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BVerfG 01.06.2021 - 1 BvR 927/21
BVerfG 01.06.2021 - 1 BvR 927/21 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen verschiedene infektionsschutzrechtliche Regelungen des Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ("Bundesnotbremse") - Unzulässigkeit mangels hinreichender Substantiierung
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, EpiBevSchG 4, § 28b Abs 1 S 1 Nr 1 IfSG, § 28b Abs 1 S 1 Nr 2 IfSG, § 28b Abs 1 S 1 Nr 5 IfSG, § 28b Abs 1 S 1 Nr 7 IfSG, § 28b Abs 1 S 1 Nr 9 IfSG, § 28b Abs 1 S 1 Nr 10 IfSG
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Neuregelungen im Infektionsschutzrecht durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BGBl I 2021 S. 802). Sie ist mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden, um die Vollziehung des Gesetzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen.
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1. Die Beschwerdeführenden sind deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in Deutschland und Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Sie haben mit Briefkopf des Abgeordnetenbüros des Beschwerdeführers zu 1) Verfassungsbeschwerde erhoben und Eilrechtsschutz beantragt. Sie tragen vor, von den Maßnahmen der sogenannten Bundesnotbremse gegen die COVID-19-Pandemie selbst betroffen zu sein, weil sie entweder Adressaten der Verbote seien oder wegen der Verbote bestimmte Einrichtungen, Veranstaltungen oder Dienstleistungen nicht oder nicht wie gewünscht nutzen könnten. An ihren Wohnorten sei damit zu rechnen, dass der Schwellenwert für die Maßnahmen überschritten werde. Grundrechte seien verletzt, weil Eltern und Großeltern ihre Kinder und Enkel nur einzeln und nicht gemeinsam besuchen dürften. Die Ausgangsbeschränkung verletze die Freiheit der Person ebenso wie die Verpflichtung zum Tragen bestimmter Masken im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr, die auch in das Recht auf Gesundheit eingreife. Reisende würden im Vergleich mit Zugpersonal ohne Grund ungleich behandelt. Die Freizügigkeit sei verletzt, weil touristische Beherbergungen verboten würden. Das alles sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das betreffe auch den Inzidenzwert-Automatismus, den Rechtsschutz und die Rechte der Länder und Kreise. Die Maßnahmen seien unverhältnismäßig. Stattdessen müssten die Intensivbettenkapazitäten ausgebaut werden.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie begegnet schon in der Form Zweifeln, ist aber jedenfalls nicht hinreichend substantiiert begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) und daher unzulässig.
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a) Die Verfassungsbeschwerdeschrift trägt den Briefkopf eines Abgeordneten mit Adresse des Deutschen Bundestages. Abgeordnete können als solche ihre Rechte aber nur im Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG geltend machen (vgl. BVerfGE 6, 445 448>; 43, 142 148>; 64, 301 313>; 123, 267 328 f.>); im Verfassungsbeschwerdeverfahren treten sie als Privatpersonen wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger auf (vgl. BVerfGE 123, 267 328 f.>). Die gewählte Form der Eingabe lässt hier nicht völlig eindeutig erkennen, ob spezifische Abgeordnetenrechte in Anspruch genommen werden oder die Beschwerdeführenden die allgemeinen Grundrechte in Anspruch nehmen und auf den Abgeordnetenstatus aus nicht mit der Beschwerde selbst in Zusammenhang stehenden, etwa politischen Gründen hinweisen. Damit ist schon zweifelhaft, ob der Vortrag für die Verfassungsbeschwerde den dafür maßgeblichen Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügt. Es muss hier aber nicht entschieden werden, wie diese Unklarheit zu bewerten ist. Die Verfassungsbeschwerde ist aus anderen Gründen ohnehin nicht zur Entscheidung anzunehmen.
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b) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht den gesetzlichen Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG entsprechend begründet.
