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BSG 30.09.2015 - B 3 KR 23/15 B
BSG 30.09.2015 - B 3 KR 23/15 B - sozialgerichtliches Verfahren - Zumutbarkeit eines Terminverlegungsantrags - "erhebliche Gründe" - Ablehnung - Erfordernis der Erteilung eines Sozietätsmandats - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Zurückverweisung - Verlangen einer unerlaubten Unterbevollmächtigung seitens des Gerichts nicht zulässig
Normen
§ 110 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 8. September 2011, Az: S 44 KR 434/09, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 27. Januar 2015, Az: L 4 KR 514/11, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. Januar 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10 286,16 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Der Kläger ist zugelassener Heilmittelerbringer im Bereich der Logopädie (§ 124 SGB V). Er begehrt von der beklagten Krankenkasse eine gesonderte Vergütung für die Vor- und Nachbereitung logopädischer Behandlungen. Die Beklagte hat die Abrechnungen des Klägers aus den Jahren 2006 bis 2008 um insgesamt 10 286,16 Euro gekürzt, weil sie der Auffassung ist, die vertraglich vereinbarten Vergütungssätze für die Stimm-, Sprech- und Sprachtherapien umfassten auch die zugehörigen Vor- und Nachbereitungen.
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Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.9.2011). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2015), weil sich aus dem ab 1.1.2006 geltenden Rahmenvertrag für Niedersachsen nebst Anlagen (§ 125 Abs 2 SGB V) ergebe, dass die Vertragsparteien die Vor- und Nachbereitungszeit von 15 Minuten je Behandlungseinheit vergütungsmäßig nicht gesondert bewerten wollten. Die Auslegung der Vergütungsregelungen verletze nicht die Berufsausübungsfreiheit der zugelassenen Logopäden (Art 12 Abs 1 GG).
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Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, weil der Entscheidung ein Verfahrensfehler zugrunde liege (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Er rügt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention), weil die mündliche Verhandlung vom 27.1.2015 in Abwesenheit seines durch eine Terminkollision verhinderten Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. M., durchgeführt worden sei. Den von Dr. M. gestellten Terminverlegungsantrag vom 22.12.2014, der am 2.1.2015, 9.1.2015, 16.1.2015 und 22.1.2015 wiederholt worden ist, habe das LSG zu Unrecht abgelehnt. Eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt sei hier nicht in Betracht gekommen.
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II. Die Beschwerde des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG. Das LSG hätte dem Terminverlegungsantrag des Klägers stattgeben müssen. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung am 27.1.2015 in Abwesenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten erweist sich als verfahrensfehlerhaft, weil dadurch der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist.
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A. Nach § 110 Abs 1 Satz 1 SGG bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Gemäß § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden, wenn es dafür einen "erheblichen Grund" gibt. Über die Aufhebung bzw Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung, über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 4 Satz 1 ZPO). Die Entscheidung ist kurz zu begründen; sie ist unanfechtbar (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 4 Satz 2 und 3 ZPO).
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1. Der Vorsitzende des LSG-Senats hat die Terminverlegungsanträge abgelehnt, weil die Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt der Kanzlei zumutbar sei; für die notwendige Einarbeitung in den Fall stehe ein Zeitraum von mehr als vier Wochen zur Verfügung (Zugang der Ladungsverfügung vom 12.12.2014 laut Empfangsbekenntnis am 16.12.2015; Termin am 27.1.2015). Außerdem gehe es nicht um eine medizinrechtliche Spezialmaterie, sondern "nur" um die Auslegung eines schriftlichen Vertrages (Verfügungen des Vorsitzenden vom 29.12.2014 und 5.1.2015; Beschluss des Vorsitzenden vom 23.1.2015). Die Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 27.1.2015 erweist sich als verfahrensfehlerhaft, weil ein "erheblicher Grund" iS des § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO für die beantragte Terminverlegung vorgelegen hat.
