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BAG 21.09.2023 - 10 AZR 512/20
BAG 21.09.2023 - 10 AZR 512/20 - Revisionsrücknahme - elektronischer Rechtsverkehr - Nutzungspflicht - Verbandsvertreter - Zulassung als Rechtsanwalt
Normen
§ 11 Abs 2 S 2 Nr 5 ArbGG, § 46g S 1 ArbGG, § 46 BRAO, § 46c BRAO, § 80 ZPO, § 11 Abs 2 S 3 ArbGG
Vorinstanz
vorgehend ArbG Hamm, 10. Januar 2020, Az: 2 Ca 1136/19, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 30. September 2020, Az: 3 Sa 182/20, Urteil
Tenor
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1. Der Kläger ist des eingelegten Rechtsmittels der Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. September 2020 - 3 Sa 182/20 - verlustig und hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. §§ 565, 516 Abs. 3 ZPO).
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2. Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 671,76 Euro festgesetzt (§ 63 Abs. 2 GKG).
Gründe
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I. Die Parteien streiten über tarifliche Nachtarbeitszuschläge.
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Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10. August 2023 hat der Kläger die Revision zurückgenommen. Der Schriftsatz ist am 10. August 2023 vorab per Fax und später im Original eingegangen. Er ist wie folgt unterzeichnet:
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„DGB Rechtsschutz GmbH
handelnd durch
- handschriftliche Unterschrift -
M B
Ass. jur“
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Eine Einreichung unter Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) ist nicht erfolgt. Der Unterzeichner des Schriftsatzes, Rechtssekretär B, ist nicht im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses mit der DGB Rechtsschutz GmbH für seinen Arbeitgeber nach § 46 ff. BRAO als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Er ist aber nach den allgemeinen Bestimmungen der BRAO unabhängig von diesem Arbeitsverhältnis als Rechtsanwalt zugelassen und verfügt insoweit über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA).
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Der Kläger vertritt die Auffassung, dass mit dem im Original eingereichten Schriftsatz eine wirksame Rücknahme der Revision erfolgt sei. Einer Nutzung des ERV habe es nicht bedurft, da die DGB Rechtsschutz GmbH selbst erst ab dem 1. Januar 2026 zur aktiven Nutzung des ERV verpflichtet sei und Rechtssekretäre der DGB Rechtsschutz GmbH, die in Nebentätigkeit als Rechtsanwälte zugelassen seien, ihr anwaltliches beA nicht nutzen müssten. Es sei insoweit zwischen Syndikusrechtsanwälten als Verbandsvertretern einerseits und Rechtsanwälten in Nebentätigkeit andererseits zu unterscheiden. Die Nebentätigkeit als Rechtsanwalt werde unabhängig und uneingeschränkt freiberuflich unabhängig von der Haupttätigkeit ausgeübt.
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Die Beklagte hat keine Stellungnahme zur Revisionsrücknahme abgegeben.
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II. Die Rücknahme der Revision des Klägers ist wirksam erfolgt. Der für die prozessvertretende DGB Rechtsschutz GmbH handelnde Rechtssekretär konnte die Revision formwirksam ohne Nutzung des ERV zurücknehmen. Er war weder als Syndikusrechtsanwalt zugelassen und in entsprechender Funktion für die DGB Rechtsschutz GmbH tätig noch war er durch diese mandatiert, um im Rahmen seiner Anwaltstätigkeit gegenüber dem Gericht tätig zu werden.
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1. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form nach § 46g ArbGG betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen. Wird die vorgeschriebene Form nicht eingehalten, ist die Prozesserklärung unwirksam (vgl. BAG 23. Mai 2023 - 10 AZB 18/22 - Rn. 11 mwN). Bei der Rücknahme der Revision handelt es sich um eine solche Prozesserklärung (GMP/Müller-Glöge 10. Aufl. § 74 Rn. 22).
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2. Weder die DGB Rechtsschutz GmbH als Prozessbevollmächtigte noch der im konkreten Fall handelnde Rechtssekretär waren verpflichtet, die Revisionsrücknahme unter Nutzung des ERV einzureichen.
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a) Eine aktive Nutzungspflicht für die DGB Rechtsschutz GmbH als prozessbevollmächtigtem Verband nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, Satz 3 ArbGG besteht erst ab dem 1. Januar 2026 (BAG 23. Mai 2023 - 10 AZB 18/22 - Rn. 35 mwN).
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b) Auch der handelnde Rechtssekretär war dazu nicht verpflichtet. Über eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt verfügte er bei Vornahme der Prozesshandlung nicht; die unabhängig von seinem Arbeitsverhältnis bestehende Zulassung zur Rechtsanwaltschaft führt zu keiner solchen Verpflichtung. Diejenigen Mitarbeiter des Verbands, die nicht über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt verfügen, trifft (noch) keine Nutzungspflicht des ERV (ebenso Müller NZA 2023, 810, 812 f.).
