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BFH 14.01.2011 - III B 96/09
BFH 14.01.2011 - III B 96/09 - Grundsätzliche Bedeutung bei Haushaltsaufnahme - Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs und die Amtsermittlungspflicht - Merkmal des örtlich gebundenen Zusammenlebens bzw. der zeitintensiven Betreuung eines behinderten Kindes in der Familienwohnung als Voraussetzung der Haushaltsaufnahme
Normen
§ 32 Abs 1 Nr 2 EStG 2002, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 63 Abs 1 Nr 1 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 31. März 2009, Az: 1 K 233/08 Kg, Urteil
nachgehend BFH, 28. November 2011, Az: III S 9/11, Beschluss
nachgehend BFH, 28. November 2011, Az: III B 96/09, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass sich der Begriff der Haushaltsaufnahme i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG aus örtlichen, materiellen und immateriellen Markmalen zusammensetzt. Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt, müssen aber alle gegeben sein .
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2. NV: Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist auf den materiellen Rechtsstandpunkt des FG abzustellen. Das FG verstößt daher weder gegen das Gebot rechtlichen Gehörs noch gegen die Amtsermittlungspflicht, wenn das in den Urteilsgründen nicht dargestellte Parteivorbringen und die nicht vorgenommene Sachverhaltsaufklärung Tatsachen betreffen, die nach dessen materiellen Rechtsstandpunkt nicht entscheidungserheblich sind .
Tatbestand
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I. Das im März 2005 geborene Kind P hat einen Grad der Behinderung von 100 % und erfüllt die Voraussetzungen der Merkmale G, aG, B, H und RF. P wird seit seiner Geburt dauerbeatmet. Er war zunächst auf einer medizinischen Intensivstation untergebracht und lebt seit Mai 2006 in einer speziellen Pflegeeinrichtung nach § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch in der Stadt D. Seine leibliche Mutter gab ihn zwecks Vermittlung in eine Pflegefamilie in die Obhut der Stadt M. Seit April 2005 kümmert sich die Ehefrau (E) des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), beide Ehegatten wohnhaft in C, täglich mit erheblichem Zeitaufwand um P. Aufgrund einer Bescheinigung des Jugendamtes der Stadt M, nach welcher E den P als Pflegekind betreue, gewährte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) dem Kläger zunächst ab April 2005 Kindergeld.
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Mit dem Wechsel von P in die Pflegeeinrichtung stellte die Stadt M die Pflegegeldzahlung für P ein. Der Landschaftsverband, der für die neue Unterbringung von P eine Kostenzusage erteilt hatte, begehrte nun ebenfalls die Zahlung von Kindergeld. Die Kindergeldzahlungen an den Kläger waren zunächst auf seinen Wunsch ab August 2006 eingestellt worden. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2007 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Juni 2006 auf, weil ein Nachweis über das Fortbestehen des Pflegekindschaftsverhältnisses nicht mehr erbracht werden könne. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 31. März 2009 ab. In der mündlichen Verhandlung im November 2008 führte das FG zunächst aus, es könne im Hinblick auf die Gesamtsituation davon ausgegangen werden, dass P "gewissermaßen in einer Außenstelle des Haushalts der Kläger" lebe. Nach entsprechender Empfehlung durch das FG erklärte die Familienkasse --unter Widerrufsvorbehalt-- ihre Bereitschaft, für P ab August 2006 einen entsprechenden Kindergeldbescheid zu erlassen. Diese Erklärung widerrief sie später. Nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung wies das FG die Klage ab. Die nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erforderliche Haushaltsaufnahme bestehe aus Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller und immaterieller Art. Im Streitfall fehle es an der gemeinsamen Familienwohnung, da P seit seiner Geburt ausschließlich in unterschiedlichen medizinischen Pflegeeinrichtungen gelebt habe und eine räumliche Zuordnung zu dem Haushalt des Klägers zu keinem Zeitpunkt stattgefunden habe.
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In der Beschwerdebegründung macht der Kläger die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, ob der Begriff der Haushaltsaufnahme auch den Fall erfasse, dass eine Außenstelle des Haushalts in der Absicht errichtet werde, die Außenstelle mittelfristig mit der Hauptstelle zusammenzuführen, sei noch nicht geklärt. Schon die unterschiedlichen Äußerungen des FG hierzu zeigten, dass Unklarheiten bestünden. Leibliche Eltern, welche ihre Kinder in fremde Obhut gäben und kein Interesse an der Geltendmachung von Kindergeld hätten, erhielten kein Kindergeld. Würde es ihnen gleichwohl bezahlt werden, käme es zu einer Zweckverfehlung des Familienlastenausgleichs und einem Wertungswiderspruch zu Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG); Eltern verdienten dort keinen Schutz, wo sie sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind entzögen (vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29. Juli 1968 1 BvL 20/63, 1 BvL 31/66, BVerfGE 24, 119). Dagegen stünde demjenigen, der das Kind versorge, wegen fehlender Haushaltsaufnahme kein Kindergeld zu; dies würde --wie sich aus der zitierten Rechtsprechung des BVerfG ergebe-- ebenfalls Art. 6 Abs. 2 GG zuwiderlaufen. Demnach müsse im Streitfall eine Haushaltsaufnahme bejaht werden. Darüber hinaus lasse sich aus den angeführten Beispielen ein der Rechtsordnung zugrunde liegendes Prinzip erkennen, das weniger auf örtliche als vielmehr auf funktionelle Gesichtspunkte abstelle. Im Streitfall bestehe funktionell ein Haushalt. Jedenfalls sei bei Verneinung einer Haushaltsaufnahme des P ein Verfahren vorzusehen, welches es der die Pflege erbringenden Person gestatte, das Kindergeld zu erhalten. Des Weiteren sei die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Zum einen habe das FG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt; es habe bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen, dass P bei weiterem Voranschreiten der Genesung dauerhaft beim Kläger untergebracht werden könne und solle, dass P zu keinem Zeitpunkt in einem räumlichen Obhutsverhältnis zu seiner Mutter gestanden und der Kläger monatlich mindestens 500 € für P aufgewendet habe. Zum anderen liege ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) vor, weil das FG keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob P soweit hätte genesen können, dass er in der Wohnung des Klägers versorgt werden könnte. Eine entsprechende Beweiserhebung hätte ergeben, dass dies mittelfristig möglich gewesen wäre.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Soweit ihre Begründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht, rechtfertigen die vorgebrachten Gründe nicht die Zulassung der Revision.
