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BSG 17.03.2015 - B 11 AL 12/14 R
BSG 17.03.2015 - B 11 AL 12/14 R - Arbeitslosengeldanspruch - Bemessungsentgelt - Auslandsbeschäftigung - Nichtberücksichtigung des in Belgien erzielten Arbeitsentgelts - Berücksichtigung des Arbeitsentgelts der letzten Beschäftigung im Inland - keine fiktive Bemessung - europarechtliche Koordinierung
Normen
§ 130 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 15.07.2009, § 131 SGB 3 vom 21.12.2008, § 132 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 15.07.2009, Art 61 EGV 883/2004, Art 62 Abs 1 EGV 883/2004, Art 62 Abs 2 EGV 883/2004, Art 68 Abs 1 EWGV 1408/71, Art 48 AEUV
Vorinstanz
vorgehend SG Dortmund, 14. Mai 2012, Az: S 23 AL 1292/10, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 26. Juni 2014, Az: L 16 AL 211/12, Urteil
Leitsatz
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Folgt auf Zeiten einer Auslandsbeschäftigung eine Beschäftigung im Inland, richtet sich die Bemessung des Arbeitslosengeldes nach den europarechtlichen Regelungen ausschließlich nach dem bei der Beschäftigung im Inland erzielten Arbeitsentgelt.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist höheres Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 11.9. bis 3.11.2010.
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Der Kläger war in der Zeit vom 2.6.2008 bis 30.6.2010 bei der Firma H E T NV in G (Belgien) als Kraftfahrer tätig, während er in der Bundesrepublik Deutschland wohnte. Am 1.7.2010 nahm er eine Beschäftigung als Kraftfahrer bei der Firma Er D GmbH & Co. KG in B auf; das Arbeitsverhältnis endete am 31.8.2010 aufgrund eines Schreibens des Arbeitgebers vom 30.8.2010. Für die Monate Juli und August 2010 wurde ein Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt 5001,92 Euro bescheinigt.
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Vom 1. bis 10.9.2010 bezog der Kläger Krankengeld (Krg). Am 13.9.2010 meldete er sich zum 11.9.2010 (Samstag) bei der Beklagten unter Vorlage einer Bescheinigung des belgischen Arbeitgebers (E 301) arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm zunächst für die Zeit vom 11.9.2010 bis 10.9.2011 Alg in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 30,49 Euro, bemessen nach einem fiktiven Arbeitsentgelt, weil der Kläger nur zwei Monate in Deutschland beschäftigt gewesen sei (Bescheide vom 11. und 12.10.2010; Widerspruchsbescheid vom 15.11.2010), hob jedoch die Bewilligung von Alg ab dem 4.11.2010 wieder auf, weil die Leistungsfortzahlung nach erneutem Krankheitsfall ab dem 23.9.2010 mit dem 3.11.2010 geendet habe (Bescheid vom 25.11.2010).
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Die Klage, gerichtet auf höheres Alg unter Berücksichtigung des in Belgien erzielten (höheren) Entgelts, war in beiden Instanzen insoweit erfolgreich, als die Beklagte für den Zeitraum vom 11.9. bis 4.11.2010 zur Zahlung von Alg "unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts von 80,68 Euro" verurteilt wurde (Urteil des Sozialgerichts <SG> Dortmund vom 14.5.2012; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Nordrhein-Westfalen vom 26.6.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, das dem Kläger zustehende Alg sei allein nach dem zuletzt in Deutschland erzielten Arbeitsentgelt zu bemessen. Der mit der Klage geltend gemachte weitergehende Anspruch auf Bemessung des Alg unter Berücksichtigung auch des höheren Entgelts aus der Beschäftigung in Belgien bestehe hingegen nicht. Für die Berechnung des Alg nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) sei Art 62 Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EGVO 883/2004) anwendbar; danach seien nur die in den Bemessungszeitraum fallenden inländischen (deutschen) Versicherungszeiten zu berücksichtigen. Eine Mindestbeschäftigungsdauer sei insoweit nicht vorgesehen, sodass eine fiktive Bemessung nicht vorzunehmen sei.
