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BAG 24.02.2010 - 10 AZR 40/09
BAG 24.02.2010 - 10 AZR 40/09 - Kürzung einer Jahressondervergütung - Zustimmung der Tarifvertragsparteien - Auslegung der Öffnungsklausel in Ziffer 276 MTV der Feuerfest-/Säureschutzindustrie
Normen
Vorinstanz
vorgehend ArbG Düsseldorf, 7. Mai 2008, Az: 14 Ca 711/08, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 17. November 2008, Az: 17 Sa 886/08, Urteil
Tenor
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1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. November 2008 - 17 Sa 886/08 - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Höhe der Jahressondervergütung für das Jahr 2007.
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Der Kläger ist seit 1974 für die Beklagte als Schlosser tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Feuerfest-/Säureschutzindustrie Anwendung. Das Tarifstundenentgelt des Klägers beträgt 17,72 Euro brutto. Ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gebildet.
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Nach § 2 des Tarifvertrags Jahressondervergütung für die Jahre 2007 bis 2012 für die Feuerfest-, Säureschutz-, Ton- und Schamotte-Industrie vom 25. Januar 2007 (nachfolgend: TV JSV) beträgt die Jahressondervergütung im Jahr 2007 164,5 Tarifstundenentgelte. Der ab 1. April 2004 gültige Manteltarifvertrag der Feuerfest-/Säureschutzindustrie vom 8. April 2004 (nachfolgend: MTV) bestimmt in den Ziffern 159 ff. die näheren Anspruchsvoraussetzungen.
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Ziffer 168 MTV regelt Folgendes:
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„Arbeitgeber und Betriebsrat können bei tiefgreifenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien auf Betriebs- oder Unternehmensebene Ausnahmelösungen vereinbaren, die die Höhe und/oder den Auszahlungszeitpunkt der Jahressondervergütung für ein Kalenderjahr … betreffen.
…“
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Ziffer 276 MTV (Qualifizierte Öffnungsklausel), eingefügt durch Anhang 5 zum MTV vom 25. Januar 2007, bestimmt weiter:
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„1.
Arbeitgeber und Betriebsrat können ergänzend zu diesem Manteltarifvertrag freiwillige Betriebsvereinbarungen im Sinne des § 77 Abs. 3 BetrVG unter Beachtung des § 76 Abs. 6 BetrVG abschließen.
2.
Die abweichenden betrieblichen Regelungen unterliegen dem Zustimmungsvorbehalt der Tarifvertragsparteien, die insbesondere prüfen, ob die Betriebsvereinbarungen den Rahmen der Öffnungsklausel nicht überschreiten. Die Notwendigkeit der abweichenden Regelungen muss anhand nachvollziehbarer Kriterien begründet werden. Bei Einvernehmen der Betriebsparteien und Konformität mit den tariflichen Bestimmungen sollen die Tarifvertragsparteien ihre Zustimmung erteilen.
3.
In betriebsratslosen Betrieben erfolgt eine Anhörung der Belegschaft.
4.
Tarifliche Leistungen einschließlich Leistungen aus den Entgelttarifverträgen und den Tarifverträgen zur Jahressondervergütung können kumulativ bis zu einer jährlichen Gesamtgrößenordnung eines tariflichen Monatseinkommens nach Art, Höhe und Auszahlungszeitpunkt verändert werden. Ausgenommen hiervon sind folgende Bereiche dieses Manteltarifvertrages:
…
Kürzungen in Anwendung der Härteklausel - Ziffer 168 MTV Feuerfest-/Säureschutz-Industrie - werden auf die Gesamtgrößenordnung angerechnet.
5.
Hauptzweck der ergänzenden Betriebsvereinbarungen sind durch Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen beschäftigungssichernde bzw. standortsichernde Maßnahmen.
