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BSG 09.03.2022 - B 7/14 AS 91/20 R
BSG 09.03.2022 - B 7/14 AS 91/20 R - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - Unionsbürger - anderes Aufenthaltsrecht - Arbeitnehmerfreizügigkeit - ruhendes Arbeitsverhältnis während der Elternzeit - Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus
Normen
§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst b SGB 2, § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004, § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004, § 2 Abs 3 S 1 FreizügG/EU 2004, § 15 BEEG, § 18 Abs 1 S 1 BEEG, § 18 Abs 1 S 3 BEEG, Art 45 AEUV, Art 153 Abs 1 Buchst c AEUV, Art 153 Abs 4 AEUV, Art 7 Abs 2 EUV 492/2011, EURL 18/2010, EURL 2019/1158
Vorinstanz
vorgehend SG Trier, 2. April 2020, Az: S 6 AS 75/19, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 22. September 2020, Az: L 3 AS 108/20, Urteil
Leitsatz
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Erziehende in Elternzeit, deren Arbeitsverhältnis nach nationalem Recht ruht, sind als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Tenor
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Auf die Revisionen der Klägerinnen wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. September 2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Januar bis Mai 2019.
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Die Klägerin zu 1 ist die Mutter der im März 2018 geborenen Klägerin zu 2. Beide sind luxemburgische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 ist seit dem 11.5.2012 in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet, unterbrochen durch einen im Melderegister vermerkten Aufenthalt in Luxemburg vom 18.11.2013 bis 1.7.2014. In Deutschland war sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt vom 1.7.2014 bis 30.6.2015, vom 1.8. bis 21.9.2015 und vom 1.2. bis 30.6.2016 jeweils als Optikerin in verschiedenen Unternehmen und vom 1.10. bis 30.12.2015 als Serviererin. Ab 1.3.2017 stand sie in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis wiederum als Optikerin. Die Mutterschutzfrist der Klägerin zu 1 begann am 26.1.2018 und endete am 4.5.2018; die zunächst bis 20.4.2019 befristete Elternzeit verlängerte die Klägerin zu 1 im März 2019 bis zum 1.3.2021. Das Beschäftigungsverhältnis ruhte während ihrer Elternzeit.
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Die Klägerin zu 1 erhielt bis einschließlich 1.3.2019 Elterngeld (monatlich 606,37 Euro) und bis 28.2.2019 Wohngeld (341 Euro monatlich), außerdem Kindergeld für die Klägerin zu 2 (194 Euro monatlich); der Klägerin zu 2 wurde Unterhaltsvorschuss gezahlt (154 Euro monatlich). An Kosten der Unterkunft fielen insgesamt 570 Euro an.
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Den im Januar 2019 gestellten Antrag auf SGB II-Leistungen lehnte das beklagte Jobcenter mit der Begründung ab, die ruhende Beschäftigung sei nach Ende der Mutterschutzfrist nicht wieder aufgenommen worden, sodass nicht vom Fortbestehen des Arbeitnehmerstatus ausgegangen werden könne (Bescheid vom 16.4.2019; Widerspruchsbescheid vom 9.5.2019). Die Klägerin zu 1 habe zudem ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet. Daher bestehe ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst b SGB II (Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche).
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Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 2.4.2020; Urteil des LSG vom 22.9.2020). Zur Begründung hat das LSG, gestützt auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Saint-Prix ua ausgeführt, die Klägerin sei nicht im unionsrechtlichen Sinne Arbeitnehmerin, denn sie übe aufgrund des ruhenden Beschäftigungsverhältnisses keine tatsächliche und echte Tätigkeit aus. Der Erwerbstätigenstatus bestehe auch nicht fort, weil sie nicht unfreiwillig arbeitslos sei, sich nicht dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt und ihre Beschäftigung als Optikerin nicht binnen einer angemessenen Frist wieder aufgenommen habe. Diese Frist sei nicht um die Elternzeit zu verlängern. Der Bezug von Elterngeld sei ohne Auswirkungen auf die Arbeitnehmereigenschaft. Wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit habe sich die Klägerin zu 1 auch nicht zur Arbeitsuche in Deutschland aufgehalten; sie habe zudem keinen Anspruch nach § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II und kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 7 iVm § 4a Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erworben, weil sie sich nach Maßgabe melderechtlicher Auskünfte keine fünf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten habe. Der Leistungsausschluss erstrecke sich auch auf die Klägerin zu 2. Die Klägerinnen seien zudem von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen.
