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BFH 14.01.2021 - X B 25/20
BFH 14.01.2021 - X B 25/20 - Schätzung und Sachverständigengutachten
Normen
§ 4 Abs 1 EStG 2009, § 5 EStG 2009, § 162 Abs 2 AO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 5 AO, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 30. Januar 2020, Az: 4 K 4198/16, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlage zulässig ist, ist wie die Bestimmung der maßgeblichen Schätzungskriterien eine rechtliche Beurteilung. Diese obliegt dem FG, so dass hierzu die Einholung eines Sachverständigengutachtens regelmäßig nicht in Betracht kommen dürfte.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30.01.2020 - 4 K 4198/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr 2010 ein Taxiunternehmen mit 30 Taxen. Den Gewinn für diesen Gewerbebetrieb ermittelte der Kläger durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Für das Streitjahr ermittelte der Kläger Umsatzerlöse in Höhe von 1.298.763,41 €. Den Gewerbeertrag gab er mit 38.333 € an. Im Rahmen einer u.a. das Streitjahr betreffenden Außenprüfung stellte der Prüfer des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) fest, dass die beim Kläger angestellten Fahrer keine Schichtzettel geführt hätten. Stattdessen hätten sie eine vom Kläger selbst entworfene Excel-Tabelle ausgefüllt. Diese habe keine Angaben für die Gesamtkilometer laut Tachometer zum Schichtanfang und -ende ausgewiesen. Die Werte seien zusammenfassend für einen Zeitraum von 15 Tagen nachgetragen worden. Auch habe die Tabelle vorgesehen, dass nur die Arbeitszeit, nicht jedoch Schichtanfang und -ende einzutragen gewesen seien. Es seien, wenn überhaupt, nur volle Stunden angegeben worden. Außerdem seien pauschale Kürzungen vorgenommen worden. Handschriftliche Ursprungsbelege seien nicht vollständig für alle Fahrer vorhanden gewesen. Aufzeichnungen über die Art der Zahlung habe die Tabelle nicht ausgewiesen. Fehlfahrten könnten nicht tageweise zugeordnet werden.
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Der Prüfer des FA sah die Buchführung nicht als ordnungsgemäß an und führte eine Vergleichsrechnung der Erlöse mit den Dieselkosten sowie einen Chi-Quadrat-Test durch, die beide Auffälligkeiten auswiesen. Der Prüfer erhöhte deshalb den Gewinn für das Taxiunternehmen durch eine pauschale Hinzuschätzung in Höhe von 50.000 €. Das FA erließ entsprechend geänderte Bescheide.
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Einsprüche und Klage blieben erfolglos. Auch das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, dass der Kläger seine Pflichten zur Einzelaufzeichnung im Streitjahr verletzt habe. Nach seiner Überzeugung sei der deshalb vorliegende Verstoß gegen die formellen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung so gewichtig gewesen, dass von einer sachlichen Richtigkeit der Buchführung des Klägers im Streitjahr nicht ausgegangen werden könne. Die pauschale Hinzuschätzung von 50.000 € zum Gewinn des Klägers aus dem Taxiunternehmen sei nicht zu beanstanden. Angesichts der vom Kläger erklärten Umsatzerlöse sei ein solcher pauschaler Sicherheitszuschlag wirtschaftlich vernünftig. Ausgehend von der Untersuchung der Linne und Krause GmbH zur Wirtschaftlichkeit des Taxigewerbes in Berlin für das Jahr 2012 sei unter Berücksichtigung der dort genannten Durchschnittswerte und eines pauschalen Abschlags von 20 % von einem Jahresumsatz pro Taxi im Streitjahr von 42.738 €, bei einem Mehrfahrzeugbetrieb von 48.172 € auszugehen. Diese Beträge lägen im Bereich der Hinzuschätzung. Entsprechendes ergebe sich auch unter Berücksichtigung der sog. Tischvorlage des Klägers aus dem Erörterungstermin. Deren gemittelte Werte für die Jahre 2009 und 2011 führten ebenfalls zu einem Gesamtumsatz, der etwas über 70.000 € über dem vom Kläger erklärten Umsatz liege.
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Der Kläger begehrt die Revisionszulassung wegen Verfahrensmängeln. Das FG sei den Beweisanträgen des Klägers nicht nachgegangen, habe die Grundsätze der Schätzung verletzt und seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.
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Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist --unterstellt, sie entspricht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)-- jedenfalls unbegründet. Es liegt keiner der vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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1. Der vom Kläger gerügte Verstoß des FG gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) dahingehend, dass es kein fall- und sachbezogenes Sachverständigengutachten eingeholt habe, sondern stattdessen den pauschalen Sicherheitszuschlag des FA von 50.000 € ausgehend von der Untersuchung der Linne und Krause GmbH auf Schlüssigkeit prüfe, ist nicht gegeben.
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Die Ablehnung eines solchen Sachverständigengutachtens stellt unabhängig von der Frage, ob es schon ausreicht, wenn dieses schriftsätzlich vor der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist, keinen Verfahrensmangel dar.
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a) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zulässig ist, ebenso wie die Bestimmung der maßgeblichen Schätzungskriterien eine rechtliche Beurteilung erfordert, die in erster Linie dem FG obliegt und weder regelmäßig noch in bestimmten Einzelfällen durch ein Sachverständigengutachten vorbereitet werden muss (vgl. nur Senatsbeschluss vom 14.05.2013 - X B 176/12, BFH/NV 2013, 1445, Rz 28, m.w.N.).
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Welche Schätzungsmethode das FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 der Abgabenordnung (AO) aufgrund seiner eigenen Schätzungsbefugnis wählt, ist grundsätzlich Sache des FG, soweit diese Methode geeignet ist, ein schlüssiges, wirtschaftlich sinnvolles und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 08.08.2019 - X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219, Rz 22).