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Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 132 SGB III (aF) sowie Art 62 Abs 1 und 2 EGVO 883/2004. Entgegen der Annahme des LSG stehe Art 62 Abs 1 EGVO 883/2004, wonach bei der Berechnung der Leistungen ausschließlich das Entgelt der letzten Beschäftigung zu berücksichtigen sei, einer fiktiven Bemessung nach § 132 SGB III nicht entgegen. Das Wort "ausschließlich" in Art 62 Abs 1 EGVO 883/2004 bestimme nicht, dass die Bemessung völlig unabhängig von der Ausgestaltung des nationalen Bemessungsrechts nach dem "erhaltenen" inländischen Arbeitsentgelt zu erfolgen habe.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben sowie das Urteil des SG abzuändern, soweit sie zur Zahlung höheren Algs verurteilt worden ist, und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Nach einer Beschränkung der Klage in der Revisionsinstanz auf die Zeit vom 11.9. bis 3.11.2010 beantragt der Kläger,
die Revision zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des LSG insoweit für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zwar hat das LSG Art 62 Abs 1 und 2 EGVO 883/2004 richtig angewandt; jedoch fehlen zu den Anspruchsvoraussetzungen und für ein eventuelles Ruhen des Anspruchs ausreichende tatsächliche Feststellungen für eine abschließende Entscheidung.
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Gegenstand des Verfahrens ist nur noch der Bescheid vom 12.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2010 (§ 95 SGG). Der zuvor ergangene Bescheid vom 11.10.2010 hat sich mit Bekanntgabe des Bescheides vom 12.10.2010, mit dem dem Kläger eine höhere Leistung bewilligt wurde, erledigt (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <SGB X>). Nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 25.11.2010 über die Leistungsaufhebung ab dem 4.11.2010, nachdem der Kläger die Klage in mündlicher Verhandlung beschränkt hat.
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Mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) begehrt der Kläger für die Zeit vom 11.9. bis 3.11.2010 höhere Leistungen dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Dem trägt der Tenor des SG, den das LSG nicht korrigiert hat, nicht Rechnung, auch wenn beide Gerichte eine Verurteilung zur höheren Leistung gewollt haben. Bei dem im Tenor des SG ausgewiesenen Bemessungsentgelt von 80,68 Euro handelt es sich lediglich um ein Berechnungselement. Die Fassung des Tenors hat allerdings zur Folge, dass mangels Berufung des Klägers gegen das SG-Urteil die Klage höhenmäßig auf den Alg-Betrag begrenzt ist, der sich unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts von 80,68 Euro bei Lohnsteuerklasse 1 und einem Kind ergibt (wie im Bescheid vom 12.10.2010 zugrunde gelegt). Ob der Kläger einen Anspruch auf höhere Leistungen besitzt, ist nicht endgültig beurteilbar. Bei dem vom Kläger geführten Höhenstreit sind Grund und Höhe des Leistungsanspruchs in vollem Umfang zu überprüfen (stRspr; vgl BSGE 113, 86 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 84 Nr 1; BSGE 95, 80 ff RdNr 6 = SozR 4-4300 § 140 Nr 2).
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Nach § 118 Abs 1 SGB III (in der Fassung, die die Norm durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 - BGBl I 2848 - erhalten hat) setzt ein Anspruch auf Alg voraus, dass ein Arbeitnehmer arbeitslos ist (Nr 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat (Nr 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt (Nr 3). Nach § 119 Abs 1 SGB III (in der Normfassung desselben Gesetzes) ist ein Arbeitnehmer arbeitslos, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit - Nr 1), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen - Nr 2) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit - Nr 3).
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Ob der Kläger ab dem 11.9.2010 arbeitslos war, lässt sich anhand der getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht mit endgültiger Sicherheit entscheiden. Der Kläger war zwar beschäftigungslos, denn er stand ab dem 1.9.2010 tatsächlich nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne einer Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich (vgl § 119 Abs 3 SGB III). Zur Voraussetzung der Eigenbemühungen, die jedenfalls nicht gänzlich fehlen oder nach Konkretisierung durch den Leistungsträger abgelehnt werden dürfen, fehlen jedoch Tatsachenfeststellungen (zu dieser Differenzierung vgl: BSGE 95, 176 ff = SozR 4-4300 § 119 Nr 3; Söhngen in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand November 2008, § 119 RdNr 83 ff).
