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BFH 24.10.2012 - IX R 6/12
BFH 24.10.2012 - IX R 6/12 - Substanzausbeute, Nutzungsüberlassung zur Bodenschatzgewinnung, Grundsätzliche Bindung des BFH an die finanzgerichtliche Auslegung von Verträgen
Normen
§ 21 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 118 Abs 2 FGO, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, § 133 BGB, § 157 BGB
Vorinstanz
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 2. Dezember 2011, Az: 5 K 47/10, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Einnahmen (und Ausgaben) aus der zeitlich begrenzten Überlassung eines Grundstücks zur Hebung der darin ruhenden Bodenschätze (sog. Ausbeuteverträge), also aus der Nutzungsüberlassung zur Bodenschatzgewinnung, zählen regelmäßig zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Nur in besonderen Ausnahmefällen können danach Ausbeuteverträge als Kaufverträge und damit als (außerhalb des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) nicht steuerbare Veräußerungsvorgänge angesehen werden .
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2. NV: Ob und inwieweit bei Ausbeuteverträgen eine zeitlich begrenzte, entgeltliche Nutzungsüberlassung eines Grundstücks/teils oder eine entgeltliche, aber steuerfreie Übertragung von Bodensubstanz gegeben ist, hat das FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Jahren 2005 und 2006 (Streitjahre) u.a. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Er war und ist Eigentümer von drei Flurstücken zur Gesamtgröße von ca. 30 ha, die ihm als Ackerflächen im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs dienten.
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Am 13. September 2003 "verkaufte" der Kläger der Firma X-GmbH "unwiderruflich das ausschließliche Recht, das unter den vorgenannten Grundstücken befindliche Vorkommen an brauchbarem Kies und Füllsand sich anzueignen, das Vorkommen abzubauen sowie das Grundstück zu gewerblichen Zwecken mit Beförderungsmitteln gleich welcher Art zu befahren".
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Der Sand wurde sodann von der X-GmbH im Zeitraum von Anfang April bis Ende Oktober 2005 abgebaut und ausschließlich für ein nahe gelegenes Bauvorhaben der D-AG verwandt. Dem Kläger flossen zunächst im Zeitraum von Mai 2005 bis Oktober 2005 monatliche Beträge von jeweils 20.000 € und eine Restzahlung im November 2005 von 42.500 € zu. Im Jahr 2006 erzielte der Kläger weitere Einnahmen in Höhe von 15.768,07 €. Diese fielen an, weil man sich nach Differenzen schließlich im Jahr 2006 auf die tatsächliche Gesamtmenge des abgebauten Sandes mit 142.614 qm einigte. Nach Ende der Abbaumaßnahme planierte die X-GmbH den Abbaubereich und füllte Muttererde auf, so dass die Flächen vom Kläger danach wieder als Ackerland genutzt werden konnten.
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Die Kläger behandelten die aufgrund des Vertrages mit der X-GmbH erzielten Erlöse im Streitjahr 2005 als steuerfreie Vermögensumschichtung. Dagegen erfasste der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) diese Einnahmen (in Höhe von 175.000 €) als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und setzte die Einkommensteuer entsprechend fest. Für das Streitjahr 2006 veranlagte das FA die Kläger unter Berücksichtigung von Werbungskosten mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 15.420 € insoweit erklärungsgemäß.
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Im Laufe der Einspruchsverfahren wurde der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2005 dahin geändert, dass nunmehr unter Berücksichtigung von Werbungskosten in Höhe von 1.500 € lediglich die tatsächlich zugeflossenen 161.000 € als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angesetzt wurden. Ferner wurden für beide Streitjahre weitere Änderungsbescheide erlassen, die aber die hier streitige Frage nicht berührten. Die Einsprüche blieben erfolglos.
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Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 840 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab. Der hier streitige Vertrag sei als Substanzausbeutevertrag und damit als Pachtvertrag zu bewerten und die daraus erzielten Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Klägers einzuordnen.
