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BVerfG 31.05.2022 - 1 BvR 98/21
BVerfG 31.05.2022 - 1 BvR 98/21 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde einer Gruppierung (Teil einer Studentenverbindung) gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 des Freistaates Bayern
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, Art 9 Abs 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 3 Abs 1 VerfSchutzG BY 1997 vom 10.04.1997, Art 15 S 1 VerfSchutzG BY 1997 vom 10.04.1997
Vorinstanz
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 6. April 2020, Az: 10 ZB 18.2223, Beschluss
vorgehend VG München, 19. April 2018, Az: M 30 K 16.3007, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Beschwerdeführerin, ein Zusammenschluss der zur aktiven Beteiligung Verpflichteten einer burschenschaftlich organisierten Studentenverbindung, wendet sich gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 des Freistaates Bayern im Unterabschnitt "Sonstige rechtsextremistische Organisationen" des Abschnitts "Rechtsextremismus".
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I.
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Die Beschwerdeführerin beschritt gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 erfolglos den Verwaltungsrechtsweg. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren legte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz eine Übersicht über die Umstände vor, auf denen ihre Nennung beruhe, wie ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, politische Aktivitäten und Veranstaltungen sowie die personelle Vernetzung mit Mitgliedern der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts reichten die dokumentierten Aktivitäten als tatsächliche Anhaltspunkte für die Nennung im Bericht aus. Diese Aktivitäten seien nicht zufällig, sondern zielgerichtet gewesen. Die Vereinigung habe Funktionären einer verfassungsfeindlichen rechtsextremistischen Gruppierung die eigene Infrastruktur zur Verfügung gestellt und ein Forum geboten. Die Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 sei auch verhältnismäßig. Die Verwendung des Begriffs "rechtsextrem" sei - im Einklang mit der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren (BVerfGE 144, 20) - nicht zu beanstanden. Die Berufung ließ das Gericht nicht zu. Einen Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Verwaltungsgerichtshof ab.
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II.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen eine Verletzung verschiedener Grundrechte der Vereinigung. Zudem seien ihre Mitglieder mittelbar in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt, da die Nennung im Verfassungsschutzbericht zu beruflichen Nachteilen führen könne. Mittelbar sei auch die in Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Betätigungsfreiheit der Parteien betroffen.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Soweit sie zulässig sind, greifen die Rügen nicht durch. Die Gerichte haben verfassungsrechtliche Maßgaben in den angegriffenen Entscheidungen nicht verkannt.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs richtet, genügt sie schon nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung. Im Übrigen kann die hier beschwerdeführende Vereinigung weder die Rechte ihrer Mitglieder noch die Rechte einer von ihr unterstützten politischen Partei geltend machen. Auch ist weder dargelegt noch erkennbar, inwiefern die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG berührt sein sollte. Die Tatsache, dass es sich bei der im Verfassungsschutzbericht genannten Vereinigung um einen Teil einer Studentenverbindung handelt, genügt insoweit nicht.
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2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Die Nennung der Vereinigung im Verfassungsschutzbericht und die diese rechtfertigenden gerichtlichen Entscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Die Nennung im Verfassungsschutzbericht greift zwar in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Beschwerdeführerin ein. Es handelt sich um eine mittelbar belastende Sanktion, die ihr gegenüber eine Warnfunktion hat und zugleich ihre Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt (vgl. zur Pressefreiheit BVerfGE 113, 63 76 ff.>).
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b) Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob darin ein Eingriff in die nach Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Vereinigungsfreiheit, in die Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG oder in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) zu sehen wäre, denn die unterschiedlichen Grundrechte weisen kein für die Beurteilung des vorliegenden Falles relevantes unterschiedliches Schutzniveau auf (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom heutigen Tage - 1 BvR 564/19 -, Rn. 12 f.). Mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 GG handelt es sich bei der Vorschrift, auf die sich die Nennung der Beschwerdeführerin im Verfassungsschutzbericht 2015 stützt, jedenfalls um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. dazu BVerfGE 113, 63 78 f.>).
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c) Soweit der Verwaltungsgerichtshof die Nennung der Beschwerdeführerin im Verfassungsschutzbericht für gerechtfertigt hielt, hat er auch in der Sache grundrechtliche Schutzgehalte nicht verkannt.
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aa) Das Bundesverfassungsgericht hat insofern allein die Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen auf die Verletzung von Verfassungsrecht zu überprüfen (vgl. BVerfGE 18, 85 92>; stRspr). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung von Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der jeweils in Rede stehenden Vorschriften überhaupt Grundrechte zu beachten waren, wenn deren Schutzbereich unrichtig oder unvollkommen bestimmt wurde oder wenn ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. BVerfGE 106, 28 45> m.w.N.; stRspr).
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bb) Das ist hier nicht der Fall.