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Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Klägerinnen die Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II, des Art 45 AEUV und des Art 7 Abs 2 VO 492/2011/EU. Die Klägerin zu 1 habe im streitbefangenen Zeitraum in einem ungekündigten sozialversicherungspflichtigen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis gestanden, lediglich die Hauptleistungspflichten seien während der Elternzeit suspendiert. Daher sei die Argumentation des LSG verfehlt, sie sei keine Arbeitnehmerin. Das Arbeitsverhältnis sei nicht beendet, wovon auch § 15 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG) ausgehe und was verstärkt werde durch den Kündigungsschutz nach § 18 BEEG während der Elternzeit. Daher komme es auf die weitere Argumentation des LSG zu Fragen der Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus nicht an.
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Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. September 2020 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 2. April 2020 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2019 aufzuheben und ihn zu verurteilen, ihnen Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld für die Zeit von Januar bis Mai 2019 zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. September 2020 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 2. April 2020 aufzuheben sowie den Beigeladenen zu verurteilen, Sozialhilfe für die Zeit von Januar bis Mai 2019 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
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Der Beigeladene hat sich nicht zur Sache geäußert und auch keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
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Die Revisionen der Klägerinnen sind im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Wegen fehlender Feststellungen des LSG zur Hilfebedürftigkeit der Klägerinnen konnte der Senat zwar nicht abschließend über ihren Anspruch auf Alg II/Sozialgeld entscheiden. Den geltend gemachten Ansprüchen steht aber jedenfalls ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen.
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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 16.4.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.5.2019, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen ab Januar 2019 abgelehnt hat. Streitig sind nach der zeitlichen Begrenzung des geltend gemachten Anspruchs im Berufungsverfahren nur noch die Monate Januar bis Mai 2019.
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2. Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 SGG).
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3. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Alg II/Sozialgeld sind die Vorschriften der §§ 7 ff, 19 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II zu Beginn der streitbefangenen Monate zuletzt durch das Qualifizierungschancengesetz vom 18.12.2018 (BGBl I 2651) erhalten hat (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
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4. Ob die Klägerinnen die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II (dazu 5.) erfüllten, kann nicht abschließend beurteilt werden. Sie sind aber nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (dazu 6.), denn die Klägerin zu 1 ist auch während ihrer Elternzeit als Arbeitnehmerin freizügigkeitsberechtigt. Sie vermittelt daher auch der Klägerin zu 2 einen Anspruch auf Sozialgeld dem Grunde nach.
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5. Nach § 7 Abs 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
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Die erwerbsfähige Klägerin zu 1 hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht und nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin zu 2 kann als minderjähriges, dem Haushalt der Klägerin zu 1 angehörendes Kind einen Anspruch auf Sozialgeld haben (§ 7 Abs 3 Nr 4, §§ 19 Abs 1 Satz 2, 23 SGB II).
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Hinreichende Feststellungen, die die Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerinnen erlauben, fehlen. Das LSG hat zwar Einkommen der Klägerinnen aus Elterngeld und Wohngeld (bis Ende Februar 2019) sowie Kindergeld und Unterhaltsvorschuss festgestellt; im Urteil des LSG finden sich jedoch keine Feststellungen dazu, ob es sich dabei um das einzige Einkommen handelt und ob die Klägerinnen ggf auch über Vermögen verfügen. Entsprechende Feststellungen drängen sich schon deshalb auf, weil die Klägerin zu 1 nach den (weiteren) Ausführungen des LSG bei einer Vorsprache beim Beklagten im September 2016 über eine Eigentumswohnung berichtet hat, aus der sie Mieteinnahmen erziele, die sie aber verkaufen wolle. Wie die tatsächlichen Verhältnisse im streitbefangenen Zeitraum waren, teilt das LSG hingegen nicht mit.
