Sozialversicherungsabkommen EU/EWR/Schweiz

Um bei einer Entsendung ins europäische Ausland die Anwendung unterschiedlicher Rechtssysteme zu vermeiden, hat die EU Festlegungen getroffen, wann das Rechtssystem welches Mitgliedstaats gilt. Dabei wird nicht geregelt, wie jemand versicherungsrechtlich zu beurteilen ist, sondern welches Rechtssystem anzuwenden ist.

Doppelversicherungen vermeiden

Bei grenzüberschreitenden Beschäftigungen innerhalb der EU, des EWR und in der Schweiz regeln die europäischen Verordnungen zur Koordinierung der sozialen Sicherheit, welche Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit bei sogenannten grenzüberschreitenden Sachverhalten gelten. Ziel der Verordnungen ist es, Doppelversicherungen oder Lücken in der sozialen Sicherung zu vermeiden („Kollisionsnormen“).

Entsendungen von Mitarbeitenden

Bei zeitlich befristeten Auslandseinsätzen innerhalb Europas aufgrund eines in Deutschland fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses handelt es sich um Entsendungen und das deutsche Recht gilt unter bestimmten Voraussetzungen weiter.

Entsendebescheinigung A1

Um die Fortgeltung des deutschen Sozialversicherungsrechts innerhalb Europas nachweisen zu können, wird eine A1-Bescheinigung bei der Krankenkasse durch den Arbeitgeber oder den Selbstständigen beantragt. Sie wird im Ausland bei der dortigen Beschäftigungsstelle und bei Kontrollen vorgelegt.

Für jede Entsendung ist grundsätzlich im Voraus bei der zuständigen Krankenkasse eine Entsendebescheinigung zu beantragen. Bei nicht gesetzlich krankenversicherten Beschäftigen wird der Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung oder bei der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen gestellt. Auch für kurze und kurzfristige Entsendungen ins EU-Ausland ist eine A1-Bescheinigung notwendig. Eine zeitliche Toleranzgrenze gibt es nicht.

Eine Entsendung liegt daher bei jeder Dienstreise in das EU-Ausland vor. Der oder die Beschäftigte ist auch hier zur Mitführung einer A1-Bescheinigung verpflichtet. Nur in Einzelfällen kann ausnahmsweise im Nachhinein die A1-Bescheinigung beantragt und den Kontrollbehörden zugänglich gemacht werden.

Brexit: A1-Bescheinigungen weiter möglich

Das Vereinigte Königreich hat die EU zum 31. Januar 2020 verlassen. Für Großbritannien und Nordirland galten in einer Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 die bisherigen Regelungen unverändert weiter. Seit 1. Januar 2021 gilt zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ein Handels- und Kooperationsabkommen, das vorsieht, die bislang geltenden Regelungen bis zu 15 Jahre weiter anzuwenden. Auch für Entsendungen in das Vereinigte Königreich können daher weiterhin A1-Bescheinigungen auf Grundlage der üblichen Voraussetzungen beantragt werden.

Für neue Entsendungen seit dem 1. Januar 2021 findet das Handels- und Kooperationsabkommen, das Ende Dezember 2020 zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zustande gekommen ist, Anwendung. In diesem Abkommen wurde vereinbart, dass EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der Sozialversicherungssysteme beantragen können, das Entsendungssystem in seiner jetzigen Form für einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren fortzuführen. Deutschland hat davon Gebrauch gemacht.

Der Begriff der Entsendung im Rahmen des Handels- und Kooperationsabkommens ist hierbei so auszulegen wie im Rahmen der EG-Verordnungen 883/04 und 987/09. Im Rahmen dieses Abkommens gelten die bisherigen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit weiter, wenn der Einsatz voraussichtlich 24 Monate nicht überschreitet und keine zuvor entsandte Person abgelöst wird.

Für Entsendungen ab dem 1. Januar 2021 in das Vereinigte Königreich können also weiter Entsendebescheinigungen ausgestellt werden. Übergangsweise soll bis zur Vereinbarung neuer Vordrucke die A1-Bescheinigung weitergenutzt werden. Das elektronische Antrags- und Bescheinigungsverfahren A1 ist weiterhin anwendbar.

Voraussetzungen für eine Entsendung

Für eine Entsendung in die EU/EWR/Schweiz müssen folgende vier Voraussetzungen vorliegen:

1. Der oder die Beschäftigte muss bei einem Unternehmen, das gewöhnlich in einem EU/EWR-Mitgliedstaat beziehungsweise in der Schweiz tätig ist, beschäftigt sein. Dieses Unternehmen muss ihn in einen anderen EU/EWR-Mitgliedstaat oder in die Schweiz entsenden.

