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BVerfG 12.08.2014 - 2 BvR 1698/12
BVerfG 12.08.2014 - 2 BvR 1698/12 - Stattgebender Kammerbeschluss: Zwangsmedikation eines untergebrachten Betreuten auf Grundlage von § 1906 BGB aF verletzt Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 S 1 GG) - Anforderungen an die substantiierte Begründung einer Urteilsverfassungsbeschwerde - kein Wegfall des Rechtsschutzinteresses durch zwischenzeitliche Entlassung aus Unterbringung
Normen
Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 1906 Abs 1 Nr 2 BGB vom 17.12.2008
Vorinstanz
vorgehend LG Karlsruhe, 4. Juli 2012, Az: 11 T 212/12, Beschluss
vorgehend AG Karlsruhe, 15. Juni 2012, Az: XVII 509/2012, Beschluss
vorgehend AG Karlsruhe, 11. Juni 2012, Az: XVII 509/2012, Beschluss
Tenor
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Die Beschlüsse des Amtsgerichts Karlsruhe vom 11. Juni 2012 - XVII 509/2012 - und vom 15. Juni 2012 - XVII 509/2012 - sowie der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 4. Juli 2012 - 11 T 212/12, 11 T 214/12, 11 T 215/12 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
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Die Beschlüsse werden aufgehoben, und die Sache wird an das Amtsgericht Karlsruhe zurückverwiesen.
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Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Zwangsbehandlung eines nach § 1906 BGB (a.F.) Untergebrachten.
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I.
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1. Mit angegriffenem Beschluss vom 11. Juni 2012 genehmigte das Amtsgericht Karlsruhe als Betreuungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung die Unterbringung des Beschwerdeführers zur Behandlung auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Klinik längstens bis zum 23. Juli 2012. Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Er sei ein Opfer von Diffamierung; zahlreiche Zeugen könnten seine geistige Gesundheit bestätigen.
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2. Im Juni 2012 beantragte die für den Beschwerdeführer gleichzeitig bestellte Betreuerin die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation des Beschwerdeführers, da er die Einnahme der verordneten Medikamente verweigere. Die Medikation sei dringend erforderlich; der Beschwerdeführer sei krankheitsbedingt nicht führbar und verweigere die Nahrungsaufnahme. Mit gerichtlich - zur Frage der Zwangsmedikation in Form von Neuroleptika - in Auftrag gegebenem Gutachten von Juni 2012 führten die Gutachter aus, dass der Beschwerdeführer an einem deutlichen Verfolgungswahn mit komplexem Wahnsystem leide. Eine Krankheitswahrnehmung bestehe nicht. Es liege kein Hinweis auf eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung vor; eine wahrscheinliche Gefährdung sei jedoch im Rahmen des Wahnsystems bei völlig fehlendem Realitätsbezug und der Wahrnehmung einer Bedrohung von außen für den Betroffenen anzunehmen. Es bestehe der Verdacht einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, differentialdiagnostisch auf eine anhaltende wahnhafte Störung. Seit seiner Aufnahme sei der Beschwerdeführer in einen Hungerstreik getreten.
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Mit angegriffenem Beschluss vom 15. Juni 2012 ergänzte das Betreuungsgericht daraufhin den angegriffenen Beschluss vom 11. Juni 2012 im Wege der einstweiligen Anordnung dahingehend, dass die Genehmigung zur Behandlung auch die zwangsweise Verabreichung von in dem Beschluss näher spezifizierten Medikamenten umfasse, soweit der Beschwerdeführer freiwillig zu seiner Behandlung notwendige Medikamente nicht einnehme und der Betreuer sein Einverständnis zur Zwangsbehandlung erteile. Der Beschwerdeführer verweigere eine Einnahme der Medikamente, obwohl diese zu seiner Behandlung dringend erforderlich sei. Eine Zwangsbehandlung sei angesichts der drohenden Gefahren für die Gesundheit des Beschwerdeführers und der guten Behandlungsprognose auch verhältnismäßig. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Juni 2012 sowie aus dem persönlichen Eindruck des Gerichts bei der Anhörung des Beschwerdeführers.
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3. Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer umgehend zu Protokoll und nochmals mit Fax vom 16. Juni 2012 Beschwerde ein.