Beispielhaft können dies unter anderem sein:
…
Die Regelungen des § 92a BetrVG sind hiervon unberührt.“
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In der Protokollnotiz zu Ziffer 276 MTV heißt es:
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„Bei gesetzlichen Änderungen zur Öffnung tariflicher Regelungen auf betrieblicher Ebene, die Abweichungen gegebenenfalls auch ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien erlauben, werden die Tarifvertragsparteien Verhandlungen aufnehmen.“
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Die Beklagte hörte die Belegschaft am 30. November 2007 zu einer Reduzierung der Jahressondervergütung für das Jahr 2007 um 50 % an. Die Zustimmung der Tarifvertragsparteien holte sie nicht ein. Sie zahlte an den Kläger die Hälfte der tariflichen Jahressondervergütung iHv. 1.457,47 Euro brutto.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kürzung sei schon deshalb rechtsunwirksam, weil die Zustimmung der Tarifvertragsparteien nicht vorliege.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.457,47 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Februar 2008 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, in betriebsratslosen Betrieben sei die Zustimmung der Tarifvertragsparteien zu einer Reduzierung der Jahressondervergütung nicht erforderlich. Geboten sei nach Ziffer 276 Nr. 3 MTV lediglich die Anhörung der Belegschaft. Die Kürzung sei zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung erforderlich gewesen. Im Oktober 2007 habe die Notwendigkeit bestanden, 40.000,00 Euro einzusparen.
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Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.
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I. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach Ziffer 159 MTV iVm. § 2 TV JSV einen Anspruch auf Zahlung der vollen tariflichen Jahressondervergütung für das Jahr 2007 erworben. Der Anspruch ist nicht dadurch teilweise entfallen, dass die Beklagte nach einer Anhörung der Belegschaft beschlossen hat, für das Jahr 2007 lediglich die Hälfte der Jahressondervergütung zu zahlen.
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1. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Parteien gelten nach § 4 Abs. 1 TVG die Rechtsnormen des MTV sowie des TV JSV für das Arbeitsverhältnis des Klägers unmittelbar und zwingend. Gem. § 4 Abs. 3 TVG sind abweichende Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.
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2. Ziffer 276 MTV enthält eine Öffnungsklausel. Nach Ziffer 276 Nr. 1 MTV können Arbeitgeber und Betriebsrat ergänzend zum MTV freiwillige Betriebsvereinbarungen abschließen. Ob eine abweichende Abmachung auch individualvertraglich möglich ist, ist nicht ausdrücklich geregelt. Ziffer 276 Nr. 3 MTV sieht jedoch in betriebsratslosen Betrieben eine Anhörung der Belegschaft vor. Der Tarifvertrag geht somit davon aus, dass außer einer Betriebsvereinbarung grundsätzlich auch andere abweichende Abmachungen möglich sind.
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3. Die Beklagte hat die Reduzierung der Jahressonderzuwendung für das Jahr 2007 um die Hälfte mit dem Kläger nicht vereinbart, sondern diese einseitig gekürzt. Ob § 4 Abs. 3 TVG die Einräumung auch einseitiger Leistungsbestimmungsrechte gestattet (so Däubler/Deinert TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 552; Löwisch/Rieble TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 247) oder ob tarifliche Öffnungsklauseln lediglich eine vertragliche Abänderung zulassen können, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn der Arbeitgeber in betriebsratslosen Betrieben nach Ziffer 276 MTV rechtswirksam einseitige Leistungskürzungen vornehmen könnte, liegen die weiteren tariflichen Voraussetzungen für die Reduzierung der Jahressondervergütung für 2007 nicht vor. Diese bedurfte gem. Ziffer 276 Nr. 2 MTV in jedem Fall der Zustimmung der Tarifvertragsparteien. Dies ergibt die Auslegung der Norm.
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a) Nach dem Wortlaut von Ziffer 276 Nr. 2 Satz 1 MTV unterliegen „abweichende betriebliche Regelungen“ dem Zustimmungsvorbehalt der Tarifvertragsparteien. Die Notwendigkeit der abweichenden Regelungen muss nach Ziffer 276 Nr. 2 Satz 2 MTV anhand nachvollziehbarer Kriterien begründet werden. Abweichende betriebliche Regelungen können freiwillige Betriebsvereinbarungen sein. Dem Wortlaut ist aber eine Beschränkung auf Betriebsvereinbarungen nicht zu entnehmen. Der Begriff der betrieblichen Regelung kann allein auf den Regelungsinhalt bezogen sein; dann besteht das Zustimmungserfordernis bei jeder materiellen Abweichung vom MTV bzw. TV JSV. Bezieht er sich demgegenüber auf die Rechtsgrundlage, fallen nicht nur freiwillige Betriebsvereinbarungen, sondern auch andere rechtliche Gestaltungsformen (Individualvertrag, betriebliche Einheitsregelung) unter das Zustimmungserfordernis der Ziffer 276 Nr. 2 MTV.
