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BVerfG 15.07.2014 - 2 BvE 2/14
BVerfG 15.07.2014 - 2 BvE 2/14 - Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren - Chancengleichheit der politischen Parteien und Äußerungsbefugnis von Regierungsmitgliedern - eA-Antrag teilweise bereits unzulässig - iÜ kein schwerer Nachteil durch beanstandete Äußerung
Normen
Art 21 Abs 1 GG, §§ 63ff BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 64 Abs 1 BVerfGG
Vorinstanz
nachgehend BVerfG, 16. Dezember 2014, Az: 2 BvE 2/14, Urteil
Gründe
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Die Antragstellerin sieht sich durch eine Äußerung der Antragsgegnerin im Vorfeld der Landtagswahl in Thüringen am 14. September 2014 in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt.
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I.
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1. Am 25. Juni 2014 erschien in der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) ein Interview, das die Antragsgegnerin anlässlich der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises dieser Zeitung gegeben hatte. In dem Interview ging es unter anderem um den Kampf der Bundesregierung gegen den Rechtsextremismus und ein dafür vorgesehenes Demokratieprogramm des Bundes, das von der Antragsgegnerin verantwortet wird. Die Antragsgegnerin wurde auch zur Antragstellerin und deren möglichen Einzug in den Thüringer Landtag bei der Landtagswahl am 14. September 2014 befragt. Die Antragsgegnerin äußerte sich unter anderem wie folgt:
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"Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht, ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler - und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt - und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt."
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2. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung will die Antragstellerin erreichen, dass die Antragsgegnerin es unterlässt, zulasten der Antragstellerin in den Landtagswahlkampf in Thüringen einzuwirken und insbesondere wörtlich oder sinngemäß zu behaupten:
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"Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt."
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Die Antragsgegnerin verletze durch diese Äußerung die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG. Es dränge sich der konkrete Verdacht auf, dass die Antragsgegnerin unter Missbrauch ihres Amtes Wahlkampf für die Thüringer SPD betreiben und sich auf Kosten der Antragstellerin beim Wähler profilieren wolle. Damit verstoße die Antragsgegnerin gegen ihre Pflicht zu parteipolitischer Neutralität.
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3. Die Antragsgegnerin hält das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit nicht für beeinträchtigt.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 108, 34 41> m.w.N.).
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2. Soweit die Antragstellerin geltend macht, es dränge sich aufgrund der angegriffenen Äußerung der konkrete Verdacht auf, dass die Antragsgegnerin unter Missbrauch ihres Amtes Wahlkampf betreiben wolle, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Antrag in der Hauptsache insoweit unzulässig ist. Der Organstreit dient nicht dem Zweck, in der Zukunft liegende nicht unmittelbar bevorstehende potentielle Rechtsverletzungen unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Maßnahme oder Unterlassung im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG zu verhindern. Die bloße Möglichkeit, dass eine sich im Wahlkampf engagierende Amtsträgerin die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit überschreitet, genügt insoweit nicht.
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3. Im Übrigen ist nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand nicht erkennbar, dass der Antragstellerin durch die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin ein Nachteil von solchem Gewicht zugefügt wird, dass er nach dem anzulegenden strengen Maßstab den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen würde.
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a) Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG kann dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 146>; 63, 230 243 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 25). Deshalb ist es Staatsorganen als solchen von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen (vgl. BVerfGE 44, 125 141>). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Politiker, insbesondere wenn sie ein Staatsamt bekleiden, vor Wahlen nicht alle Auftritte in der Öffentlichkeit meiden können. Mitglieder der Bundesregierung sind daher grundsätzlich befugt, sich auch im Wahlkampf in amtlicher Funktion über die Medien an die Öffentlichkeit zu wenden (vgl. BVerfGE 44, 125 154 f.>), haben dabei aber die Chancengleichheit der Parteien zu beachten.
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b) Zugunsten der Antragstellerin kann im Verfahren der einstweiligen Anordnung unterstellt werden, dass sich die Antragsgegnerin zumindest auch in amtlicher Funktion über die Antragstellerin geäußert hat. In dem Zeitungsinterview, in dem die angegriffene Aussage fiel, gab die Antragsgegnerin Auskunft über die Bekämpfung des Rechtsextremismus und ein dafür initiiertes Bundesprogramm, das sie verantwortet; daneben äußerte sie sich in diesem Zusammenhang über den von ihr für richtig gehaltenen Umgang mit der Antragstellerin. Ersteres ist von ihrer Befugnis zur Information der Öffentlichkeit gedeckt (vgl. BVerfGE 44, 125 147 f.>). Ob auch die Äußerungen zur Antragstellerin und deren möglichen Einzug in den Thüringer Landtag noch von dieser Befugnis gedeckt sind und wie im Einzelnen die Grenzen zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Wahlkampf zu bestimmen sind, bedarf - auch im Hinblick auf den Umstand, dass die Antragstellerin vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextreme Partei eingeordnet wird und der Bundesrat deren Verbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG beim Bundesverfassungsgericht beantragt hat - näherer Erörterung und wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
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c) Selbst wenn die Grenzen zu einer unzulässigen Einflussnahme nicht gewahrt worden sein sollten, fehlt es an dem erforderlichen schweren Nachteil für die Antragstellerin. Die Antragsgegnerin hat die angegriffene Aussage im Rahmen eines Zeitungsinterviews gemacht und nicht unter Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse oder unter Einsatz öffentlicher Sach- und Finanzmittel gehandelt (vgl. BVerfGE 44, 125 154>). Auch hat sich die Antragsgegnerin insoweit nicht in spezifischer Weise auf ihre Stellung als Bundesministerin berufen. Im Hinblick auf den Aussagegehalt ist zudem unklar, ob sie dies im Landtagswahlkampf anders zu handhaben beabsichtigt; dagegen spricht, dass die Antragsgegnerin nach der Darlegung ihrer Erfahrung des Umgangs mit der Antragstellerin im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ausdrücklich nur von sich als Person spricht und nicht von ihrem Ministerium, wie dies in dem Zeitungsinterview an anderer Stelle der Fall ist. Einschätzungen einer Partei als rechtsextrem oder verfassungsfeindlich sind Teil der öffentlichen Auseinandersetzung, denen die betroffene Partei - sofern sich die Äußerungen im Rahmen von Gesetz und Recht halten - mit den Mitteln des Meinungskampfes begegnen muss (vgl. BVerfGE 133, 100 107 f., Rn. 21>). Dass die Antragsgegnerin sich ungerechtfertigt herabsetzend oder polemisch gegenüber der Antragstellerin geäußert habe, macht diese nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die angegriffene Äußerung von einer Bundesministerin stammt, beeinträchtigt die Antragstellerin jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen nicht in so schwerwiegender Weise, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt wäre.
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