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BFH 02.08.2018 - V R 37/17
BFH 02.08.2018 - V R 37/17 - Zur Steuerbefreiung von notärztlichen Bereitschaftsdiensten
Normen
§ 4 Nr 14 Buchst a UStG 2005, Art 132 Abs 1 Buchst c EGRL 112/2006, UStG VZ 2009
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 3. Juli 2017, Az: 9 K 1147/16, Urteil
Leitsatz
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Leistungen eines Arztes im Rahmen eines Notdienstes, die dazu dienen, gesundheitliche Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen, um sofort geeignete Maßnahmen einleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer (späteren) Behandlung sicherstellen zu können, sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfreie Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin .
Tenor
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Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 3. Juli 2017 9 K 1147/16 insoweit aufgehoben, als es die Klage hinsichtlich der Steuerfreiheit der für den Veranstalter L ausgeführten Leistungen abgewiesen hat.
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Der Klage wird auch insoweit stattgegeben.
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Die Umsatzsteuer wird unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheids 2009 des Finanzamts vom 29. März 2016 und dessen Einspruchsentscheidung vom 18. April 2016 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei der Umsatzsteuerbefreiung auch der für den Veranstalter L ausgeführten Umsätze ergibt.
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Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit von Umsätzen aus dem notärztlichen Bereitschaftsdienst bei verschiedenen Veranstaltungen durch den Kläger und Revisionskläger (Kläger).
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Der Kläger ist Arzt. Er führte im Streitjahr (2009) sowie im Vorjahr 2008 umsatzsteuerfreie und umsatzsteuerpflichtige Umsätze aus. Dazu gehörte u.a. der Bereitschaftsdienst bei Sport- und ähnlichen Veranstaltungen. Die Aufgaben des Klägers umfassten dabei, den Veranstaltungsbereich im Vorfeld zu kontrollieren und die Verantwortlichen im Hinblick auf mögliche Gesundheitsgefährdungen zu beraten. Während der Veranstaltung sollte der Kläger bei kontinuierlichen Rundgängen frühzeitig Gefahren und gesundheitliche Probleme der anwesenden Personen erkennen. Bei Bedarf sollte er ärztliche Untersuchungen und Behandlungen von Patienten durchführen. Umsatzsteuer wurde in den Rechnungen nicht ausgewiesen. In Rechnung gestellt wurde die "notärztliche bzw. sanitätsdienstliche Betreuung".
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Am 29. März 2016 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den streitgegenständlichen Umsatzsteuerjahresbescheid für 2009 gegenüber dem Kläger, in dem er u.a. die vom Kläger für den Veranstalter L (L) erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer unterwarf. Der Kläger sei auch kein Kleinunternehmer, da er im Vorjahr 2008 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 21.328,28 € ausgeführt habe.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1760 veröffentlichten Urteil hinsichtlich nicht mehr streitiger Leistungen statt, wies die Klage hinsichtlich der an den L ausgeführten Leistungen aber ab.
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Zur Begründung der teilweisen Klageabweisung führt das FG aus, bei den Leistungen für den L habe der Kläger lediglich Anwesenheit und Einsatzbereitschaft geleistet. Das reiche für eine umsatzsteuerfreie Heilbehandlung nicht aus, weil die Anwesenheit des Klägers zwar Voraussetzung für eine optimale Versorgung sei, selbst aber nicht der Behandlung einer Krankheit oder Gesundheitsstörung diene. Komme es tatsächlich zu einer Behandlung eines Veranstaltungsbesuchers, so komme ein Vertragsverhältnis mit dem Besucher oder dessen Krankenkasse zustande, aus dem die Behandlungsleistung des Klägers vergütet werde.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Er sei dazu verpflichtet, die örtlichen Risiken für die Gesundheit der Teilnehmer zu prüfen, ggf. beseitigen zu lassen und während und unmittelbar nach der Veranstaltung den Gesundheitszustand der Teilnehmer zu beobachten. Insoweit handele es sich um Gesundheitsvorsorge i.S. der Vorbeugung, Diagnose und ggf. auch Behandlung von Krankheiten.
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Das regelmäßige Beobachten der Veranstaltungsteilnehmer sei auch dann eine ärztliche diagnostische Tätigkeit, wenn es zu keinen notärztlichen Einsätzen komme.
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Zudem folge die Steuerfreiheit der von ihm ausgeführten streitigen Leistungen unmittelbar aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Schließlich sei die "Bereitschaftsleistung" jedenfalls Nebenleistung zu der steuerfreien ärztlichen Heilbehandlung.
