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BFH 21.08.2013 - III B 122/12
BFH 21.08.2013 - III B 122/12 - (Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Fehlende Klärungsfähigkeit bei Bindung nach § 118 Abs. 2 FGO)
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 118 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 3. August 2012, Az: 12 K 3385/11, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Rechtssache ist nicht grundsätzlich bedeutsam, wenn die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt .
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2. NV: An der Klärungsfähigkeit einer als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Rechtsfrage fehlt es, wenn der BFH in einem Revisionsverfahren nach § 118 Abs. 2 FGO an entsprechende Tatsachenfeststellungen des FG gebunden wäre .
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sofern die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) behaupteten Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Form dargelegt wurden, liegen sie nicht vor.
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1. Die Familienkasse X ist aufgrund eines Organisationsaktes im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit Y --Familienkasse-- eingetreten (vgl. dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. März 2011 V B 17/10, BFH/NV 2011, 1105, unter II.A.).
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2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (BFH-Beschluss vom 23. Januar 2013 X B 84/12, BFH/NV 2013, 771).
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b) Die Klägerin möchte die Rechtsfrage geklärt wissen, welches Verhalten der Familienkasse geeignet sei, bei dem Kindergeldempfänger das Vertrauen zu begründen, dass das zu Unrecht gezahlte Kindergeld nicht zurückgefordert werde. Dieser Rechtsfrage kommt jedoch aus mehreren Gründen keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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Sie berührt bereits nicht das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts. Der Grundsatz von Treu und Glauben (Verwirkung) steht nach ständiger Rechtsprechung des BFH einer Rückforderung des Kindergeldes nur dann entgegen, wenn sich der Rückzahlungsschuldner nach dem gesamten Verhalten der Familienkasse darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass diese das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde (Senatsurteil vom 22. September 2011 III R 82/08, BFHE 235, 336, BStBl II 2012, 734, unter II.5.). Hierfür sind besondere Umstände erforderlich, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Bei einem Massenverfahren wie dem Kindergeldrecht ist dabei ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falles unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, unter II.3.b bb).
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Ob solche besonderen Umstände tatsächlich vorliegen, ist jedoch keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage, sondern bestimmt sich nach den Gegebenheiten im konkreten Einzelfall (BFH-Beschluss vom 16. September 2008 X B 88/08, BFH/NV 2008, 1984).
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Daneben ist kein Klärungsbedarf erkennbar. Der BFH hat --wie vorstehend ausgeführt-- die Grundsätze, unter welchen Voraussetzungen die Rückforderung von zu Unrecht ausgezahltem Kindergeld verwirkt ist, bereits hinreichend geklärt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123; Senatsurteil in BFHE 235, 336, BStBl II 2012, 734). Ein erneuter Klärungsbedarf wird in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt.
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Schließlich wäre die aufgeworfene Rechtsfrage auch in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. An der Klärungsfähigkeit fehlt es insbesondere dann, wenn der BFH in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO an entsprechende Tatsachenfeststellungen des Finanzgerichts (FG) gebunden wäre (BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 771). Im Streitfall kam das FG unter Würdigung der im Streitfall gegebenen (tatsächlichen) Umstände zu dem Ergebnis, dass sich dem Verhalten der Familienkasse nicht die konkludente Zusage entnehmen lasse, die Klägerin brauche nicht mehr mit einer Rückforderung des Kindergeldes zu rechnen. An diese --jedenfalls vertretbare-- Tatsachenwürdigung, gegen die keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht sind (s. dazu unter 4.), wäre der Senat gebunden (z.B. BFH-Urteil vom 24. April 2008 IV R 50/06, BFHE 220, 324, BStBl II 2009, 35).
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3. Aus den gleichen Gründen scheidet eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) aus. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher ebenfalls das Vorliegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 30. Januar 2006 III B 2/05, BFH/NV 2006, 910).
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4. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sind teils unzulässig, teils unbegründet.
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a) Mit der Behauptung, das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen, weil es bei Prüfung der Verwirkung mehrere --sich in den Akten befindliche-- Schreiben der Familienkasse nicht berücksichtigt habe, wird keine Verletzung der gerichtlichen Ermittlungspflicht schlüssig dargelegt. Es wird nicht gerügt, das FG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Hiermit macht die Klägerin vielmehr geltend, das FG habe gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, weil es seiner Tatsachenwürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe.
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b) Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt jedoch nicht vor.
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aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht insbesondere den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen (z.B. BFH-Beschluss vom 7. April 2005 IX B 194/03, BFH/NV 2005, 1354, m.w.N.). § 96 FGO gebietet aber nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern; vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt und Vortrag in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 X B 89/07, BFH/NV 2008, 599; vom 15. April 2008 IX B 159/07, BFH/NV 2008, 1341). Allerdings ist § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, wenn das FG bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgeht, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache oder sonst Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt geblieben sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. April 2007 VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521; vom 30. Mai 2007 X B 176/06, BFH/NV 2007, 1698).
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bb) Nach Auffassung der Klägerin habe das FG bei Prüfung der Verwirkung den Akteninhalt insbesondere insoweit unberücksichtigt gelassen, als das Landesamt Z (Z) --die für die Klägerin vormals zuständige Familienkasse-- sämtliche Bezügemitteilungen seit Februar 2007 an ihre belgische Adresse gerichtet und es der Klägerin eine entsprechende Meldebescheinigung ausgestellt habe. Zudem finde sich in der Kindergeldakte (Blatt 9) ein Vermerk der Familienkasse vom 26. Mai 2009, wonach "laut Blatt 5 der Akte ... die KGB und die Kinder seit dem ….2007 in Belgien" lebten.
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Aus diesem Vorbringen ergibt sich aber nicht der gerügte Verfahrensverstoß. Das FG stellte im Tatbestand der angegriffenen Entscheidung fest, dass die Bezügemitteilungen der Z an die belgische Adresse der Klägerin gerichtet waren. Zudem führte es dort aus, dass die Z die Klägerin mit Schreiben vom 8. Februar 2007 von der Meldung unterrichtete, dass dem Sozialversicherungsträger der Klägerin die Änderung ihrer Anschrift mitgeteilt wurde. Es ist daher nicht ersichtlich, dass das FG diese Umstände bei der Tatsachenwürdigung außer Acht gelassen haben soll. Soweit der in der Kindergeldakte befindliche Aktenvermerk vom 26. Mai 2009 betroffen ist, legt die Klägerin bereits nicht dar, aus welchen Gründen ein interner Vermerk geeignet gewesen sein soll, gegenüber der Klägerin ein dahingehendes Vertrauen zu begründen, dass das Kindergeld nicht zurückgefordert werde.
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5. Sollte sich die Klägerin mit dem Vortrag, das FG habe die vorstehend genannten Aktenteile unberücksichtigt gelassen, auch gegen die Sachverhaltswürdigung des FG wenden wollen, kann dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen. Mit Einwänden gegen die Richtigkeit der Tatsachenwürdigung wird kein Verfahrensmangel, sondern ein materieller Mangel geltend gemacht (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2013 III B 167/11, BFH/NV 2013, 754). Materielle Fehler --so sie denn vorliegen-- rechtfertigen jedoch im Allgemeinen nicht die Zulassung der Revision (Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 754).
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