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BSG 12.12.2019 - B 10 EG 3/19 B
BSG 12.12.2019 - B 10 EG 3/19 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Übergehen eines Terminaufhebungsantrags - Auslegung einer Prozesserklärung eines Rechtsanwalts oder vergleichbar qualifizierten Bevollmächtigten - genaue Ausdrucksweise - Antrag auf "Aufhebung der Ladung" - kein Terminaufhebungsantrag
Normen
§ 160a SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 62 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 133 BGB, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Bayreuth, 9. April 2018, Az: S 9 EG 3/18, Gerichtsbescheid
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 4. Dezember 2018, Az: L 9 EG 9/18, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache höheres Elterngeld für ihren im September 2017 geborenen Sohn L.
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Vor der Geburt ihres Sohnes war sie bei der D. AG als Sachbearbeiterin in Vollzeit tätig. Vom 14.1. bis 22.4.2016 bezog sie Krankengeld. Ab dem 15.12.2016 betrieb die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eine Photovoltaikanlage. Die GbR erzielte im Jahr 2016 Verluste iHv 3872,60 Euro.
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Der Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag vorläufig Basiselterngeld für den 1. - 4. und Elterngeld Plus für den 5. - 20. Lebensmonat ihres Sohnes L. Als Bemessungsgrundlage zog der Beklagte wegen der (negativen) Einkünfte der Klägerin aus der GbR im Jahr 2016 dieses Kalenderjahr heran.
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Widerspruch und Klage auf Zahlung höheren Elterngelds unter Berücksichtigung des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt erzielten Einkommens sind erfolglos geblieben. Auf die Ladung zur mündlichen Berufungsverhandlung am 4.12.2018 hat der Prozessbevollmächtigte und Ehemann der Klägerin am selben Tag mit per Fax übersandten Schriftsatz beantragt, seine Ladung aufzuheben. Seine Familie und er seien erkrankt. Vorsorglich werde Antrag nach §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG gestellt.
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Das LSG hat ohne die Klägerin und ihren Bevollmächtigten verhandelt und die Berufung mit Urteil vom 4.12.2018 zurückgewiesen. Mit seinem Schriftsatz habe der Bevollmächtigte zu erkennen gegeben, eine Entscheidung zu wünschen. In der Sache habe der Beklagte den richtigen Bemessungszeitraum zugrunde gelegt. Die negativen Einkünfte der Klägerin aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage im Jahr 2016 reichten nach der einschlägigen BSG-Rechtsprechung aus, um den Bemessungszeitraum auf dieses Jahr zu verschieben. Darin liege keine unbillige Härte.
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, das LSG habe ihr rechtliches Gehör verletzt, weil es ohne sie und ihren Prozessbevollmächtigten einseitig verhandelt und entschieden habe. Das Berufungsgericht hätte ihren Schriftsatz als Terminsaufhebungsantrag verstehen und den Termin aufheben müssen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet. Zwar kann ein Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG verletzen, wenn es einen ordnungsgemäßen Antrag, einen Verhandlungstermin aus wichtigem Grund aufzuheben, nicht bescheidet, sondern aufgrund mündlicher Verhandlung ohne den Beteiligten entscheidet, der die Terminsaufhebung beantragt hat (BSG Beschluss vom 12.9.2019 - B 9 V 53/18 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 3.7.2013 - B 12 R 38/12 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 13.11.2012 - B 2 U 269/12 B - juris RdNr 10, jeweils mwN).
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Indes durfte das LSG hier ohne die Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil es dessen Schriftsatz vom 4.12.2018 zu Recht nicht als Antrag auf Terminsaufhebung verstanden hat.
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Bei Prozesserklärungen ist das Gewollte, also das verfolgte Ziel, im Wege der Auslegung festzustellen (BSG Urteil vom 14.6.2018 - B 9 SB 2/16 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 4 RdNr 12 mwN). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl BSG Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a RKn 11/87 - BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180 mwN). Bei der Auslegung von Anträgen, die ein Rechtsanwalt oder ein vergleichbar qualifizierter Prozessbevollmächtigter gestellt hat, ist dabei in der Regel davon auszugehen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (vgl Senatsbeschluss vom 5.6.2014 - B 10 ÜG 29/13 B - juris RdNr 12).
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Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in seiner Funktion als Rechtsanwalt ausdrücklich nur beantragt, die an ihn gerichtete Ladung zur Berufungsverhandlung aufzuheben. Wie der Beklagte in seiner Beschwerdeerwiderung zu Recht ausführt, darf von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er den Unterschied zwischen der Aufhebung lediglich der Ladung eines Beteiligten und/oder seines Bevollmächtigten und der erheblich weitergehenden Aufhebung des gesamten Termins kennt. Mit der Ladung teilt das Gericht den Beteiligten Zeit und Ort der mündlichen Verhandlung mit (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), und fordert sie auf, zum Termin zu erscheinen. Es steht in ihrem Ermessen, ob sie der Ladung folgen; entscheiden sie sich dagegen, kann das Gericht trotzdem verhandeln und entscheiden, wenn es zuvor mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§ 110 Abs 1 Satz 2 SGG; vgl Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 110 RdNr 10).
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Einen solchen Hinweis hatte das LSG dem Bevollmächtigten der Klägerin in der nur an ihn gerichteten Ladung erteilt. Die Klägerin konnte dadurch erkennen, dass das Gericht ihre persönliche Anwesenheit im Verhandlungstermin für entbehrlich hielt; es hatte sie weder selbst geladen, geschweige denn ihr persönliches Erscheinen angeordnet. Wollte die rechtskundig vertretene Klägerin gleichwohl den geladenen Termin in ihrer Abwesenheit verhindern, weil es ihr auf die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung zu einem späteren Zeitpunkt ankam, griff der Antrag ihres Bevollmächtigten zu kurz, nur seine Ladung aufzuheben. Der stattdessen erforderliche Antrag auf Aufhebung des gesamten Termins aber kann dem eindeutig formulierten Schriftsatz ihres Bevollmächtigten - "die Ladung des Unterzeichners zum Termin aufzuheben" - umso weniger entnommen werden, als dieser darin zugleich vorsorglich Antrag nach "§§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG" gestellt hat. Nach § 124 Abs 2 SGG kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. § 124 Abs 2 SGG ("kann") stellt dabei die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach dem Einverständnis der Beteiligten in das Ermessen des Gerichts. Den "Antrag nach § 124 Abs 2 SGG" des rechtskundigen Bevollmächtigten durfte das LSG daher so verstehen, dass die Klägerin, wenn sie schon ihren Verzicht auf die mündliche Verhandlung erklärte, auch mit einer (ggf einseitigen) mündlichen Verhandlung in ihrer Abwesenheit einverstanden war. Für diese Lesart spricht auch, dass der Prozessbevollmächtigte in einem früheren Verfahrensstadium ausdrücklich einen weitergehenden Antrag auf Verlegung des zunächst anberaumten Erörterungstermins formuliert und das Gericht diesem auch stattgegeben hatte.
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Liegt hier somit schon kein wirksamer Antrag auf Terminsaufhebung vor, kommt die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs durch fehlende Bescheidung eines solchen Antrags erst recht nicht in Betracht. Da die Klägerin vorab auf die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung in ihrer Abwesenheit hingewiesen worden war und sie keine Terminsaufhebung beantragt hat, um sich persönlich Gehör zu verschaffen, hat die vom LSG durchgeführte einseitige mündliche Verhandlung ihr rechtliches Gehör ebenfalls nicht verletzt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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