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BFH 06.12.2011 - XI S 9/11 (PKH)
BFH 06.12.2011 - XI S 9/11 (PKH) - (PKH-Gewährung, wenn Haftung wegen Nichtbeachtung der Umkehr der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b UStG mangels Schadens zweifelhaft - Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde)
Normen
§ 142 FGO, § 34 AO, § 69 AO, § 13b Abs 2 S 2 UStG 2005, § 13b Abs 1 S 1 Nr 4 UStG 2005
Leitsatz
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1. NV: Es ist zweifelhaft, ob der Geschäftsführer einer GmbH im Falle einer pflichtwidrigen Nichtbeachtung der in § 13b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG angeordneten Umkehr der Steuerschuldnerschaft für die Umsatzsteuer, die auf die an die GmbH erbrachten Leistungen entstanden ist, mangels eines kausal verursachten Schadens dann nicht haftet, wenn die Umsatzsteuer zwar nicht von der GmbH, stattdessen aber - auf Grund der vorgenannten Nichtbeachtung - von den jeweiligen Leistungserbringern an deren FÄ abgeführt worden ist .
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2. NV: Setzt die Inanspruchnahme des Klägers nach Auffassung des FG das Vorhandensein eines Haftungsschadens voraus, so muss es dessen Vorliegen insbesondere dann aufklären, wenn die Beteiligten hierzu widersprüchlich vortragen .
Tatbestand
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I. Innerhalb der Beschwerdefrist beantragte der nicht vertretene Kläger und Antragsteller (Kläger) Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts (FG). Er wendet sich gegen seine Inanspruchnahme als Haftender nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung durch Haftungsbescheid des Beklagten (Finanzamt --FA--) vom 23. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2010. Es geht im Wesentlichen um Umsatzsteuerschulden einer R-GmbH. Der Kläger war einer der alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der R-GmbH, deren Geschäftsgegenstand u.a. in einer Tätigkeit als Bauträger bestand.
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Das FG (der Einzelrichter) hat die Klage abgewiesen. Es hat u.a. ausgeführt, der Kläger müsse sich den Steuerausfall zurechnen lassen, der dadurch entstanden sei, dass die R-GmbH nicht als Leistungsempfänger Umsatzsteuer auf Bauleistungen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) entrichtet habe. Insoweit habe sich die R-GmbH --"aufgrund der grob fahrlässigen Pflichtvergessenheit" des Klägers-- der Geldmittel begeben, die sie zur Tilgung der auf diese Bauleistungen entstandenen Umsatzsteuer benötigt hätte.
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Dagegen macht der Kläger mit seinem PKH-Antrag für eine Nichtzulassungsbeschwerde zum einen geltend, seine Haftung für die Steuerschuld der R-GmbH komme deshalb nicht in Betracht, weil die --möglicherweise pflichtwidrig-- unterlassene Einbehaltung der Umsatzsteuer für die der R-GmbH erbrachten Bauleistungen zu keinem Schaden des Steuergläubigers geführt habe. Die R-GmbH habe nämlich die Umsatzsteuer, die ihr von den leistenden Unternehmen für die erbrachten Lieferungen und Leistungen in den Rechnungen ausgewiesen worden sei, an diese überwiesen und diese Umsatzsteuer sei von den Unternehmen an deren Finanzämter abgeführt worden. Im Ergebnis sei daher kein Schaden entstanden. Die Klärung der Frage, ob eine Haftung in einem solchen Fall deshalb nicht in Betracht komme, weil es an einem kausal verursachten Schaden fehle, sei von grundsätzlicher Bedeutung. In diesem Zusammenhang rügt der Kläger zugleich unzureichende Sachaufklärung des FG, das Übergehen von Beweisanträgen sowie eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
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Zum anderen sei eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts geboten. Es bedürfe einer Entscheidung darüber, ob auch dann noch grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers vorliege, wenn er aus seinem --näher bezeichneten-- fachkundigen Umfeld über rechtlich komplizierte Vorgänge nicht aufgeklärt werde. Insbesondere das FA hätte aus dem Schriftwechsel erkennen können, dass es sich um Bauleistungen handelte und dass die R-GmbH als Leistungsempfängerin nach § 13b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG auf Grund der Umkehr der Steuerlast zu der Abführung der ihr in Rechnung gestellten Umsatzsteuer verpflichtet war.
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Weiter rügt der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch unzureichende Gewährung von Akteneinsicht sowie durch eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht.
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Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--) hat der Kläger innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegt.
Entscheidungsgründe
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II. Dem Antrag auf Bewilligung von PKH für eine noch einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde ist stattzugeben, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und der Kläger die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO).
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1. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger vorliegend nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird.
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Zwar müssen sich die Beteiligten nach § 62 Abs. 4 FGO vor dem BFH grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder einen anderen Bevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertreten lassen. Das gilt nach Abs. 4 Satz 2 der Regelung auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem BFH eingeleitet wird. Darunter fällt aber nicht die Stellung des Antrags auf Bewilligung von PKH (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. August 2010 X S 20/10 (PKH), BFH/NV 2011, 49, und vom 16. September 2010 XI S 18/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2295, jeweils m.w.N.; ständige Rechtsprechung zu der bis zum 30. Juni 2008 anzuwendenden Regelung in § 62a FGO, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2003 VI S 4/03 (PKH), BFH/NV 2004, 356).
