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BFH 12.06.2018 - VII R 2/17
BFH 12.06.2018 - VII R 2/17 - Haftungsbescheid und bevorstehende Restschuldbefreiung des Haftungsschuldners
Normen
§ 26 Abs 1 BGB, § 34 Abs 1 AO, § 51ff AO, § 69 AO, § 149 AO, § 191 Abs 1 S 1 AO, § 31 Abs 1 KStG 2002, § 18 Abs 1 UStG 2005, § 18 Abs 3 UStG 2005, § 38 InsO, § 300 InsO, § 51 AO, § 5 AO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 7. Dezember 2016, Az: 2 K 1072/14, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Pflicht des Vereinsvorstands zur Abgabe korrekter Steuererklärungen besteht auch vor Aberkennung der Gemeinnützigkeit.
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2. NV: Der Vorstand hat die fortlaufende Pflicht, die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit (§§ 51 ff. AO) zu überprüfen.
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3. NV: Eine nur (möglicherweise) bevorstehende Restschuldbefreiung des Haftungsschuldners muss das FA im Rahmen der Ermessensausübung bei Erlass des Haftungsbescheids nicht berücksichtigen.
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4. NV: In welchem Umfang die Haftungsschuld von der Restschuldbefreiung erfasst wird, ist erst nach dem Beschluss über die Restschuldbefreiung (§ 300 Abs. 4 InsO) zu klären.
Tenor
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Auf die Revision des Finanzamts wird das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 7. Dezember 2016 2 K 1072/14 geändert.
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Der Haftungsbescheid vom 14. Mai 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 wird aufgehoben, soweit die Klägerin als Haftende für Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 2006 in Anspruch genommen worden ist.
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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
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Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin 77 % und das Finanzamt 23 %.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war von der Gründung eines ursprünglich als gemeinnützig anerkannten Vereins im Jahr 2004 bis zu ihrer Amtsniederlegung Ende August 2011 Erste Vorsitzende des Vorstands. In dieser Eigenschaft hatte sie im Jahr 2005 den Schatzmeister uneingeschränkt bevollmächtigt, für den Verein zu handeln.
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Im April 2008 eröffnete das zuständige Amtsgericht ein Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin und erteilte mit Beschluss vom ... Juni 2014 die Restschuldbefreiung.
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Am 19. September 2011 erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) dem Verein wegen satzungsfremder Verwendung von Spenden die Gemeinnützigkeit ab und erließ Bescheide über Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2006 bis 2008.
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Nach Anhörung wurde die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 14. Mai 2013 gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) für u.a. Körperschaft- und Umsatzsteuerschulden des Vereins für die Jahre 2006 bis 2008 in Anspruch genommen.
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Im Einspruchsverfahren wies die Klägerin auf die bevorstehende Restschuldbefreiung hin. In der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 reduzierte das FA die Haftungssumme um die Zinsen zur Umsatzsteuer und zur Körperschaftsteuer für die Jahre 2006 bis 2008 und die aufgrund der Nichtzahlung entstandenen Säumniszuschläge, und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
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Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Haftungsbescheid sei zum Teil rechtswidrig. Das FA habe sein Entschließungsermessen nicht fehlerfrei ausgeübt, weil es die bevorstehende Restschuldbefreiung nicht berücksichtigt habe. Deshalb könne die Haftung nicht auf solche Steuerschulden erstreckt werden, für die die Klägerin den Rechtsgrund durch ihre schuldhafte Pflichtverletzung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt habe. Es handele sich um eine Insolvenzforderung i.S. des § 38 der Insolvenzordnung (InsO), soweit der Zeitraum 2006 bis April 2008 --der Monat der Insolvenzeröffnung-- betroffen sei. Für die Entstehung der Haftungsschuld komme es nicht auf die unterlassene Abgabe der Steuererklärungen, sondern auf die Erteilung der Vollmacht an den damaligen Schatzmeister und die Verletzung von Kontroll- und Überwachungspflichten an.
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Mit seiner Revision rügt das FA, der Rechtsgrund für die Haftung liege nicht in dem pflichtwidrigen Unterlassen von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen oder in einem Verstoß gegen nach § 90 Abs. 1 AO bestehende Informationspflichten, sondern in der pflichtwidrigen Nichtabgabe der Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen.
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Das FA beantragt, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als der Haftungsbescheid vom 14. Mai 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 hinsichtlich der Zeiträume 2007 und Januar bis April 2008 aufgehoben worden ist, und insoweit die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision des FA ist in dem im Tenor genannten Umfang erfolgreich, weil die Entscheidung des FG Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat entscheidet nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO in der Sache selbst.
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Das FG hat zu Unrecht einen Ermessensfehler in der Nichtberücksichtigung der möglicherweise bevorstehenden Restschuldbefreiung gesehen.
