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BFH 22.12.2011 - III R 8/08
BFH 22.12.2011 - III R 8/08 - Nicht erfüllte Unterhaltsansprüche sind kein Bezug - Unterhaltsleistungen von Eltern gegenüber verheirateten Kindern
Normen
§ 1360 BGB, § 1360a BGB, § 1608 S 1 BGB, § 8 Abs 1 EStG 2002, § 32 Abs 4 S 1 EStG 2002, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2002, § 11 Abs 1 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 11. Dezember 2007, Az: 3 K 3174/05, Urteil
Leitsatz
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Erhält das verheiratete Kind eines Kindergeldberechtigten von seinem getrennt lebenden Ehegatten keine Unterhaltszahlungen, so darf der Unterhaltsanspruch nicht als Bezug i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt werden (entgegen Abschn. 31.2.2. Abs. 6 Satz 3 DA-FamEStG 2010).
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater einer im Jahr 1982 geborenen Tochter (T), die seit August 2001 verheiratet war. Im August 2002 trennte sich T von ihrem Ehemann (E), im April 2005 wurde die Ehe geschieden. Trotz eines entsprechenden Urteils des Amtsgerichts R vom 22. Juni 2004 leistete E zunächst keinen Unterhalt an T. Erst im Zwangsvollstreckungsverfahren zahlte er Ende des Jahres 2005 einen Betrag von 4.500 €.
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T befand sich bis September 2003 in einer Ausbildung zur Arzthelferin. Der Kläger bezog für sie Kindergeld. Durch Bescheid vom 28. Juni 2005 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung ab Januar 2003 auf. Sie war der Ansicht, die Einkünfte und Bezüge von T hätten unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs gegenüber E die anteilige Einkünfte- und Bezügegrenze nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) überschritten.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt und hob den Aufhebungsbescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung auf (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 628). Es führte aus, der Unterhaltsanspruch von T gegenüber E sei nicht als Bezug anzusetzen. Die spätere Unterhaltszahlung des E zum Ende des Jahres 2005 habe auf den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) keine Auswirkung.
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Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.
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Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der zunächst nicht erfüllte Unterhaltsanspruch von T gegenüber E nicht für den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) als Bezug i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ist und dass die nachträgliche, erst Ende 2005 geleistete Unterhaltszahlung des E für den Streitzeitraum nicht von Bedeutung ist.
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2. Für ein volljähriges Kind, das einen der Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG erfüllt, wird gemäß § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG Kindergeld gewährt, wenn seine Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einen Grenzbetrag nicht übersteigen, der sich im Jahr 2003 auf 7.188 € belief.
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a) Zu den Bezügen eines verheirateten Kindes gehören auch die Unterhaltsleistungen des Ehegatten. Allerdings besteht nach der Eheschließung des Kindes grundsätzlich kein Kindergeldanspruch der Eltern mehr, weil ab diesem Zeitpunkt in erster Linie der Ehepartner dem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist (§ 1608 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- i.V.m. §§ 1360, 1360a BGB). Die Eltern sind nur noch nachrangig unterhaltsverpflichtet. Ausnahmsweise müssen Eltern gegenüber ihrem verheirateten Kind Unterhaltsleistungen erbringen, wenn das Einkommen des Ehepartners so gering ist, dass er zum vollständigen Unterhalt nicht in der Lage ist --sog. Mangelfall-- (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. März 2000 VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522; Senatsurteile vom 19. April 2007 III R 65/06, BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, und vom 4. August 2011 III R 48/08, BStBl II 2011, 975). Ein Mangelfall ist bei kinderlosen Ehen anzunehmen, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschreiten (Senatsurteil in BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, m.w.N.).
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b) Die Höhe der als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusetzenden Unterhaltsleistungen lässt sich bei Ehegatten, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, in der Regel nur rechnerisch ermitteln, da sich die tatsächlichen Zu- und Abflüsse von Geldmitteln oder von Gütern in Geldeswert (vgl. § 8 Abs. 1 EStG) innerhalb einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft zumeist nicht nachvollziehen lassen. Die Unterhaltsleistungen des zum Unterhalt verpflichteten Ehepartners sind deshalb regelmäßig zu schätzen. Bei einer kinderlosen Ehe, in der ein Ehepartner allein verdient und ein durchschnittliches Nettoeinkommen erzielt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass dem nicht verdienenden Ehepartner in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt. Verfügt das Kind auch über eigene Mittel, so ist zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilen. Unterhaltsleistungen sind daher in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkünften des unterhaltsverpflichteten Ehepartners und den geringeren eigenen Mitteln des Kindes anzunehmen (Senatsurteil in BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, m.w.N.). Bei Prüfung der Frage, in welcher Höhe dem geringer verdienenden Ehegatten Unterhaltsleistungen seitens des höher Verdienenden als Bezüge zuzurechnen sind, ist somit in der Regel nicht auf den tatsächlichen Zufluss von Unterhaltsleistungen abzustellen.
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c) Dagegen können bei getrennt lebenden Ehegatten die Unterhaltsleistungen des höher verdienenden Ehegatten dem Grunde und der Höhe nach bestimmt werden. In solchen Fällen ist entgegen Abschn. 63.4.2.5 Abs. 6 Satz 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG), Stand 2004 (BStBl I 2004, 743; nunmehr Abschn. 31.2.2 Abs. 6 Satz 3 DA-FamEStG 2010, BStBl I 2009, 1030, sowie BStBl I 2011, 21) das Zuflussprinzip anzuwenden, das auch in anderen Fällen für Bezüge gilt (BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525, m.w.N.; Dürr in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, 1998 ff., § 32 Rz 84). Unterhaltsleistungen eines getrennt lebenden Ehegatten sind demnach nur dann als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusetzen, wenn sie dem unterhaltsberechtigten Ehegatten auch tatsächlich zugeflossen sind, sofern dieser nicht auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat (§ 32 Abs. 4 Satz 9 EStG).
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3. Im Streitfall erhielt T die Unterhaltszahlung des von ihr getrennt lebenden E erst Ende des Jahres 2005 im Wege der Zwangsvollstreckung, nachdem sie sich zuvor um eine frühere Erfüllung ihrer Ansprüche bemüht hatte. Diese Zahlung ist für die Ermittlung der Einkünfte und Bezüge, die auf den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) entfallen, in dem sich T in Berufsausbildung befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), ohne Bedeutung. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) belaufen sich die für diese Monate anzusetzenden Einkünfte und Bezüge auf 4.733,36 € und liegen damit unter dem anteiligen Jahresgrenzbetrag von 5.391 €.
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