Beschäftigung bei einem europäischen Unternehmen

Voraussetzung für die Weitergeltung des bisherigen Rechts ist, dass die Beschäftigung und damit auch die arbeitsrechtliche Bindung für die Zeit der Entsendung fortbestehen. Das trifft zu, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • Das entsendende Unternehmen trägt die Verantwortung für Anwerbung, Arbeitsvertrag und Entlassung.
  • Das Unternehmen hat weiterhin das Weisungsrecht, also die Entscheidungsgewalt über die Art der Arbeit. Das erstreckt sich nicht auf Details der Arbeitsausführung. Das Unternehmen bestimmt die Art und die wesentlichen Inhalte der Arbeit, wie das zu fertigende Produkt oder die zu erbringende Leistung.
  • Das entsendende Unternehmen ist für die Entlohnung verantwortlich. Dabei kommt es darauf an, dass sich der arbeitsrechtliche Entgeltanspruch des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin gegen das entsendende Unternehmen richtet.
  • Der Arbeitgeber entsendet den oder die Beschäftigte auf seine Rechnung.

Weitere Voraussetzung ist, dass der oder die entsandte Beschäftige bereits eine gewisse Zeit – mindestens einen Monat - unmittelbar vor der Entsendung den inländischen Rechtsvorschriften unterlag. Nicht gefordert wird hingegen, dass Mitarbeitende auch bereits direkt vor der Entsendung beim entsendenden Betrieb beschäftigt gewesen sein müssen.

Eine Entsendung setzt in der Regel einen Ortswechsel voraus. Sie liegt demnach nicht vor, wenn der oder die Beschäftigte erst im Ausland (Beschäftigungsland) eingestellt wird. In diesem Fall handelt es sich um eine sogenannte „Ortskraft“.

Gewöhnliche Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten

Mehrfach Erwerbstätige sind Personen, die gewöhnlich in zwei oder mehr EU/EWR-Mitgliedstaaten oder der Schweiz beschäftigt oder selbstständig tätig sind.

Für sie gilt das Sozialversicherungsrecht des Staats, in dem sie wohnen, wenn sie einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit auch im Wohnstaat ausüben. Als wesentlich gilt hierbei bereits ein Anteil von mindestens 25 Prozent der gesamten Arbeitszeit beziehungsweise des gesamten Arbeitsentgelts.

Ist dies nicht der Fall, gelten die Vorschriften des Staats, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.

Entscheidungen über das anzuwendende Recht für mehrfach Erwerbstätige, die in Deutschland wohnen, trifft grundsätzlich die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA). Sie stellt die A1-Bescheinigung aus.

2. Die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit darf 24 Monate nicht überschreiten.

Befristung auf 24 Monate

Nach europäischem Recht der Verordnung (EG) 883/2004 gilt das Recht des Heimatstaats im Rahmen einer Entsendung nur fort, wenn die voraussichtliche Einsatzdauer 24 Monate nicht überschreitet. Dazu muss eine konkrete Befristung im Voraus vorliegen. Sie kann sich aus vertraglichen Regelungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten oder aus vertraglichen Regelungen zwischen den beteiligten Unternehmen in den EU/EWR-Mitgliedstaaten/in der Schweiz oder aus der Eigenart der Aufgabe, zum Beispiel Fertigstellung eines Bauprojekts, ergeben.

Stellt sich bei einer Entsendung von unter 24 Monaten im Lauf der Zeit heraus, dass der Einsatz der Beschäftigten im Ausland länger dauern wird als ursprünglich vorgesehen, kann der Entsendezeitraum auf maximal 24 Monate korrigiert werden.

Ausnahmevereinbarung

Ab dem Beginn des 25. Monats sind die Rechtsvorschriften des Entsendestaats (Heimatstaats) grundsätzlich nicht mehr anzuwenden. Eine Verlängerung des Entsendezeitraums über 24 Monate hinaus ist generell nicht möglich. Allerdings gibt es – um einen Wechsel der anzuwendenden Rechtsvorschriften zu vermeiden – die Möglichkeit, eine Ausnahmeregelung zu vereinbaren.

Sollte es im Einzelfall notwendig sein, eine solche Ausnahmeregelung in Anspruch zu nehmen, wendet sich der Arbeitgeber an die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA), damit diese eine eventuelle Ausnahmevereinbarung in die Wege leiten kann.

3. Der Beschäftigte darf keine andere entsandte Person ablösen.

Ablöseverbot

Die Entsendung einer Person kann nur im Zeitraum von bis zu 24 Monaten durchgeführt werden. Der Beschäftigte muss dann nach Deutschland zurückkehren oder für ihn gilt zukünftig das ausländische Sozialversicherungsrecht.

