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BAG 14.10.2020 - 5 AZR 712/19
BAG 14.10.2020 - 5 AZR 712/19 - Beweiskraft des Protokolls - Urteilsverkündung
Normen
§ 160 Abs 3 Nr 7 ZPO, § 165 ZPO, § 315 Abs 3 ZPO, § 68 ArbGG
Vorinstanz
vorgehend ArbG Dresden, 20. März 2019, Az: 7 Ca 2182/18, Urteil
vorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht, 19. November 2019, Az: 3 Sa 124/19, Urteil
Leitsatz
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Ist im Sitzungsprotokoll nicht festgestellt, dass ein Urteil verkündet wurde, ist die Verkündung nicht bewiesen.
Tenor
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1. Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. November 2019 - 3 Sa 124/19 - und das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 20. März 2019 - 7 Ca 2182/18 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren - an das Arbeitsgericht Dresden zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten im Revisionsverfahren über Vergütung.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es bestehe ein Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.809,52 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2018 zu zahlen.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Das Protokoll der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts Dresden vom 20. März 2019 endet mit der Entlassung der Parteien mit dem Hinweis, dass eine Entscheidung am Ende des Sitzungstages verkündet wird. Danach folgen die Unterschriften des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. In der Akte der ersten Instanz folgt auf das Sitzungsprotokoll die handschriftliche Urteilsformel, unterschrieben vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern. Im Anschluss findet sich das erstinstanzliche Urteil in vollständig abgefasster Form, versehen mit dem von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschriebenen Vermerk, das Urteil sei am 20. März 2019 verkündet worden. Danach folgt in der Akte die Schlussverfügung der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts, gefolgt von den Zustellungsempfangsbekenntnissen der Prozessbevollmächtigten der Parteien.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte über die Klage nicht in der Sache entscheiden, weil das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mangels Verkündung eines Urteils noch nicht abgeschlossen ist. Tatsächlich handelt es sich bei dem „Urteil“ des Arbeitsgerichts lediglich um einen Urteilsentwurf. Die bisher ergangenen Entscheidungen waren aufzuheben. Die Sache war zur Verhandlung und Entscheidung über die Klage an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
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I. Das „Urteil“ des Arbeitsgerichts Dresden vom 20. März 2019 leidet an einem nicht behebbaren Verfahrensfehler. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung ist es nicht verkündet worden. Damit ist die erste Instanz bislang nicht abgeschlossen.
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1. Die Verkündung eines Urteils erfolgt im Namen des Volkes durch Verlesung der vollständigen Urteilsformel einschließlich Kostenentscheidung, Streitwert und ggf. einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung, jedenfalls aber durch Bezugnahme auf die schriftlich niedergelegte Urteilsformel; sie hat immer in öffentlicher Sitzung zu ergehen, § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG (GMP/Schleusener 9. Aufl. ArbGG § 60 Rn. 18). Ein Urteil wird erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Solange die Entscheidung noch nicht verkündet wurde, liegt rechtlich nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor (vgl. BGH 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11 - Rn. 11).
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2. Die Verkündung einer Entscheidung ist nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO im Protokoll festzustellen. Die Feststellung der Verkündung ist eine nach § 165 ZPO wesentliche Förmlichkeit, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGH 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11 - Rn. 12). Findet sich im Protokoll kein Hinweis auf die Verkündung des Urteils, steht infolge der Beweiskraft des Protokolls gemäß §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen das aus § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG folgende Erfordernis der Urteilsverkündung in öffentlicher Sitzung fest (vgl. zur Beweiskraft bezüglich der Nichtbeachtung einer wesentlichen Förmlichkeit BGH 23. Mai 2012 - IV ZR 224/10 - Rn. 5; Zöller/Schultzky ZPO 33. Aufl. § 165 Rn. 4). Da der Beweis der Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten nur durch das Sitzungsprotokoll erbracht werden kann, beweist der nach § 315 Abs. 3 ZPO auf der Urschrift des Urteils anzubringende Verkündungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eine Verkündung nicht (vgl. BGH 7. Februar 1990 - XII ZB 6/90 - zu II der Gründe). Zweck dieses Verkündungsvermerks ist die Bescheinigung der Übereinstimmung des Urteilstenors mit der verkündeten Urteilsformel (vgl. OLG Frankfurt 7. Dezember 1994 - 17 U 288/93 -).