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Mit vom Landgericht - zu dem Gutachten von Juni 2012 - beauftragtem Ergänzungsgutachten führten die Gutachter aus, dass der Beschwerdeführer die Medikation nur nach mehrfacher Aufforderung und unter Androhung einer zwangsweisen Injektion zu sich nehme. Durch die nunmehr regelmäßige Medikation zeige sich eine Verbesserung des Nachtschlafs und tagsüber eine Minderung der motorischen Unruhe. Der Beschwerdeführer leide allerdings weiterhin unter dem komplexen Wahnsystem und sei nahezu durchgängig damit beschäftigt, durch Kontakt zu Hilfsorganisationen, Rechtsanwälten und dem Bundesverfassungsgericht Einspruch gegen seine Unterbringung zu erheben. Zusatzuntersuchungen lehne er ab. Die Verdachtsdiagnose habe sich erhärtet. Wegen der völlig fehlenden Krankheitseinsicht und der massiven Ablehnung sei der Beschwerdeführer nur im stationären Rahmen behandelbar. Wegen der Schwere der Erkrankung sei seine Unterbringung bis zum 23. Juli 2012 notwendig.
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Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Juli 2012, dem Beschwerdeführer zugegangen am 5. Juli 2012, wies das Landgericht die Beschwerde gegen den angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts vom 11. Juni 2012 und gegen den angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Juni 2012 betreffend die zwangsweise Verabreichung der Medikamente zurück. Die Beschwerden seien zulässig, jedoch nicht begründet. Das Betreuungsgericht habe zu Recht die notfalls zwangsweise erfolgende Medikation mittels der im Beschluss vom 15. Juni 2012 genannten Substanzen genehmigt. Die Kammer schließe sich der von den Landgerichten Berlin und Freiburg vertretenen Auffassung an, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB (a.F.) eine hinreichend bestimmte Gesetzesgrundlage für die Genehmigung einer Unterbringung zur Durchführung von Zwangsbehandlungen darstelle. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne nicht gefolgert werden, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB (a.F.) keine inhaltlich ausreichend bestimmte gesetzliche Eingriffsgrundlage für die Genehmigung einer Unterbringung zur Durchführung einer Zwangsbehandlung darstelle.
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II.
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1. Mit seiner am 10. Juli 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 11. und 15. Juni 2012 sowie gegen den Beschluss des Landgerichts vom 4. Juli 2012.
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In dem Verfahren sei er Opfer einer Verfolgung Unschuldiger. Die gegen ihn erhobenen Behauptungen seien falsch. Er sei geistig gesund. Auch bestehe außerhalb der Unterbringung keine Gefahr für ihn oder seine Umwelt. In dem Verfahren seien zahlreiche durch das Grundgesetz geschützte Rechtsgüter verletzt worden, darunter die Menschenwürde, das Recht auf freie Persönlichkeitsentwicklung, das Recht auf freie Ausübung von Wissenschaft und seine Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf seine Kommunikation. Auch sei seine körperliche Integrität verletzt worden. Die Maßnahmen seien unbegründet und unverhältnismäßig. Das Verfahren sei rechtswidrig. Er beantrage die Rücknahme der getroffenen Entscheidungen (Einrichtung der vorläufigen Betreuung, Behandlung auf der geschlossenen Station, Zwangsmedikation) im Zuge einstweiliger Anordnung, seine sofortige Freilassung aus der Unterbringung sowie die sofortige Einstellung weiterer schädlicher Maßnahmen.
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2. Im Allgemeinen Register mit Verfügung vom 16. Juli 2012 darüber belehrt, dass mangels näherer Angaben zu den angegriffenen Beschlüssen schon nicht geprüft werden könne, ob vorliegend die Monatsfrist zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gewahrt sei, hat der Beschwerdeführer mit am 25. Juli 2012 - und damit noch rechtzeitig - eingegangenem Schriftsatz die angegriffenen Beschlüsse übersandt. Unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens hat der Beschwerdeführer ergänzend ausgeführt, dass er während der Unterbringung zum Teil auch an der Korrespondenz mit dem Bundesverfassungsgericht gehindert worden sei, so dass er um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bitte.
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3. Auf telefonische Nachfrage vom 26. September 2012 hat die Klinik mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich entlassen wurde. Mit der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Klinik erledigte sich - hinsichtlich der medizinischen Zwangsbehandlung mit verschiedenen Medikamenten - der gleichzeitig mit der Verfassungsbeschwerde gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. September 2012 - 2 BvR 1698/12 -). Mit Schreiben vom 22. August 2013 hatte das Justizministerium Baden-Württemberg mitgeteilt, dass es von einer Stellungnahme absieht. Hinsichtlich der Höhe des Gegenstandswerts behalte es sich eine Stellungnahme vor.
