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BVerfG 25.01.2021 - 1 BvR 2888/20
BVerfG 25.01.2021 - 1 BvR 2888/20 - Erfolgloser Eilantrag gegen das Fremdpersonalverbot in der Fleischwirtschaft - Unzulässigkeit der Eilanträge mangels Darlegung hinreichend schwerer Nachteile bei Inkrafttreten der angegriffenen Normen
Normen
§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 6a SAFleischWiG, § 6b SAFleischWiG, § 7 Abs 1 SAFleischWiG, § 7 Abs 2 Nr 3 SAFleischWiG, § 7 Abs 2 Nr 4 SAFleischWiG, § 7 Abs 2 Nr 5 SAFleischWiG, § 7 Abs 2 Nr 6 SAFleischWiG, § 7 Abs 3 Alt 1 SAFleischWiG, § 7 Abs 4 SAFleischWiG, § 1 Abs 3 SchwarzArbG 2004, § 2 Abs 1 S 1 SchwarzArbG 2004, § 5 Abs 5 S 1 SchwarzArbG 2004, § 5 Abs 5 S 2 SchwarzArbG 2004
Vorinstanz
nachgehend BVerfG, 1. Juni 2022, Az: 1 BvR 2888/20, Nichtannahmebeschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrem Eilantrag, die zum 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Regelungen der §§ 6a und 7 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) in der Fassung des Art. 2 Nr. 5 und 6 des Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontrollgesetz, im Folgenden: ASKG) vom 22. Dezember 2020 vorläufig außer Kraft zu setzen, sowie das Inkrafttreten der §§ 6a und 7 GSA Fleisch in der Fassung des Art. 3 Nr. 1 und 3 ASKG zum 1. April 2021 vorläufig aufzuschieben, gegen das Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft.
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I.
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1. Das Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz vom 22. Dezember 2020 erweitert unter anderem das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft um neue Regelungen. Im Mittelpunkt steht insofern § 6a GSA Fleisch. Die Vorschrift normiert Einschränkungen des Einsatzes von Fremdpersonal im Kernbereich der Fleischwirtschaft, namentlich in der Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung. Nach § 6a Abs. 2 GSA Fleisch ist es den Unternehmen ab dem 1. Januar 2021 verboten, die Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung durch Selbstständige, also mit Hilfe der bisher in weitem Umfang eingesetzten Werkvertragsunternehmen, erledigen zu lassen. Diese Arbeiten dürfen nur noch durch eigenes Personal ausgeführt werden. Nach § 6a Abs. 1 Satz 2 GSA Fleisch gilt zudem ein Kooperationsverbot; danach ist die gemeinsame Führung eines Betriebs im Sinne von § 6a Abs. 1 Satz 1 GSA Fleisch durch zwei oder mehrere Unternehmer untersagt. Schließlich schränkt § 6a Abs. 3 GSA Fleisch mit Wirkung ab dem 1. April 2021 die Leiharbeit in diesen Bereichen der Fleischwirtschaft ein und untersagt sie ab dem 1. April 2024. Das Fremdpersonalverbot ist mit einem Bußgeld bewehrt; es wird insbesondere durch die Zollverwaltung überprüft, die dafür in § 6b GSA Fleisch neue Befugnisse erhält. Die neuen Regelungen gelten nach § 2 Abs. 2 GSA Fleisch nicht für Handwerksbetriebe mit bis zu 49 Beschäftigten.
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2. Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der Wurstherstellung mit etwa 650 Beschäftigten. Sie ist in der Fleischwirtschaft tätig. Für den Arbeitsschritt Schneiden und Verpacken setzt sie kein eigenes Personal ein. Bis zum 31. Dezember 2020 beschäftigte sie 300 Beschäftigte eines Werkvertragsunternehmens, das diese ausbildete und in die Arbeitsschritte einwies. Diese Zusammenarbeit setzt sie ab dem 1. Januar 2021 auf der Grundlage einer Vereinbarung der Arbeitnehmerüberlassung, also in Form der Leiharbeit fort.
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3. Die Beschwerdeführerin beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung insbesondere die Regeln zum Verbot der Leiharbeit außer Kraft zu setzen.
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Der Antrag sei zulässig. Auch im Hinblick auf die am 1. April 2021 in Kraft tretenden Regelungen sei sie gegenwärtig beschwert, denn sie müsse ihre unternehmerischen Vertragsbeziehungen umgestalten. Zudem sei ihre Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet, denn die angegriffenen Vorschriften der GSA Fleisch griffen ungerechtfertigt in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein. Zudem verletze der Gesetzgeber das Grundrecht auf Gleichbehandlung, da er den Einsatz von Fremdpersonal nur in der Fleischwirtschaft, nicht jedoch in anderen vergleichbaren Branchen wie der Logistikbranche oder der Landwirtschaft untersage.