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2. Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "erheblichen Gründe" iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO erfolgt vor dem Hintergrund einer Kollision rechtlicher Prinzipien. Das objektive Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung kollidiert mit dem subjektiven Interesse des Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz. Die Auflösung der Prinzipienkollision muss unter Berücksichtigung und Würdigung sämtlicher erheblicher Umstände in jedem und für jeden Einzelfall geleistet werden. Generalisierende oder apodiktische Aussagen verbieten sich deshalb (BVerfGE 88, 118, 124 ff; Blüggel SGb 2006, 514, 516).
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B. Das verfassungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) verlangt, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten, wobei das rechtliche Gehör auch das Recht eines Beteiligten einschließt, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen (BVerwG NVwZ 1989, 857). Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs verweigerte oder abgeschnittene Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Terminverlegung rechtfertigende "erhebliche Gründe" iS des § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (BVerwG NJW 1995, 1231).
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Die Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 27.1.2015 wegen der zeitlichen Kollision mit einer schon zuvor (2.10.2014) angesetzten, auf 13.00 Uhr terminierten mündlichen Verhandlung am 27.1.2015 vor dem Landgericht Stade - 3 O 190/14 -, die eine Wahrnehmung der auf 14.15 Uhr in Celle terminierten mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausschloss, war ein solcher "erheblicher" Grund. Der Kläger konnte hier nicht darauf verwiesen werden, sich in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG durch einen anderen Rechtsanwalt der Sozietät E./Dr. M./O. vertreten zu lassen.
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1. Es ist zwar anerkannt, dass einem Beteiligten grundsätzlich zuzumuten ist, sich durch einen Kollegen des sachbearbeitenden, aber wegen einer Terminkollision verhinderten Rechtsanwalts in einer mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen, wenn er das Mandat formell nicht auf den Sachbearbeiter beschränkt, sondern der gesamten Sozietät erteilt hat (BVerwG NJW 1995, 1231; BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 110 RdNr 5 mwN) und dem Vertreter ausreichend Zeit zur Einarbeitung in den Fall verbleibt. Diese Rechtsprechung hatte der Vorsitzende des LSG-Senats vor Augen, als er die Terminverlegungsanträge des Klägers ablehnte.
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Dabei ist aber übersehen worden, dass der Kläger der Sozietät E./Dr. M./O. weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren ein Sozietätsmandat erteilt hatte. Bevollmächtigt waren zunächst die Rechtsanwälte Dr. S. & P. GbR, in deren Kanzlei B.
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Rechtsanwalt Dr. M. tätig war, dem als Fachanwalt für Medizinrecht die Sachbearbeitung oblag. Das formal allen Mitgliedern der GbR erteilte Mandat (zum Sozietätsmandat vgl auch Markworth, NJW 2015, 2152 ff) konzentrierte sich sodann allein auf Dr. M., als er diese Kanzlei im April 2012 verließ und Mitglied der Sozietät E./Dr. M./O. wurde und dabei das Mandat des Klägers als Sachbearbeiter "mitnahm". Dr. M. verfügte ab April 2012 nur über eine Einzelvollmacht. Darauf hat Dr. M. das LSG auch ausdrücklich aufmerksam gemacht (vgl Schriftsatz vom 2.1.2015). Der Sozietät ist erst im Zuge des vorliegenden Beschwerdeverfahrens eine Gesamtvollmacht erteilt worden (vgl Vollmachtsurkunde vom 27.2.2015). Dr. M. hatte folglich ab April 2012 praktisch die Stellung eines Einzelanwalts. Im Falle einer Terminkollision muss bei einem Einzelanwalt in der Regel - und vor allem bei einem ersten Verlegungsantrag (vgl zur Bedeutung der Dauer eines Verfahrens und einer bereits erfolgten Terminverlegung Blüggel SGb 2006, 514, 516 unter Hinweis auf BVerfG 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, 214, 215) - eine Terminverlegung erfolgen; auf die Möglichkeit der Vertretung darf hier regelmäßig noch nicht verwiesen werden (Leitherer, aaO, § 110 RdNr 5 mwN; Blüggel SGb 2006, 514, 517). Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - ausdrücklich erklärt worden ist, dass der Mandant nur mit einer Wahrnehmung des Termins durch den gewählten Sachbearbeiter einverstanden ist (Schriftsatz vom 2.1.2015). Eine solche Beschränkung der Vollmacht ist grundsätzlich zu beachten. Ein Gericht darf von einem Rechtsanwalt keine Verletzung des Mandatsvertrags durch eine unerlaubte Unterbevollmächtigung verlangen (Schneider NJW 2006, 886 mwN).
