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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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BSG 13.03.2024 - B 5 R 135/23 B
BSG 13.03.2024 - B 5 R 135/23 B
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 21. Juni 2023 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der 1967 geborene Kläger beantragte im November 2018 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung von Befund- und Behandlungsberichten sowie eines orthopädischen Gutachtens lehnte die Beklagte die begehrte Rente ab (Bescheid vom 9.5.2019; Widerspruchsbescheid vom 10.3.2020). Das Sozialgericht hat weitere Arztberichte eingeholt und ein orthopädisches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Mit Urteil vom 11.7.2022 hat es der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.6.2019 bis zum 31.5.2024 zu gewähren. Der Kläger sei zwar noch in der Lage, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig zu sein, jedoch sei seine Wegefähigkeit aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG einen aktuellen Befundbericht des behandelnden Orthopäden sowie ein weiteres orthopädisches Sachverständigengutachten eingeholt. Mit Urteil vom 21.6.2023 hat es das Urteil des SG geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Der Senat sei überzeugt, dass trotz erheblicher Beeinträchtigungen der Geh- und Stehfähigkeit aufgrund einer fortgeschrittenen Coxarthrose die Wegefähigkeit des Klägers noch erhalten sei. Es bestünden zudem keine Zweifel, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit weiteren qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten könne.
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Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht eine Divergenz und Verfahrensmängel geltend.
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II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat weder eine Divergenz noch einen Verfahrensmangel in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
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a) In der Beschwerdebegründung wird der Zulassungsgrund der Divergenz nicht hinreichend bezeichnet.
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Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl BSG Beschluss vom 15.11.2023 - B 5 R 91/23 B - juris RdNr 4 mwN).
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Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger trägt vor, die Entscheidung des LSG weiche von der Entscheidung des BSG vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R - (BSGE 110, 1 = SozR 4-2600 § 43 Nr 17) ab. Danach sei von einer Wegefähigkeit dann nicht mehr auszugehen, wenn der Betroffene nicht viermal täglich eine Wegstrecke von 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne. Das LSG habe sich zwar auf diese Rechtsprechung bezogen und sie auch zutreffend dargestellt. Es habe dann aber die Wegefähigkeit bejaht, weil die Ausführungen des Gutachters die Schlussfolgerung erlaubten, dass der Kläger zweimal (vor und nach der Arbeit) jeweils 500 Meter zurücklegen könne. Damit habe das LSG in Bezug auf die Wegefähigkeit eigene Maßstäbe zugrunde gelegt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen. Dass das LSG von der Rechtsprechung des BSG abweichende abstrakte Rechtssätze aufgestellt hat, ist damit nicht aufgezeigt. Zum einen bezieht sich die von ihm beanstandete Argumentation des LSG ausschließlich auf seinen Einzelfall. Zum anderen geht der Kläger nicht auf den Gesamtzusammenhang der Begründung zur Wegefähigkeit und insbesondere nicht auf den von ihm selbst zitierten Obersatz des LSG ein, wonach er zur Überzeugung des Senats noch in der Lage sei, "täglich viermal 500 Meter innerhalb von jeweils 20 Minuten zurückzulegen." Der Kläger beachtet somit nicht hinreichend, dass eine zulässige Rüge der Divergenz die Darlegung eines Widerspruchs im Grundsätzlichen voraussetzt. Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, wie zB Missverstehen, fehlerhafte Subsumtion, unzutreffende Beurteilung oder Übersehen einer Rechtsfrage (stRspr; vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160 RdNr 14 mwN aus der Rspr des BSG). Im Kern seines Vorbringens rügt der Kläger lediglich eine unrichtige Rechtsanwendung durch das LSG. Hierauf kann er sich im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht berufen.
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b) Auch ein Verfahrensmangel ist nicht ausreichend dargetan.
