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BVerfG 02.09.2010 - 1 BvR 1974/08
BVerfG 02.09.2010 - 1 BvR 1974/08 - Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung des Gebots der Rechtswahrnehmungsgleichheit durch Versagung von Beratungshilfe wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten
Normen
Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 1 Abs 1 BeratHiG, § 1 Abs 1 Nr 2 BeratHiG, SGB 2
Vorinstanz
vorgehend AG Freising, 15. Mai 2008, Az: 52 UR II 127/08, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG) im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
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I.
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1. Die Beschwerdeführerin bezieht seit mehreren Jahren Arbeitslosengeld II. Bereits im Jahre 2006 begab sie sich zweimal für mehrere Wochen in stationäre Behandlung in ein Krankenhaus. Für die Zeit der stationären Behandlung kürzte der Grundsicherungsträger die der Beschwerdeführerin zustehende Regelleistung jeweils mit der Begründung, die Beschwerdeführerin müsse sich die während des Klinikaufenthaltes kostenlos erhaltene Verpflegung in Höhe des in der Regelleistung enthaltenen Lebensmittelanteils (35% des Betrages der Regelleistung) leistungsmindernd anrechnen lassen. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin persönlich nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage, die sie unter Bezugnahme auf bereits ergangene sozialgerichtliche Entscheidungen, die der Auffassung des Grundsicherungsträgers widersprachen, begründete. Das Sozialgericht gab dieser Klage hinsichtlich des zweiten Kürzungsbescheides am 30. Mai 2007 durch Gerichtsbescheid ohne Zulassung der Berufung mit der Begründung statt, für die vom Grundsicherungsträger vorgenommene Kürzung der Regelleistung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Im Juli 2007 ließ das Landessozialgericht auf die Beschwerde des Grundsicherungsträgers die Berufung zu.
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Mit Bescheid vom 22. Oktober 2007 kürzte der Grundsicherungsträger die Regelleistung für die Zeit vom 30. Oktober 2007 bis zum 30. November 2007 erneut, nachdem die Beschwerdeführerin angekündigt hatte, dass sie sich während dieses Zeitraums in einer Rehabilitationsklinik befinden werde. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin wiederum persönlich Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf die bereits vorliegende Entscheidung des Sozialgerichts. Der Grundsicherungsträger half dem Widerspruch letztlich ab, weil die Beschwerdeführerin die Rehabilitations-Maßnahme zunächst nicht antrat.
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Nachdem sich die Beschwerdeführerin sodann doch vom 3. Dezember 2007 bis zum 29. Dezember 2007 in die Rehabilitations-Maßnahme begab, kürzte der Grundsicherungsträger durch Bescheid vom 23. Januar 2008 für diesen Zeitraum die Regelleistung erneut um 35% (109, 31 Euro) und erklärte, die deshalb im Monat Dezember 2007 zuviel erhaltenen Leistungen würden zu je zwei gleichen Beträgen mit den Ansprüchen der Beschwerdeführerin auf die Regelleistung in den Monaten März und April 2008 aufgerechnet.
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Nunmehr erhob der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin Widerspruch und wies in der Begründung darauf hin, dass in vergleichbarer Angelegenheit bereits ein Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vorliege, der die Sach- und Rechtslage zutreffend bewerte.
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Der nachträglich gestellte Beratungshilfeantrag wurde vom Rechtspfleger wegen Mutwilligkeit (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG) zurückgewiesen.
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Mit der Erinnerung machte die Beschwerdeführerin geltend, dass wegen der gleich gelagerten Fallkonstellation eine behördliche Beratung nicht zumutbar wäre.
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Die Erinnerung wurde mit richterlichem Beschluss zurückgewiesen. Ein Bürger, welcher den Rechtsanwalt selbst zu zahlen hätte, hätte den Widerspruch persönlich eingelegt, da aus einem Parallelverfahren die Art des Vorgehens bereits bekannt gewesen sei.
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2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin sinngemäß eine Verletzung der Rechtswahrnehmungsgleichheit. Weil die Belastungen durch ihre Erkrankungen zuviel für sie gewesen seien, habe sie den Rechtsanwalt, der sie in der Berufungsinstanz vertrete, gebeten, den Widerspruch für sie zu übernehmen. Darüber hinaus wendet sie sich "gegen die Kürzung des Hartz IV während meines Reha-Aufenthaltes".