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6. Die Klägerinnen haben - vorbehaltlich weiterer Feststellungen zu ihrer Hilfebedürftigkeit - Anspruch auf Alg II/Sozialgeld, weil sich die Klägerin zu 1 jedenfalls auch während der Elternzeit auf ein Aufenthaltsrecht als freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmerin berufen kann (§ 2 Abs 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU). Die Klägerin zu 1 ist daher nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.
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Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind ua ausgenommen (dh haben keinen Anspruch) Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1), nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben (a) oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (b) und ihre Familienangehörigen. Keiner dieser (und der weiteren in § 7 Abs 2 Satz 2 SGB II noch genannten) Ausschlusstatbestände liegt vor.
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Nach § 2 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Der Begriff des Arbeitnehmers im Freizügigkeitsrecht ist als autonomer Begriff des Gemeinschaftsrechts unionsrechtlich zu bestimmen (EuGH vom 23.3.1982 - C-53/81 - Levin, EU:C:1982:105, Slg 1982, 1035 RdNr 11 = NJW 1983, 1249; zur Bedeutung dieses Begriffs und dem der Beschäftigung in anderen Regelungszusammenhängen vgl nur Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl 2018, Teil 1, Art 45-48 AEUV RdNr 10; Steinmeyer in Franzen/Gallner/Oetker, Komm zum Europäischen Arbeitsrecht, 4. Aufl 2022, Art 45 AEUV RdNr 10 ff; zum Arbeitnehmerbegriff auch Junker, EuZA 2016, 188 ff; Wank, EuZA 2018, 327 ff; Benecke, EuZA 2018, 3 ff) und nicht eng auszulegen (EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12, EU:C:2013:97, RdNr 39 mwN); er muss mit dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerbegriff nicht übereinstimmen (Steinmeyer aaO RdNr 10). In Abgrenzung zu Nichterwerbstätigen (dazu Junker, EuZA 2016, 188, 192) ist jeder als "Arbeitnehmer" iS von Art 45 AEUV anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH vom 23.3.2004 - C-138/02 - Collins, EU:C:2004:172 = ZESAR 2004, 490 RdNr 26; EuGH vom 7.9.2004 - C-456/02 - Trojani, EU:C:2004:488 = NZA 2005, 757 RdNr 15; EuGH vom 3.5.2012 - C-337/10 - Neidel, EU:C:2012:263 = NVwZ 2012, 668 RdNr 23; EuGH vom 19.6.2014 - C-507/12 - Saint Prix, EU:C:2014:2007 = NZA 2014, 765 RdNr 33 f; EuGH vom 1.10.2015 - C-432/14 - Bio Philippe Auguste SARL, EU:C:2015:643 = ZESAR 2016, 222 RdNr 22). Zugleich bleibt das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU nach den Regelungen in Abs 3 Satz 1 für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige unberührt bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall, unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit oder Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht.
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Im Umkehrschluss verliert eine Person freizügigkeitsrechtlich die Arbeitnehmereigenschaft also mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wobei jedoch - wie die in § 2 Abs 3 Satz 1 FreizügG/EU aufgeführten Fallkonstellationen zeigen - diese Eigenschaft nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestimmte Folgewirkungen haben kann (EuGH vom 19.6.2014 - C-507/12 - Saint Prix, EU:C:2014:2007 = NZA 2014, 765 RdNr 35). Damit hängen die Arbeitnehmereigenschaft iS des Art 45 AEUV und die sich aus ihr ergebenden Rechte nicht unbedingt vom tatsächlichen Bestehen oder Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses ab (EuGH vom 21.6.1988 - C-39/86 - Lair, EU:C:1988:322 = NJW 1988, 2165 RdNr 31, 36).