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Auch Feststellungen zur Verfügbarkeit fehlen. Der Kläger müsste hierfür insbesondere eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben können und dürfen (objektive Verfügbarkeit, § 119 Abs 5 Nr 1 SGB III), Vorschlägen der Agentur für Arbeit zeit- und ortsnah Folge leisten können (Erreichbarkeit, § 119 Abs 5 Nr 2 SGB III) und zu ihrer Annahme bereit sein (subjektive Verfügbarkeit, § 119 Abs 5 Nr 3 SGB III). Vorliegend bezog der Kläger bis zum 10.9.2010 Krg. Nach Lage der Akten begann eine "erneute" Arbeitsunfähigkeit am 23.9.2010 mit einer stationären Notaufnahme. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die objektive Verfügbarkeit in der gesamten oder einem Teil der Zeit fehlte. In diesem Fall wären die §§ 125, 126 SGB III zu prüfen.
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Zur persönlichen Arbeitslosmeldung (§ 118 Abs 1 Nr 2 SGB III) hat das LSG zwar festgestellt, dass diese am 13.9.2010 (Montag) erfolgt ist. Ob allerdings die Annahme des LSG zu einer Rückwirkung auf den 11.9.2010 (Samstag) begründet ist, bedürfte genauerer Feststellungen. Ist die zuständige Agentur für Arbeit am ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit des Arbeitslosen nicht dienstbereit, so wirkt zwar eine persönliche Meldung an dem nächsten Tag, an dem die Agentur für Arbeit dienstbereit ist, auf den Tag zurück, an dem die Agentur für Arbeit nicht dienstbereit war (§ 122 Abs 3 SGB III in der Normfassung des Gesetzes über den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der EU-Erweiterung vom 23.4.2004 - BGBl I 602). Dabei hat das LSG jedoch nicht beachtet, dass der erste Tag der Beschäftigungslosigkeit des Klägers der 1.9.2010 war. Nur auf eine fehlende Dienstbereitschaft der Agentur für Arbeit an diesem Tag wäre die Regelung anwendbar. Dies ergibt sich insbesondere aus der historischen Entwicklung der Norm. Die bis zum 31.7.1999 geltende Fassung des § 122 Abs 3 SGB III, wonach eine persönliche Arbeitslosmeldung im Falle fehlender Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes auf den Tag zurückwirkte, an dem der Arbeitslose sich erstmals melden "wollte", hatte nach Ansicht des Gesetzgebers zu erheblichem Prüfaufwand bezüglich des subjektiven Elements bei den Arbeitsämtern geführt. Eine Arbeitslosmeldung sollte deshalb nur dann noch zurückwirken, wenn der Arbeitslose die persönliche Arbeitslosmeldung am ersten Tag seiner Beschäftigungslosigkeit (objektiv) nicht vornehmen konnte, weil das zuständige Arbeitsamt an diesem Tag nicht dienstbereit war (vgl BT-Drucks 14/873, S 12 f; BR-Drucks 161/99, S 28). Auch der Bezug von Krg vom 1. bis 10.9.2010 macht deshalb die persönliche Arbeitslosmeldung vor Ablauf dieses Zeitraums nicht entbehrlich. Die Alternative einer nicht persönlichen Arbeitslosmeldung ist lediglich in § 125 Abs 1 Satz 3 SGB III aF vorgesehen, der die Meldung durch einen Vertreter genügen lässt. Auch diese muss indes durch den Vertreter persönlich vorgenommen werden (vgl dazu BSG SozR 4-4300 § 125 Nr 5).
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Der Kläger erfüllt allerdings die Anwartschaftszeit, weil er in der Rahmenfrist von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 124 Abs 1 SGB III in der Normfassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt), mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Abs 1 Satz 1 SGB III in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze vom 15.7.2009 - BGBl I 1939). Neben der Zeit des Bezugs von Krg vom 1. bis 10.9.2010 (hierzu sogleich) und der Beschäftigung in einem inländischen Versicherungspflicht-verhältnis (§§ 24, 25 SGB III) vom 1.7. bis 31.8.2010 hat das LSG zutreffend die zuvor in Belgien zurückgelegte Tätigkeit nach Maßgabe des Art 61 EGVO 883/2004 berücksichtigt, soweit sie in die Rahmenfrist fällt.
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Bei der in Deutschland zurückgelegten Zeit handelt es sich um ein Versicherungspflichtverhältnis; denn der Kläger war gegen Arbeitsentgelt nichtselbstständig beschäftigt (§ 7 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - <SGB IV>) und ist deshalb versicherungspflichtig gewesen (§§ 24 Abs 1, 25 Abs 1 SGB III).