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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Das Urteil des Niedersächsischen FG vom 22. April 1998 XIII 255/95 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 1999, 502) als Vorinstanz und ihm folgend der Bundesfinanzhof --BFH-- (Urteil vom 6. Mai 2003 IX R 64/98, BFH/NV 2003, 1175) hätten die zeitlich begrenzte Überlassung eines Grundstücks zur Sandausbeute als Kaufvertrag und die zugeflossenen Einnahmen als steuerfreie private Vermögensumschichtung beurteilt. Daran habe sich der Kläger bei der Vertragsgestaltung orientiert; die dortigen Ausführungen, insbesondere die vom BFH akzeptierte Würdigung des Niedersächsischen FG, seien daher auf den Streitfall übertragbar. So sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH unter bestimmten Voraussetzungen in Ausnahmefällen bei Substanzausbeuteverträgen von einer Veräußerung des Bodenschatzes auszugehen. Der vorliegende Vertrag sei nach seinem wirtschaftlichen Gehalt angesichts der einmaligen Bodenschatz-Lieferung als Kaufvertrag und damit als Veräußerung der Bodensubstanz zu beurteilen. Der Verkauf der Bodensubstanz sei aus der Sicht der Vertragsparteien das wertbestimmende Leistungselement, die weiteren Vertragselemente stellten lediglich Nebenpflichten (Mutterboden abräumen, später rekultivieren) dar, die als Mittel zum Zweck der Vorbereitung und Durchführung des Abbaus dienten. Weder trete dadurch die Nutzung der Grundstücksflächen in den Vordergrund noch seien diese Nebenpflichten als kaufvertragsatypisch einzustufen.
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Zudem beträfen die Nebenpflichten wie Abtragen, Lagerung und insbesondere Rekultivierung den Grund und Boden des land- und forstwirtschaftlichen Grundstücks. Ihr wirtschaftlicher Gehalt liege darin, die durch die Veräußerung des Bodenschatzes entstandenen Schäden bzw. Wertminderungen am Grund und Boden zu beseitigen. Das Wirtschaftsgut Bodenschatz selbst werde durch die Nebenpflichten nicht berührt. Vielmehr sei der vorliegen-de Vertrag auf die Entnahme bzw. den Verbrauch des Bodenschatzes gerichtet; ein Pachtrecht an einem Bodenschatz sei daher kaum denkbar, es werde auch nicht durch die Übernahme der Rekultivierung der Flächen begründet.
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Selbst bei einer Beurteilung als Pachtvertrag bestünden erheb-liche Zweifel an der Besteuerung einer Substanzausbeute gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Insoweit werde auf die mehrfache Kritik an der BFH-Rechtsprechung in der Literatur und auf verfassungsrechtliche Bedenken hingewiesen (vgl. dazu Niedersächsisches FG in DStRE 1999, 502; s.a. zur gesonderten Berechnung des Kaufpreises für den Bodenschatz zuletzt BFH-Urteil vom 4. September 1997 IV R 88/96, BFHE 184, 400, BStBl II 1998, 657).
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006, zuletzt jeweils geändert durch Bescheide vom 20. Oktober 2009, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 2010 so zu ändern, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 2005 um 161.000 € und für 2006 um 15.420 € gemindert werden und die Einkommensteuer entsprechend neu festgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Entscheidung des FG, die aus dem Substanzausbeutevertrag resultierenden --der Höhe nach unstreitigen-- Einnahmen als steuerpflichtige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu beurteilen, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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1. Einkünfte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) erzielt, wer einem anderen zeitlich begrenzt unbewegliches Vermögen gegen Entgelt zum Gebrauch oder zur Nutzung überlässt. So hat der BFH in ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteile vom 24. November 1992 IX R 30/88, BFHE 170, 71, BStBl II 1993, 296; vom 21. Juli 1993 IX R 9/89, BFHE 172, 498, BStBl II 1994, 231, m.w.N.) und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs --BGH-- (z.B. Urteile vom 7. Februar 1973 VIII ZR 205/71, Wertpapier-Mitteilungen --WM-- 1973, 386, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1973, 386: Sandausbeute; vom 10. November 1999 XII ZR 24/97, WM 2000, 545, MDR 2000, 202: Kiesausbeute, m.w.N.) die zeitlich begrenzte Überlassung von Grundstücken zur Hebung der darin ruhenden Bodenschätze (sog. Ausbeuteverträge) grundsätzlich als Pachtverträge beurteilt und Einnahmen daraus zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gezählt (s.