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BFH 24.04.2013 - II R 65/11
BFH 24.04.2013 - II R 65/11 - Erbschaftsteuerrechtliche Gleichbehandlung von Geschwistern mit Ehegatten oder Lebenspartnern verfassungsrechtlich nicht geboten
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art 14 MRK, § 13 Abs 1 Nr 4b ErbStG 1997 vom 24.12.2008, § 13 Abs 1 Nr 4c ErbStG 1997 vom 24.12.2008, § 15 Abs 1 ErbStG 1997 vom 24.12.2008, § 16 Abs 1 ErbStG 1997 vom 24.12.2008, § 17 ErbStG 1997 vom 24.12.2008, § 19 Abs 1 ErbStG 1997 vom 24.12.2008
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 16. November 2011, Az: 9 K 3197/10, Urteil
Leitsatz
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Erwerber der Steuerklasse II wie etwa Geschwister können unabhängig von den konkreten Lebensverhältnissen nicht von Verfassungs wegen beanspruchen, erbschaftsteuerrechtlich wie Ehegatten oder Lebenspartner behandelt zu werden .
Tatbestand
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I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) und ihr Bruder B beerbten ihren im Februar 2009 verstorbenen Bruder E zu gleichen Teilen. Die Klägerinnen sind zudem die Erbinnen des inzwischen ebenfalls verstorbenen B.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte durch Erbschaftsteuerbescheide vom 22. Juni 2010 gegen die Klägerinnen und B jeweils aufgrund eines steuerpflichtigen Erwerbs von E von 97.900 € Erbschaftsteuer von 29.370 € fest. Das FA berücksichtigte dabei den in § 16 Abs. 1 Nr. 5 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der für das Jahr 2009 geltenden Fassung (ErbStG) für Personen der Steuerklasse II vorgesehenen Freibetrag von 20.000 € und den in § 19 Abs. 1 ErbStG für Erwerber der Steuerklassen II und III bei einem steuerpflichtigen Erwerb in der angesetzten Höhe bestimmten Steuersatz von 30 %. Die Einsprüche blieben erfolglos.
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Mit ihren Klagen begehrten die Klägerinnen die Herabsetzung der gegenüber ihnen und B festgesetzten Erbschaftsteuer auf 0 €. Da sie und B mit E eine Lebensgemeinschaft gebildet hätten, müssten sie wie Ehegatten oder (eingetragene) Lebenspartner besteuert werden.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 855 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die Steuerfestsetzungen entsprächen den für das Jahr 2009 geltenden Vorschriften des ErbStG. Diese Vorschriften seien verfassungsgemäß. Die Klägerinnen hätten keinen Anspruch auf erbschaftsteuerrechtliche Gleichbehandlung mit Ehegatten und Lebenspartnern.
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Mit der Revision bekräftigen die Klägerinnen ihre Ansicht, der Besteuerung müssten aus verfassungsrechtlichen Gründen die für Ehegatten und Lebenspartner geltenden Vorschriften zugrunde gelegt werden.
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Die Klägerinnen beantragen, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidungen vom 16. September 2010 aufzuheben und die Erbschaftsteuer unter Änderung der angefochtenen Erbschaftsteuerbescheide jeweils auf 0 € herabzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das FA erklärte durch die während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide vom 19. Februar 2013 die Steuerfestsetzungen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung für vorläufig hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil sich während des Revisionsverfahrens die Verfahrensgegenstände, über deren Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert haben (§ 127 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). An die Stelle der angefochtenen Erbschaftsteuerbescheide vom 22. Juni 2010, über die das FG entschieden hat, sind während des Revisionsverfahrens die Änderungsbescheide vom 19. Februar 2013 getreten, die nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Diese Vorschriften gelten auch, wenn ein angefochtener Bescheid lediglich um einen Vorläufigkeitsvermerk ergänzt wird (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Oktober 2008 X B 60/07, BFH/NV 2009, 205, unter II.1.a). Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (BFH-Urteile vom 2. März 2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147, Rz 23, und vom 28. Juni 2012 III R 86/09, BFHE 238, 68, Rz 8, je m.w.N.).
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Dies ändert aber nichts daran, dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Grundlage für die Entscheidung des BFH bilden; da das finanzgerichtliche Verfahren nicht an einem Verfahrensmangel leidet, fallen die Feststellungen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nämlich nicht weg (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 1147, Rz 23, und in BFHE 238, 68, Rz 9, je m.w.N.).
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III.
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Die Sache ist spruchreif. Die Klagen sind unbegründet und waren daher abzuweisen.
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1. Die angefochtenen Steuerbescheide entsprechen den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften. Die Steuerbefreiung für Familienheime nach § 13 Nrn. 4b und 4c ErbStG steht nur überlebenden Ehegatten und Lebenspartnern sowie Kindern, nicht aber Geschwistern zu. Der Freibetrag von 20.000 € ergibt sich aus § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, der Steuersatz von 30 % aus § 19 Abs. 1 ErbStG. Die Klägerinnen und B gehören als Geschwister zu den Personen der Steuerklasse II (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse II Nr. 2 ErbStG).
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2. Weder die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 13 Nrn. 4b und 4c ErbStG auf überlebende Ehegatten, Lebenspartner und Kinder noch die für das Jahr 2009 hinsichtlich der Freibeträge nach § 16 Abs. 1 ErbStG und der Steuersätze nach § 19 Abs. 1 ErbStG erfolgte Gleichstellung der Erwerber der Steuerklassen II und III ist verfassungswidrig (BFH-Beschluss vom 27. September 2012 II R 9/11, BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 69 bis 77). Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor.