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Der Kläger beantragt,
das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als es dem Klagebegehren nicht entspricht und den Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 29. März 2016 und den Einspruchsbescheid vom 18. April 2016 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Von der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) würden Leistungen nicht umfasst, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes seien. Hiervon werde die bloße Anwesenheit und Leistungsbereitschaft des Klägers nicht umfasst. Sie sei auch nicht bloße Nebenleistung einer steuerbefreiten Heilbehandlung.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat den notärztlichen Bereitschaftsdienst des Klägers bei Veranstaltungen für den L zu Unrecht nicht als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG behandelt.
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1. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden" steuerfrei. Die Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL, wonach Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, steuerfrei sind.
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a) Der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ist "nicht besonders eng auszulegen" (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Dornier vom 6. November 2003 C-45/01, EU:C:2003:595, Rz 42, 48). Er umfasst die Diagnose, die Behandlung und, soweit möglich, die Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Heilbehandlungen müssen einen therapeutischen Zweck haben. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden. Daraus folgt, dass ärztlichen Leistungen, die zu dem Zweck erbracht werden, die menschliche Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung zugutekommt (vgl. z.B. EuGH-Urteil Klinikum Dortmund vom 13. März 2014 C-366/12, EU:C:2014:143, Rz 30, m.w.N.; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. März 2015 XI R 15/11, BFHE 249, 359, BStBl II 2015, 1058; vom 8. März 2012 V R 30/09, BFHE 237, 263, BStBl II 2012, 623; vom 26. August 2014 XI R 19/12, BFHE 247, 246, BStBl II 2015, 310; vom 5. November 2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, BFH/NV 2015, 297, jeweils m.w.N.).
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b) Allerdings kann der Begriff "ärztliche Heilbehandlung" nicht auf sämtliche Leistungen, die mit der Behandlung von Patienten zusammenhängen, ausgedehnt werden. Denn die bei der Auslegung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zu berücksichtigende Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL enthält --im Gegensatz zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL-- keine Bezugnahme auf Umsätze, die "mit ärztlichen Heilbehandlungen eng verbunden" sind. Deshalb erfasst Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL mit ärztlichen Heilbehandlungen "eng verbundene Umsätze" grundsätzlich nicht (vgl. EuGH-Urteil Klinikum Dortmund, EU:C:2014:143, Rz 32; BFH-Urteil in BFHE 249, 359, BStBl II 2015, 1058, Rz 21). Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind daher ärztliche Leistungen, Maßnahmen oder medizinische Eingriffe, die zu anderen Zwecken erfolgen (z.B. BFH-Urteile vom 18. August 2011 V R 27/10, BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214; vom 30. April 2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679).
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Dabei steht der Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn Leistungen nicht gegenüber Patienten oder Krankenkassen erbracht werden. Denn für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 249, 359, BStBl II 2015, 1058; in BFHE 235, 58, BFH/NV 2011, 2214; vom 8. August 2013 V R 8/12, BFHE 242, 548, BFH/NV 2014, 119).
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2. Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze handelt es sich bei den vom Kläger für den L ausgeführten Diensten um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin. Jedenfalls der ärztliche Notfalldienst für den L in der vom Kläger versehenen Form diente unmittelbar dem Schutz und der Aufrechterhaltung der menschlichen Gesundheit. Ähnlich wie Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, zielten die Leistungen des Klägers darauf ab, gesundheitliche Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen, um sofort entsprechende Maßnahmen einleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer (späteren) Behandlung sicherstellen zu können. Das ist eine unmittelbar ärztliche Tätigkeit, die auch nur von einem Arzt geleistet werden kann. Die Einbeziehung dieser Tätigkeit in die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steht mit den Zielen im Einklang, die mit dieser Befreiung verfolgt werden.
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3. Da die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Zu Unrecht hat das FG sein Urteil darauf gestützt, dass der Kläger "lediglich Anwesenheit und Einsatzbereitschaft" geleistet habe. Indessen geht aus seinen tatsächlichen Feststellungen hervor, dass der Kläger nicht nur den Veranstaltungsbereich im Vorfeld zu kontrollieren und die Verantwortlichen im Hinblick auf mögliche Gesundheitsgefährdungen zu beraten hatte, sondern während der Veranstaltung bei kontinuierlichen Rundgängen frühzeitig Gefahren und gesundheitliche Probleme der anwesenden Personen erkennen sollte. Der Aufgabenbereich des Klägers ging danach weit über eine bloße Anwesenheit und Einsatzbereitschaft hinaus.
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4. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist aus den Gründen zu II.2. und 3. stattzugeben.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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