Wird nun nach dem Ende des Entsendezeitraums ein anderer Arbeitnehmer beziehungsweise eine andere Arbeitnehmerin entsandt, um die Stelle des oder der zuvor Entsandten zu übernehmen, beginnt für diesen Arbeitnehmer oder diese Arbeitnehmerin kein neuer Entsendezeitraum. Mit diesem Ablöseverbot soll verhindert werden, dass die Entsendezeiträume unzulässig verlängert werden beziehungsweise dass Unternehmen zum Beispiel im Rotationsverfahren mit verschiedenen entsandten Arbeitnehmern Dauerarbeitsplätze errichten. Eine Ausnahme hiervon gibt es nur dann, wenn infolge Krankheit oder Kündigung der ursprünglich entsandten Mitarbeitenden eine Ablösung durch andere Beschäftigte erfolgt. In diesem Fall darf der ursprünglich vorgesehene Entsendezeitraum der abgelösten Person nicht überschritten werden.

4. Es darf keine unzulässige Entsendung vorliegen.

Unzulässige Entsendungen

Nicht in jedem Fall lässt sich über die Entsendevorschriften das Recht eines Staats für eine bestimmte Zeitdauer auf eine Beschäftigung im Ausland ausdehnen. Es gibt verschiedene Situationen, in denen es von vornherein ausgeschlossen ist, die Entsendevorschriften anzuwenden. Die Konsequenz daraus ist: Es gilt von Anfang an das Sozialversicherungsrecht des Staats, in den die jeweilige Person zur Arbeit entsandt wird.

In bestimmten Fällen gelten die Entsendevorschriften nicht:

  • Unzulässige Arbeitnehmerüberlassung: Das Unternehmen, zu dem Mitarbeitende entsandt werden, überlässt diese einem anderen Unternehmen im Mitgliedstaat seiner Niederlassung beziehungsweise in einem anderen Mitgliedstaat.
  • Drittstaatenentsendung: Werden Beschäftigte in einem Mitgliedstaat eingestellt, um von einem Unternehmen, das in einem zweiten Mitgliedstaat ansässig ist, zu einem Unternehmen in einem dritten Mitgliedstaat entsandt zu werden, fällt dies ebenfalls nicht mehr unter die Entsendevorschriften.
  • Beschäftigte werden in einem Mitgliedstaat von einem Unternehmen eingestellt, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, um eine Tätigkeit im ersten Mitgliedstaat auszuführen. Der oder die Beschäftigte hat mit dem Unternehmen, zu dem entsandt wird, einen Arbeitsvertrag geschlossen.

Aussetzung und Unterbrechung

Wie in jedem anderen Beschäftigungsverhältnis auch kann es bei der Entsendung vorkommen, dass Beschäftigte ihre Tätigkeit unterbrechen. Die vorübergehende Aussetzung der Tätigkeit während des Entsendezeitraums – gleich aus welchen Gründen (Urlaub, Krankheit, Lehrgänge beim entsendenden Unternehmen) – stellt grundsätzlich keine Unterbrechung der Entsendung dar. Eine Verlängerung der Entsendung um denselben Zeitraum ist damit nicht gerechtfertigt.

Besonderheiten bei Aussetzung oder Unterbrechung einer Entsendung

Im Fall von Entsendungen können verschiedene Ursachen dazu führen, dass ein Einsatz im Ausland verschoben oder unterbrochen wird. Wird eine Entsendung für voraussichtlich nicht länger als zwei Monate unterbrochen und verschiebt sich das Ende des Auslandseinsatzes nicht nach hinten, bleibt die ausgestellte A1-Bescheinigung gültig. Eine Information durch den Arbeitgeber über die Unterbrechung ist nicht erforderlich.

Verschiebt sich das Ende des Entsendezeitraums oder beträgt der Unterbrechungszeitraum mehr als zwei Monate, ist in der Regel eine neue Entsendebescheinigung zu beantragen. Auch ein Abbruch einer Entsendung ist dem zuständigen Sozialversicherungsträger, der die A1-Bescheinigung ausgestellt hatte, anzuzeigen. Ebenso, wenn eine geplante Entsendung nicht durchgeführt wurde.

Umlagen

Beschäftigte, die während eines vorübergehenden Auslandsaufenthalts bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben und deren Arbeitsverhältnis im Inland aufrecht erhalten wird, werden bei der Ermittlung der Arbeitnehmeranzahl für die Umlage U1 berücksichtigt.

Für die Bemessung der Umlagen zu U1 und U2 sowie für die Insolvenzgeldumlage sind auch die Entgelte entsandter Beschäftigter zu berücksichtigen, wenn für sie die deutschen Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherung gelten.

Stand

Zuletzt aktualisiert: 01.01.2024

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