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BSG 08.05.2024 - B 8 AY 3/23 B
BSG 08.05.2024 - B 8 AY 3/23 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen Nichtübersteigung eines Beschwerdewertes in Höhe von 750 Euro - Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Berlin, 21. Januar 2019, Az: S 50 AY 126/13, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 18. Januar 2023, Az: L 23 AY 7/19, Beschluss
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 18. Januar 2023, Az: L 23 SF 116/22 AB, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Januar 2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und deren Höhe für die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 30.6.2013 streitig.
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Der 1974 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsbürger. Er reiste erstmals über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18.7.2004 einen Asylantrag. Für die Dauer des Asylverfahrens war er in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zugewiesen. Nach Ablehnung des Asylantrags und Abschiebung nach Griechenland im Dezember 2004 zog er im April 2012 zu seiner Frau, mit der er jedenfalls seit 2012 verheiratet ist, in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten und stellte einen Asylfolgeantrag. Sein Antrag auf Leistungen nach dem AsylbLG (vom 16.1.2013) blieb zunächst ohne Erfolg (Bescheid der Beigeladenen vom 28.1.2013; Bescheid des Beklagten vom 20.2.2013; Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 15.4.2013). Nachdem der Kläger eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens erhalten hatte, bewilligte der Beklagte, in dessen Bereich der Kläger nun zugewiesen war, Leistungen nach § 3 AsylbLG ab dem 7.3.2013 unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe (Bescheid vom 20.3.2013; Widerspruchsbescheid vom 30.5.2013). Ab dem 1.7.2013 erhielt der Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB Il).
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Der Kläger hat gegen die genannten Bescheide Klage zum Sozialgericht (SG) Berlin erhoben und in der mündlichen Verhandlung folgende Anträge gestellt:
1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.4.2013 zu verpflichten, dem Kläger ab Antragstellung vom 1.1.2013 an die Leistungen nach dem AsylbLG in gesetzlich vorgesehener Höhe zu bewilligen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger den Leistungsrückstand vom 1.1.2013 bis einschließlich 6.3.2013 in Höhe von 627,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-punkten über dem Basiszinssatz seit 1.1.2013 auf diesen Betrag zu zahlen,
3. den Beklagten unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 20.3.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.5.2013 zu verpflichten, dem Kläger ab dem 7.3.2013 laufend die Leistungen nach dem AsylbLG in gesetzlich vorgesehener Höhe zu bewilligen sowie den Leistungsrückstand ab dem 7.3.2013 in Höhe von 5%-punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
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Zudem hat er zur Ziffer 2 hilfsweise einen weiteren Antrag gegen den Beklagten beziffert auf Leistungen in Höhe von 426,57 Euro gestellt und höchsthilfsweise die Anträge zu 1. und 2. gegen die Beigeladenen gerichtet. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.1.2019). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung als unzulässig verworfen (Beschluss vom 18.1.2023). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 750 Euro.
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II. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Beschluss des LSG ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG und damit einen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der gerügte Mangel liegt auch vor. Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat daher von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuweisen.
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Das LSG hat zu Unrecht durch Prozessurteil und nicht in der Sache entschieden. Darin liegt ein Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), denn bei einem Prozessurteil handelt es sich im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (stRspr; vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 15.6.2016 - B 4 AS 651/15 B - RdNr 5-6; BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 349/13 B RdNr 9; BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - RdNr 5 jeweils mwN).
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Die auf eine Geldleistung gerichtete Klage hat den Wert des Beschwerdegegenstandes von 750 Euro überstiegen (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG), sodass das LSG die Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme nicht als unzulässig hätte verwerfen dürfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird (vgl nur BSG vom 27.7.2004 - B 7 AL 104/03 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 2 RdNr 12 f). Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes ist auf die Einlegung der Berufung abzustellen (stRspr; vgl etwa BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 57/04 R - SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 14 mwN).
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Ausgehend von den Anträgen des Klägers zu 1. und 2. begehrt er zum einen Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 1.1.2013 bis 6.3.2013, für die er noch keine Leistungen erhalten hat. Er hat die Leistungen insoweit mit 627,26 Euro konkret beziffert. Um diesen Betrag, über den das SG vollständig entschieden hat und den der Kläger mit seiner Berufung weiterverfolgt, wird damit gestritten unabhängig davon, ob das LSG die Klage für die Zeit vom 1.1.2013 bis zum 15.1.2013 als unzulässig oder offensichtlich unbegründet ansieht, weil der Kläger erst am 16.1.2013 einen Leistungsantrag gestellt hat. Von einem Versehen bei der Antragstellung kann angesichts der Nennung des vom Kläger konkret berechneten Betrags nicht ausgegangen werden. Für eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG ist nichts ersichtlich (vgl dazu BSG vom 30.6.2021 - B 4 AS 70/20 R - BSGE 132, 255, 258, SozR 4-1500 § 144 Nr 11, RdNr 20), zumal das AsylbLG in der damaligen Fassung weder einen Kenntnisgrundsatz (vgl nunmehr § 6a AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2187) noch ein Antragsprinzip kannte (dazu im Einzelnen BSG vom 30.10.2013 - B 7 AY 2/12 R - BSGE 114, 292 = SozR 4-3500 § 25 Nr34, RdNr 20 f). Zum anderen begehrt der Kläger nach dem Klageantrag zu 3. für die Zeit ab 7.3.2013 höhere Leistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 2 statt der Regelbedarfsstufe 3. Dabei hat das LSG diesen nicht bezifferten weiteren Klageantrag zutreffend dahin ausgelegt, dass bei verständiger Würdigung des Klagebegehrens Leistungen nach dem AsylbLG nur bis 30.6.2013 begehrt werden, weil der Kläger vom 1.7.2013 an (höhere) Leistungen nach dem SGB II erhalten hat. Die Differenz zwischen den dem Kläger vom Beklagten ab dem 7.3.2013 bis zum 30.6.2013 bereits gewährten Leistungen und den mit der Klage geltend gemachten Leistungen beträgt damit für den zweiten Zeitraum insgesamt 136,27 Euro, wovon auch das LSG ausgeht. Mit seiner Berufung hat der Kläger uneingeschränkt auch die Ansprüche auf Leistungen für diesen Zeitraum weiter verfolgt.
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Bei der Ermittlung des Beschwerdewertes nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG sind mehrere in einer Klage geltend gemachte prozessuale Ansprüche zusammenzurechnen (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 5 ZPO; vgl ua BSG vom 30.6.2021- B 4 AS 70/20 R - BSGE 132, 255, 257 f, SozR 4-1500 § 144 Nr 11, RdNr 19). Ungeachtet der Hilfsanträge beträgt der Beschwerdewert hier 763,53 Euro (627,26 + 136,27) und übersteigt demnach die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG.
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Eine Zurückweisung der Beschwerde war auch nicht deshalb geboten, weil bereits feststünde, dass die angegriffene Entscheidung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt Bestand haben wird (vgl dazu nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 18 mwN). Eine Sachprüfung wegen des streitbefangenen Zeitraums hat das LSG nicht durchgeführt.
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Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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