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BVerfG 17.04.2023 - 2 BvR 526/22
BVerfG 17.04.2023 - 2 BvR 526/22 - Nichtannahmebeschluss: Prüfungspflicht des Art 100 Abs 1 S 1 GG trifft auch Instanzgerichte - hier: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Übergehen von zentralem Parteivortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren - allerdings Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Erhebung der Anhörungsrüge
Normen
Art 100 Abs 1 S 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 33a StPO, § 120 Abs 1 StVollzG
Vorinstanz
vorgehend OLG Karlsruhe, 11. Februar 2022, Az: 3 Ws 447/21, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Es liegen keine Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG vor. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig.
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1. Soweit der inhaftierte Beschwerdeführer rügt, dass die Höhe der Vergütung seiner Arbeit im Strafvollzug seine Grundrechte verletze, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den an sie zu stellenden Substantiierungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. So setzt sich die Verfassungsbeschwerde insbesondere inhaltlich nicht mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht auseinander und lässt nicht hinreichend erkennen, auf welcher konkreten landesgesetzlichen Grundlage die Gefangenenvergütung im vorliegenden Fall beruht.
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2. Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Oberlandesgericht Karlsruhe sei im angegriffenen Beschluss vom 11. Februar 2022 nicht auf sein Vorbringen eingegangen, die Ansicht des Landgerichts Offenburg im Beschluss vom 22. Oktober 2021, es sei "nicht zuständig" für die beantragte Vorlage nach Art. 100 GG, sei "falsch", ist die Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig.
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a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zum Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 42, 243 245>; 74, 358 380>; 122, 190 198>; 126, 1 17>; 134, 106 113 Rn. 22>; stRspr). Erhebt ein Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (vgl. BVerfGE 134, 106 113 Rn. 22> m.w.N.).
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b) Die Anhörungsrüge gemäß § 33a StPO, § 120 Abs. 1 StVollzG ist vorliegend Teil des Rechtswegs, weil der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend macht und eine Anhörungsrüge nicht unstatthaft oder offensichtlich aussichtslos ist. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Beschwerdeführer eine Anhörungsrüge erhoben hat.
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Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie offensichtlich aussichtslos gewesen wäre (vgl. BVerfGK 7, 403 407>). Vielmehr spricht viel dafür, dass das Oberlandesgericht den im Rahmen der Rechtsbeschwerde gerügten (dazu aa) Verstoß des Landgerichts gegen seine Pflichten aus Art. 100 Abs. 1 GG (dazu bb) nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und erwogen (dazu cc) hat.
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aa) Im Rahmen seiner Rechtsbeschwerde vor dem Oberlandesgericht hat der Beschwerdeführer ausdrücklich ausgeführt, die Auffassung des Landgerichts, es sei für die Entscheidung seines Antrags vom 19. Oktober 2021 auf Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 GG "nicht zuständig", sei "falsch".
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bb) Nach dem allgemeinen richterlichen Prüfungsrecht aus Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG sind alle Gerichte zuständig, im Rahmen der bei ihnen anhängigen Verfahren nachkonstitutionelle gesetzliche Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen (vgl. BVerfGE 2, 406 410 f.>; 34, 320 323>). Im Einzelnen kann und muss sich danach jedes Gericht, ehe es ein Gesetz anwendet, mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes beschäftigen (vgl. BVerfGE 1, 184 188 f.>; 2, 406 410 ff.>) und eine eigene Überzeugung von dessen Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit bilden (vgl. BVerfGE 2, 406 410 f.>; 34, 320 323>; 138, 64 93 Rn. 84>). Nicht nur für die Zulässigkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, sondern bereits auch für das Entstehen der Verpflichtung, ein Gesetz zum Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, ist im Grundsatz auf die Überzeugung des Fachgerichts von der Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes abzustellen (vgl. BVerfGE 78, 104 117>; 80, 54 58>; 117, 330 356>; 138, 64 93 Rn. 84>). Beschäftigt sich dementsprechend ein Gericht trotz entsprechenden Antrags des Beschwerdeführers nicht mit der Frage, ob die anzuwendenden Normen nach der eigenen Überzeugung verfassungsgemäß sind, so verletzt es seine Prüfpflichten aus Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.
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Vor diesem Hintergrund bestehen hinsichtlich der Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 22. Oktober 2021, es sei "soweit der Antragsteller begehrt, verschiedene Gesetze für verfassungswidrig zu erklären", "nicht zuständig", erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2021 ausdrücklich einen Antrag nach Art. 100 GG gestellt. Ein solcher Antrag lässt nach den dargelegten Maßstäben eine eigene Prüfpflicht des Gerichts entstehen. Die Übersendung des Schriftsatzes vom 19. Oktober 2021 sowie zweier Lohnbenachrichtigungen des Beschwerdeführers "zur weiteren Veranlassung" an das Bundesverfassungsgericht "entsprechend dem Begehren des Antragstellers", kann eine eigene Auseinandersetzung und Überzeugungsbildung über die Verfassungsmäßigkeit der für die Höhe der Gefangenenentlohnung des Beschwerdeführers maßgeblichen einfach-rechtlichen Normen durch das Landgericht nicht ersetzen.
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cc) Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass das Oberlandesgericht anders über die Rechtsbeschwerde entschieden hätte, wenn es den Vortrag des Beschwerdeführers in Erwägung gezogen hätte.
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(1) Liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, die deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist, kommt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht (vgl. BVerfGE 65, 293 295>; 70, 288 293>; 86, 133 146>). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. auch BVerfGE 47, 182 189>).
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(2) Der Beschwerdeführer hat in seiner Rechtsbeschwerde vom 18. November 2021 ausdrücklich einen Verstoß des Landgerichts gegen dessen Pflichten nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG gerügt; es stellte wesentliches Vorbringen des Beschwerdeführers dar. Vor diesem Hintergrund deutet der Umstand, dass das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde mit einer Tenorbegründung als unzulässig verworfen hat, ohne auf die Rüge des Beschwerdeführers einzugehen, darauf hin, dass das Oberlandesgericht den diesbezüglichen Vortrag nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und erwogen hat (vgl. BVerfGE 18, 380 383>). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Oberlandesgerichte gemäß § 119 Abs. 3 StVollzG unter den dort bezeichneten Voraussetzungen berechtigt sind, eine Rechtsbeschwerde ohne Begründung zu verwerfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, Rn. 33; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, Rn. 6). Vielmehr weist der ergänzende Hinweis des Oberlandesgerichts auf zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamburg über die Regelung der Vergütung von Gefangenen und Sicherungsverwahrten in Hamburg darauf hin, dass das Oberlandesgericht sich zwar inhaltlich mit der Rechtsbeschwerde auseinandergesetzt hat, jedoch gerade den vorgetragenen Verstoß des Landgerichts gegen die richterlichen Prüfpflichten aus Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG außer Acht gelassen hat.
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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