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Die in Belgien zurückgelegte Beschäftigungszeit ist nach der EGVO 883/2004 ebenfalls zu berücksichtigen. Die Verordnung (VO) gilt ab dem 1.5.2010 (Art 91 Satz 2 EGVO 883/2004 iVm Art 97 Satz 2 Verordnung <EG> Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung <EG> Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Soweit Zeiten vor dem 1.5.2010 betroffen sind, fallen diese als Versicherungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats vor dem Beginn der Anwendung der Verordnung in dem betreffenden Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sind, in deren Anwendungsbereich (Art 87 Abs 2 EGVO 883/2004). Die Bescheinigung des belgischen Arbeitgebers (E 301) weist die in Belgien vom 2.6.2008 bis 30.6.2010 zurückgelegte Zeit als Versicherungszeit aus. An den Inhalt der Bescheinigung sind die Beklagte und das Gericht gebunden, solange die Bescheinigung nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist (vgl EuGH SozR 4-6050 Art 71 Nr 4).
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Art 61 Abs 1 EGVO 883/2004 ordnet ergänzend an, dass der zuständige Träger - hier die Beklagte -, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von ua Versicherungszeiten abhängt, Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaats zurückgelegt wurden, so berücksichtigt, als ob sie nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedsstaats - hier des deutschen - zurückgelegt worden wären. Nach Abs 2 gilt das nur, wenn "unmittelbar zuvor" eine Versicherungszeit nach den deutschen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden ist; dh, unabhängig von der zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen Zeit darf in der Zwischenzeit keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sein (vgl EuGH SozR 4-6050 Art 71 Nr 4). Dies ist beim Kläger der Fall. Er hat unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mit dem Krg-Bezug vom 1. bis 10.9.2010 eine Versicherungszeit in Deutschland als zuständigem Mitgliedsstaat zurückgelegt. Die Zeit unterlag der Versicherungspflicht nach dem SGB III, weil der Kläger wiederum unmittelbar davor versicherungspflichtig beschäftigt war (§ 26 Abs 2 Nr 1 SGB III iVm § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III).
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Ob ein in Anwendung dieser Vorschriften ggf entstandener Anspruch im streitgegenständlichen Zeitraum (11.9. bis zum 3.11.2010) wegen Eintritts einer Sperrzeit nach § 144 SGB III (in der Normfassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) geruht hat, lässt sich auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen allerdings ebenfalls nicht sicher beurteilen. Das Beschäftigungsverhältnis endete am 31.8.2010 nach den Ausführungen des LSG aufgrund einer Kündigung des Arbeitgebers (Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vom 30.8.2010). Abgesehen davon, dass die kurze Kündigungsfrist eine einvernehmliche Beendigung überdecken könnte, ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt haben könnte (§ 144 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III).
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Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg (während des gesamten Zeitraums) vor, ist auch die Höhe des Alg-Anspruchs aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilbar. Die Leistungshöhe wird gemäß §§ 129 bis 133 SGB III aF bestimmt durch das Bemessungsentgelt, die maßgebliche Lohnsteuerklasse und das Kindermerkmal. Zur Lohnsteuerklasse und dem Kindermerkmal fehlen jegliche tatsächliche Feststellungen des LSG.
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Für die Bestimmung des Bemessungsentgelts hat das LSG jedoch zutreffend Art 62 EGVO 883/2004 zur Anwendung gebracht. Er überlagert die nationalen Regelungen (§§ 130 bis 132 SGB III aF). Nach § 131 Abs 1 Satz 1 SGB III (in der Normfassung des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 21.12.2008 - BGBl I 2940) ist Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Nach § 130 Abs 1 Satz 1 SGB III (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze vom 15.7.2009 - BGBl I 1939) umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach Satz 2 dieser Regelung umfasst der Bemessungsrahmen ein Jahr, endend mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Kann dabei ein Bemessungszeitraum von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden, ist nach § 132 SGB III (in der Normfassung desselben Gesetzes) ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.
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Eine fiktive Einstufung hat vorliegend die Beklagte wegen der Kürze der in Deutschland zurückgelegten Zeiten vorgenommen. Nach Art 62 Abs 1 EGVO 883/2004 hätte sie jedoch ausschließlich das Entgelt der Beschäftigung in Deutschland berücksichtigen dürfen, wobei nach dessen Abs 2 dies in der Regel auch dann gilt, wenn - wie vorliegend - ein bestimmter Bezugszeitraum als für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistung heranzuziehenden Entgelts vorgesehen ist und die betreffende Person während dieses Zeitraums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaats unterlag. Die Formulierung ist eindeutig und insbesondere die Rechtsentwicklung und Systematik spricht für die vom LSG gewonnene Auslegung.
