Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 24.10.2018 - C-234/17
EuGH 24.10.2018 - C-234/17 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer) - 24. Oktober 2018 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Grundsätze des Unionsrechts – Loyale Zusammenarbeit – Verfahrensautonomie – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Nationale Rechtsvorschriften, die einen Rechtsbehelf vorsehen, der im Fall einer Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten die Erneuerung eines Strafverfahrens ermöglicht – Pflicht, dieses Verfahren auf Fälle einer behaupteten Verletzung unionsrechtlich verankerter Grundrechte zu erstrecken – Fehlen“
Leitsatz
In der Rechtssache C-234/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 23. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Mai 2017, in einem Verfahren über ein Rechtshilfeersuchen in Strafsachen in Bezug auf
XC,
YB,
ZA,
Beteiligte:
Generalprokuratur,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin C. Toader, des Kammerpräsidenten F. Biltgen sowie der Richter M. Ilešič, E. Levits, L. Bay Larsen, M. Safjan, D. Šváby, C. G. Fernlund, C. Vajda und S. Rodin,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll, K. Ibili und G. Eberhard als Bevollmächtigte,
der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und G. Tornyai als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Juni 2018
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 4 Abs. 3 EUV und der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.
Es ergeht im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens in Strafsachen, das bei den österreichischen Justizbehörden auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Schweiz) in Bezug auf XC, YB und ZA eingeleitet wurde, die im Verdacht stehen, in der Schweiz Steuerhinterziehung nach dem schweizerischen Mehrwertsteuergesetz und andere strafbare Handlungen begangen zu haben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 50 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ), der zu Titel III Kapitel 2 („Rechtshilfe in Strafsachen“) dieses Übereinkommens gehört, sieht vor:
„Die Vertragsparteien verpflichten sich, Rechtshilfe nach Maßgabe [des am 20. April 1959 in Straßburg unterzeichneten Europäischen Übereinkommens über Rechtshilfe in Strafsachen (SEV Nr. 30) und des Benelux-Übereinkommens über Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen vom 27. Juni 1962 in der Fassung des Protokolls vom 11. Mai 1974] zu leisten wegen Verstößen gegen die gesetzlichen Bestimmungen und Vorschriften im Bereich der Verbrauchsteuern, der Mehrwertsteuern und des Zolls. Als Zollgesetze gelten die in Artikel 2 des Übereinkommens zwischen Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden über die gegenseitige Unterstützung ihrer Zollverwaltungen vom 7. September 1967 aufgeführten Vorschriften sowie die in Artikel 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 des Rates vom 19. Mai 1981 [betreffend die gegenseitige Unterstützung der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung zu gewährleisten (ABl. 1981, L 144, S. 1)] aufgeführten Vorschriften.“
Art. 54 SDÜ, der zu Titel III Kapitel 3 („Verbot der Doppelbestrafung“) gehört, sieht vor:
„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“
Österreichisches Recht
Durch das Strafrechtsänderungsgesetz (BGBl. Nr. 762/1996) wurden in die Strafprozessordnung (StPO) die §§ 363a bis 363c („Erneuerung des Strafverfahrens“) eingefügt, um Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die innerstaatliche Rechtsordnung umzusetzen.
§ 363a StPO lautet:
„(1) Wird in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten … oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt, so ist das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern, als nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte.
(2) Über den Antrag auf Erneuerung des Verfahrens entscheidet in allen Fällen der Oberste Gerichtshof. Den Antrag können der von der festgestellten Verletzung Betroffene und der Generalprokurator stellen; § 282 Abs. 1 ist sinngemäß anzuwenden. Der Antrag ist beim Obersten Gerichtshof einzubringen. Zu einem Antrag des Generalprokurators ist der Betroffene, zu einem Antrag des Betroffenen ist der Generalprokurator zu hören; § 35 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Im Jahr 2012 leitete die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eine Untersuchung gegen XC, YB und ZA ein. Ihnen wird zur Last gelegt, durch falsche Angaben gegenüber der Schweizer Steuerverwaltung Mehrwertsteuerrückvergütungen von insgesamt 835374,17 Schweizer Franken (ungefähr 716000 Euro) erlangt zu haben. Die Staatsanwaltschaft stellte bei den österreichischen Justizbehörden Rechtshilfeersuchen in Strafsachen, die auf die Vernehmung der Betroffenen durch die Staatsanwaltschaft Feldkirch (Österreich) abzielten.