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aa) Das Verfassungsprozessrecht verlangt, den Vorgang, der eigene Rechte verletzen soll, substantiiert und konkret bezogen auf die eigene Situation darzulegen. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, müssen Beschwerdeführende also substantiiert geltend machen, durch die Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein, und sich auch mit der einfachrechtlichen Rechtslage inhaltlich auseinandersetzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Mai 2021 - 1 BvR 928/21 -, Rn. 12; stRspr).
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bb) Dem genügen die Darlegungen hier nicht.
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(1) Es ist schon nicht erkennbar, dass und wie die Beschwerdeführenden von den Maßnahmen des neuen Infektionsschutzrechtes gegenwärtig konkret betroffen sind. Sie teilen nicht mit, ob sie in Landkreisen oder kreisfreien Städten leben, in denen die Maßnahmen zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer Verfassungsbeschwerde greifen. Die abstrakt geäußerte Auffassung, dass es für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht darauf ankomme, wenn am Wohnort der Schwellenwert nicht erfüllt sei, verfängt nicht, denn das Gesetz greift ausdrücklich erst ab dem Schwellenwert von 100 Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz, § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG).
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(2) Die Beschwerdeführenden haben auch darüber hinaus die Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten nicht dargelegt. Soweit sie eine Verletzung des Rechts von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG durch Kontaktbeschränkungen rügen, tragen sie nichts Konkretes zu sich selbst vor. Es ist schon nicht klar, auf welchen Beschwerdeführenden der Vortrag zu einer Unterbindung von Kontakten zwischen engen Familienangehörigen überhaupt tatsächlich zutreffen soll, oder wer mit Blick auf Besuche von Kindern und Enkeln wie genau belastet ist. Desgleichen finden sich zu den Ausgangsbeschränkungen allgemeinpolitische Überlegungen, aber keine Darlegungen zu den Beschwerdeführenden selbst. Auch bleibt im Dunkeln, inwieweit wer im Recht auf freie Gestaltung des ehelichen Lebens betroffen sein soll, denn es ist nicht dargelegt, wer im Stand der Ehe lebt. Ebenso wenig ist dargelegt, wen tatsächlich die Maskenpflicht inwiefern belastet; ein Hinweis auf "längere Reisen im Fernverkehr" genügt hier nicht.
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(3) Desgleichen wird zum Inzidenzwert-Automatismus des § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG substantiiert nichts vorgebracht. Wie die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 20. Mai 2021 - 1 BvR 928/21 -, Rn. 22 ff., ausgeführt hat, sieht der Gesetzgeber eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 nachvollziehbar als geeigneten Indikator für das Infektionsgeschehen an. Das gilt auch für die weitere Annahme, dass ab dem Schwellenwert von 100 die Eindämmung des Infektionsgeschehens durch Kontaktnachverfolgung nicht mehr möglich sei (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 5. Mai 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 41). Zu diesen sich von Anfang an aufdrängenden Fragen verhalten die Beschwerdeführenden sich nicht. Auch aus ihrer Sicht treffen beim Besuch von Kultureinrichtungen und der Außengastronomie oder der touristischen Beherbergung viele Personen aufeinander. Daraus folgt das erhöhte Risiko einer Ansteckung. Was dennoch gegen einschränkende Maßnahmen spricht, wird nicht ausgeführt.
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(4) Die Beschwerdeführenden lassen insofern auch unberücksichtigt, dass dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung ein Spielraum zukommt (vgl. BVerfGE 149, 86 120 Rn. 94>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 5. Mai 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 38). Hinsichtlich des Ausbaus der Intensivbettenkapazitäten setzen sie sich nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber dazu bereits Maßnahmen ergriffen hat. So erhalten Krankenhäuser Ausgleichszahlungen, um die Verfügbarkeit intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten zu erhöhen. Zudem zielen die angegriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht allein darauf, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, sondern auch auf den Schutz von Gesundheit und Leben.
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c) Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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