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3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, das Gelegenheit zur Äußerung erhalten hat, hat von einer Stellungnahme abgesehen.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, denn das Bundesverfassungsgericht hat die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 122, 39 48 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 21 ff.). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg.
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Die Beschwerdeführerin ist durch die Ablehnung von Beratungshilfe nicht in ihrem Grundrecht auf weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG verletzt. Das Amtsgericht hat bei der Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts im konkreten Fall nicht verkannt.
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1. Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Entsprechend dem für die Prozesskostenhilfe geltenden Prüfungsmaßstab überschreiten die Fachgerichte jedoch dann den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des Beratungshilfegesetzes zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einem unbemittelten Rechtsuchenden im Vergleich zum bemittelten Rechtsuchenden die Rechtswahrnehmung unverhältnismäßig eingeschränkt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 25). Zugleich haben die Fachgerichte aber auch zu beachten, dass Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG auch einer Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber dem Bemittelten, der sein Kostenrisiko wägen muss, entgegen steht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. November 2009 - 1 BvR 2455/08 -, juris, Rn. 9). Dementsprechend ist der Unbemittelte nur einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt (vgl. BVerfGE 122, 39 49>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 22). Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist. Die Frage nach der Selbsthilfe mag einfachrechtlich im Rahmen des Beratungshilfegesetzes umstritten sein (generell ablehnend Schoreit, in: Schoreit/Groß, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 9. Aufl. 2008, § 1 Rn. 52; für Berücksichtigung im Rahmens eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses: Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl. 2005, Rn. 954, 960). Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist aber kein Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit erkennbar, wenn ein Bemittelter wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Einschaltung eines Anwalts vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 34).
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Ob die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Beratung notwendig ist oder der Rechtsuchende zumutbar auf Selbsthilfe zu verweisen ist, hat das Fachgericht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Insbesondere kommt es darauf an, ob der dem Beratungsanliegen zugrunde liegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und der Rechtsuchende über besondere Rechtskenntnisse verfügt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 35 f.). Die pauschale Verweise auf die Beratungspflicht der Behörde stellt keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit dar, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 38 ff.).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin - ungeachtet der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 35) - im konkreten Fall in der Lage war, den Widerspruch persönlich, das heißt ohne anwaltliche Hilfe, einzulegen.
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Die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung kann allerdings verfassungskonform nicht stets und pauschal mit der Verweisung auf ein Parallelverfahren verneint werden. Gerade die Frage, ob ein Parallelfall vorliegt, kann bei Rechtsunkundigen den Beratungsbedarf begründen.
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Hier hat die Beschwerdeführerin jedoch ohne Schwierigkeiten erkannt, dass es in dem Bescheid vom 23. Januar 2008 um genau die gleiche rechtliche und tatsächliche Problematik ging, wie in drei weiteren, zuvor ergangenen Bescheiden, in denen die Regelleistung wegen eines Klinikaufenthaltes gekürzt worden war, und dass das Sozialgericht die betreffende Rechtsfrage im Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2007 in einem gegen einen der Kürzungsbescheide gerichteten Verfahren zu ihren Gunsten entschieden hatte. Dass sie in der Lage war, ohne anwaltliche Hilfe Widerspruch einzulegen, zeigt sich vor allem darin, dass sie gegen den zunächst erlassenen Bescheid vom 22. Oktober 2007 über die Kürzung der Regelleistung im Zeitraum vom 30. Oktober 2007 bis zum 30. November 2007 persönlich Widerspruch eingelegt und ausdrücklich auf die bereits vorliegende Entscheidung des Sozialgerichts Bezug genommen hat. Zudem hat sie sich schon in dem Verfahren vor dem Sozialgericht selbst vertreten und dort sachkundig auf Rechtsprechung Bezug genommen, die der Rechtsauffassung des Grundsicherungsträgers widersprach. Es leuchtet deshalb nicht ein, warum ihre Rechtskenntnisse für die Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23. Januar 2008, der den Zeitraum der Kürzung gegenüber dem Bescheid vom 22. Oktober 2007 lediglich verschob, nicht ausgereicht haben sollen. Die Beschwerdeführerin hat auch nichts Entsprechendes behauptet, sondern die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung damit zu begründen versucht, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, den Widerspruch persönlich einzulegen. Insoweit ist ihr Vorbringen jedoch unsubstantiiert, da sie innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG keine ärztlichen Unterlagen über ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Januar 2008 vorgelegt hat.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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