XC, YB und ZA erhoben in Österreich mehrere Einsprüche und Beschwerden gegen die beantragten Vernehmungen, die sie im Wesentlichen damit begründeten, dass Strafverfahren, die in Deutschland und Liechtenstein in den Jahren 2011 und 2012 abgeschlossen worden seien, aufgrund des in Art. 54 SDÜ verankerten Grundsatzes ne bis in idem erneuten Ermittlungen gegen sie wegen des Verdachts von Straftaten zum Nachteil der Schweizer Steuerverwaltung entgegenstünden. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2015 stellte das Oberlandesgericht Innsbruck (Österreich) als letztinstanzliches Gericht fest, dass es keine Anhaltspunkte für eine Verletzung von Art. 54 SDÜ gebe.
Obwohl dieser Beschluss rechtskräftig wurde, richteten XC, YB und ZA auf § 363a StPO gestützte Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens an den Obersten Gerichtshof und trugen vor, dass die Gewährung der streitigen Rechtshilfe eine Reihe ihrer nicht nur durch die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), sondern auch durch das SDÜ und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) gewährleisteten Grundrechte verletzt habe.
Das vorlegende Gericht führt aus, nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei die Erneuerung eines Strafverfahrens aufgrund einer Verletzung der durch die EMRK garantierten Rechte nur möglich, wenn eine solche Verletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder, noch bevor dieser eine solche Verletzung habe feststellen können, durch den Obersten Gerichtshof festgestellt worden sei. Fraglich sei, ob die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit, der Äquivalenz und der Effektivität es verlangten, die Erneuerung des Strafverfahrens auch in Fällen einer Verletzung aus dem Unionsrecht erwachsender Grundrechte anzuordnen, obwohl dieser Fall vom Gesetzeswortlaut des Rechtsbehelfs nicht ausdrücklich erfasst werde.
Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 4 Abs. 3 EUV im Zusammenhang mit den daraus abgeleiteten Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen, dass es den Obersten Gerichtshof verpflichtet, über Antrag eines Betroffenen die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung eines Strafgerichts hinsichtlich behaupteter Verletzung von Unionsrecht (hier: Art. 50 der Charta und Art. 54 SDÜ) vorzunehmen, wenn das nationale Recht (§ 363a StPO) eine solche Überprüfung nur hinsichtlich behaupteter Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle vorsieht?
Zur Vorlagefrage
Zur Zulässigkeit
Die österreichische Regierung erhebt eine Einrede der Unzulässigkeit gegen das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen.
Sie trägt erstens vor, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalte fielen nicht unter das Unionsrecht, da § 363a StPO einen Rechtsbehelf nicht bei Verletzungen des Unionsrechts, sondern der EMRK vorsehe.
Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats – wie im Ausgangsverfahren – einem auf das SDÜ, das nach dem dem Vertrag von Lissabon beigefügten Protokoll Nr. 19 über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand (ABl. 2010, C 83, S. 290) integraler Bestandteil des Unionsrechts ist, gestützten Rechtshilfeersuchen stattgeben, führen sie jedoch im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta das Recht der Union durch. Außerdem ist bereits festgestellt worden, dass Art. 54 SDÜ, der die Achtung des Wesensgehalts von Art. 50 der Charta gewährleistet, in dessen Licht auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Mai 2014, Spasic, C-129/14 PPU, EU:C:2014:586, Rn. 59, vom 5. Juni 2014, M, C-398/12, EU:C:2014:1057, Rn. 35, und vom 29. Juni 2016, Kossowski, C-486/14, EU:C:2016:483, Rn. 31). Demnach fällt die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sach- und Rechtslage in den Anwendungsbereich des Unionsrechts.
Zweitens sei das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen unzulässig, weil das vorlegende Gericht Art. 54 SDÜ bereits als ausreichende Rechtsgrundlage für einen Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO angesehen habe. Das vorlegende Gericht erläutere aber nicht, warum es die Beantwortung der Vorlagefrage trotzdem für notwendig halte.
Nach ständiger Rechtsprechung besteht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil vom 27. Juni 2018, Altiner und Ravn, C-230/17, EU:C:2018:497, Rn. 22).
Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht dargelegt, aus welchen Gründen die Auslegung der Bestimmung und der Grundsätze, die in der Vorlagefrage angeführt werden, für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich ist. Aus dieser Darlegung ergibt sich, dass die Antwort des Gerichtshofs auf die Frage, ob das vorlegende Gericht im Rahmen der Prüfung eines Antrags auf Erneuerung eines Strafverfahrens über die behauptete Verletzung der in Art. 50 der Charta und in Art. 54 SDÜ garantierten Grundrechte zu entscheiden hat, unmittelbaren Einfluss auf die Beurteilung der Situation der Antragsteller des Ausgangsverfahrens haben kann.
Zwar haben nämlich nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die darin enthaltenen Rechte, soweit sie den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen werden, doch geht aus dieser Bestimmung auch hervor, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewähren kann.
Unter diesen Umständen ist die Vorlagefrage zulässig.
Zur Beantwortung der Frage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen ist, dass es ein nationales Gericht verpflichtet, einen Rechtsbehelf des innerstaatlichen Rechts, mit dem im Fall einer Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle die Erneuerung eines durch eine rechtskräftige nationale Entscheidung abgeschlossenen Strafverfahrens erreicht werden kann, auf Verletzungen des Unionsrechts zu erstrecken, insbesondere auf Verletzungen des durch Art. 50 der Charta und Art. 54 SDÜ garantierten Grundrechts.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten ist, die Modalitäten für die Umsetzung des Grundsatzes der Rechtskraft festzulegen, wobei jedoch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt sein müssen (Urteil vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C-213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dürfen nämlich die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral, 33/76, EU:C:1976:188, Rn. 5, vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck, C-312/93, EU:C:1995:437, Rn. 12, vom 15. April 2008, Impact, C-268/06, EU:C:2008:223, Rn. 46, sowie vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C-93/12, EU:C:2013:432, Rn. 36).
Die Anforderungen, die sich aus diesen Grundsätzen ergeben, gelten sowohl für die Bestimmung der für die Entscheidung über Klagen, die auf das Unionsrecht gestützt werden, zuständigen Gerichte als auch für die Bestimmung der für solche Klagen geltenden Verfahrensmodalitäten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. April 2008, Impact, C-268/06, EU:C:2008:223, Rn. 47, und vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C-93/12, EU:C:2013:432, Rn. 37).
Die Einhaltung der genannten Anforderungen ist unter Berücksichtigung der Stellung der betreffenden Vorschriften im gesamten Verfahren, von dessen Ablauf und der Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen (Urteil vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C-93/12, EU:C:2013:432, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum Äquivalenzgrundsatz
Nach der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verbietet der Grundsatz der Äquivalenz es den Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zur Wahrung der Rechte, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, weniger günstig auszugestalten als diejenigen für entsprechende innerstaatliche Klagen.
Dazu geht aus der Vorlageentscheidung und aus der Antwort auf eine vom Gerichtshof in der Sitzung an die österreichische Regierung gerichtete Frage hervor, dass der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO als innerstaatlicher Rechtsbehelf anzusehen ist.
Daher ist unter Berücksichtigung des Gegenstands dieses Rechtsbehelfs, seines Rechtsgrundes und seiner wesentlichen Merkmale zu prüfen, ob er mit Rechtsbehelfen vergleichbar ist, die den Schutz der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, insbesondere der im Unionsrecht verankerten Grundrechte, gewährleisten sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C-93/12, EU:C:2013:432, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Verdeutlichung seiner Zweifel an der Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes durch § 363a StPO weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es sich im Rahmen eines auf diese Bestimmung gestützten Antrags bei dem Vorbringen, in einem in der EMRK verankerten Recht verletzt worden zu sein, und dem Vorbringen, in einem durch die Charta garantierten Grundrecht verletzt worden zu sein, um den gleichen Gegenstand und Rechtsgrund handeln könnte. Die durch die Charta garantierten Rechte hätten nach deren Art. 52 Abs. 3 zumindest die gleiche Bedeutung und Tragweite wie die entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechte.
Nach § 363a StPO ist die Erneuerung des Strafverfahrens dann vorgesehen, wenn in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts festgestellt wird. Somit geht aus dem Wortlaut von § 363a StPO hervor, dass dieser Rechtsbehelf grundsätzlich voraussetzt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuvor eine Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle festgestellt hat.
Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, es habe in einem Grundsatzurteil vom 1. August 2007 entschieden, dass die Erneuerung des Strafverfahrens nicht nur dann möglich sei, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuvor festgestellt habe, dass eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts die EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle verletzt habe, sondern auch dann, wenn es selbst das Vorliegen einer solchen Verletzung festgestellt habe. Wenn der Oberste Gerichtshof also anstelle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angerufen wird und nicht aufgrund von dessen Feststellung, dass die EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle verletzt wurde, erstreckt er, sofern die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfüllt sind, dieses Verfahren auf jeden, der behauptet, in einem seiner durch die EMRK und ihre Zusatzprotokolle garantierten Rechte verletzt worden zu sein, und nimmt somit eine Sachentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorweg.
Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass der in § 363a StPO vorgesehene außerordentliche Rechtsbehelf seine Rechtfertigung in der Natur der EMRK selbst findet und in seiner Ausgestaltung durch den österreichischen Gesetzgeber funktionell eng an das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anknüpft. Dieser Rechtsbehelf wurde nämlich zur Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die innerstaatliche Rechtsordnung eingeführt, und nach den Angaben der österreichischen Regierung wollte der Gesetzgeber damit der Verpflichtung aus Art. 46 EMRK nachkommen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass – wie der Generalanwalt in Nr. 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – das Erfordernis in Art. 35 Abs. 1 EMRK, wonach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erst nach Erschöpfung der nationalen Rechtsbehelfe angerufen werden kann, bedeutet, dass eine rechtskräftige Entscheidung des in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts vorliegen muss.
Nach den Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen wurde das in § 363a StPO vorgesehene Verfahren, das die Erneuerung eines durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen Strafverfahrens ermöglicht, gerade deshalb eingeführt, um dieser Situation Rechnung zu tragen und die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die innerstaatliche Rechtsordnung zu gewährleisten.
Ferner geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den Erläuterungen der österreichischen Regierung hervor, dass der enge funktionelle Zusammenhang zwischen dem Verfahren nach § 363a StPO und dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs des erstgenannten Verfahrens in dem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs vom 1. August 2007 nicht in Frage gestellt wird. Wie nämlich in Rn. 30 des vorliegenden Urteils hervorgehoben worden ist, unterliegt ein Antrag nach § 363a StPO, der gestellt wird, bevor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle festgestellt hat, den gleichen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dient nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts allein zur Vorwegnahme einer solchen Feststellung.
Das in § 363a StPO vorgesehene Verfahren kann aber angesichts seines Gegenstands, seines Rechtsgrundes und seiner wesentlichen Merkmale, wie sie soeben dargestellt worden sind, nicht als vergleichbar mit einer Klage zum Schutz eines durch das Unionsrecht, insbesondere durch die Charta, garantierten Grundrechts angesehen werden, und zwar wegen der besonderen, mit der Natur des Unionsrechts selbst zusammenhängenden Merkmale.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht, wie der Gerichtshof mehrfach ausgeführt hat, dadurch gekennzeichnet ist, dass es einer autonomen Quelle, den Verträgen, entspringt und Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 1964, Costa, 6/64, EU:C:1964:66, und vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft, 11/70, EU:C:1970:114, Rn. 3, Gutachten 1/91 [EWR-Abkommen I] vom 14. Dezember 1991, EU:C:1991:490, Rn. 21, und 1/09 vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 65, und Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 59), sowie durch die unmittelbare Wirkung einer ganzen Reihe von Bestimmungen, die für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Februar 1963, van Gend & Loos, 26/62, EU:C:1963:1, S. 25, Gutachten 1/09 vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 65, und Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 166 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Mittelpunkt dieser rechtlichen Konstruktion stehen im Übrigen die durch die Charta – die nach Art. 6 Abs. 1 EUV den gleichen rechtlichen Rang hat wie die Verträge – anerkannten Grundrechte, deren Achtung eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union ist, so dass mit den Grundrechten unvereinbare Maßnahmen in der Union nicht zulässig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 1991, ERT, C-260/89, EU:C:1991:254, Rn. 41, vom 29. Mai 1997, Kremzow, C-299/95, EU:C:1997:254, Rn. 14, vom 12. Juni 2003, Schmidberger, C-112/00, EU:C:2003:333, Rn. 73, und vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 283 und 284, sowie Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 169).
