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BFH 10.03.2016 - VI R 80/14
BFH 10.03.2016 - VI R 80/14 - Zivilprozesskosten wegen Baumängeln als außergewöhnliche Belastungen
Normen
§ 33 Abs 1 EStG 1997, § 33 Abs 2 EStG 1997
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 29. Oktober 2014, Az: 9 K 245/11, Urteil
Leitsatz
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NV: Rechtsanwalts- und Gerichtskosten, die im Zusammenhang mit Baumängeln entstehen, sind grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 29. Oktober 2014 9 K 245/11 aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist der Abzug von Aufwendungen für einen Zivilprozess wegen Baumängeln als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in dem Streitjahr (2001) Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb.
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Im Jahr 2000 begann der Kläger mit der Errichtung des Gebäudes "X-Str., W". Es bestand die Absicht, das Gebäude ab Fertigstellung zu 33,18 % betrieblich und zu 66,82 % privat zu nutzen.
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Noch im Jahr 2000 beantragte der Kläger wegen mutmaßlicher erheblicher Baumängel ein gerichtliches Beweissicherungsverfahren. Aufgrund der gutachterlich festgestellten Mängel entschloss sich der Kläger noch vor der Fertigstellung des Gebäudes im Jahre 2001 zum sofortigen vollständigen Abriss. In einem Nachtragsgutachten vom 20. Juli 2004 erachtete der gerichtlich bestellte Gutachter den Abriss als sachgerechte Maßnahme. Im Anschluss an den Abriss versuchte der Kläger vergeblich, den Architekten und das bauausführende Unternehmen sowie einzelne Handwerker in Haftung zu nehmen. Grund war u.a. die Insolvenz des Bauunternehmens im Jahre 2005.
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Im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung begehrte der Kläger den Abzug der Baukosten, der Abrisskosten und der im Zusammenhang mit dem Abriss entstandenen Prozess-, Rechtsanwalts- und Beratungskosten in Höhe des betrieblichen Anteils als Betriebsausgaben und in Höhe des privaten Anteils als außergewöhnliche Belastungen.
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Die Prozess-, Rechtsanwalts- und Beratungskosten betrugen in 2001 9.862,28 €. Diese machte der Kläger in Höhe von 3.272,63 € als Betriebsausgaben und in Höhe von 6.590,65 € als außergewöhnliche Belastung geltend.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, der das Finanzgericht (FG) im Hinblick auf die Berücksichtigung der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 296 veröffentlichten Gründen stattgab. Im Übrigen wies es die Klage ab.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 29. Oktober 2014 9 K 245/11 insoweit aufzuheben, als das FG der Klage stattgegeben hat.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Die Revision des FA ist zulässig. Insbesondere besitzt die Vertreterin des FA als ständige Vertreterin des Vorstehers die Befähigung zum Richteramt und ist daher i.S. des § 62 Abs. 4 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vertretung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) berechtigt.
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2. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist insoweit aufzuheben, als das FG Prozesskosten in Höhe von 6.836,45 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat die Aufwendungen zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG anerkannt.
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3. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418; Senatsurteil vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).
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a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig angesehen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553). Vielmehr sei es in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags-)Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzten (vgl. BFH-Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFH/NV 2009, 553).
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b) Demgegenüber nahm der Senat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.
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c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 Bezug genommen.
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4. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
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a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.
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b) Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen allerdings in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, an der der Senat festhält, sind Baumängel nicht unüblich und erlauben deshalb grundsätzlich nicht die Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 33 EStG (BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2009 VI B 140/08, BFH/NV 2009, 762; vom 19. Juni 2006 III B 37/05, BFH/NV 2006, 2057; Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 19/14, BFH/NV 2016, 909). Daher können Prozesskosten, die im Zusammenhang mit Baumängeln entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden (BFH-Urteil vom 9. August 2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240; Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 19/14, BFH/NV 2016, 909). Im Streitfall sind Umstände, die es rechtfertigen könnten, abweichend von diesem Grundsatz zu entscheiden, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein Abzug der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen scheidet daher aus.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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