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Nach Art 68 Abs 1 Satz 1 Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGVO 1408/71), der Vorgängerregelung wurde zwar ebenfalls ausschließlich das Entgelt berücksichtigt, das der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet des zuständigen Staates erhalten hat. Nach Satz 2 war in Abweichung hiervon jedoch eine fiktive Bemessung (nur) für den Fall vorgesehen, dass die letzte Beschäftigung dort weniger als vier Wochen gedauert hat. Die Leistungen wurden dann auf der Grundlage des Entgelts berechnet, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich war, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats ausgeübt hatte, gleichwertig oder gleichartig war. Diese Ausnahmeregelung einer fiktiven Bemessung nach Art 68 Abs 1 Satz 2 EWGVO 1408/71 wurde in die EGVO 883/2004 allerdings nicht übernommen. Der gänzliche Verzicht auf eine fiktive Bemessung in der neuen VO verbietet damit auch eine fiktive Bemessung nach nationalem Recht. Es bleibt vielmehr grundsätzlich dabei, dass ausschließlich das Entgelt der letzten Beschäftigung als Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist.
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Diese Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung. Art 62 EGVO 883/2004 ermöglicht dem zuständigen Mitgliedsstaat eine praktikable Umsetzung der ihrer Konzeption nach nur vorübergehenden Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Soweit es in Nr 4 der Erwägungsgründe der EGVO 883/2004 heißt, es sei notwendig, die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregelung vorzusehen, ist der Begriff der Koordinierungsregelung vor diesem Hintergrund nicht lediglich als Festlegung des "maßgeblichen Arbeitsförderungsstatuts" zu verstehen, wie die Revision meint, sondern in einem weiteren Zusammenhang der inhaltlichen Ausgestaltung und Erweiterung der von den Mitgliedsstaaten vorgesehenen Ansprüche, um das in Nr 5 der Erwägungsgründe genannte Ziel zu erreichen, innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen, dass die betreffenden Personen nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften gleich behandelt werden.
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Die Regelung verlässt damit nicht den von Art 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gesetzten Rahmen des Koordinierungsrechts. Nach dessen Buchstabe a sichert das vom Verordnungsgeber für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eingeführte System zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren Angehörigen die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten ua für die Berechnung der Leistungen. Dabei geht es nicht um den Erlass inhaltlichen Sozialrechts, sondern allein um die Koordinierung des Sozialrechts der Mitgliedsstaaten in dem Sinne, dass diese harmonisch ineinandergreifen. Neben Zuordnungsvorschriften, durch die Arbeitnehmer nach grenzüberschreitenden Beschäftigungsverläufen dem Sozialversicherungsrecht eines Mitgliedsstaats unterstellt werden, sind daher auch koordinierende Vorschriften zulässig, die Leistungsberechnungen vorsehen, die von nationalem Recht abweichen. Insoweit ist eine Koordinierung ohne jegliche Harmonisierung nicht denkbar.
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Für die Bemessung erklärt Art 62 Abs 1 EGVO 883/2004 vor diesem Hintergrund nur das Entgelt für maßgeblich, das der Arbeitslose "während" seiner letzten Beschäftigung "erhalten hat". Ob bei der Anwendung dieser Vorschrift das strenge Zuflussprinzip zugrunde zu legen ist und folglich nur die Entgelte zu berücksichtigen sind, die vor Beendigung der letzten Beschäftigung gezahlt worden sind, oder ob auch Entgelte aus dieser Beschäftigung zu berücksichtigen sind, wenn sie nach dem Ausscheiden zugeflossen sind, bedürfte nur dann einer Entscheidung, wenn der Kläger das Arbeitsentgelt der Beschäftigung in Deutschland nicht bzw ganz oder teilweise erst nach seinem Ausscheiden erhalten haben sollte. Gleiches gilt für die Frage, ob das supranationale Recht der EGVO 883/2004 auf die in § 130 Abs 1 Satz 1 SGB III vorgesehene Abrechnung über die Entgeltzeiträume bis zum Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis verzichtet. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art 267 Satz 1 Buchstabe b iVm Satz 3 AEUV ist vor dem Hintergrund der noch fehlenden Tatsachenfeststellungen nicht angezeigt.
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Das LSG wird ggf auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
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