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4. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens hat der Kammer vorgelegen.
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III.
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Soweit es die Zwangsmedikation des Beschwerdeführers betrifft - und nur diese ist noch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens - wird die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b) BVerfGG), die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 128, 282 ff.; 129, 269 ff.; BVerfGE 133, 112 ff.). Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Zwangsbehandlung mit verschiedenen Medikamenten wendet, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und - in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) - offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist gegenstandslos, da der Beschwerdeführer die angegriffenen Beschlüsse noch innerhalb der Verfassungsbeschwerdefrist nachgereicht hat. Insbesondere ist die Verfassungsbeschwerde auch ausreichend substantiiert.
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aa) Der Beschwerdeführer muss einen Sachverhalt vortragen, der die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung erkennen lässt (vgl. BVerfGE 108, 370 386 f.>; stRspr) und dem Bundesverfassungsgericht eine mindestens vorläufige - etwa aufgrund der beigezogenen Akten des fachgerichtlichen Verfahrens oder später eingehender Stellungnahmen durchaus noch revidierbare - verfassungsrechtliche Beurteilung ermöglicht (vgl. BVerfGE 112, 304 314 f.>; BVerfGK 5, 170 171>; stRspr). Dieser Anforderung muss nicht bereits die Beschwerdeschrift für sich genommen - ohne beigefügte Anlagen - genügen. Zwar kann dem Bundesverfassungsgericht nicht angesonnen werden, Prüfungen "ins Blaue" hinein anzustellen (vgl. BVerfGE 115, 166 180>). Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Verfassungsbeschwerde bereits dann unzulässig wäre, wenn für ihre Beurteilung über den Beschwerdeschriftsatz selbst hinaus auch beigefügte Anlagen erforderlich sind. Dies zeigt sich schon darin, dass es dem Beschwerdeführer nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts freisteht, seinen Darlegungslasten entweder durch Wiedergabe des wesentlichen Inhalts angegriffener Entscheidungen und anderer beurteilungserheblicher Unterlagen in der Verfassungsbeschwerdeschrift oder dadurch nachzukommen, dass er die betreffenden Unterlagen der Beschwerdeschrift als Anlagen beifügt (vgl. BVerfGE 112, 304 314>; BVerfGK 16, 410 415 f.>). Die letztere Alternative wäre sinnlos, wenn sich alles für die Beurteilung Erforderliche bereits unabhängig von den Anlagen aus der Verfassungsbeschwerdeschrift ergeben müsste.
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Nähere Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung gehört zur notwendigen Begründung der Verfassungsbeschwerde, soweit sie erforderlich ist, um erkennbar zu machen, inwiefern der Beschwerdeführer sich in seinen Grundrechten verletzt sieht (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 101, 331 345>; stRspr). Eine zutreffende rechtliche Einordnung des Geschehens ist dem Beschwerdeführer darüber hinaus grundsätzlich nicht abverlangt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. August 2008 - 2 BvR 1198/08 -, juris; s. etwa zur Entbehrlichkeit ausdrücklicher und korrekter Bezeichnung des als verletzt angesehenen Grundrechts, sofern dem Verfassungsbeschwerdevortrag der Sache nach entnommen werden kann, in welchem Grundrecht der Beschwerdeführer sich verletzt sieht, BVerfGE 47, 182 187>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 2004 - 1 BvR 1172/02 -, NJW-RR 2004, S. 1153). Soweit fehlende Auseinandersetzung mit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten rechtlichen Maßstäben als ein Begründungsmangel angesehen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juni 2009 - 2 BvR 1076/09 -, NVwZ 2009, S. 1156 1157>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2009 - 1 BvR 1997/08 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2010 - 1 BvR 2909/08 -, juris), betrifft dies Fälle, in denen anhand der vorliegenden Rechtsprechungsmaßstäbe ein Grundrechtsverstoß - jedenfalls unabhängig von näheren Darlegungen - gerade nicht zu identifizieren und daher die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht dargetan war (für den besonderen Fall, dass der relevante verfassungsrechtliche Maßstab auf rechtlich bewertete komplexe Sachverhalte wie ein bestimmtes allgemeines Niveau des Grundrechtsschutzes Bezug nimmt, vgl. BVerfGE 102, 147 164>). Die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten ist nicht hinreichend aufgezeigt, wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Verletzung ausscheidet und die Verfassungsbeschwerde dem nichts entgegensetzt (vgl. BVerfGE 101, 331 345 f.>; 102, 147 164>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2009 - 2 BvQ 50/09 -, juris).