Der Gerichtshof hat im Übrigen in Bezug auf den in Art. 50 der Charta verbürgten Grundsatz ne bis in idem, um den es im Ausgangsverfahren geht, bereits entschieden, dass diese Bestimmung unmittelbare Wirkung hat (Urteil vom 20. März 2018, Garlsson Real Estate u. a., C-537/16, EU:C:2018:193, Rn. 68).
Um sicherzustellen, dass die besonderen Merkmale und die Autonomie der Unionsrechtsordnung erhalten bleiben, haben die Verträge ein Gerichtssystem geschaffen, das zur Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit bei der Auslegung des Unionsrechts dient (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 174).
In diesem Rahmen ist es Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die dem Einzelnen aus ihm erwachsen (Gutachten 1/09, EU:C:2011:123, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 175).
Das Schlüsselelement des so ausgestalteten Gerichtssystems besteht in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren, das durch die Einführung eines Dialogs von Gericht zu Gericht gerade zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll (vgl. in diesem Sinne Urteil van Gend & Loos, EU:C:1963:1, S. 25) und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 176).
Nach ständiger Rechtsprechung verleiht Art. 267 AEUV den nationalen Gerichten ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit unionsrechtlicher Bestimmungen aufwirft, deren Beantwortung für die Entscheidung des ihnen unterbreiteten Rechtsstreits erforderlich ist. Den nationalen Gerichten steht es zudem frei, davon in jedem Moment des Verfahrens, den sie für geeignet halten, Gebrauch zu machen (Urteil vom 5. Juli 2016, Ognyanov, C-614/14, EU:C:2016:514, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein nationales Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV grundsätzlich verpflichtet ist, den Gerichtshof anzurufen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts stellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a., C-160/14, EU:C:2015:565, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Schließlich sind die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden haben, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Bestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt lassen, ohne die vorherige Beseitigung dieser nationalen Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren zu beantragen oder abzuwarten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21 und 24, sowie vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C-52/16 und C-113/16, EU:C:2018:157, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Unter Beachtung dieses verfassungsrechtlichen Rahmens sind daher die insbesondere durch die Charta anerkannten Grundrechte innerhalb der Union auszulegen und anzuwenden (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 177).
Wie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist und wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge erläutert hat, gewährleistet dieser verfassungsmäßige Rahmen somit, dass jede Person die Möglichkeit hat, den effektiven Schutz der ihr durch die Rechtsordnung der Union verliehenen Rechte zu erlangen, noch bevor eine rechtskräftige nationale Entscheidung vorliegt.
Aus dem Vorstehenden ist zu schließen, dass die Unterschiede zwischen dem in § 363a StPO vorgesehenen Verfahren einerseits und den Klagen zum Schutz der Rechte, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, andererseits so groß sind, dass sie nicht als vergleichbar im Sinne der in den Rn. 22 bis 25 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung angesehen werden können.
Daraus folgt, dass der Äquivalenzgrundsatz das nationale Gericht nicht verpflichtet, einen innerstaatlichen Rechtsbehelf, mit dem bei einer Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle die Erneuerung eines durch eine rechtskräftige nationale Entscheidung abgeschlossenen Strafverfahrens erreicht werden kann, auf den Fall einer behaupteten Verletzung eines durch das Unionsrecht, insbesondere durch die Charta, garantierten Grundrechts zu erstrecken.
Zum Effektivitätsgrundsatz
In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen innerstaatlichen Stellen zu prüfen ist. Dabei ist gegebenenfalls u. a. dem Schutz der Verteidigungsrechte, dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens Rechnung zu tragen (Urteil vom 22. Februar 2018, INEOS Köln, C-572/16, EU:C:2018:100, Rn. 44).
Ob eine Verletzung des Grundsatzes der Effektivität des Unionsrechts vorliegt, hängt davon ab, ob die Unmöglichkeit, auf der Grundlage von § 363a StPO die Erneuerung eines durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen Strafverfahrens zu beantragen, indem die Verletzung eines durch das Unionsrecht garantierten Grundrechts, wie es in Art. 50 der Charta und in Art. 54 SDÜ verankert ist, gerügt wird, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.