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b) Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang verdeutlicht, dass in betriebsratslosen Betrieben abweichende betriebliche Regelungen dem Zustimmungsvorbehalt der Tarifvertragsparteien unterliegen.
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aa) Nach dem Normverständnis der Beklagten bezieht sich sowohl Ziffer 276 Nr. 1 MTV als auch Ziffer 276 Nr. 2 MTV allein auf Betriebe, in denen ein Betriebsrat besteht und abweichende Betriebsvereinbarungen geschlossen werden können. Verhält sich danach ausschließlich Ziffer 276 Nr. 3 MTV über die Abweichung in betriebsratslosen Betrieben, liegt für solche Betriebe eine tarifliche Öffnungsklausel iSv. § 4 Abs. 3 TVG nicht vor. Öffnungsklauseln beeinträchtigen die Schutz- und Ordnungsfunktion des Tarifvertrags. Die Gestattung muss deshalb von den Tarifvertragsparteien hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden (BAG 29. Oktober 2002 - 1 AZR 573/01 - zu I 1 a cc der Gründe, BAGE 103, 187 zu § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG; Däubler/Deinert § 4 Rn. 557). Ohne Anwendung von Ziffer 276 Nr. 1 und Nr. 2 MTV auf betriebsratslose Betriebe läge eine hinreichend bestimmte Gestattung nicht vor.
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bb) Nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang geht Ziffer 276 MTV zwar vom Regelfall der Abweichung durch freiwillige Betriebsvereinbarung aus, will aber auch in betriebsratslosen Betrieben abweichende Abmachungen ermöglichen. Ziffer 276 Nr. 3 MTV ergänzt deshalb die Öffnungsklausel und den Zustimmungsvorbehalt in Ziffer 276 Nr. 1 und Nr. 2 MTV um eine Verfahrensvorschrift für betriebsratslose Betriebe. Dort soll zumindest eine Anhörung der Belegschaft erfolgen.
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cc) Dies bestätigt die Protokollnotiz zu Ziffer 276 MTV. Sie sieht vor, dass die Tarifvertragsparteien Verhandlungen aufnehmen, sollte der Gesetzgeber eine Öffnung tariflicher Regelungen auf betrieblicher Ebene „gegebenenfalls auch ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ erlauben. Sieht der Tarifvertrag ohne Differenzierung zwischen Betrieben mit und ohne Betriebsrat für den Fall der Öffnung tariflicher Regelungen auf Betriebsebene Vorkehrungen vor, so kann nicht angenommen werden, dass der Tarifvertrag bei der bestehenden Gesetzeslage in betriebsratslosen Betrieben eine Abweichung vom MTV ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien gestatten wollte.
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dd) Dass der MTV generell von einem Zustimmungserfordernis ausgeht, zeigt schließlich die in Ziffer 168 MTV geregelte Öffnungsklausel, die abweichende Vereinbarungen zur Jahressondervergütung bei tiefgreifenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausschließlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und nur mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien gestattet und damit Arbeitnehmer in betriebsratslosen Betrieben besonders schützt. Es ist fernliegend, dass der Tarifvertrag demgegenüber bei der Anwendung der Öffnungsklausel der Ziffer 276 MTV diesen Arbeitnehmern einen kollektiven Schutz insgesamt vorenthält.
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4. Die Verfahrensrügen der Beklagten sind unzulässig. Eine allgemeine Pflicht, eine Stellungnahme der Tarifvertragsparteien einzuholen, besteht nicht. Eine Tarifauskunft darf zudem nicht auf die Beantwortung der prozessentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein (BAG 18. August 1999 - 4 AZR 247/98 - zu I 2.3.1 f. der Gründe, BAGE 92, 229).
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5.Der Kläger hat für das Jahr 2007 einen Anspruch auf eine Jahressondervergütung von 2.914,94 Euro brutto (Tarifstundenentgelt 17,72 Euro x 164,5). Der Anspruch ist in Höhe von 1.457,47 Euro erfüllt, so dass dem Kläger die noch geltend gemachten weiteren 1.457,47 Euro zustehen. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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