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BVerfG 20.03.2023 - 1 BvR 172/22
BVerfG 20.03.2023 - 1 BvR 172/22 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der fachgerichtlichen Auslegung des § 31 Abs 3a SGB V (RIS: SGB 5; Genehmigungsfiktion im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung) bei Fehlen eines materiellrechtlichen Leistungsanspruchs - unzureichende Begründung eines Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG
Normen
Art 3 Abs 1 GG, § 13 Abs 3a SGB 5
Vorinstanz
vorgehend BSG, 10. November 2021, Az: B 1 KR 62/21 B, Beschluss
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 15. Juni 2021, Az: L 5 KR 222/20, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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1. Die Beschwerdeführerin machte im sozialgerichtlichen Verfahren gegenüber ihrer Krankenkasse einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung einer ambulanten Kunsttherapie geltend, wobei sie sich unter anderem darauf stützte, dass die Leistung gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V wegen nicht fristgerechter Entscheidung über ihren Antrag als genehmigt gelte. Das Landessozialgericht wies die Klage bezüglich des Sachleistungsanspruchs ab, da die Genehmigungsfiktion keinen eigenständigen Naturalleistungsanspruch begründe und auch aus materiellem Recht kein Anspruch auf Versorgung mit einer ambulanten Kunsttherapie bestehe. Die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht blieb erfolglos. Die aufgeworfenen Rechtsfragen hätten keine grundsätzliche Bedeutung, da über sie höchstrichterlich bereits entschieden sei. Auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG habe sich das Bundessozialgericht bereits umfassend auseinandergesetzt. § 13 Abs. 3a SGB V diene allein dazu, zugunsten aller sachleistungsberechtigten Versicherten die Krankenkassen zu veranlassen, schnell rechtmäßige Entscheidungen über die Leistungsanträge zu treffen. Soweit aufgrund der gesetzlichen Konstruktion Krankenkassen ausnahmsweise dennoch Kosten für von Versicherten nach Fristablauf selbst beschaffte Leistungen zu tragen hätten, die die Krankenkassen innerhalb der Frist hätten rechtmäßig ablehnen können, könne sich aus Art. 3 Abs. 1 GG kein Anspruch auf rechtswidrige Sachleistung nach Fristablauf ergeben.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Innerhalb der Gruppe der gesetzlich Versicherten bestehe eine Ungleichbehandlung abhängig davon, ob man über ausreichende Mittel zur Selbstbeschaffung einer Leistung verfüge. Diese Differenzierung sei nicht gerechtfertigt, da kein Grund dafür ersichtlich sei, das Instrument der Genehmigungsfiktion so zu beschneiden, dass die beschleunigende Begünstigung nur denen zugänglich sei, die wohlhabend genug seien. Die Fachgerichte seien daher gehalten, § 13 Abs. 3a SGB V verfassungskonform so auszulegen, dass diese Ungleichbehandlung vermieden werde.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil keine Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig und hat damit keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>). Sie wird den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht gerecht.
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1. Bei der Begründung der Verfassungsbeschwerde muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 329>; 99, 84 87>; 115, 166 179 f.>). Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Gründen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 101, 331 345>; 105, 252 264>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 101, 331 346>; 102, 147 164>; 140, 232 232 Rn. 9>). Der behauptete Grundrechtsverstoß ist in Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 101, 331 345 f.>; 123, 186 234>; 130, 1 21>; 142, 234 251 Rn. 28>; 149, 86 108 f. Rn. 61>).
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Wird das allgemeine Gleichheitsgebot gerügt, so muss der Beschwerdeführer darlegen, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine Ungleichbehandlung bestehen soll, inwieweit es sich bei diesen um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handelt und sich mit den naheliegenden Gründen für die Differenzierungen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 130, 151 174 f.>; 131, 66 82>).
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2. Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Zwar zeigt sie noch hinreichend substantiiert eine grundsätzlich mögliche tatsächliche Ungleichheit in der Sache durch eine zumindest tendenzielle Abhängigkeit der Möglichkeit zur Selbstbeschaffung von den finanziellen Mitteln eines Betroffenen auf. Die Beschwerdeführerin legt sodann aber nicht ausreichend dar, dass sie selbst mangels finanzieller Mittel an der Selbstbeschaffung der konkreten Leistung gehindert ist und nicht lediglich das - dem Verfahren der Selbstbeschaffung und nachträglichen Kostenerstattung für alle Versicherten immanente - Kostenrisiko scheut. Allein die Nennung des monatlichen Einkommens genügt insoweit nicht, da jedenfalls auch die Vermögenssituation sowie die monatlichen Ausgaben darzustellen und zu belegen gewesen wären.