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Es ist gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung wie hier, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15.04.2015 - VIII R 49/12, Rz 19, m.w.N.). Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren (vgl. nur Senatsurteil vom 20.03.2017 - X R 11/16, BFHE 258, 272, BStBl II 2017, 992, Rz 51, m.w.N.).
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b) In der Beanstandung der gewählten Schätzungsmethode liegt damit die Rüge einer falschen Rechtsanwendung durch das FG, nicht aber die Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht. Hinzu kommt, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Die Ermessensfreiheit findet indes dort ihre Grenzen, wo sich die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen mangels eigener Sachkunde des Gerichts aufdrängen musste (so schon BFH-Urteil vom 04.03.1993 - IV R 33/92, BFH/NV 1993, 739, Rz 23, m.w.N.). Auch die Plausibilität eines Sicherheitszuschlags kann aufgrund eigener Sachkunde des Gerichts, gestützt auf allgemeine Branchenuntersuchungen, dargelegt werden.
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c) Das FG hat sich ausweislich der Urteilsgründe ausführlich nicht nur mit den Anforderungen an die Einzelaufzeichnung von Umsätzen von Taxiunternehmen anhand von Schichtzetteln und der damit verbundenen formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung befasst. Es hat auch erläutert, wieso es unter Berücksichtigung der notwendigen Begründungstiefe das anhand einer griffweisen Schätzung gefundene Schätzungsergebnis des FA für so überzeugend hält, dass es dieses im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis übernommen hat. Unter Bezugnahme auf die Untersuchung der Linne und Krause GmbH zur Wirtschaftlichkeit des Taxigewerbes in Berlin aus dem Jahr 2016 für das Jahr 2012 hat es den durchschnittlichen Umsatz für ein Taxiunternehmen mit 30 Taxen berechnet und das Ergebnis anhand der Zahlen aus der Tischvorlage zum Erörterungstermin verprobt, auf deren Grundlage das FG wiederum den Wert für das Streitjahr rechnerisch mittelt. Auch hat das FG aufgezeigt, warum es davon überzeugt ist, dass sich das Taxiunternehmen des Klägers von einem Durchschnittsunternehmen nicht unterscheidet.
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d) Wenn der Kläger darauf verweist, dass die vom FG ermittelten Werte Umsatzzahlen seien und deshalb meint, sie könnten einen pauschalen Gewinnzuschlag in Höhe von 50.000 € nicht plausibilisieren, verkennt er, dass mangels substantiierten Vortrags nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass der aufgrund der formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung zu schätzende Mehrumsatz mit weiteren Betriebsausgaben verbunden sein muss.
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2. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, rügt er einen Verstoß des FG gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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a) § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet das Gericht, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 05.06.2020 - VIII B 38/19, BFH/NV 2020, 1267, Rz 3, m.w.N.). Das FG entscheidet unter Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf in den Akten befindliche Unterlagen stützt, diese Unterlagen die durch das FG gezogenen Schlussfolgerungen aber nicht tragen (vgl. BFH-Beschluss vom 17.07.2019 - II B 30, 32-34, 38/18, BFHE 265, 5, BStBl II 2019, 620, Leitsatz 1. und Rz 12). Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt dagegen nicht schon deshalb vor, wenn das FG eine unzutreffende Sachverhalts- oder Beweiswürdigung vornimmt.
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b) Unabhängig davon, dass der Kläger lediglich pauschal rügt, das FG habe seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, zielt auch sein diesbezüglicher Vortrag allein darauf ab, dass das FG im Rahmen seiner Schätzung eine unzutreffende Sachverhaltswürdigung unter Zugrundelegung nicht relevanter Zahlen vorgenommen habe. Damit wendet sich der Kläger jedoch im Kern allein gegen die materielle Richtigkeit der vom FG übernommenen Schätzung.
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Macht der Kläger aber lediglich einen Rechtsfehler in Bezug auf die Höhe einer Schätzung geltend, läge lediglich ein "schlichter" Rechtsanwendungsfehler vor, der nicht zur Revisionszulassung berechtigt. Dies betrifft auch den Fall einer nicht ausreichend tiefen Begründung eines Sicherheitszuschlags. Denn anders als in einem bereits anhängigen Revisionsverfahren bedarf es für die Zulassung der Revision aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde eines qualifizierten Rechtsfehlers gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO.
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c) Selbst für den Fall, dass der Kläger, der ausdrücklich Verfahrensfehler rügt, in Bezug auf die Schätzung auch diesen Revisionszulassungsgrund geltend machen wollte, läge er nicht vor. Denn ein solcher qualifizierter Rechtsanwendungsfehler in Bezug auf die Höhe einer Schätzung kann nur vorliegen, wenn objektive Willkür zu bejahen ist. Dies ist erst der Fall, wenn das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist. Selbst ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst dann zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Senatsbeschluss vom 21.07.2017 - X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447, Rz 17, m.w.N.). Dies ist schon aufgrund der umfangreichen und differenzierten Begründung des FG zur Höhe des Sicherheitszuschlags nicht gegeben.
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Ohne Belang ist im Übrigen auch die Behauptung des Klägers, das FA habe in Folgejahren die Art seiner Aufzeichnung akzeptiert bzw. die zeitlich später begonnene Nutzung von Fiskaltaxometern habe zu keinen Abweichungen zu den von ihm im Streitjahr erklärten Umsätzen geführt. In beiden Fällen betreffen die Behauptungen des Klägers nicht das Streitjahr und lassen auch nicht die vom FG festgestellte gravierende formelle Ordnungswidrigkeit der Buchführung entfallen. FA und FG waren gemäß § 162 Abs. 2 AO zur Schätzung berechtigt und verpflichtet.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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4. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
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