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(1) Die Nennung der Vereinigung im Verfassungsschutzbericht 2015 des Freistaates Bayern stützte sich auf Art. 15 Satz 1 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl. S. 70 - BayVSG). Danach unterrichten das zuständige Staatsministerium und das Landesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten, die unter die Aufgabennorm des Art. 3 Abs. 1 BayVSG fallen. Danach hat der Verfassungsschutz insbesondere Bestrebungen von Gruppierungen oder Einzelpersonen im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
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(2) Es ist nicht erkennbar, dass die Fachgerichte in der Auslegung und Anwendung des Landesrechts die Grundrechte der Beschwerdeführerin verkannt hätten.
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(a) Die Einwände der Beschwerdeführerin, diese Rechtsgrundlage für die Arbeit des Verfassungsschutzes sei zu unbestimmt oder die Auslegung der Gerichte vage und daher nicht verfassungsgemäß, greifen nicht durch. Verfassungsrechtlich ist geklärt, was als "freiheitlich demokratische Grundordnung" geschützt ist (vgl. zuletzt BVerfGE 144, 20 202 f. Rn. 528 ff.>).
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(b) Desgleichen ist geklärt, dass sich rechtsextremistische Bestrebungen, insbesondere der NPD (vgl. BVerfGE 144, 20 246 ff. Rn. 635 ff.>), aber auch des Vereins M., mit dem die hier beschwerdeführende Vereinigung kooperiert (vgl. BayVGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 10 BV 16.1237 - Rn. 29 ff.), gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten.
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(c) Ebenso wenig trägt der Einwand, bei der Nennung der Beschwerdeführerin im Verfassungsschutzbericht 2015 werde nicht an Tatsachen angeknüpft, sondern ihre Gesinnung verfolgt. Insofern ist die Arbeit des Verfassungsschutzes an Sachlichkeit und weltanschaulich-politische Neutralität gebunden; er darf nicht an bloße Kritik an der bestehenden Ordnung anknüpfen oder politisch einseitig vorgehen. Die Berichterstattung ist daher auf Aktivitäten begrenzt, die eine aktiv-kämpferische Haltung indizieren und letztlich auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung gerichtet sind. Insoweit darf der Verfassungsschutz aus Meinungsäußerungen und weiteren Aktivitäten zwar Schlüsse ziehen, aber erst dann gegen eine dafür verantwortliche Vereinigung vorgehen, wenn sich darin Bestrebungen manifestieren, die Grundordnung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 113, 63 81 f.>; zum Parteiverbot BVerfGE 144, 20 219 ff. Rn. 571 ff.>; für Vereinigungsverbote BVerfGE 149, 160 197 f. Rn. 107 f.>). Diese Maßgaben haben die Fachgerichte hier auch zugrunde gelegt. Eine Nennung im Verfassungsschutzbereich wäre danach unverhältnismäßig, wenn nur vereinzelte oder wenig belastbare Erkenntnisse vorlägen (vgl. BayVGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 10 BV 16.1237 -, Rn. 45). Hier war das aber nicht der Fall. Vielmehr haben die Gerichte als konkrete Anhaltspunkte für eigene verfassungsfeindliche Bestrebungen der Beschwerdeführerin einen länger zurückliegenden Vortrag eines Funktionärs der NPD gewertet, die Veranstaltung von Messen, auf denen der NPD und einer mit dieser Partei verbundenen Gruppierung sowie einem verfassungswidrigen Verein ein Forum zur Selbstdarstellung und Werbung geboten wurde, deren zunächst positive Begleitung in den sozialen Medien durch die Beschwerdeführerin und die Mitgliedschaft eines Verantwortlichen des Hausvereins der Burschenschaft in der NPD.
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(d) Dabei haben die Gerichte auch ausdrücklich berücksichtigt, dass die NPD eine legale politische Partei ist, die den Schutz des Art. 21 GG genießt. Zugleich stellten sie in nicht zu beanstandender Weise darauf ab, dass es sich auch ausweislich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den gegen sie gerichteten Verbotsantrag um eine Partei handelt, die klar verfassungsfeindliche Positionen vertritt. Ein Parteiverbot war in ihrem Fall nur deshalb nicht zu rechtfertigen, weil es ihr an der hinreichenden Mächtigkeit im Sinne einer Potentialität fehlte, um solche Positionen durchzusetzen (vgl. BVerfGE 144, 20 224 ff. Rn. 585 ff.>). Art. 21 GG schließt es dann zwar aus, diese Partei zu verbieten, untersagt aber dem Verfassungsschutz nicht, über Vereinigungen zu berichten, die mit ihr kooperieren.
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(e) Schließlich greift auch der Einwand nicht durch, dass die Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 des Freistaates Bayern deshalb unverhältnismäßig gewesen sei, weil sie nur in einem Jahr erfolgte. Vielmehr spricht dieser Umstand gerade für eine grundrechtssensible Handhabung. So zeigt sich gerade im Fall der Beschwerdeführerin, dass sie in Jahren, in denen sie insbesondere die Messe zur Werbung für verfassungsfeindliche Positionen nicht mehr durchgeführt hat, nicht mehr im Verfassungsschutzbericht genannt wurde.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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