Insoweit ist festzustellen, dass der AEU-Vertrag die Mitgliedstaaten nicht dazu zwingen wollte, vor ihren nationalen Gerichten neben den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue zu schaffen, um den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C-432/05, EU:C:2007:163, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Außerdem ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die der Grundsatz der Rechtskraft nicht nur in der Unionsrechtsordnung, sondern auch in den nationalen Rechtsordnungen hat. Zur Gewährleistung sowohl des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen als auch einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich gerichtliche Entscheidungen, die nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar geworden sind, nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteile vom 16. März 2006, Kapferer, C-234/04, EU:C:2006:178, Rn. 20, vom 29. Juni 2010, Kommission/Luxemburg, C-526/08, EU:C:2010:379, Rn. 26, vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, C-352/09 P, EU:C:2011:191, Rn. 123, und vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C-213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 58).
Daher verpflichtet das Unionsrecht ein nationales Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Situation abgeholfen werden könnte (Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C-213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. Oktober 2015, Târşia, C-69/14, EU:C:2015:662, Rn. 29).
Das Unionsrecht verlangt demnach nicht, dass ein Rechtsprechungsorgan eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung grundsätzlich rückgängig machen muss, um einer späteren Auslegung einer einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2014, Impresa Pizzarotti, C-213/13, EU:C:2014:2067, Rn. 60, sowie vom 6. Oktober 2015, Târşia, C-69/14, EU:C:2015:662, Rn. 38).
Im vorliegenden Fall enthalten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass es in der österreichischen Rechtsordnung keine Rechtsbehelfe gäbe, die den Schutz der dem Einzelnen aus Art. 50 der Charta und Art. 54 SDÜ erwachsenden Rechte wirksam gewährleisten.
Vielmehr steht fest, dass die Antragsteller des Ausgangsverfahrens anlässlich ihrer Einwände gegen die Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vor den österreichischen Gerichten voll und ganz in der Lage waren, eine Missachtung dieser Bestimmungen geltend zu machen, und dass diese Gerichte ihre Rügen geprüft haben. Das vorlegende Gericht hebt außerdem hervor, dass die Strafprozessordnung den Betroffenen zahlreiche Möglichkeiten biete, um die Ausübung der ihnen durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte durchzusetzen.
Somit garantiert dieser Rahmen die Effektivität des Unionsrechts, ohne dass es notwendig wäre, den in § 363a StPO vorgesehenen außerordentlichen Rechtsbehelf, der es erlaubt, rechtskräftige nationale Entscheidungen in Frage zu stellen, auf das Unionsrecht zu erstrecken.
Wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, steht im Übrigen der Grundsatz der Rechtskraft einer Anerkennung des Grundsatzes der Haftung des Staates für letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen nicht entgegen (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, Rn. 40). Denn insbesondere aufgrund des Umstands, dass eine Verletzung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte durch eine solche Entscheidung in der Regel nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht die Möglichkeit genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Weg einen gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen (Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, Rn. 34, sowie vom 6. Oktober 2015, Târşia, C-69/14, EU:C:2015:662, Rn. 40).
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, dahin auszulegen ist, dass es ein nationales Gericht nicht verpflichtet, einen Rechtsbehelf des nationalen Rechts, mit dem nur im Fall einer Verletzung der EMRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle die Erneuerung eines durch eine rechtskräftige nationale Entscheidung abgeschlossenen Strafverfahrens erreicht werden kann, auf Verletzungen des Unionsrechts zu erstrecken, insbesondere auf Verletzungen des durch Art. 50 der Charta und Art. 54 SDÜ garantierten Grundrechts.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Das Unionsrecht, insbesondere die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, ist dahin auszulegen, dass es ein nationales Gericht nicht verpflichtet, einen Rechtsbehelf des nationalen Rechts, mit dem nur im Fall einer Verletzung der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder eines ihrer Zusatzprotokolle die Erneuerung eines durch eine rechtskräftige nationale Entscheidung abgeschlossenen Strafverfahrens erreicht werden kann, auf Verletzungen des Unionsrechts zu erstrecken, insbesondere auf Verletzungen des durch Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen garantierten Grundrechts.
Lenaerts
Silva de Lapuerta
Arabadjiev
Toader
Biltgen
Ilešič
Levits
Bay Larsen
Safjan
Šváby
Fernlund
Vajda
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. Oktober 2018.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident
K. Lenaerts
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Bayern
Persönlicher Ansprechpartner
E-Mail-Service
Bankdaten