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Über die Fälle des tatsächlich beendeten Arbeitsverhältnisses hinaus hat der EuGH seine Rechtsprechung in Sachverhaltskonstellationen weiterentwickelt, in denen - bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis - das Erfordernis der tatsächlichen Tätigkeit für die Erfüllung des Arbeitnehmerbegriffs ausnahmsweise entfallen kann. Für Erziehende in Elternzeit, deren Arbeitsverhältnis nach nationalem Recht ruht (vgl zur gemeinschaftsrechtlichen Grundlage Art 153 Abs 1 Buchst c AEUV, § 5 Nr 3 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub, Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8.3.2010 zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG), hat er ausgeführt, dass der Arbeitnehmer im Elternurlaub während dieses Urlaubs ein Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts bleibt (EuGH vom 20.9.2007 - C-116/06 - Kiiski, EU:C:2007:536 = NZA 2007, 1274 RdNr 32; EuGH vom 4.10.2018 - C-12/17 - Dicu, EU:C:2018:799 = NZA 2018, 1323 RdNr 35; vgl insoweit auch § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung, wonach im Anschluss an den Elternurlaub der Arbeitnehmer das Recht hat, an seinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder, wenn das nicht möglich ist, eine entsprechend seinem Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis gleichwertige oder ähnliche Arbeit zugewiesen zu bekommen). Zudem muss sichergestellt werden, dass die Rechte, die der Arbeitnehmer bei Antritt des Elternurlaubs bereits erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben (vgl § 5 Nr 2 der Rahmenvereinbarung) und sich der Arbeitnehmer im Anschluss an den Elternurlaub im Hinblick auf diese Rechte in derselben Situation befindet wie vor dem Elternurlaub (vgl EuGH vom 22.4.2010 - C-486/08 - Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, EU:C:2010:215, RdNr 51 mwN; EuGH vom 22.10.2009 - C-116/08 - Meerts, EU:C:2009:645, RdNr 38 f).
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Der Umsetzungsverpflichtung der Richtlinie 2010/18/EU (vgl Art 288 Abs 3 AEUV; dazu ua W. Schroeder in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl 2018, Art 288 RdNr 62 f mwN) ist der deutsche Gesetzgeber ua mit dem BEEG (in der Bekanntmachung der Neufassung vom 27.1.2015, BGBl I 33) nachgekommen. Nach § 18 Abs 1 Satz 1 und 3 BEEG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist und während der Elternzeit grundsätzlich nicht kündigen. Während der Elternzeit ruht das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes; spätestens am dritten Geburtstag des Kindes leben die Hauptpflichten (Erbringung der Arbeitsleistung/Zahlung von Lohn bzw Gehalt) wieder auf, der Arbeitnehmer hat unaufgefordert zur Arbeit zu erscheinen (zum Ganzen vgl nur BAG vom 12.1.2000 - 10 AZR 840/98 - AP Nr 223 zu § 611 BGB Gratifikation = NZA 2000, 944; BAG vom 19.4.2005 - 9 AZR 233/04 - BAGE 114, 206 = AP Nr 44 zu § 15 BErzGG; BAG vom 15.4.2008 - 9 AZR 380/07 - BAGE 126, 276 = AP Nr 50 zu § 15 BerzGG, NJW 2008, 2937; zuletzt BAG vom 19.3.2019 - 9 AZR 495/17 - BAGE 166, 189 = AP Nr 5 zu § 17 BEEG RdNr 23 mwN). Nicht suspendiert sind die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, also alle arbeitsrechtlichen Treue- und Fürsorgepflichten, insbesondere Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten, Wettbewerbsverbote oder die Notwendigkeit einer Nebentätigkeitsgenehmigung (BAG vom 10.5.1989 - 6 AZR 660/87 - BAGE 62, 35 = AP Nr 2 zu § 15 BErzGG, NZA 1989, 759; BAG vom 12.1.2000 - 10 AZR 840/98 - AP Nr 223 zu § 611 BGB Gratifikation = NZA 2000, 944).