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3. Erwerber der Steuerklasse II wie etwa Geschwister können nicht von Verfassungs wegen beanspruchen, erbschaftsteuerrechtlich wie Ehegatten oder Lebenspartner gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b, § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 17 und § 19 Abs. 1 ErbStG (zur rückwirkenden Anwendung der auf Lebenspartner bezogenen Neufassung der §§ 15, 16 und 17 durch Art. 14 Nr. 3 bis 5 des Gesetzes vom 8. Dezember 2010, BGBl I 2010, 1768, vgl. § 37 Abs. 5 ErbStG) behandelt zu werden, und zwar unabhängig von den konkreten Lebensverhältnissen.
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a) Unter Lebenspartnern im Sinne der genannten Vorschriften sind nur Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) zu verstehen. Die erbschaftsteuerrechtliche Gleichstellung von Ehegatten und Lebenspartnern war verfassungsrechtlich geboten, da die Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar war (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07 u.a., BVerfGE 126, 400). Zur Begründung verwies das BVerfG darauf, dass eingetragene Lebenspartner wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft mit rechtlich verbindlicher Verantwortung für den Partner lebten. Lebenspartnern stünden Unterhaltsansprüche zu, die denjenigen von Ehegatten im Wesentlichen entsprächen (Rz 96, 102 f.).
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b) Eine solche rechtlich verfestigte, zur erbschaftsteuerrechtlichen Gleichbehandlung mit Ehegatten und (eingetragenen) Lebenspartnern zwingende Partnerschaft besteht zwischen Geschwistern nicht (Weinmann in Moench/Weinmann, § 15 ErbStG Rz 4; Wachter, Der Betrieb 2010, 1863, 1864). Während Ehegatten gemäß § 1353 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einander grundsätzlich zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen und Lebenspartner einander zu Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen (§ 2 LPartG), gibt es Geschwistern gegenüber keine solche rechtliche Verpflichtung. Anders als Ehegatten (§§ 1360 bis 1361, §§ 1569 bis 1586b BGB), Lebenspartner (§§ 5, 12 und 16 LPartG) und Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff. BGB) sind Geschwister einander auch nicht zum Unterhalt verpflichtet. Geschwistern steht zudem kein Pflichtteilsrecht zu (§ 2303 BGB).
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c) Es ist auch nicht verfassungswidrig, dass die Steuerklasseneinteilung in § 15 Abs. 1 ErbStG an die bürgerlich-rechtlichen Vorgegebenheiten von Ehe, (eingetragener) Lebenspartnerschaft, Verwandtschaft und Schwägerschaft und nicht an tatsächliche Umstände wie etwa das Bestehen einer Lebensgemeinschaft anknüpft (BFH-Beschluss vom 27. Oktober 1982 II B 77/81, BFHE 137, 76, BStBl II 1983, 114; Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 1. Juni 1983 1 BvR 107/83, BStBl II 1984, 172; vom 15. November 1989 1 BvR 171/89, BStBl II 1990, 103, und vom 15. Mai 1990 2 BvR 592/90, BStBl II 1990, 764). § 15 Abs. 1 ErbStG nimmt eine rein formale Anknüpfung vor. Persönliche Vertrautheit, gemeinsames Zusammenleben oder langjährige Fürsorge spielen keine Rolle (BFH-Urteil vom 23. März 1998 II R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396; vgl. ferner BFH-Beschlüsse vom 24. November 2005 II B 27/05, BFH/NV 2006, 743, und vom 18. Juli 2007 II B 106/06, BFH/NV 2007, 2296).
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Die Anknüpfung an rein formale Gesichtspunkte dient der klaren, eindeutigen Abgrenzung der Steuerklassen, vermeidet die Abgrenzungsschwierigkeiten, die mit einer Ausrichtung der Steuerklassen an tatsächlichen Verhältnissen notwendigerweise in großem Umfang verbunden wären, und erübrigt eine unter Umständen mit hohem Aufwand verbundene Sachverhaltsermittlung im privaten Bereich. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die die vom Gesetzgeber vorgenommene Abgrenzung der Steuerklassen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtfertigen. Steuergesetze müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern ggf. auch ganzer Gruppen vernachlässigen (BFH-Beschluss in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, Rz 56, m.w.N.).
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Die Verfassungsmäßigkeit der Steuerklasseneinteilung wurde in dem von den Klägerinnen angeführten BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 14/84 (BFH/NV 1987, 302) nicht infrage gestellt. In dieser Entscheidung ging es vielmehr um das mögliche Bestehen einer Innengesellschaft hinsichtlich des Erwerbs und der Bebauung eines Grundstücks durch den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.
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4. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 29. April 2008 13378/05 (Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2009, 1606) auf der Grundlage des englischen Rechts entschieden hat, gewährt Art. 14 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK Geschwistern auch dann nicht das Recht, bei der Erbschaftsteuer wie Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner behandelt zu werden, wenn sie in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben. Es fehle nämlich in einem solchen Fall an den Rechten und Pflichten, die im Verhältnis von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern zueinander bestünden. Die Dauer der Verbindung oder die wechselseitige Unterstützung seien nicht entscheidend.
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Die Rechtslage nach deutschem Recht entspricht insoweit dem englischen Recht und führt danach auch unter Berücksichtigung der EMRK zu keinem anderen Ergebnis.
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5. Da die Steuerfestsetzungen durch die Änderungsbescheide vom 19. Februar 2013 für vorläufig hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG erklärt wurden, braucht das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 238, 241 BStBl II 2012, 899 ausgesetzt zu werden. Die Aussetzung wurde auch nicht beantragt.
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