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2. Aber selbst bei Unterstellung einer schon im Berufungsverfahren erfolgten Bevollmächtigung der Sozietät E./Dr. M./O. erweist sich die Ablehnung der Terminverlegung als rechtswidrig. Einem Vertreter aus der Sozietät wäre zwar ausreichend Zeit zur Einarbeitung in den Fall verblieben, weil zwischen Ladung und Termin mehr als vier Wochen lagen, für eine Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung durch Dr. M. als Sachbearbeiter sind aber gewichtige Gründe vorgetragen worden, sodass zumindest eine erstmalige Terminverlegung nicht verweigert werden durfte.
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a) Dr. M. ist vom Kläger ausdrücklich wegen seiner Qualifikation als Fachanwalt für Medizinrecht ausgewählt worden. Nach § 14b der Fachanwaltsordnung (FAO) in der ab 1.7.2005 geltenden Fassung gehört zu den nachzuweisenden besonderen Kenntnissen im Medizinrecht das Berufsrecht (Nr 3), das Vertrags- und Gesellschaftsrecht (Nr 4) sowie das Vergütungsrecht (Nr 5) der Ärzte und sonstiger Heilberufe. Zu den sonstigen Heilberufen im Sinne dieser Vorschrift zählt auch der Beruf des Logopäden. Damit ist das hier betroffene Rechtsgebiet des Vertrags- und Vergütungsrechts als Heilmittelerbringer zugelassener Logopäden (§ 124 SGB V) dem speziellen Tätigkeitsbereich der Fachanwälte für Medizinrecht zuzuordnen. Dies schränkt die Möglichkeit der Verweisung auf die Terminwahrnehmung durch ein anderes Mitglied der Kanzlei, das nicht ebenfalls diese Qualifikation besitzt, jedenfalls bei einem ersten Verhinderungsfall wegen Terminkollision ein. In der Sozietät ist Dr. M. der einzige Fachanwalt für Medizinrecht.
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b) Es wäre auch nicht zulässig gewesen, Dr. M. darauf zu verweisen, sich in dem Paralleltermin vor dem Landgericht Stade vertreten zu lassen. Dort ging es um einen zivilrechtlichen Arzthaftungsanspruch. Dieser Streitgegenstand unterfällt ebenfalls dem Tätigkeitsbereich der Fachanwälte für Medizinrecht (vgl § 14b Nr 1 FAO: Recht der medizinischen Behandlung, insbesondere a) zivilrechtliche Haftung und b) strafrechtliche Haftung). Auf den Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht Stade hat Dr. M. ausdrücklich hingewiesen (Schriftsatz vom 16.1.2015).
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C. Ausführungen zur Kausalität der Gehörsverletzung sind grundsätzlich entbehrlich, wenn der Beschwerdeführer gehindert worden ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (BSGE 53, 83 = SozR 1500 § 124 Nr 7; BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33; Leitherer, aaO, § 160a RdNr 16d).
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D. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 3 GKG.
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E. Über die Frage der Kostenlast im Beschwerdeverfahren wird das LSG im Zuge des erneut durchzuführenden Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
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