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1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der von ihm herausgestellten Rechtsfrage schon nicht hinreichend dargelegt hat.
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a) Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt. Er entspricht im Wesentlichen dem gleichlautenden Begriff in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG (zu normspezifischen Besonderheiten des § 64 EStG vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BFHE 208, 220, BStBl II 2008, 762). Danach liegt eine Haushaltsaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist (Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2006 III S 3/06 (PKH), BFH/NV 2007, 238). Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 20. Juni 2001 VI R 224/98, BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2008 III B 69/07, BFH/NV 2008, 948), müssen aber alle gegeben sein (Dürr in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 32 Rz 31). Das örtliche Merkmal der Haushaltsaufnahme bezieht sich auf die gemeinsame Familienwohnung als ortsbezogener Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Lebensinteressen (Senatsbeschluss vom 16. April 2008 III B 36/07, BFH/NV 2008, 1326). Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein behindertes Kind trotz dauernder Heimunterbringung weiterhin zum Haushalt der (Pflege-)Eltern gehören, wenn es dort in einem zeitlich bedeutsamen Umfang betreut wird (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. BFH-Urteile vom 14. November 2001 X R 24/99, BFHE 197, 296, BStBl II 2002, 244; vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324).
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b) Das FG ist bei seiner Entscheidung von den vorstehend genannten Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Eine erneute Prüfung dieser Grundsätze würde voraussetzen, dass der Kläger gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte in der Rechtsprechung der FG oder in der Literatur vorgetragen hätte, die der BFH noch nicht geprüft hat, oder dass er selbst derartige Gesichtspunkte erstmals vorgebracht hätte (Senatsbeschluss vom 28. Januar 2010 III B 33/09, BFH/NV 2010, 829). Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Der Kläger führt weder Fundstellen aus Literatur noch Rechtsprechung der FG an, die sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, ob eine Haushaltsaufnahme auch durch Errichtung einer Außenstelle erfolgen könne. Die angeführten Urteile des FG Düsseldorf (vom 15. Dezember 1999 9 K 5749/98 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 225) und FG Hamburg (vom 20. Juni 2001 I 707/99, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2001, 1280) beschäftigen sich mit einer anderen Rechtsfrage, nämlich der Fragestellung, ob Haushaltsaufnahmen durch Heimunterbringungen beendet oder unterbrochen werden.
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Soweit der Kläger Verfassungsverstöße geltend macht, fehlt es an einer substantiierten, an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH orientierten inhaltlichen Auseinandersetzung (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2005 III B 59/04, BFH/NV 2005, 1081). In der Beschwerdebegründung fehlen fundierte Ausführungen dazu, wie sich aus den genannten Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des BVerfG eine Kindergeldberechtigung der Pflegeperson ergeben kann. Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich das örtliche Merkmal auch nicht durch eine funktionelle Betrachtung des Haushaltsbegriffs ersetzen. Das Erfordernis des örtlich gebundenen Zusammenlebens ist wesentliches Kriterium dafür, dass die Pflegeeltern tatsächlich kindsbezogene Belastungen tragen und ihre finanzielle Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Kinderlosen gemindert ist.
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2. Ebenso scheidet eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO aus. Die behaupteten Verstöße gegen das Gebot rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG) und die Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) liegen nicht vor.
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Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist auf den materiellen Rechtsstandpunkt des FG abzustellen (z.B. BFH-Beschluss vom 4. April 2003 V B 145/02, BFH/NV 2003, 1096). Das FG ist in seinem Urteil --in Übereinstimmung mit oben genannter Rechtsprechung des BFH (vgl. II.1.a)-- davon ausgegangen, P sei nicht in den Haushalt des Klägers und der E aufgenommen, weil er zu keinem Zeitpunkt in der Familienwohnung des Klägers und der E betreut worden sei. Danach war für die Entscheidung des FG weder der Vortrag des Klägers entscheidungserheblich, es sei beabsichtigt, P bei weiterem Fortschreiten seiner Genesung dauerhaft beim Kläger unterzubringen, noch sein Vortrag, P habe zu keinem Zeitpunkt in einem räumlichen Obhutsverhältnis zu seiner leiblichen Mutter gestanden sowie er und E wendeten monatlich mindestens 500 € für P auf. Aus der maßgeblichen Sicht des FG kam es danach auch nicht darauf an, ob P soweit hätte genesen können, dass er in der Wohnung des Klägers versorgt werden könnte. Daher war das FG auch nicht verpflichtet, hierzu, gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, weitere Feststellungen zu treffen. Abgesehen davon fehlt es insoweit auch an Ausführungen dazu, weshalb es dem --anwaltlich vertretenen-- Kläger nicht möglich gewesen sein sollte, in der mündlichen Verhandlung selbst auf die seiner Ansicht nach erforderliche weitere Sachverhaltsaufklärung gerichtete Beweisanträge zu stellen (z.B. Senatsbeschluss vom 25. Februar 2005 III B 109/04, BFH/NV 2005, 1086, m.w.N.).
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