kind --wie dem Kläger-- regelmäßig vermutet werden kann, dass es nicht als Gast in den elterlichen Haushalt eingegliedert ist, sondern jedenfalls dann, wenn es dort lediglich unterbrochen durch Arbeits- und Urlaubsaufenthalte gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil wohnt, auch die gemeinsame Haushaltsführung wesentlich mitbestimmt.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere Feststellungen zu dem behaupteten Haupthausstand zu treffen und auf dieser Grundlage erneut zu würdigen haben, ob der Kläger in den fraglichen Räumlichkeiten einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG, möglicherweise im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts, unterhalten hat. Sodann hat das FG festzustellen, ob sich der Lebensmittelpunkt des Klägers noch in seinem Heimatort befand. Sollte das FG danach vom Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung dem Grunde nach überzeugt sein, sind § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 6 EStG und § 177 Abs. 1 AO zu beachten. Dabei geht der Senat davon aus, dass das FA zur Korrektur der Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt war.
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4. Der Antrag, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, war als unzulässig zu verwerfen, weil dieser Antrag im Revisionsverfahren nicht statthaft ist. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren. Zuständig ist daher das FG als Gericht des ersten Rechtszuges (vgl. Senatsentscheidung vom 21. April 2010 VI R 46/08, BFHE 229, 228, BStBl II 2010, 848, m.w.N.).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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