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Eine Folgenabwägung falle zu ihren Gunsten aus. Die Beschwerdeführerin sei wie alle Akteure der Fleischwirtschaft zu Dispositionen gezwungen, die wirtschaftlich erhebliche Folgen nach sich ziehen könnten. Sie müsse die Betriebsorganisation tiefgreifend umstrukturieren. Ihr fehlten Mitarbeiter und die Rekrutierung eigenen Personals sei in den betroffenen Bereichen sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Dies könne einen Rückgang der Produktionskapazitäten und Vertragsstrafen des Handels nach sich ziehen, wenn die geforderte Liefersicherheit von 97 bis 98,5 Prozent nicht eingehalten werde.
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II.
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Der Eilantrag ist abzulehnen.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht dann im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 140, 211 218 f. Rn. 12> m.w.N.; stRspr).
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Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab, der sich noch erhöht, wenn der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvQ 152/20 u.a. -, Rn. 10). Dieser äußerst strenge Maßstab verlangt nicht nur eine besondere Schwere der Nachteile, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, sondern stellt auch sehr hohe Anforderungen an die nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gebotene Begründung des Antrags, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Mai 2015 - 1 BvQ 9/15 -, Rn. 20 m.w.N.). Insoweit bedarf es in tatsächlicher Hinsicht zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbarer individualisierter und konkreter Darlegungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2020 - 1 BvR 972/20 -, Rn. 12; auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. August 2015 - 2 BvR 2190/14 -, Rn. 27). Fehlt es daran, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2756/20 u.a.-, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvQ 152/20 u.a. -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvQ 165/20 u.a. -, Rn. 13).
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2. Gemessen an diesen äußerst strengen Anforderungen hat der Eilantrag keinen Erfolg.
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Der Eilantrag ist unzulässig. Es ist nicht hinreichend dargelegt, dass durch ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfahrens über die Verfassungsbeschwerde die in einem verfassungsgerichtlichen Eilverfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG geforderten besonders schweren Nachteile tatsächlich entstehen. Insofern ist nicht nachvollziehbar individualisiert und konkret dargelegt, was tatsächlich daraus folgt, dass die angegriffenen Regelungen in Kraft getreten sind beziehungsweise in Kraft treten werden.
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So fehlt die Darlegung, das im Unternehmen der Beschwerdeführerin, wenn sie für den Arbeitsschritt "Schneiden und Verpacken" kein Fremdpersonal mehr einsetzt, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die hier geforderten gravierende, schwer oder nicht reversiblen Nachteile entstehen würden (dazu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvQ 152/20 u.a. -, Rn. 15 ff.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvQ 165/20 u.a. -, Rn. 22).
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Zwar ist die Beschwerdeführerin in ihrer beruflichen Tätigkeit durchaus ernsthaft eingeschränkt, wenn sie für das Personal andere Vertragsgestaltungen wählen muss. Doch ergibt sich daraus noch nicht, dass und warum für sie nicht die Möglichkeit besteht, das bislang in Leiharbeit eingesetzte Personal selbst einzustellen. Die Beschwerdeführerin trägt insofern selbst vor, dass sie sich darum aktuell bemühe, nur bislang erfolglos geblieben sei. Praktische Schwierigkeiten sind aber kein hinreichend konkreter und gravierender Nachteil, der es verfassungsrechtlich rechtfertigen könnte, ausnahmsweise zu verhindern, dass ein Gesetz wie verabschiedet und ausgefertigt in Kraft tritt.
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Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführerin grundsätzlich weitere arbeitsrechtliche Flexibilisierungsinstrumente wie Arbeitszeitkonten, befristete Anstellungen und Arbeit auf Abruf zur Verfügung stehen. Zwar mag, worauf die Beschwerdeführerin allgemein verweist, die Nutzung von Arbeitszeitkonten zur Abdeckung der Schwankungen nicht ausreichen, doch beschränken sich ihre Möglichkeiten darauf nicht. Auch aus dem allgemeinen Hinweis darauf, dass Befristungen in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat vermieden werden sollten, folgt nicht, dass der Abschluss befristeter Verträge tatsächlich nicht möglich wäre, um weitergehende Risiken für das Unternehmen zu bewältigen. Der Vortrag, dass die Rekrutierung neuer Mitarbeiter schwierig und die Einarbeitung personalintensiv sei, genügt ebenfalls nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen. Wenn es heißt, dass die Personalrekrutierung im Bereich Verpackung "wohl unmöglich" sei, ist dies eine nicht konkretisierte oder belegte Vermutung.
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Auch die Befürchtung, in Folge des Personalmangels Vertragsstrafen zahlen zu müssen, wenn die vom Handel geforderten hohen Liefersicherheiten nicht eingehalten würden, genügt ohne konkrete Ausführungen zu tatsächlich unvermeidbaren Entwicklungen den hohen Darlegungsanforderungen zur Begründung einer Eilentscheidung nicht.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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