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Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach § 69 i.V.m. § 34 AO haftet die Klägerin als Vereinsvorstand insoweit persönlich, als Ansprüche aus dem zugrunde liegenden Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihr auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.
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1. Als Vorstand vertrat die Klägerin den Verein von dessen Gründung im Jahr 2004 bis zu ihrer Amtsniederlegung Ende August 2011 gerichtlich und außergerichtlich (§ 26 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) und hatte dessen steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO). Zu den steuerlichen Pflichten eines Vereinsvorstands gehört es insbesondere, rechtzeitig Steuererklärungen abzugeben (§ 149 AO) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) aus den verwalteten Mitteln zu begleichen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO) oder zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen (Senatsbeschluss vom 11. November 2015 VII B 57/15, BFH/NV 2016, 372; Senatsurteil vom 14. Juni 2016 VII R 20/14, BFH/NV 2016, 1672). Die Pflicht zur Abgabe der Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärungen richtet sich nach § 31 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes bzw. § 18 Abs. 1 und Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes. Auch die Abgabe einer unvollständigen oder unrichtigen Steuererklärung kann dazu führen, dass eine korrekte Steuerfestsetzung unterbleibt und ein Haftungsschaden entsteht (Senatsurteil vom 12. April 1988 VII R 131/85, BFHE 153, 199, BStBl II 1988, 742). Diese Pflicht bestand nicht erst nach der förmlichen Aberkennung der Gemeinnützigkeit im September 2011 und damit nach der Amtsniederlegung der Klägerin Ende August 2011.
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2. Die Klägerin hat weder die korrekten Steuererklärungen eingereicht noch die entsprechenden Steuern entrichtet, weil sie pflichtwidrig nicht erkannt hat, dass die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit nicht (mehr) erfüllt waren. Dagegen kommt es nicht auf die Erteilung der Vollmacht an den Schatzmeister an, wovon das FG auszugehen scheint.
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3. Die Klägerin hat die ihr auferlegten Pflichten auch grob fahrlässig verletzt. Die Frage des Verschuldens des Haftungsschuldners hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu beantworten (§ 96 FGO). Daran ist der Senat mangels erhobener und durchgreifender Verfahrensrügen gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Dies gilt zwar nur hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, nicht in Bezug auf die rechtliche Subsumtion der getroffenen Feststellungen unter den Begriff der groben Fahrlässigkeit (Senatsbeschluss vom 25. Februar 1997 VII B 190/96, BFH/NV 1997, 594). Vorliegend sind jedoch keine Rechtsfehler des FG erkennbar.
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4. Der Schaden ist durch die dargestellte Pflichtverletzung kausal verursacht. Hätte die Klägerin fristgemäß die zutreffenden Steuererklärungen eingereicht, hätte das FA die Steuern rechtzeitig festgesetzt.
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5. Die Ausführungen des FG zur Haftungssumme sind nicht zu beanstanden. Es sind keine Fehler erkennbar, zumal die Klägerin diesbezüglich auch keine Einwendungen erhoben hat.
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6. Auf die vom FG --unzutreffend-- bejahte Frage, ob ein Ermessensfehler vorliegt, weil das FA eine bevorstehende Restschuldbefreiung nicht beachtet hatte, kam es nicht an. Die Haftungsforderung ist erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 22. April 2008 i.S. des § 38 InsO begründet worden und wird deshalb von einer Restschuldbefreiung (§ 301 InsO) nicht erfasst.
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Entscheidend ist, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Mai 2013 IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759; BFH-Beschluss vom 1. April 2008 X B 201/07, BFH/NV 2008, 925). Der Rechtsgrund für einen Steueranspruch, zu denen auch der Haftungsanspruch nach § 69 AO gehört (§ 37 Abs. 1 AO), ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird (BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759). Für die insolvenzrechtliche Begründung der Haftungsforderung kommt es nicht auf die zugrunde liegende Steuerschuld, sondern darauf an, ob die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., Seite 67; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 11. Aufl., Rz 706; Sonnleitner, Insolvenzsteuerrecht, Kap. 3 Rz 73).
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Die Steuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 waren nach § 149 Abs. 1 AO a.F. jeweils spätestens fünf Monate nach Ablauf des Kalenderjahres abzugeben, mithin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ... April 2008.
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7. Die Sache ist spruchreif. Der Senat konnte allerdings das Urteil des FG nicht aufheben und die Klage abweisen, weil das FA seine Revision gegen die Vorentscheidung beschränkt hat. Über den Revisionsantrag darf der Senat nicht hinausgehen (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 2015 I R 88/13, BFHE 251, 190, BStBl II 2016, 961).
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8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 143 Abs. 1, 136 Abs. 1 FGO.
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