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BSG 15.07.2022 - B 1 KR 9/22 B
BSG 15.07.2022 - B 1 KR 9/22 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beweiswürdigung - voneinander abweichende Gutachtenergebnisse - keine Verpflichtung zur Einholung eines Obergutachtens oder eines weiteren Gutachtens
Normen
§ 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 412 Abs 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Gießen, 15. August 2017, Az: S 7 KR 38/14, Urteil
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 18. November 2021, Az: L 1 KR 42/20, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Der 1939 geborene und bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung der Kosten für drei stationäre Aufenthalte in der M-Klinik (Fachklinik für Naturheilverfahren und ganzheitliche Medizin) in der Zeit vom 5.8.2013 bis 21.1.2014 bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die medizinische Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation des Klägers sei nicht nachgewiesen. Die Erkrankungen des Klägers hätten ambulant ausreichend behandelt werden können. Die von ihm angeführte mitochondriale Erkrankung sei nicht nachgewiesen. Er habe den von K in ihrem Gutachten benannten erforderlichen Untersuchungen zum Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung nicht zugestimmt. Er habe sich nur mit einer Blutentnahme einverstanden erklärt. Selbst unter der hypothetischen Annahme einer mitochondrialen Erkrankung wäre die M-K zur Durchführung der dann indizierten (insbesondere physikalischen und neuropsychologischen) Therapie nicht geeignet gewesen. Das von der Klinik durchgeführte sog Heilfasten sei zudem keine allgemein akzeptierte Behandlungsmethode mitochondrialer Erkrankungen. Das LSG hat sich hierfür ua auf ein in einem Parallelverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin und Sozialmedizin D vom 30.4.2010 nebst einer vom SG in einem weiteren Parallelverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 4.1.2012, ein vom SG eingeholtes neurologisches Sachverständigengutachten von K vom 10.1.2017 sowie die Ausführungen des vom LSG selbst beauftragten neurologischen Sachverständigen M vom 30.6.2020 gestützt (Urteil vom 18.11.2021).
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Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16, jeweils mwN). Daran fehlt es.
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1. Die vorliegend allein erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) erfordert, dass in der Beschwerdebegründung ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer, bis zuletzt aufrechterhaltener oder im Urteil wiedergegebener Beweisantrag bezeichnet wird, dem das LSG nicht gefolgt ist, dass die Rechtsauffassung des LSG wiedergegeben wird, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, dass die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufgezeigt werden, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, dass das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angegeben und dass erläutert wird, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN). Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl zB BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 420/13 B - juris RdNr 12). Der bloße Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn er in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet ist (vgl BSG vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 12). § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schließt dies aus.
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Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG vom 23.6.2021 - B 1 KR 56/20 B - juris RdNr 6; BSG vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8 f mwN).
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2. Der Kläger hat nicht hinreichend die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufgezeigt, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten. Er legt damit nicht dar, warum das LSG aufgrund der vorliegenden medizinischen Ermittlungen objektiv gehalten gewesen sein soll, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben.
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Der Kläger macht geltend, das LSG sei seinem Beweisantrag auf Einholung eines ergänzenden internistischen Sachverständigengutachtens ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Der Fokus des Beweisantrags und der Beschwerdebegründung liegt dabei auf der Bewältigung mitochondrial verursachter internistischer Erkrankungen durch die drei stationären Behandlungen. Das LSG habe verkannt, dass bei einem Defekt des mitochondrialen Stoffwechsels nach dem gegenwärtigen Stand der Medizin nicht nur der neurologische Bereich betroffen sei, sondern jedes Gewebe und jedes Organ, und dass die aufgrund des Defekts der mitochondrial lokalisierten Stoffwechsellage bestehenden Beschwerden des Klägers überwiegend im internistischen Bereich des Klägers lägen. Das beantragte internistische Sachverständigengutachten hätte nachgewiesen, dass die beim Kläger durch die mitochondriale Erkrankung auf internistischem Gebiet verursachten Krankheitsfolgen (nur) durch eine stationäre Behandlung nach dem Behandlungskonzept der M-Klinik hätten leidensgerecht gelindert werden können. Auch ihrer Verschlimmerung hätte entgegengewirkt werden können. Hingegen macht der Kläger nicht geltend, dass ungeachtet der Krankheitsursache die internistischen Krankheiten eine stationäre Behandlung in dieser Klinik erfordert hätten.
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Das LSG ist auf der Grundlage der Ausführungen der neurologischen Sachverständigen zu der Feststellung gelangt, dass bereits das Vorliegen einer mitochondrialen Erkrankung des Klägers nicht nachgewiesen sei. Die weiteren Ausführungen zu den im Fall des Klägers indizierten Rehabilitationsmaßnahmen erfolgten nur "unter der hypothetischen Annahme einer mitochondrialen Erkrankung des Klägers".
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Zwar hätten sich mit Blick auf den in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellten Beweisantrag weitere Aufklärungsmöglichkeiten ergeben, um eine mitochondriale Erkrankung festzustellen oder auszuschließen. Der Beweisantrag formuliert insoweit nur allgemein: "… nach vorheriger persönlicher Anhörung und Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen …". Der Kläger legt aber nicht dar, dass er sich bereit erklärt hat, die von K in ihrem Gutachten für notwendig erachteten Untersuchungen (vgl S 44 ff des Gutachtens vom 10.1.2017) im Rahmen der beantragten internistischen Gutachtenerstellung nunmehr vornehmen zu lassen, um abschließend zu klären, ob er unter einer mitochondrialen Erkrankung leidet. Hingegen hat das LSG vom Kläger unwidersprochen festgestellt: "Der Kläger hat in dem Berufungsverfahren den erforderlichen Untersuchungen zum Nachweis einer mitochondrialen Erkrankung nicht zugestimmt; er hat sich vielmehr lediglich mit einer Blutentnahme einverstanden erklärt."
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Insoweit zeigt der Kläger nicht auf, warum das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, eine weitere internistische Begutachtung zu der unter diesen Umständen nicht entscheidungserheblichen Frage zu veranlassen, dass das Therapiekonzept der Malteser-Klinik von Weckbecker geeignet gewesen sei, internistische Krankheitsfolgen einer mitochondrialen Erkrankung zu behandeln und dies in "diesem speziellen Bereich dem anerkannten medizinischen Standard" entsprochen habe.
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Der Kläger hat auch keinen weiteren Beweisantrag dahingehend gestellt, dass die Ausführungen der Sachverständigen K hinsichtlich der Diagnostik einer mitochondrialen Erkrankung unzutreffend seien und schon nach den vorliegenden Befunden seine mitochondriale Erkrankung gesichert sei, um seinen Antrag auf Einholung eines internistischen Gutachtens zu stützen.
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3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Schlegel Geiger Estelmann
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