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BSG 12.04.2022 - B 2 U 10/21 BH
BSG 12.04.2022 - B 2 U 10/21 BH - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG - geklärte Rechtsfrage - Arbeitsunfall aufgrund eines vorsätzlichen Angriffs - sachlicher Zusammenhang - betrieblicher Grund - persönlicher Grund - kein Revisionszulassungsgrund: Auferlegung von Missbrauchskosten gem § 192 Abs 1 Nr 2 SGG)
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 8 Abs 1 SGB 7, § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG, § 165 SGG, § 144 Abs 4 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Würzburg, 29. September 2020, Az: S 5 U 147/20
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 16. Juni 2021, Az: L 17 U 310/20
Tenor
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Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Juni 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
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I. Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung eines Ereignisses vom 5.1.2017 als Arbeitsunfall im Wege eines Überprüfungsverfahrens.
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Die Klägerin war als Servicekraft/Kellnerin in einer Gaststätte beschäftigt. Während ihrer Arbeitsschicht am 5.1.2017 kam es zu einem Zusammentreffen der Klägerin mit einem Arbeitskollegen sowie dessen Ehefrau und Tochter. Als diese der Klägerin im Eingangsbereich begegneten, kam es zu Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten der Eheleute gegen die Klägerin. Diese wurde an der Halswirbelsäule und am Schädel verletzt.
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Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, weil die zum Unfall führende Tätigkeit persönlichen Zwecken gedient habe. Die dagegen erhobene Klage nahm die Klägerin zurück (S 5 U 108/19). Auf Antrag der Klägerin leitete die Beklagte ein Überprüfungsverfahren ein, beschied dies aber abschlägig. Klage- und Berufungsverfahren sind für die Klägerin ebenfalls ohne Erfolg geblieben (SG Urteil vom 29.9.2020, LSG Urteil vom 16.6.2021).
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Gegen die vorinstanzliche Entscheidung hat die Klägerin privatschriftlich "Prozess- und Verfahrenshilfe" beantragt sowie "Revision" eingelegt.
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II. 1. Die Eingaben der Klägerin fasst der Senat als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG unter Beiordnung eines Rechtsanwalts auf. Soweit die Klägerin auch "Revision" eingelegt hat, umschreibt sie damit lediglich das weitere, indirekt mit dem PKH-Gesuch verfolgte, künftige Rechtsschutzziel. Denn die Revision wird erst nach ihrer Zulassung statthaft.
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2. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für ein noch zu führendes Beschwerdeverfahren ist abzulehnen.
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Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Es ist indes nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen.
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Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2), oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichtsakten sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht erkennbar.
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Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 20.7.2021 - B 2 U 8/21 BH - juris RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 5 mwN). Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass nach den konkreten Umständen ein innerer Zusammenhang des tätlichen Angriffs mit der versicherten Tätigkeit und der konkreten Verrichtung nicht bestanden habe. Der Angriff habe seinen Ursprung in privaten Gründen gehabt, namentlich der Eifersucht der Ehefrau des Arbeitskollegen. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen auch ein vorsätzlicher Angriff einen Arbeitsunfall begründen kann. Erforderlich ist, dass der Angriff während der Ausübung einer versicherten Tätigkeit - sei es auf der Betriebsstätte oder auf einem versicherten Weg - erfolgt. Eine Anerkennung scheidet jedoch aus, wenn der Angriff in keiner sachlichen Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten steht, sondern zB aufgrund einer persönlichen Feindschaft erfolgt und keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verhältnisse (zB Dunkelheit, Dämmerung, einsam gelegener Tatort, örtliche Gegebenheiten) den Überfall wesentlich begünstigt haben (BSG Urteil vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 19; BSG Urteil vom 26.6.2001 - B 2 U 25/00 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 42 RdNr 24, jeweils mwN). Hiervon ausgehend ist nicht erkennbar, welche Fragen zur Einordnung eines tätlichen Angriffs als Arbeitsunfall hier noch weiterer Klärung bedürfen. Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, geht dagegen über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6).
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Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Davon kann nicht ausgegangen werden, nachdem sich die Vorinstanz gerade auf die höchstrichterliche Rechtsprechung bezogen hat. Eine - hier nicht greifbare - Verkennung ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall begründet keine Divergenz (zB BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34).
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Schließlich ist nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Ein Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
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Soweit die Klägerin auf weitere Zeugen für den Hergang des Ereignisses am 5.1.2017 verweist, besteht kein Anhalt für eine unzureichende Sachaufklärung (§ 103 SGG), die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch gerügt werden könnte. Hierfür wäre ua erforderlich, dass das LSG einem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag nicht gefolgt ist. Zwar sind an die Formulierung und Präzision eines Beweisantrags bei vor dem LSG unvertretenen Beteiligten - wie der Klägerin - verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss aber einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens vor dem LSG noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären (zB BSG Beschluss vom 21.12.2021 - B 9 SB 55/21 B - juris RdNr 7 mwN). Hierzu ist auch unter Einbeziehung des Protokolls vom 16.6.2021 nichts ersichtlich.
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Unabhängig hiervon ist nicht ersichtlich, dass nach Rechtsauffassung des LSG bestimmte Tatfragen durch Zeugenvernehmung klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen (zB BSG Beschluss vom 30.1.2020 - B 2 U 152/19 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 26.11.2019 - B 2 U 122/19 B - juris RdNr 6 mwN). Ausgehend von der materiellen Rechtsauffassung des LSG zum Ausschluss eines Arbeitsunfalls bei persönlichen Beweggründen des tätlichen Angreifers kam es auf die von der Klägerin angegebene Handlungstendenz auf dem Weg zur Garderobe ohnehin nicht an.
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Allein aus der Auferlegung von Missbrauchskosten nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG kann kein Revisionszulassungsgrund abgeleitet werden. Lediglich wegen der Kostenentscheidung im Berufungsurteil kann die Revision nicht zugelassen werden, wie sich aus einer analogen Anwendung des § 165 SGG iVm § 144 Abs 4 SGG ergibt (vgl BSG Beschluss vom 25.1.2018 - B 1 KR 31/17 B - juris RdNr 14 mwN). Der Ausschluss eines Rechtsmittels allein wegen der Kosten soll nicht zuletzt verhindern, dass das Rechtsmittelgericht die nicht mehr anfechtbare Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil von dieser letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt (BSG Beschluss vom 13.7.2004 - B 2 U 84/04 B - juris RdNr 13 mwN). Gleichwohl weist der Senat die Klägerin darauf hin, dass sie beim SG und LSG die Niederschlagung bzw Nichterhebung der Missbrauchskosten (§ 21 Abs 1 Satz 1 GKG analog) beantragen kann.
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3. Da der Klägerin nach alledem PKH nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Roos Karmanski Karl
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