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3. Unabhängig davon hat sich die Beschwerdeführerin nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die mögliche Ungleichheit im Bereich gewährender Staatstätigkeit auftritt. Bei der gewährenden Staatstätigkeit entscheidet der Gesetzgeber, welche Personen Zuwendungen erhalten sollen. Der Gleichheitssatz verbietet nur die Verteilung von Leistungen nach unsachlichen Gesichtspunkten (vgl. BVerfGE 17, 210 216>; 78, 104 121>; 99, 165 177 f.>; 110, 274 293>; 122, 1 23>). Zu einer Einschränkung der Kontrolldichte führt hierbei auch, dass es sich bei der Einführung der Genehmigungsfiktion um eine sozialpolitische Entscheidung handelt. Auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts ist wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens dem Gesetzgeber eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Diese unterliegt nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle (vgl. BVerfGE 77, 84 106>; 81, 156 205 f.>). Das Bundesverfassungsgericht hat die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (vgl. BVerfGE 13, 97 107, 110>; 14, 288 301>; 89, 365 376>). Es hat deshalb nicht zu untersuchen, ob der Normgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (vgl. BVerfGE 112, 164 175> m.w.N.). Dem Bundesverfassungsgericht obliegt größte Zurückhaltung, dem Gesetzgeber im Bereich darreichender Verwaltung über den Gleichheitssatz zusätzliche Leistungsverpflichtungen aufzuerlegen (vgl. BVerfGE 60, 16 42>; 78, 104 121>), vor allem wenn sie aus den Beiträgen der Gemeinschaft der Versicherten finanziert werden (vgl. BVerfGK 15, 152 154 f.>).
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4. Nicht tragfähig ist die Annahme erhöhter Anforderungen an eine Rechtfertigung, weil sich die Ungleichbehandlung im Schutzbereich gewichtiger Freiheitsrechte abspiele, indem sie durch Beitragsleistungen erworbene Leistungsansprüche sowie den Zugang zu Gesundheitsleistungen als Voraussetzung für den Erhalt der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten körperlichen Unversehrtheit betreffe. Die Beschwerdeführerin lässt hierbei unberücksichtigt, dass das Landessozialgericht ihren Leistungsanspruch auch nach materiellem Leistungsrecht als eigenständige Anspruchsgrundlage geprüft, einen solchen Anspruch aber abgelehnt hat. Der geltend gemachte Anspruch aus der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V betrifft also Leistungen, auf die gerade kein materiell-rechtlicher Anspruch bestand. Damit ist weder eine Äquivalenz von Beitrag und Leistung noch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen. Insoweit setzt sich die Beschwerdeführerin unzureichend mit den Gründen der angefochtenen Entscheidungen auseinander. Das Bundessozialgericht stellt in seinem Beschluss ausdrücklich darauf ab, der allgemeine Gleichheitssatz verlange nicht die Gewährung von Sachleistungen, auf die materiell-rechtlich kein Anspruch besteht, um zu vermeiden, dass auch mittellose Versicherte auf eine Selbstbeschaffung der gewünschten Leistungen mit anschließender Kostenerstattung verwiesen sind.
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5. Schließlich erfüllt auch die Auseinandersetzung mit naheliegenden Gründen für eine Differenzierung nicht die Begründungsanforderungen. Die Beschwerdeführerin bezieht in ihre Überlegungen nicht ausreichend ein, dass die Differenzierung nicht an die finanzielle Leistungsfähigkeit als solche anknüpft, sondern eine formale Gleichbehandlung allenfalls tatsächlich eine Ungleichheit in der Sache bewirkt. Die formal alle Versicherten gleich behandelnde Beschränkung auf Kostenerstattungsansprüche muss sich in erster Linie an dem Zweck dieser Beschränkung der Rechtsfolge messen lassen, auch wenn hierbei eine Ungleichheit der Auswirkung auf Lebenssachverhalte nicht unberücksichtigt bleiben kann. Maßgeblich ist daher, ob der Sachgrund für die Differenzierung zwischen Kostenerstattungsanspruch und Sachleistungsanspruch auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen tatsächlichen Wirkung auf verschiedene Personengruppen ausreichend trägt. Eine Auseinandersetzung mit Gründen für die Beschränkung des Anspruchs aus der Genehmigungsfiktion auf Erstattungsansprüche - wie etwa das Qualitätsgebot (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V), das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) und das Prinzip der solidarischen Finanzierung der Leistungen und sonstigen Ausgaben der Krankenkasse durch Beiträge (§ 3 SGB V) - fehlt indes gänzlich.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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