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bb) Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde ausreichend begründet. Mit seiner Verfassungsbeschwerde beanstandet der Beschwerdeführer unter anderem auch seine Medikation und rügt eine Verletzung seiner Menschenwürde sowie seiner körperlichen Integrität. Mit diesem Vortrag ist hinreichend verdeutlicht, inwiefern sich der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen in seinen Grundrechten verletzt sieht; auf eine ungezielte Durchsuchung beigefügter Anlagen wird das Bundesverfassungsgericht damit nicht verwiesen. Auch fällt die dahingehend zentrale - verfassungsrechtlichen Bedenken begegnende - Annahme des Landgerichts, bei § 1906 BGB (a.F.) handele es sich um eine ausreichende Eingriffsgrundlage für die Genehmigung einer Zwangsmedikation, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 128, 282 ff.; 129, 269 ff.; BVerfGE 133, 112 ff.) sowie zwischenzeitlich auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage (BGH, Beschlüsse des 12. Zivilsenats vom 20. Juni 2012 - XII ZB 130/12 und XII ZB 99/12 -, juris) geradezu ins Auge.
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b) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer mittlerweile aus der Klinik entlassen worden ist. Mit der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Klinik ist das Rechtsschutzinteresse für seine Verfassungsbeschwerde nicht entfallen.
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aa) Sofern ein gewichtiger Grundrechtsverstoß in Rede steht, besteht das Rechtsschutzinteresse für eine Verfassungsbeschwerde fort, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich typischerweise auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen kann (vgl. BVerfGE 110, 77; 117, 244 268>; stRspr).
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bb) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Mit der Zwangsmedikation des Beschwerdeführers, möglicherweise ohne ausreichende gesetzliche Grundlage, steht ein gewichtiger Grundrechtsverstoß in Rede (vgl. BVerfGE 128, 282 ff.; 129, 269 ff.; BVerfGE 133, 112 ff.). Auch handelt es sich bei der Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 BGB (a.F.) regelmäßig um eine nur vorübergehende Unterbringung, so dass der Beschwerdeführer eine verfassungsgerichtliche Entscheidung über die Behandlung im Rahmen der Unterbringung regelmäßig auch nicht vor dem Zeitpunkt seiner Entlassung erlangen kann.
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c) Aus denselben Gründen steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde auch nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof die Frage, ob es sich bei § 1906 BGB (a.F.) vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 128, 282 ff.; 129, 269 ff.; BVerfGE 133, 112 ff.) um eine ausreichende Eingriffsgrundlage für die Genehmigung einer Zwangsmedikation handelt, zwischenzeitlich verneint hat (zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vgl. BGH, Beschlüsse des 12. Zivilsenats vom 20. Juni 2012 - XII ZB 130/12 und XII ZB 99/12 -, juris, wobei der hier angegriffene Beschluss des Landgerichts kurz nach den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs ergangen ist) und die Bestimmung des § 1906 BGB (a.F.) zwischenzeitlich geändert worden ist. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde ist auch damit nicht entfallen.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie die Zwangsmedikation des Beschwerdeführers betrifft, auch offensichtlich begründet.
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a) Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 128, 282 ff.; 129, 269 ff.; BVerfGE 133, 112 ff.). Bei der Bestimmung des § 1906 BGB (a.F.) hat es sich nicht um eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die medizinische Zwangsbehandlung gehandelt und die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers ist daher ohne gesetzliche Grundlage und damit unter Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgt (vgl. BVerfGE 128, 282 ff.; 129, 269 ff.; BVerfGE 133, 112 ff.).
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b) Ob der angegriffene Beschluss des Landgerichts, der kurz nach der zwischenzeitlich geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergangen ist, darüber hinaus auch deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, weil er der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in dieser Frage ohne weitere Begründung nicht gefolgt ist, muss wegen des bereits festgestellten Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht geklärt werden.
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3. Die Beschlüsse des Amtsgerichts sowie der Beschluss des Landgerichts beruhen auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie sind daher aufzuheben und die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).
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IV.
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Dem Beschwerdeführer sind gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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