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Dezember 2006 GrS 1/05, BFHE 216, 168, BStBl II 2007, 508, unter C.II.2.c dd; Urteil vom 21. Juni 2012 IV R 54/09, BFHE 238, 194, BStBl II 2012, 692, unter II.1. b). Nur in besonderen Ausnahmefällen können danach Ausbeuteverträge als Veräußerungsvorgänge angesehen werden, wenn es sich nämlich z.B. um einen zeitlich begrenzten Abbau und die Lieferung einer festbegrenzten Menge an Bodensubstanz handelt (vgl. BFH-Urteile vom 12. Dezember 1969 VI R 197/67, BFHE 97, 542, BStBl II 1970, 210; in BFHE 172, 498, BStBl II 1994, 231, und in BFH/NV 2003, 1175, m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist indes nicht gegeben, wenn der Vertrag wesentliche veräußerungs-atypische Elemente enthält (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 97, 542, BStBl II 1970, 210; vom 27. Juni 1978 VIII R 12/72, BFHE 125, 528, BStBl II 1979, 38; s.a. BFH-Urteil vom 26. Mai 1976 I R 74/73, BFHE 119, 485, BStBl II 1976, 721). Entscheidend kommt es steuerrechtlich daher darauf an, ob sich der zu beurteilende Sachverhalt als Überlassung zur Frucht"gewinnung" und damit als Nutzung (s. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG: "z.B. ... Mineralgewinnungsrecht"; dazu Weber-Grellet, Finanz-Rundschau 2007, 515, 516 f.) darstellt oder als Übertragung des überlassenen Gegenstands/Rechts und damit als (außerhalb des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht steuerbarer) Veräußerungsvorgang.
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b) Ob und inwieweit bei Substanzausbeuteverträgen eine zeitlich begrenzte, unter § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG fallende entgeltliche Nutzungsüberlassung eines Grundstücks/teils und/oder eine entgeltliche, aber nicht steuerbare Übertragung von Bodensubstanz gegeben ist, hat das FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen. Dabei ist maßgebend auf den wirtschaftlichen Gehalt der zugrundeliegenden Vereinbarung/en abzustellen, wie er sich nach dem Gesamtbild der gestalteten Verhältnisse des Einzelfalls unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Vertragsparteien ergibt (einhellige Auffassung; BFH-Beschlüsse vom 28. September 2010 IX B 65/10, BFH/NV 2011, 43; vom 3. Januar 2006 IX B 162/04, BFH/NV 2006, 738, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung). Die Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG, zu der auch die Auslegung von Verträgen gehört, ist für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Die revisionsrechtliche Überprüfung durch den BFH beschränkt sich daher darauf, ob die vorgenommene Würdigung unter Beachtung der gesetzlichen Auslegungsregeln (insbesondere §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen wurde (z.B. BFH-Urteile vom 11. Januar 2005 IX R 15/03, BFHE 209, 77, BStBl II 2005, 477; vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860).
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2. Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung; sie ist daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Das FG hat auf der Basis der einschlägigen BFH-Rechtsprechung (vgl. oben unter 1.) die für die Annahme eines Pachtvertrages (Verpachtung) und für die Annahme eines Kaufvertrages (Veräußerung) sprechenden Indizien gegeneinander abgewogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der vorliegende Vertrag unter Berücksichtigung der Gesamtumstände als Pachtverhältnis zu beurteilen ist, insbesondere liege "keine einmalige Lieferung" von Bodensubstanz vor, zumal der Kläger den Sand auch nicht in Eigenregie abgebaut hat oder hat abbauen lassen. Steht danach die Nutzungsüberlassung zur Fruchtgewinnung (Bodenschatz als Grundstücksertrag) im Vordergrund, ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das FG die vom Kläger erzielten Einnahmen --auch angesichts der von der X-GmbH vertraglich auf eigene Kosten übernommenen umfangreichen, das Grundstück und dessen Nutzung betreffenden Nebenpflichten-- als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einordnet.
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Diese Würdigung ist möglich und in sich schlüssig, sie verstößt auch nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze oder gesetzliche Auslegungsregeln. Der BFH ist daher an diese zu den tatsächlichen Feststellungen gehörende Gesamtwürdigung des FG gebunden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).
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b) Dem steht das Urteil des BFH (in BFH/NV 2003, 1175) nicht entgegen, das dieselben Rechtsgrundsätze seiner Entscheidung zugrunde legt.
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Entgegen der Ansicht der Revision bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass Entgelte für die Überlassung von Bodenschätzen als Einkünfte i.S. von § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtig sind (so Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 1987 1 BvR 482/86, Betriebs-Berater 1987, 598; vom 3. Juni 1992 1 BvR 583/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 36, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 1189).
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