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3. Im Streitfall fehlt es am Nachweis einer Verkündung des erstinstanzlichen „Urteils“. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Verlautbarung eines Urteils vom Gericht beabsichtigt war. Das Sitzungsprotokoll des Arbeitsgerichts vom 20. März 2019 beinhaltet nicht, dass ein Urteil verkündet wurde. Ein weiterer Verkündungstermin lässt sich der Akte nicht entnehmen. Der auf dem „Urteil“ angebrachte Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist nicht geeignet, die Verkündung dieses „Urteils“ zu beweisen. Es ist damit davon auszugehen, dass das Arbeitsgericht das in der Akte befindliche „Urteil“ nicht verkündet hat.
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4. Das „Urteil“ des Arbeitsgerichts wurde nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart.
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a) Verkündungsmängel stehen dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht. Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden (vgl. BGH 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11 - Rn. 13 mwN).
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b) Das erstinstanzliche „Urteil“ wurde nicht dadurch wirksam verlautbart, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt hat, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage steht (vgl. hierzu BGH 12. März 2004 - V ZR 37/03 - zu II 1 b der Gründe). Eine solche Verfügung findet sich in den Akten nicht. Die Schlussverfügung der Geschäftsstelle kann die richterliche Verfügung nicht ersetzen, weil diese nicht den Willen des Richters dokumentiert, die Entscheidung der Kammer nach außen kundzutun.
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II. Da das „Urteil“ des Arbeitsgerichts nicht wirksam verkündet worden ist, kann es keine rechtliche Wirkung erzeugen, gleichwohl aber zur Beseitigung des mit ihm verbundenen Rechtsscheins mit der Berufung angefochten werden (vgl. BGH 3. November 1994 - LwZB 5/94 - zu III der Gründe; 16. Oktober 1984 - VI ZB 25/83 - zu II 2 a der Gründe).
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1. Bei fehlender Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ist das Verfahren nach wie vor in der ersten Instanz anhängig und dort noch nicht abgeschlossen. Mit der Berufung kann der äußere Anschein einer wirksamen, den ersten Rechtszug beendenden gerichtlichen Entscheidung beseitigt werden. Daher hätte das Landesarbeitsgericht auf die danach statthafte Berufung des Klägers das arbeitsgerichtliche „Urteil“ aufheben und den Rechtsstreit ausnahmsweise an das Arbeitsgericht zurückverweisen müssen. Eine eigene Sachentscheidung war dem Landesarbeitsgericht dagegen verwehrt (vgl. OLG Frankfurt 7. Dezember 1994 - 17 U 288/93 -).
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2. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren steht § 68 ArbGG nicht entgegen. Zwar ist nach dieser Vorschrift im Arbeitsgerichtsprozess die Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Landesarbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig. § 68 ArbGG schließt die in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO für diesen Fall vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz grundsätzlich aus. Dies dient der Prozessbeschleunigung und gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 - Rn. 28 mwN, BAGE 147, 227). Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt jedoch - neben den in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 7 ZPO genannten Fällen - ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 - Rn. 29 mwN, aaO). So lag der Fall hier. Das Landesarbeitsgericht konnte die im ersten Rechtszug unterbliebene Urteilsverkündung nicht selbst vornehmen.
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III. Der Rechtsstreit war unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
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1. Das Bundesarbeitsgericht kann den Rechtsstreit - ausnahmsweise - an das Arbeitsgericht zurückverweisen, wenn schon das Landesarbeitsgericht die Sache an das Arbeitsgericht hätte zurückverweisen müssen (vgl. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 248/13 - Rn. 27 mwN, BAGE 147, 227). Das Landesarbeitsgericht konnte den nicht behebbaren Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts nicht wirksam heilen. Eine nach § 528 ZPO der Überprüfung durch das Berufungsgericht unterliegende erstinstanzliche Entscheidung war zwischen den Parteien nicht ergangen.
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2. Der Rechtsstreit ist unter Aufhebung der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen und auch unter Aufhebung des Verfahrens (§ 562 Abs. 2 ZPO, vgl. BGH 13. März 1980 - VII ZR 147/79 - zu II der Gründe, BGHZ 76, 236; vgl. auch BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 23, BAGE 148, 129) ab dem Zeitpunkt, zu dem die Parteien vom Arbeitsgericht mit dem Hinweis auf eine Verkündung eines Urteils entlassen wurden, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen.
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3. Der Senat kann keine Hinweise zur materiellen Rechtslage erteilen. Solche Hinweise des Revisionsgerichts an die Vorinstanz sind nur dann angezeigt, wenn diese prozessual daran gebunden ist (vgl. § 563 Abs. 2 ZPO). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil mangels Abschluss des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung im Revisionsverfahren das rechtliche Prüfprogramm für den Senat nicht feststeht.
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Linck
Berger
Volk
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