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Soweit für § 62 Abs. 4 FGO eine andere Auffassung vertreten wird, folgt dem der Senat nicht. Sie wird dem Zweck der Regelung des PKH-Verfahrens nicht gerecht, dem Unbemittelten einen Rechtsschutz zu sichern, der demjenigen eines Bemittelten wenigstens annähernd entspricht und stünde im Widerspruch dazu, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage ausdrücklich nicht ändern wollte (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2011, 49, und in BFH/NV 2010, 2295, jeweils m.w.N.).
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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a) Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dazu muss in einem Rechtsmittelverfahren ein nicht rechtskundig vertretener Antragsteller zumindest erkennen lassen, in welchen Punkten und in welchem Umfang das angefochtene Urteil angegriffen werden soll (BFH-Beschlüsse vom 27. September 2006 VIII S 16/06 (PKH), BFH/NV 2007, 89, und in BFH/NV 2010, 2295, jeweils m.w.N.).
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Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann als hinreichend anzusehen, wenn die Gründe für und gegen einen Erfolg als gleichwertig zu bewerten sind; eine abschließende Prüfung darf bei der Abwägung nicht vorgenommen werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 22. Dezember 2008 XI S 12/08 (PKH), nicht veröffentlicht --n.v.--, und vom 30. Juli 2004 XI S 20/03 (PKH), BFH/NV 2005, 216).
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b) Der Antrag auf PKH für eine noch einzulegende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet.
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aa) Im Streitfall bietet die Rechtsverfolgung des Klägers bei der gebotenen summarischen Prüfung nach Auffassung des Senats hinreichende Erfolgsaussichten. Soweit die pflichtwidrige Nichtbeachtung der in § 13b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG angeordneten Umkehr der Steuerschuldnerschaft dazu geführt hat, dass die Umsatzsteuer, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG auf die an die R-GmbH erbrachten Leistungen entstanden ist, zwar nicht von der R-GmbH, aber auf Grund dieser Nichtbeachtung stattdessen von den Leistungserbringern an deren Finanzämter abgeführt worden ist, erscheint eine Haftung des Klägers mangels kausal verursachtem Schaden dem Grunde und der Höhe nach zweifelhaft (vgl. zur Frage des Haftungs- bzw. Schadensumfangs auch das BFH-Verfahren VII R 3/11).
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Denn die Haftung knüpft an das Vorliegen eines Haftungsschadens an. Dieser Schaden besteht darin, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind (vgl. z.B. Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 AO Rz 13).
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Der Kläger hat im Streitfall im Klageverfahren das Vorliegen eines Haftungsschadens schriftlich und in der mündlichen Verhandlung mit der substantiierten Begründung bestritten, die R-GmbH habe die ihr in Rechnung gestellten Umsatzsteuern entrichtet, weil von allen beteiligten Unternehmern die gebotene Anwendung von § 13b UStG verkannt worden sei. Diese von der R-GmbH entrichteten Umsatzsteuern seien von den leistenden Unternehmern auch an die jeweiligen Finanzämter abgeführt worden. Hierzu hat das FA ausweislich der Darstellung im Tatbestand des FG-Urteils vorgetragen, es gebe Rechnungen, die nachträglich berichtigt worden seien. Im Übrigen habe der andere Geschäftsführer B ausgesagt, die Rechnungen seien nachträglich "zum überwiegenden Teil geändert und die Umsatzsteuer erstattet oder verrechnet" worden.
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Vor diesem Hintergrund hätte das FG bei der gebotenen summarischen Prüfung von Amts wegen nach § 76 Abs. 1 FGO den Sachverhalt hinsichtlich des Entstehens eines Haftungsschadens dem Grunde und der Höhe nach insoweit aufklären müssen. Dies war aus der Sicht des FG auch entscheidungserheblich, da es zutreffend das Vorhandensein eines Haftungsschadens für die Inanspruchnahme des Klägers durch Haftungsbescheid für erforderlich hielt (vgl. Seite 27 des FG-Urteils). Schließlich hat sich eine weitere Sachaufklärung aus Sicht des FG auch aufgedrängt, da dem FG der widersprüchliche Vortrag der Beteiligten bekannt war. Das Unterlassen dieser von Amts wegen erforderlichen Sachaufklärung hat der Kläger zutreffend als in Betracht kommenden Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügt (vgl. Ziffer 3 Buchst. d der Begründung).
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bb) Das beabsichtigte Beschwerdeverfahren ist auch nicht bereits deshalb aussichtslos, weil die Beschwerde nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO durch eine zur Vertretung vor dem BFH berechtigte Person (§ 62 Abs. 4 FGO) erhoben worden ist. Denn einem Beteiligten, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, eine vertretungsberechtigte Person mit der Einlegung der Beschwerde zu beauftragen, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 56 FGO) gewährt werden (BFH-Beschluss vom 10. Mai 2007 XI S 12/07 (PKH), n.v.).
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c) Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bestehen zur Überzeugung des Senats keine Zweifel an dem Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen zur Gewährung von PKH. Nach der vorliegenden, auf dem vorgeschriebenen Vordruck (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 4 ZPO) abgegebenen Erklärung ist unter Berücksichtigung der weiteren dargelegten Zahlungsverpflichtungen die PKH ratenfrei zu gewähren.
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3. Dem Kläger war gemäß § 142 Abs. 2 FGO ein Prozessvertreter beizuordnen, da er sich in dem Beschwerdeverfahren gemäß § 62 Abs. 4 FGO nicht selbst vertreten kann.
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4. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von PKH ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis der Anlage 1).
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