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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Mangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
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aa) Der Kläger trägt insofern vor, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt, dass das LSG entgegen den Ausführungen des Sachverständigen S und seinem eigenen Vortrag angenommen habe, es bestünden keinerlei Einschränkungen der oberen Extremitäten. Hierauf hätte das LSG vorab hinweisen müssen. Die Verletzung einer Hinweispflicht des LSG nach § 106 SGG und damit zugleich im Rahmen einer Überraschungsentscheidung eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) legt der Kläger damit nicht hinreichend dar. Er setzt sich bereits nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Umfang gerichtlicher Hinweispflichten auseinander. Danach gibt es keine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 SGG bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet, denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 8 mwN). Abgesehen davon ist der Beschwerdebegründung lediglich zu entnehmen, dass der Sachverständige eine Verdachtsdiagnose gestellt hat. Ob und ggfs welche für das Verfahren relevanten Einschränkungen sich hieraus nach dem Gutachten, auf das sich das LSG gestützt hat, ergeben sollen, ist nicht dargetan.
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Auch darüber hinaus fehlt es für eine Überraschungsentscheidung an hinreichendem Vortrag. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21 mwN). Da nicht vorgetragen ist, dass der Sachverständige Einschränkungen durch Erkrankungen der oberen Extremitäten festgestellt habe, ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht mit der Beurteilung durch das LSG rechnen musste. Dass das LSG seiner eigenen Einschätzung nicht gefolgt ist, berührt seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht.
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bb) Auch soweit der Kläger eine "willkürliche Rechtsanwendung" durch das LSG geltend macht, weil es die Rspr des BSG zur Wegefähigkeit nicht richtig angewandt habe, ist ein Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß aufgezeigt. Ein solcher liegt nur bei einem Verstoß des Gerichts im Rahmen seines prozessualen Vorgehens vor (sog "error in procedendo"). Entsprechend kann mit der Rüge eines Verfahrensmangels nur ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Vorschriften auf dem Weg zur Entscheidung, nicht aber - wie hier - eine fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts, die zu einem Mangel der sachlichen Entscheidung führt, geltend gemacht werden (so schon BSG vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81, 82 f = SozR Nr 19 zu § 162 SGG; vgl auch BSG Beschluss vom 24.1.2023 - B 7/14 AS 403/21 B - juris RdNr 4 mwN). Im Übrigen ist eine willkürliche Rechtsanwendung erst dann anzunehmen, wenn ein Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 13.12.2023 - 2 BvR 2204/21 - juris RdNr 18 mwN). Anhaltspunkte dafür enthält die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger trägt vielmehr selbst vor, dass das LSG seine Bewertung mit den Feststellungen im Gutachten von S begründet habe. Dass er selbst die Anknüpfung nicht für tragfähig und seine Einwände gegen das Gutachten für nicht hinreichend berücksichtigt hält, betrifft wiederum die Beweiswürdigung durch das LSG, die einer Überprüfung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde durch § 160 Abs 2 Nr 3 SGG entzogen ist. Die Rüge eines Begründungsmangels (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG) oder einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) vermag der Vortrag nicht zu begründen.
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cc) In Bezug auf den vom Kläger vorgebrachten weiteren Einwand, das LSG sei seinen Pflichten zur vollumfänglichen Ermittlung nicht nachgekommen und habe mithin seine Amtsermittlungspflicht gemäß § 103 SGG verletzt, ist schon nicht ersichtlich, dass er einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt hat. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zwar sind, wenn ein Kläger in der Berufungsinstanz - wie hier - durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war, an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss jedoch einen konkreten Beweisantrag sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären (vgl BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 214/16 B - juris RdNr 14 mwN). Erfolgt eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines unvertretenen Klägers, hat er diese Verdeutlichung grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen (vgl BSG Beschluss vom 19.7.2022 - B 7 AS 1/22 B - juris RdNr 3 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht hinreichend dargetan. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG persönlich anwesende Kläger führt selbst aus, keinen konkreten Beweisantrag gestellt zu haben und verweist im Übrigen auf seine Ausführungen im Schriftsatz vom 21.5.2023. Diese beschränken sich jedoch nach seinem eigenen Vortrag lediglich darauf, warum aus seiner Sicht die gutachterlichen Einschätzungen zur Wegefähigkeit nicht nachvollziehbar seien und er mit diesen nicht einverstanden sei.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
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