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Nichts anderes gilt nach Maßgabe der Richtlinie 2019/1158/EU vom 20.6.2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates. Deutschland hat dieser Richtlinie am 6.2.2019 zugestimmt und sie ist bis 2.8.2022 in nationales Recht umzusetzen (vgl dazu nur Graue, ZESAR 2020, 62 ff). Nach Erwägungsgrund 39 sind die Mitgliedstaaten, wie bereits in der Richtlinie 2010/18/EU festgelegt, "verpflichtet, den Status des Arbeitsvertrags oder Beschäftigungsverhältnisses für den Zeitraum des Elternurlaubs zu bestimmen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs bleibt das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber während des Elternurlaubs aufrecht, weshalb die bzw. der Begünstigte eines solchen Urlaubs für die Zwecke des Unionsrechts während dieser Zeit Arbeitnehmer bleibt. Daher sollten die Mitgliedstaaten bei der Statusfeststellung des Arbeitsvertrages oder Beschäftigungsverhältnisses während des Urlaubs gemäß dieser Richtlinie, auch im Hinblick auf Sozialleistungsansprüche, gewährleisten, dass das Beschäftigungsverhältnis aufrecht bleibt".
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Anders als es das LSG, wenn auch in anderem Zusammenhang, verstanden wissen will, kann weder der Richtlinie noch der Rechtsprechung des EuGH entnommen werden, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerstatus nur während der Mutterschutzfristen oder für die in der Richtlinie vorgesehenen Mindestzeiträume des Elternurlaubs von vier Monaten (vgl § 2 Nr 2 der Rahmenvereinbarung, Richtlinie 2010/18/EU; Art 5 Abs 1 Richtlinie 2019/1158/EU) erhalten bleiben soll. Die auf Art 153 Abs 1 Buchst c AEUV gestützte Richtlinie, wonach die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der sozialen Ziele des Art 151 AEUV auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer unterstützt und ergänzt, gibt den Mitgliedstaaten nur den Rechtsrahmen vor und normiert Mindeststandards; nach Art 153 Abs 4 2. Spiegelstrich AEUV hindern die aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen die Mitgliedstaaten deshalb auch nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu treffen, die mit den Verträgen vereinbar sind (vgl dazu nur Eichenhofer in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl 2018, Art 153 RdNr 4 mwN). Gehen nationale Regelungen über diesen Mindeststandard hinaus, zB was die Dauer des Elternurlaubs anbelangt (vgl § 15 Abs 2 BEEG - bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes), führt dies deshalb auch nicht zum Verlust des europarechtlich statuierten Schutzes des sich in Elternurlaub befindenden Arbeitnehmers in dieser Zeit (dazu auch Düwell, jurisPR-ArbR 45/2018 Anm 3 unter D zu EuGH vom 4.10.2018 - C-12/17). Ein solches Verständnis würde entgegen der Richtlinie 2010/18/EU zum Elternurlaub dazu führen, dass ausländische Arbeitnehmerinnen davon abgehalten würden, ein ihnen zustehendes Recht auf Elternzeit in Anspruch zu nehmen (VG Darmstadt vom 1.12.2016 - 5 K 475/15.DA - juris mit Anm Haas in ZESAR 2017, 350; Göhle-Sander, jurisPR-ArbR 48/2017 Anm 2).
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Die vom LSG herangezogenen Entscheidungen des EuGH, insbesondere die Entscheidung Saint Prix (EuGH vom 19.6.2014 - C-507/12 - Saint Prix, EU:C:2014:2007 = NZA 2014, 765) sind auf den Fall der fortbestehenden Arbeitnehmereigenschaft nicht übertragbar. Sie ergingen vor dem Hintergrund eines tatsächlich beendeten Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses und befassten sich mit daran anschließenden Fragen der Fortwirkung der Arbeitnehmer- bzw Erwerbstätigeneigenschaft bis zur Wiederaufnahme einer anderen oder derselben Erwerbstätigkeit oder eines berufsbezogenen Studiums. Angesichts der im Streitzeitraum fortbestehenden Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin zu 1 erübrigen sich auch Ausführungen zur Frage ihrer (freiwilligen) Arbeitslosigkeit.
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7. Da die Klägerin zu 1 und von ihr abgeleitet die Klägerin zu 2 als "Familienangehörige" iS des § 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, kommen schon deshalb Leistungsansprüche nach § 23 SGB XII gegen den Beigeladenen nicht in Betracht.
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Das LSG wird abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
S. Knickrehm Harich Siefert
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