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aa) Allerdings ist ein Syndikusrechtsanwalt, der für einen Verband nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5, Satz 3 ArbGG erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den Verbandsmitgliedern erbringt (§ 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BRAO), nach § 46g Satz 1 ArbGG zur aktiven Nutzung des ERV nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, wenn er gegenüber einem Gericht tätig wird und beispielsweise ein Rechtsmittel einlegt (grundlegend BAG 23. Mai 2023 - 10 AZB 18/22 - Rn. 16 ff.; zustimmend Müller NZA 2023, 810). Dabei ist nicht maßgeblich, ob im konkreten Fall der handelnde Verbandssyndikusrechtsanwalt als solcher durch entsprechende Unterzeichnung oder Benennung nach außen auftritt. Maßgeblich ist vielmehr, dass er über eine entsprechende Zulassung verfügt und Anträge und Erklärungen gegenüber dem Gericht in Ausübung dieser Tätigkeit abgegeben werden (zutreffend Natter in Ory/Weth jurisPK-ERV Bd. 2 2. Aufl. Stand 5. Juli 2023 § 46c ArbGG Rn. 63.2 „statusbezogenes Verständnis der Nutzungspflicht“). Ein rollenbezogenes Verständnis der Nutzungspflicht, dass diese vom jeweiligen Auftreten abhängig macht, ist mit den Voraussetzungen für die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt nach § 46 Abs. 3 bis 5 BRAO nicht vereinbar (vgl. BAG 23. Mai 2023 - 10 AZB 18/22 - Rn. 33; zutreffend Müller NZA 2023, 810, 812; die Beantwortung der Frage hingegen noch als unklar bezeichnend Tiedemann jurisPR-ArbR 28/2023 Anm. 6 zu D; kritisch Prinz SAE 2023, 61, 65). Über eine solche Zulassung als Syndikusrechtsanwalt verfügte der handelnde Rechtssekretär zum Zeitpunkt der Einreichung des Revisionsrücknahmeschriftsatzes nicht.
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bb) Der Umstand, dass der handelnde Rechtssekretär außerhalb seiner Tätigkeit für die DGB Rechtsschutz GmbH über eine Zulassung zur Anwaltschaft nach den Bestimmungen der BRAO verfügt, führt zu keinem anderen Ergebnis.
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(1) Der handelnde Rechtssekretär ist weder von der DGB Rechtsschutz GmbH noch vom Kläger bevollmächtigt worden (§ 80 ZPO), um im Rahmen seiner (Neben-)Tätigkeit als Rechtsanwalt den Kläger zu vertreten. Er war also nicht aus diesem Grund verpflichtet, den ERV nach § 46g Satz 1 ArbGG als Rechtsanwalt für Erklärungen gegenüber dem Gericht im Rahmen der Übernahme eines Mandats für den Auftraggeber dieses Mandats zu nutzen. Vielmehr ist er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses mit der DGB Rechtsschutz GmbH für diese als mit der Prozessführung beauftragter Vertreter nach § 11 Abs. 2 Satz 3 ArbGG tätig geworden.
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(2) Die Tatsache, dass der handelnde Rechtssekretär über eine Zulassung zur Anwaltschaft verfügt, führt nicht zur Pflicht, den ERV aktiv oder passiv zu nutzen. Der handelnde Rechtssekretär hat vorliegend als Verbandsvertreter (Assessor jur.) für die DGB Rechtsschutz GmbH als Prozessbevollmächtigte des Klägers gehandelt (vgl. BAG 7. November 2012 - 7 AZR 646/10 (A) - Rn. 8, BAGE 143, 256). Für die Pflicht, den ERV zu nutzen, kommt es aber maßgeblich auf das jeweilige Rechtsverhältnis an, in dessen Rahmen eine Person nach § 46g Satz 1 ArbGG gegenüber dem Gericht tätig wird. Betrifft das Rechtsverhältnis die Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Syndikusrechtsanwalt, besteht die Nutzungspflicht. Die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt knüpft an ein oder mehrere Arbeitsverhältnisse an und ist auf Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers beschränkt (§ 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, Abs. 5, § 46a Abs. 1 Satz 2 BRAO). Wird die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt im Rahmen mehrerer Arbeitsverhältnisse oder neben einer Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgeübt, hat eine gesonderte Eintragung für jede der Tätigkeiten zu erfolgen (§ 46c Abs. 5 Satz 2 BRAO). Dies bewirkt, dass nach § 31a Abs. 1 Satz 1 BRAO für jede Eintragung ein gesondertes beA einzurichten ist (BT-Drs. 18/5201 S. 40). Dagegen greift die Pflicht, den ERV zu nutzen, nicht, wenn solche Personen, ohne über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu verfügen und ohne im Rahmen ihrer Zulassung als Rechtsanwalt mandatiert zu sein, für den Verband als nicht anwaltliche Verbandsvertreter handeln. In einem solchen Fall ist der handelnde Verbandsvertreter nicht als (Syndikus-)Rechtsanwalt am Prozess beteiligt, sondern handelt in einem anderen Rechtsverhältnis (so zutreffend Natter in Ory/Weth jurisPK-ERV Bd. 2 2. Aufl. Stand 5. Juli 2023 § 46c ArbGG Rn. 63.3; anders aber noch Rn. 63.2; unklar Tiedemann jurisPR-ArbR 28/2023 Anm. 6 zu D; iE ebenso Prinz SAE 2023, 61, 64 f.). Zwar zielt § 46g Satz 1 ArbGG auf eine umfassende Nutzungspflicht aller, die über einen sicheren Übermittlungsweg verfügen. Dies gilt aber nur, soweit diese Personen auch in einem Rechtsverhältnis, das zur ERV-Nutzung verpflichtet - wie beispielsweise als Syndikusrechtsanwalt oder als mandatierter Rechtsanwalt -, für den Verband auftreten.
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